Fußball und Reiseanekdoten: Unterwegs in den polnischen Vorkarpaten

M Updated 18 November 2018
Fußball und Reiseanekdoten: Unterwegs in den polnischen Vorkarpaten

PolskaFeiertag an einem Freitag und dann noch in der Ferienzeit bedeutet in Polen immer gleich ohne Ende Stress und Ungewissheit am Bahnhof. Der durchgängige Zug von Swinoujscie über Szczecin nach Przemysl an der Grenze zur Ukraine war dann auch so ungefähr ausgebucht. Als ich den letzten freien Platz meiner Kabine einnahm, saß dort schon ein junges Pärchen und ab Szczecin-Dabie wurde es richtig eng, da eine familienähnliche Gruppe zustieg – Vater, Mutter, Kind und eine weitere Begleiterin samt Nachwuchs. Nach Westen schaute Polen schon immer gern und hier und heute schien es, als ob das Nachmittagsprogramm der privaten Sender als Muster für das familiäre Zusammenleben in der Öffentlichkeit herhielt - die Perfektion einer wirklichen Reality-Soap. Wo sonst Anstand und Wertschätzung herrschten, brach heute das Unwetter der Ignoranz und Missachtung über alle normalen Fahrgäste herein. 

Der zweifache Nachwuchs brauchte Platz und so wurden 50 Prozent der Platzkapazitäten allein durch sie belegt. Die drei restlichen Fahrgäste saßen einander schon fast auf dem Schoß. Es war laut, kalt und unruhig. Der nächtliche D-Zug sollte aber noch eine Weile unterwegs sein, was hieß, dass wahrscheinlich noch viele Bier-Büchsen trotz Verbot geleert und durch das Fenster entsorgt werden würden. Gerade in Ballungszentren unseres Landes hauen diese Zeilen viele Leute wahrscheinlich nicht vom Hocker, da es alltäglich ist, aber hier tickt das Land (noch) ein wenig anders. Hegte man noch Hoffnung, dass der Spuk spätestens in Poznan beendet werden würde, zerschmetterte das Wort „Myslowice“ all unsere Hoffnung auf eine ruhige Fahrt, da der Kohle-Pott erst am nächsten Morgen erreicht werden sollte.

Irgendwann bei Ostrow Wielkopolski, als die junge Frau auch noch in ihrer Jacke fror und ein Schließen des Fensters seitens der Banausen abgelehnt wurde, platzte dem jungen Mann der Kragen und die Security sollte die Sache klären. Die Zugbegleiter waren schneller am Ort und lösten durch die Frage, warum die Herrschaften denn so aufgebracht seien, eine Auseinandersetzung aus, die einer Sitcom locker hätte Konkurrenz machen können. Der eintreffenden Security wurde die Frage gestellt, warum sie beim Bierkonsum nichts gemacht hätten. Sie stritten ab, auch nur ein Bier gesehen zu haben. Die halben Rentner hatten genauso wenig Lust part of the action zu werden, wie der Achte im Bunde. Der deutsche Fahrgast sollte nun als Kronzeuge die Frage nach dem Bier beantworten. Das geht aber nicht wenn man weder Polnisch noch Englisch spricht und nicht die geringste Lust auf Einmischung, doch eher Lust auf Unterhaltung hat. Es folgte noch ein „Ich kann doch nichts dafür, dass ich dick bin und Platz nehme“ der einen Frau und die Zugbegleiter steckte die lustige Truppe in eine andere Kabine. Unter einem „Was ist nur mit diesem Land los?!“ ging das Licht aus und Ruhe war im Karton.

