Christian Wolters Meisterwerk: Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg

 
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Cover„… diese eingefleischten Vereinsfanatiker, die auf allen Spielplätzen und bei jedem Spiel zu finden sind. Meistens sind es unreife Burschen jeglichen Alters, die von Spielregeln und Spiel wenig oder gar nichts verstehen, die aber desto weiter den Mund aufreißen können und durch ihr blödes Gejohle und Geschrei versuchen, auf das Spiel einzuwirken. Könnten wir diesen Teil des Publikums von den Spielplätzen fernhalten, so würde bald das Vorurteil, das noch in vielen Kreisen unseres Volkes gegen das Fußballspiel herrscht, leichter verschwinden.“ So war es vor rund 95 Jahren in der „Freien Sportwoche“ zu lesen. In diesem Fall gemeint waren jedoch nicht das Pöbeln, Motzen und Rowdytum beim bürgerlichen Fußball unter dem Dach des Deutschen Fußballbundes, sondern die Probleme am Rande der Partien der Bundes-Meisterschaft des Arbeiter-Turn- und Sport-Bundes (ATSB) im Jahre 1920. ATSB? Arbeiterfußball? Was genau? Von was ist die Rede? Richtig! Die wenigstens werden davon gehört haben. Manch einer mag beim Begriff Arbeiterfußball an die Körperertüchtigung in der DDR denken, doch vielmehr ist der Fußball in der Zeit von 1910 bis 1933 gemeint - und zwar parallel zum Fußballbetrieb des DFB.

Bereits Ende des 19. Jahrhundert wurde von aus der Arbeiterbewegung stammenden Sportlern die deutsche Arbeitersportbewegung organisiert. Unabhängig von der Deutschen Turnerschaft wurde 1893 in Gera der Arbeiter-Turnerbund ins Leben gerufen, drei Jahre später folgte in Offenbach die Gründung des Arbeiter-Radfahrerbundes Solidarität. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der ATB in Arbeiter-Turn- und Sport-Bund (ATSB) umbenannt. Mit unter dem Dach des ATSB wurde der Fußballbetrieb organisiert. Gespielt wurde zu Zeiten der Weimarer Republik in einem Ligasystem auf Kreis- und Bezirksebene. Von 1920 bis 1932 gab es zudem ATSB-Bundesmeisterschaften.

Die Endspiele zogen zahlreiche Zuschauer an, häufig waren sogar fünfstellige Zuschauerzahlen zu verzeichnen. So strömten 1928 rund 12.000 Fußballfreunde zum Duell SC Adler Pankow - ASV Frankfurt Westend. Zwei Jahre später konnten sogar 18.000 Zuschauer begrüßt werden, als beim Endspiel TuS Nürnberg-Ost gegen den Bahrenfelder SV antrat. Im Jahre 1922 sollen es beim Finale VfL Leipzig-Stötteritz - BV 06 Cassel (4:1) rund 60.000 Zuschauer gewesen sein, sichere Angaben gibt es jedoch dazu nicht. Fakt ist jedoch, nicht nur der bürgerliche Fußball des DFB, sondern auch der Arbeiterfußball zog mitunter ein großes breites Publikum an. 

Nun wäre es unmöglich, den Arbeiterfußball in einem einzigen Bericht abzuhandeln. Muss man auch nicht, denn zu diesem Thema gibt es glücklicherweise seit kurzem ein überaus prächtiges Buch, das vom Sporthistoriker Christian Wolter verfasst wurde und beim arete Verlag erschien. Hatte der 1972 in Teterow geborene Christian Wolter mit seinen bisherigen Büchern „Schlachten - Tore - Emotionen: Das Bruno-Plache-Stadion in Leipzig-Probstheida“ und „Rasen der Leidenschaften: Die Fußballplätze in Berlin“ zwei bemerkenswerte Werke auf den Markt gebracht, so gelang ihm mit „Arbeiterfußball in Berlin und Brandenburg 1910 - 1933“ ein echtes Highlight seines langjährigen Schaffens. Konnte man sich bei den anderen beiden Büchern vor dem Lesen durchaus was vorstellen, so ist man beim Blättern und Schmökern des neuen Buches wirklich überrascht. 

Christian Wolter hat unglaublich viel Hintergrundwissen und zahlreiche Fakten zusammengetragen und somit wirklich Licht ins Dunkle gebracht. Ich gebe gern zu: Ich hatte vorher quasi gar nichts über den Arbeiterfußball gewusst. Selbst damals zu DDR-Zeiten wurde an der Polytechnischen Oberschule das Thema Arbeitersport im Kaiserreich und in der Weimarer Republik stiefmütterlich behandelt. Und da einem die damaligen Platzhirsche wie VfL Leipzig-Stötteritz, Dresdner SV 10 und TuS Nürnberg-Ost in der Gegenwart unter diesem Namen nicht über den Weg laufen, gibt es bei der Recherche sehr selten Berührungspunkte. Jedoch gibt es tatsächlich Vereine, die heute noch existieren und ihre Wurzeln beim Arbeitersport haben. Beim SSV Stötteritz rollt heute noch der Ball, wenngleich in den Niederungen des Leipziger Fußballs. Die SG Dresden Striesen (einst Dresdner SV 10) und die SG Westend Frankfurt (einst ASV Frankfurt Westend) sind auch noch aktiv. Viele andere Vereine wurden jedoch 1933 oder spätestens 1945 aufgelöst. Ein Berliner Verein aus jener Zeit, der bis heute noch existent ist, ist der SV Sparta Lichtenberg.

Zurück zum Buch von Christian Wolter. 228 Seiten Fußballwissen, spannende Anekdoten, Statistiken, Grafiken und Fotos aus jener Zeit. Allein der alten Bilder wegen ist dieses großformatige Werk, das 19,95 Euro kostet, eine Anschaffung wert. Ein Buch also auch für echte Lesemuffel. Großartig, was an historischem Bildmaterial herangetragen wurde! Arbeitersportler beim Zelten im Jahre 1931. Drei Männer an einem Campingtisch. Stilvoll mit Tischdecke und Geschirr. Am Zelt wurde das Plakat der damals bereits verbotenen Spartakiade befestigt. Oder ein Blick auf die Seite 143: Ein Gruppenfoto. Im Hintergrund ein gemaltes Banner. Gewarnt wurde vor einem Krieg gegen die Sowjetunion. Und selbstverständlich gibt es auch zahlreiche Bilder von den eigentlichen Fußballpartien zu sehen. So zum Beispiel eine Impression von der Partie Adler 08 Pankow - TSV Süden Forst 07, die am 01. April 1928 im Stadion Lichtenberg 6:2 ausging. Ein Abwehrspieler, der mit vollem Schwung den Ball wegschlägt. Im Hintergrund die alte überdachte Tribüne. Und auch überaus bemerkenswert: Ein Spiel für die russische Hungerhilfe - Ost gegen Südwesten am 16. Oktober 1921. Das Duell ging 1:1 aus. 

Klares Fazit: Mehr Fußballgeschichte geht nicht. Jedem, der einmal über den Tellerrand schauen - oder besser gesagt, sich einmal auf eine Zeitreise begeben möchte -, sei dieses Buch zu empfehlen!

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Artikel wurde veröffentlicht am
31 März 2015

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Kommentare
Hab das Buch schon, kann es auch nur empfehlen. Die Schals gibts übrigens bei Hoolywood.
T
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G
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G
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Danke für den heißen Tip, klingt nach einer spannenden Lektüre!
K
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J
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