Hertha BSC vs. SV Darmstadt 98: Emotionaler Sieg im Schatten des Anschlags

Nur dumpfes Raunen und Gemurmel war vor Anpfiff im weiten Rund zu vernehmen. Die Anzeigetafel war auf schwarz-weiß gestellt, und es gab kein übliches Unterhaltungsprogramm. Kein fröhliches „Hallo Hertha-Fans!“ Nur die notwendigsten Dinge wurden vom Stadionsprecher durchgegeben. Spiel eins nach dem schrecklichen Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Kann so kurze Zeit nach solch einem verheerenden Terroranschlag überhaupt Fußball gespielt werden? Ja, auf jeden Fall! „Berlin bleibt stark!“, war in der Ostkurve auf einem großen Spruchband zu lesen. Und auch im Gästeblock hieß es: „Bleib stark, Berlin!“ Zum einen muss bei all der Trauer an einem Tag X der Alltag einfach weitergehen, zum anderen muss solchen Leuten, die Anschläge planen bzw. durchführen, die klare Botschaft mitgeteilt werden: Ihr kriegt uns nicht klein! Mag der Schock wahrlich groß sein - unsere Gemeinschaft, unsere Freiheit zwingt Ihr nicht in die Knie! Schon mal gar nicht die Stadt Berlin, die in der Geschichte manches Leid erfahren musste! Nachdem Trainer Pal Dardai und Spieler an der Gedächtniskirche Blumen und Kerzen abgelegt hatten, ging es mit dem Training weiter. Wenn der Ball erst einmal rollt, konzentriert sich der Kopf auf Fußball. Die Vorbereitungen für das letzte Spiel vor der Winterpause wurden getroffen. Mit voller Kapelle und vollem Einsatz sollte ein Sieg gegen das Kellerkind SV Darmstadt 98 eingefahren werden. Nach der Niederlage in Leipzig sollte mit einem Dreier die Sache wieder fix in die Spur gebracht werden.

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Knapp 32.000 Zuschauer hatten sich am gestrigen Mittwochabend auf den frostigen Rängen des Berliner Olympiastadions eingefunden. Wie der Zufall es wollte, war ausgerechnet diese Partie mein erstes Spiel im Innenraum dieser Spielstätte. Gesehen hatte ich während der vergangenen 26 Jahre wahrlich zahlreiche Spiele der Alten Dame - nur halt von den Rängen aus. Kurz nach dem Mauerfall war das Berliner Olympiastadion sogar die Stätte meiner allerersten besuchten Fußballspiele. Zuerst ein Schülerländerspiel zwischen Deutschland und England, das die einen Kopf größer gewesenen Jungs von der Insel klar und deutlich mit 4:0 gewinnen konnten, dann wenig später im September 1991 der Auftritt von Hertha BSC gegen eine Weltauswahl. Unvergessen waren für mich damals zwei Dinge: Auf dem Rasen der wuselnde Carlos Valderrama, auf dem Oberrang die am Geländer stehenden Hertha-Fans. Es folgten als Zuschauer zahlreiche Zweitligaspiele in den 1990er Jahren. Ja, auch das legendäre 2:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern vor 75.000 Zuschauern. Ich hatte still und heimlich geheult, weil nach Jahren der Magerkost (was ja auch die anderen relevanten Berliner Vereine betraf) mit einem Mal in meiner Heimatstadt der Bär auf den Rängen steppte. In den letzten Jahren wurde das eine oder andere Mal von den Zuschauerrängen aus gearbeitet, oder auch mal im Gästeblock vorbeigeschaut, um zu schauen, was Braunschweig, Nürnberg, Köln oder Frankfurt so auf die Beine stellen.

