Pogon Lebork vs. Gryf Slupsk: Pyrofreudiger Fußballtag (fast) wie zu alten Zeiten

MB Updated 25 Juni 2014
Pogon Lebork vs. Gryf Slupsk: Pyrofreudiger Fußballtag (fast) wie zu alten Zeiten

PogonPolnischer Fußball in den Niederungen der IV Liga (Grupa Pomorska). Leborsky Klub Sportowy Pogon Lebork gegen Gryf Slupsk Spólka Akcyjna. Kein Spiel, zu dem man einfach mal so aus der Kalten hinfährt. Auf beiden Seiten tobte im Vorfeld seit Wochen im Netz der Fan-Krieg. Die Szene von Gryf präsentierte Fotos vom gezogenen Pogon-Material. Auf den jeweiligen Facebook-Seiten wurde immer wieder dazu aufgerufen, beim Duell der Duell der dortigen Region zu erscheinen. Gerade einmal 50 Kilometer trennen die Städte Slupsk (einst Stolp) und Lebork (einst Lauenburg). Bei früheren Duellen schepperte es immer wieder und die Luft brannte im wahrsten Sinne des Wortes. Allerdings kam es in den letzten Jahren zu keinen Duellen mehr, da die sportlichen Wege von Pogon und Gryf auseinandergingen.

DerbyWährend Pogon Lebork seit 2005 ständig zwischen der IV Liga und der Klasa Okregowa (sechsthöchste Spielklasse) pendelte, spielte Gryf Slupsk von 2008 bis 2013 nonstop in der III Liga (vierthöchste Spielklasse). Erst der Abstieg aus der III Liga am Ende der Saison 2012/13 machte ein Aufeinandertreffen in der Spielzeit 2013/14 möglich. Zuletzt standen sich die Rivalen im Ligabetrieb in der Saison 2006/07 gegenüber. In den beiden Spielen der Klasa Okregowa konnte Gryf daheim mit 3:1 gewinnen, in Lebork trennten sich die beiden Erzfeinde mit 2:2. Zwar wurden nicht mehr in den Ligen die Klingen gekreuzt, doch der Krieg zwischen den Fanlagern wurde mitunter auch abseits der Sportplätze ausgetragen.

PolenNiemand wusste, was das diesjährige Aufeinandertreffen mit sich bringen würde. Ein Spiel, das einer Überraschungstüte glich. Seit 2007 hat sich beim polnischen Fußball immens viel getan. Die Repressionsschraube wurde angezogen. Und zwar soweit, bis etliche Fanszenen komplett zu Grunde gingen. Manch ein polnischer Unterklassenverein kann ein Liedchen davon singen. Und manch ein Fan / Hooligan auch. Zuletzt gab es sogar Fälle, bei denen Anhänger wegen des Abbrennens von Pyrotechnik in den Knast wanderten. Theoretisch sind bis zu fünf Jahre Haft möglich für das Zünden eines Bengalos. Der Fußballalltag ist geprägt von Verboten, Verhaftungen und ständigen Kontrollen.

LeborkWährend bei Vereinen wie Wielim Szczecinek die Szene aufgrund von Repressionen, Strafen und Verhaftungen komplett zugrunde gerichtet wurde, sind die Fanlager der beiden Fünftligisten Gryf Slupsk und Pogon Lebork noch recht aktiv. Für das Aufeinandertreffen am Mittwochnachmittag durfte demzufolge einiges erwartet werden. Aber was heißt Aufeinandertreffen? Einen Gästeblock würde es nicht geben – so viel stand fest. Zum einen fand das Spiel aufgrund von Bauarbeiten am Stadion auf dem direkt daneben befindlichen Nebenplatz statt, zum anderen schoben Polizei, Verwaltung und Verband den Riegel vor. Anreisen wollte der Gryf-Mob trotzdem. Und zwar mit dem Zug. Allesamt in weißen T-Shirts mit der Aufschrift „Tricolores Hooligans Gryf. Official Hooligans from Slupsk. Est. 1996“. Laut eingeholter Informationen sollte per Bahn der Bahnhof von Lebork gegen 15:15 Uhr erreicht werden. Wenig später würde die Polizei dafür sorgen, dass mit dem nächsten Zug wieder zurückgefahren wird. So weit der Stand der Dinge.

GryfIm Raum standen etliche offene Fragen. Würde es gleich am Bahnhof von Lebork eskalieren? Könnte die Pogon-Szene sogleich am Bahnhof einen Angriff starten? Wie verhält sich die Polizei? Hat Gryf das gezogene Material dabei? Und nicht zuletzt: Wie lässt es sich an diesem heißen Fußballnachmittag arbeiten? Einfach die Kamera draufhalten – so viel war klar – wäre keine kluge Idee. Nach etlichen Telefonaten und einem regen E-Mail-Austausch ging es zu zweit nach Lebork. Mit der Bahn von Berlin aus nach Szczecin und von dort aus mit dem Auto die rund 270 Kilometer über Karlino, Koszalin und Slupsk nach Lebork, von wo aus es nur noch 55 Straßenkilometer bis Gdynia sind. Auto geparkt und auf dem Bahnsteig gestellt, um zu schauen, was bei Ankunft der Gryf-Szene passiert. Zahlreiche Polizisten sicherten den Bahnhof und die Rückseite des Geländes ab. Späher und Zivilpolizisten stromerten herum. Ist es in Deutschland manchmal eine Kunst, den hundertprozentigen Überblick zu bewahren, so war es in diesem Fall ein Ding der Unmöglichkeit zwischen Zivies und Spähern zu unterscheiden. Zumal einige Gryf-Fans (ohne weißes T-Shirt) mit dem Zug aus der Gegenrichtung ankamen und sich vor Ort dem weißen 150-köpfigen Gryf-Mob anschlossen.