Stal Rzeszow – Karpaty Krosno

StalRzeszow hatte mich bald wieder. Irgendwann fingen wir mal mit 13 Stunden auf der Strecke Szczecin-Przemysl an. Mittlerweile sind’s allein gute 15 bis nach Rzeszow. Der Nachmittag des nächsten Tages wartete mit dem Duell zwischen Stal und Krosno auf mich – vierte Liga. Das Stadion von Stal besteht aus einer neuen Haupttribüne, einer Kurve und einer unüberdachten Gegentribüne. Hier fährt man auch Speedway, weshalb auch die Sicht durch diverse Technik etwas getrübt wird. 700 Zuschauer finden sich zum Spiel ein. Der Fanblock von Stal sammelt sich nach dem Beginn dort, wo man eigentlich sonst die teuersten Sitzplätze vermuten würde. Ungefähr 300 Fans finden sich hinter ein paar Fahnen ein und lassen ihre Gesänge los.

Die Hälfte betreffen den großen Rivalen Resovia und tummeln sich im niedrigen Niveaubereich. Später gesellt sich Krosno mit ca. 100 Leuten dazu. Das Zahlenverhältnis zwischen aktiven Fans und normalen Zuschauern ist hier demnach sehr interessant. Karpaty und Stal Rzeszow verbindet eine noch nicht sehr lange Freundschaft und schon jetzt ruft man laut: „Stal, Karpaty – zwei Verrückte!“. Auf dem Platz wird eher gebolzt als gezaubert und kurz vor dem Ende steht es 1:0 für Stal.

Bizon Medyka – Zurawianka Zurawica

Der Regional-Zug bringt mich nach Przeworsk und von da am nächsten Tag nach Przemysl. Medyka heißt das Ziel. Es waren mehrere Spiele im Angebot, aber bevor ich mich hier auf die Bus-Fahrpläne aus dem Internet verlasse, versuche ich erst eine Strecke mit mehreren Optionen. Bei Ustrzyki Dolne wäre z.B. laut Fahrplan-Seite nur eine Verbindung nach dem Spiel möglich gewesen. Aber Medyka passt schon. Mit der Info in der Hand stand ich nun in Przemysl in der richtigen Straße. Eine Bushaltestelle existierte nur auf der einen Seite, die auch nicht nach Lemberg führt. Mein Bus war nirgends zu finden - so weit zu den Infos aus dem Netz. Weitere Busse standen noch in meiner Liste - nächste Haltestelle, nächster Versuch. Und wieder: Keine Infos zu einer Verbindung nach Medyka!

So unwichtig ist der Ort eigentlich nicht. Es ist der Grenzübergang zwischen Polen und der Ukraine. Die Omis meinten zur mysteriösen Bus-Linie, welche als einzige im Schema fehlt, dass sie existiert, grün ist und auch sonntags regelmäßig fährt. Sogar eine Abfahrtszeit wurde genannt, die aber genauso fiktiv war, wie das vorher im Netz angezeigte. Aber irgendwann rollte dann doch ein grüner Bus ein und brachte mich nach Medyka. Im Bus gibt es nun die gewünschte Abfahrtstabelle. Der Fahrer hält an mehreren Ecken in Medyka und irgendwann bat ich darum, mich aussteigen zu lassen. Die mit „Laden“ gekennzeichnete Haltestelle musste für die Rückfahrt gefunden werden. Drei Läden hat der Ort. Keiner von ihnen besitzt jedoch eine Haltestelle in der Umgebung. Die Fragerei bringt mich zu einer kargen Glaskabine direkt an der alten Burg.

MedykaMal auf den nächsten Bus gewartet und die Infos vom Zettel verglichen – passt. Drei Stunden kriegt man in Medyka bei gutem Wetter locker rum. Hier gibt’s eine Holzkirche, einen Park mit Burg, eine verfallene Synagoge und Bänke am Dorfteich. Das Angeln ist verboten, nur halten tut sich niemand daran. Hauptsächlich ist es die Jugend, die sich versucht. Die online-Welt scheint hier (zum Glück) noch nicht ganz angekommen zu sein. Eine Stunde vor Anstoß löst sich die Ansammlung auf, was auf einen Fanblock später im Stadion hoffen lässt. Zwei Seiten von diesem verfügen über kleine Stahlrohrtribünen und in beiden Kurven gibt es Graswälle. Für 4 zl gibt ein buntes Ticket und der Stadionsprecher lässt „Hej Sokoly“ erklingen – ein Lied, das die Völker Polen und die Ukraine vereinen soll. Ängste und Konfliktpotenziale sind aber auf beiden Seiten noch vorhanden.