Hertha

Als am gestrigen Abend bei der Trauerminute all die (Handy-)Lichter auf den Rängen (inkl. Gästeblock) angingen, wird wohl jeder in Gedanken versunken gewesen sein. Solch ein Anschlag vor der eigenen Haustür macht einem allzu deutlich klar, wie schnell alles vorbei sein kann. Andererseits: Es nutzt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Das „Berlin bleibt stark!“ in der Ostkurve war die passende Botschaft. Nach der Schweigeminute folgte in der Hertha-Kurve das berühmte „Nur nach Hause geh´n wir nicht…“ Anschließend wurde kraftvoll ein echter Ohrwurm ins weite Rund geschmettert. „Solange wir zusammen in der Kurve steh´n, die Lieder singen, die Fahnen weh´n. Solange wird die Alte Dame nie untergeh´n, weil wir zu ihr steh´n!“ Genau in jenem Moment wurde mir klar, was mir kürzlich ein Hertha-Fan sagen wollte, als er meinte, dass die meisten Hertha-Spieler dieses Stadion lieben würden. Der Atmosphäre wegen. Und ja, die Akustik ist wahrlich beeindruckend. Die Optik bei einem Abendspiel sowieso. Und auch mir wurde einfach mal wieder klar: Manchmal ist ein Perspektivwechsel wirklich goldwert.

Darmstadt

Zum Geschehen auf dem Rasen: Es wurde für Hertha ein Geduldsspiel. Die erste halbe Stunde der ersten Halbzeit wurde die Partie bestimmt, doch die Möglichkeiten von Stark und Darida konnten nicht genutzt werden. Nach einer halben Stunde legten die Darmstädter offensiv einen Zahn zu und kamen ebenfalls zu drei vielversprechenden Chancen. In der 37. Minute hatte Aytac Sulu nach einer Ecke die Möglichkeit, die Gäste in Führung zu bringen, fünf Minuten später hatte er mit dem Kopf eine weitere Chance. Zwischen diesen beiden Möglichkeiten war es Jan Rosenthal, der aus kurzer Distanz das 1:0 für den SV Damstadt 98 vergab. Auf der Gegenseite hatte in der 41. Minute Salomon Kalou die wohl bislang dickste Chance der Partie. Von schräg rechts schoss er aus wenigen Metern 98-Keeper Michael Esser an. 

Hertha

Würden nach acht Niederlagen in Folge (inkl. DFB-Pokal) die Darmstädter wieder einen ersten Erfolg feiern dürfen? Hertha musste ein Schippchen drauflegen. Gesagt, getan, mit Schwung ging es in den zweiten Spielabschnitt. Und da aus dem Spiel heraus noch nichts Zählbares herausspringen wollte, musste eine Standardsituation her. In rund 30 Metern Entfernung legte sich in der 53. Minute Marvin Plattenhardt den Ball für einen Freistoß zurecht und haute ihn anschließend mit Gefühl und Wucht in den rechten Winkel. Was für ein Treffer! Hertha jubelte, der Knoten war geplatzt. Und dass Plattenhardt auch per Freistoß prima Vorlagen reinbringen kann, bewies er 13 Minuten später. Von der linken Seite aus segelte der Ball in den Strafraum, Kalou stand bereit und köpfte zum 2:0 ein. Der berühmte Drops war gelutscht. In der Folgezeit passierte nicht mehr allzu viel, nach Abpfiff wurden der Sieg und der daraus resultierende Sprung auf Rang drei in der Bundesligatabelle gefeiert.

Hertha

Während sich die Spieler mit einem Banner bei den Hertha-Fans für die Unterstützung bedankten und ihnen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins Neue Jahre wünschten, ertönte in der Ostkurve zum Abschluss des Fußballjahres noch einmal: „Solange wir zusammen in der Kurve steh´n, die Lieder singen, die Fahnen weh´n ..."

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Hertha BSC

> zur turus-Fotostrecke: SV Darmstadt 98

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
22 Dezember 2016
Spielergebnis:
2:0
Zuschauerzahl:
32.000

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Inhalt über Liga
1. Bundesliga

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