Rückblick Gniewino 2012: Hotel „Hochspannung“ und ein Spielabbruch

M Updated 12 Januar 2017
Rückblick Gniewino 2012: Hotel „Hochspannung“ und ein Spielabbruch

Der Grenzgänger schläft weiterhin seinen Schlaf. Vielleicht wird er ja wie Dornröschen irgendwann einmal wieder nach 100 Jahren geweckt. Bis dahin freuen sich die poleninteressierten Leser über Material für die Winterpausenüberbrückung. Beim Aufräumen fand ich einen Bildausschnitt aus einem damals schnell angefertigten Video. Zur zeitlichen Einordnung: Wir befinden uns im Jahr 2012. Die verhasste EM Polen/Ukraine war nur ein paar Tage zuvor beendet worden. In diesem Zeitraum setzte ich übrigens keinen Fuß über die Grenze. Zu fragwürdig waren staatlichen Gebaren vor dieser Veranstaltung. Die Saison 11/12 sollte mit einem Kracher-Mittwochspiel zwischen Beskid Andrychów  und Unia Tarnów drei Tage vor Beginn der EM enden. Mit einer netten Fahrt zu einem Hotel-Stadion wurde alsbald die neue Saison eingeleitet. Ich kam am Vorabend gerade erst von der stressigen Exkursion zurück. Der Wecker klingelte morgens, und ich wusste zunächst gar nicht warum. Ein Blick auf den Kalender. Aha, Samstag. Fußball. Polen. Also los!

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Die Fahrkartentante, die später ein Nickerchen machte und dabei zwei Stationen komplett verschlief, begrüßte mich mit: „Na da ham se aber noch Glück jehabt. In die andere Richtung fährt erstma janischt. Kaputt.“ Gestern sich noch bei über 30° durch die Botanik scheuchen lassen und heute empfing mich Szczecin mit einem ordentlichen Regenguss. Der schlechte Kurs sollte vermieden werden und da noch etwas Zeit war, wurde die Post aufgesucht. Mit einem müden Lächeln lief ich noch am ersten Kantor vorbei. Der Kurs wird ja spätestens bei der Post noch besser. Wenn die nicht an diesem Samstag geschlossen gewesen wäre... Ich meine übrigens die große in der Stettiner City. Der nächste Kantor bot sogar noch einen um einen Grosz besseren Kurs an. Zurück am Bahnhof und irgendwann rollte auch der billige Expresszug Richtung Białystok ein. Zunächst in Gesellschaft einer Blondine schnaufte der Zug mit mir gen Osten. Das Glück blieb nicht lange auf meiner Seite, da sich erst zwei Typen zu uns gesellten und später der Zug unfreiwillig ziemlich lange in Koszalin halten sollte. Aus dem Lautsprecher krächzt es, dass wir uns mindestens 30 Minuten gedulden müssten. Meine Mitfahrgelegenheit wartete an einem anderen Unterwegs-Bahnhof und war zu dieser Zeit noch gut gelaunt trotz der Verspätung. Verspätung und Polen ist ein Thema für sich. Nach einer Stunde kam eine ganz merkwürdige Ansage. Wer wissen möchte, was los ist, melde sich bitte in Wagen Nummer 2 oder so. 

Polen

Einer von den zwei Typen ging also los und kam auch bald wieder. Hier reichten die Kenntnisse noch nicht aus, sodass sie mir mit Händen und Füßen erklären versuchten, dass da ein Toter in einem der Waggons sei. Blondinchen ergänzte, dass ein Umsteigen in einen Regio nichts bringen würde, da aktuell kein Regio auf dem Plan stehen würde. Am anderen Bahnhof trampelten schon vier inzwischen ungeduldige Füße. Es wurde brav gewartet, sich herzlich begrüßt und dann Vollgas gegeben. Der fette schwarze Jaguar flog geradezu über die Schlaglöcher. Es gibt ja Fahrer, die langsam fahren und das dann noch ziemlich unsicher tun. Dann gibt noch die, die schnell fahren und trotzdem nicht den sichersten Fahrstil aufweisen. Zu letzterer Kategorie zählte mein heutiger Fahrer. Ich denke, das ist schlimmer als Variante 1. Irgendwann verließen wir hinter Lębork die Schnellstraße und quälten den Jaguar über ganz schlechte Wege. Da Gniewino das Quartier der Spanier war, fragte ich natürlich, ob die Matadore hier auch durchgeschüttelt wurden, was mit einem Kopfnicken und einem breiten Grinsen bestätigt wurde. Es wirkt alles so irreal. Da steht irgendwo in der Natur ein Spa-Luxus-Hotel-Areal mit Hubschrauberlandeplatz und Stadion. Im Dorf waren noch überall Spanien-Fähnchen zu sehen. Im nicht vorhandenen Schatten der Tribüne traten heut die pommerschen Teams aus Bytów und Słupsk zum Testlauf gegeneinander an. 

Gniewino

So richtig interessierte mich das Testspiel natürlich nicht. Es lockte aber sogar 40 Zuschauer an. Immerhin 5 Picknicker aus Bytow und zwei Fans von Gryf waren dabei. Kurz vor der Pause zieht ein Gewitter der üblen Sorte Richtung Hotel. Der Schiedsrichter pfeift noch zur Halbzeitpause und plötzlich ging es los. Zwei Blitze schlugen direkt neben Platz ein! Alles, was laufen konnte, flüchtete sich irgendwo hin. Ein Junge schmiss sein Rad weg und lief um sein Leben. Nach ein paar Minütchen war der Spuk vorbei. Es folgten zwanzig Minuten Starkregen, was das Drainage-System nicht packen sollte. Der Schiedsrichter begutachtet den Platz und winkt ab. Spielabbruch. Jetzt hatte ich natürlich wieder einen größeren Zeitpuffer bis zu meiner Abfahrt. Zunächst wurde die Stadiontoilette aufgesucht. Als ich daran dachte, dass hier vor mir schon die spanischen EM-Helden auch auf diesem Töpfchen waren, hatte ich ein so ergreifendes Gefühl, das man gar nicht in Worte fassen kann. Die Wände waren noch mit spanischen Wappen und Fähnchen verziert. Nach einer gigantisch großen Pizza mit frischer Knoblauchsoße wurde ich am übernächsten Bahnhof ausgesetzt. Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, wie das edle Gefährt nach dieser Mahlzeit roch. Eine direkte Fahrt nach Szczecin hätte dort eine lange Nacht bedeutet, weshalb der Umweg über Poznań gewählt wurde. 

Der Bahnhof dort stand komplett unter Wasser. An der Anzeige standen bei meinem Zug aus Przemyśl schon 25 Minuten Verspätung. Da wäre der in Stettin eingefahren, und dem nach Deutschland hätte ich nur noch hinterher winken können. Muss nicht sein. Ein Ferien-Zug aus Zakopane wurde angesagt. Schnell durch die Unterführung geschliddert und nachgefragt, ob ich den auch nutzen könnte. Damals gab es unter den Billig-Expresszügen noch reservierungspflichtige. Später wurde die Gebühr für diese Züge abgeschafft, aber die Reservierungspflicht bestand weiter. 15 zl sollte ich zusätzlich hinpacken, meinte die Schaffnerin. Mir egal im Tausch gegen drei Stunden vermiedener Gammelei. Später einigten wir uns auf 5 zl. Den Angermünder natürlich so noch locker erwischt, sodass ich wenig später nach 28 Stunden Fahrt für ein abgebrochenes Testspiel wieder zu Hause angekommen war.  

Fotos: Michael

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

Artikel wurde veröffentlicht am
09 Januar 2017

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