BisonMedyka besiegt die Gäste aus Zurawica, was ca. 150 Zuschauer jubeln lässt. Ein paar Jugendliche sind vorhanden, aber einen Fanblock sucht man vergebens. Eine aktive Gruppe gab es hier irgendwann auch schon einmal neben einem Fanclub von Czuwaj Przemysl. Zurawica hält zu Polonia Przemysl. Zurawianka wird aber nicht mehr unterstützt. Anno 2007 konnte ich sie immerhin einmal auswärts bei Czuwaj erleben.

Das absolute Highlight des Spiels war die Toilette – ohne Tür und mit einem Loch im Boden für alles das, was raus muss. Es wurde aber so geplant und schien vollständig zu sein. Nichts wies auf Bautätigkeiten hin und eine Wasserspülung zum Loch hin war auch vorhanden.
Die Eile zur Bushaltestelle hätte ich mir sparen können – 30 Minuten Verspätung, weshalb der Anschluss nicht mehr klappte. Mit dem letzten Zug trudelte ich dann wieder in Przeworsk ein, welchen Ort ich vor zwölf Stunden verlassen hatte. Przeworsk und Medyka trennt nur eine Strecke von 63 km. Aber man muss feststellen, dass die Bundesrepublik in Sachen Infrastruktur eindeutig hinterherhinkt. Versucht mal größere Provinz-Orte in Mecklenburg-Vorpommern an einem Wochenende zu erreichen - das geht oftmals gar nicht!

Orzel Przeworsk – JKS Jaroslaw

OrzelDer Montag verging irgendwie auch ohne sportliche Großveranstaltung und dann kam das Hauptspiel der Fahrt. Lange Zeit blieb es ruhig. Dann tauchten die Heißmacher auf beiden Seiten auf und der Rest des Wochenendes konnte geplant werden. Bei diesem Spiel handelt es sich um ein Derby zwischen zwei größeren Orten mit guten Fanszenen. Nur wenige Kilometer trennen sie. Es war klar, dass man dieses Risikospiel in die Woche legt. Weitere Einschränkungen gab es erstaunlicherweise nicht! JKS ließ verlauten, dass man vorhat, mit dem Zug zu fahren. Die Besatzung kam dann auch etwas verspätet an. Der einzige kritische Punkt hinter der Heimtribüne, wo es hätte brenzlig werden können, wurde durch die Polizei doppelt abgesichert.

JKSJKS im Käfig und Orzel mit 60 Fans auf der Tribüne – Auf geht’s ins Vergnügen! Was, man sich an den Kopf warf, war nicht die feine englische Art, aber auch nicht mehr die urpolnische mit den richtig heftigen Anfeindungen. Das Gepöbel war aber ein fester und umfangreicher Bestandteil des Programms. Der Inhalt war aber nicht so interessant, sodass er hier Erwähnung finden müsste. Orzel in kleiner Zahl und Unterstützung aus Lezajsk hielt sich gut gegen die sangesfreudigen 93 Zugfahrer und 50 Autofahrer aus Jaroslaw. Zehn Fans aus Sanok standen bei diesem Derby an ihrer Seite. Häufig gab es einen lauten Knall durch Böller. Außerdem brannten mehrere Schals auf beiden Seiten. 800 Zuschauer gaben dem Derby an einem Dienstag (17:00!) einen würdigen Rahmen. JKS entschied das Derby für sich!

Mein Zug fuhr dann in der Nacht ohne besondere Vorkommnisse wieder zurück Richtung Deutschland.

Fotos: Michael

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

> zur turus-Fotostrecke: Reiseimpressionen aus Polen

Artikel wurde veröffentlicht am
26 August 2014

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