GryfOhne Zwischenfälle verlief die Ankunft von Gryf. Es wurde sich gesammelt, anschließend führte die Polizei die angekommenen Gästefans die Bahngleise entlang. Doch zum Stadion? Eine echte Überraschung! Quer durch das Kraut und über eine staubige Fläche wurden die Gryf-Fans zur Unterführung und anschließend die Straße zum am Rande von Lebork befindlichen Stadiongelände geführt. Wenig später ergab sich dort ein überaus kurioser Anblick. Auch die Pogon-Szene hatte weiße Motto-Shirts an. „Tod den Greifen!“ Zwei mit weißen Shirts bekleidete Gruppen wurden vor dem Stadion von zahlreichen Einsatzkräften umringt und bewacht. Die Pogon-Fans am Einlass, die Gryf-Fans auf einer Wiese am zugehangenen Zaun. Das Gelände betreten würde an diesem Nachmittag kein Gryf-Fan, doch immerhin befand sich die Truppe in Hörweite. Für derzeitige polnische Verhältnisse immerhin ein kleines, bemerkenswertes Zugeständnis von Seiten der Behörden.

GryfFünf Zloty (1,20 Euro) der Eintritt. Die Kontrollen wurden von Polizei und schwarz gekleidetem Wachschutz akribisch durchgeführt. Sogar Metalldetektoren kamen zum Einsatz. Misstrauisch wurden Presseausweis und Kameraausrüstung beäugt, doch anders als – ja nennen wir es mal ruhig beim Namen – beispielsweise beim Oberligisten Hürtürkel Berlin wurde hier niemand pampig. Ganz im Gegenteil. Später wurde man sogar freundlich von Kollegen und Vereinsverantwortlichen begrüßt. Die Arbeit konnte in aller Ruhe – selbstverständlich mit dem nötigen Respekt und einer gewissen räumlichen Distanz zur Heimszene – ausgeführt werden. Dies sollte an dieser Stelle ruhig Erwähnung finden. Denn trotz der angespannten Lage versuchten sämtliche Beteiligte die Angelegenheit professionell über die Bühne zu bringen. Mal abgesehen von der Polizei, die nach dem Spiel noch zum Einsatz kam. Doch dazu später mehr.

Lebork17 Uhr. Anpfiff auf dem Kunstrasenplatz. Die Rückseite des Hangs des eigentlichen Stadions bot den Heimfans die Möglichkeit, sich gut aufzustellen. Die Mannschaften liefen ein und Pogon untermalte das angefertigte Banner „Chuligani Miasta Lwa“ (Hooligans der Stadt der Löwen) mit einer beeindruckenden Pyro-Show. Wie auf Knopfdruck wurde die Bengalos gezündet. Dazu wurden zahlreiche weiß-blau-rote Fahnen geschwenkt. Die Vereinsfarben erlauben es, einfach russische Fahnen für diesen Zweck zu verwenden. Dass das Fahnenmeer einen skurrilen Anblick ergab, dürfte sich von selbst erklären. Auf Gästeseite hatten sich die Gryf-Fans gesammelt und einen knackigen Gesang angestimmt. Allerdings waren diese von der Heimseite aus nur zu hören. Aufgehängte Planen verhinderten einen Sichtkontakt. Somit bekamen die Gryf-Fans auch keinen einzigen Ballkontakt zu sehen.

PogonNoch bevor das recht zeitige Führungstor von Gryf Slupsk fiel, waren die Gästefans wieder weg. Ehe man sich versah, wurden diese von der Polizei zurück zum Bahnhof begleitet, wo der Regionalzug nach Slupsk wartete. Unterstützung konnte es ab nun nur noch von den Heimfans geben. Aber das nicht zu knapp! Für ein Fünftligaspiel wurde allerhand geboten. Das erinnerte glatt an das „alte Fußballpolen“. Mehrmals erfolgte der Einsatz von Pyrotechnik. Zweimal zogen beachtliche Rauchwolken über den Platz. Der Schiedsrichter zeigte sich unaufgeregt und ließ ohne Probleme weiterspielen.

LeborkAuf dem Platz versuchte Pogon Lebork den frühen 0:1-Rückstand auszugleichen, vergab jedoch unzählige hochkarätige Möglichkeiten. Von Pfiffen der Fans war jedoch trotz der sich anbahnenden Niederlage nichts zu hören. Ganz im Gegenteil! Nachdem auch die letzte Torchance vergeben wurde und Pogon als Verlierer feststand, stimmten die Fans einen beeindruckenden Gesang an: „Ob du gewinnst oder nicht - wir lieben dich auch so - in unseren Herzen ist Pogon - in guten und in schlechten Zeiten!“ Keine Frage, solch ein Gesang spiegelt das 1A-Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans und auch die Wertschätzung wieder. Während in Deutschland schon mal ein Bettlaken mit der Aufschrift „Sieg oder Sarg“ (gesehen beim Eisenhüttenstädter Derby) aufgehängt wird, wird beim polnischen Fußball die Leistung trotz Niederlage gegen den Erzrivalen anerkannt. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich beide Mannschaften voll reingehängt und ganz gewiss 100 Prozent der verfügbaren Leistungskraft abgerufen hatten.

PolizeiDie hässliche Seite des polnischen Fußballs wurde wieder einmal am Ausgang deutlich. Anstatt dem Verein wegen des Abbrennens von Pyrotechnik von Seiten des Verbands einfach eine Geldstrafe zu verhängen, wurde am Ausgang jeder erkennbare Pogon-Fan von der massiv postierten Polizei kontrolliert. Leute wurden rausgezogen, die Daten wurden von sämtlichen Anhängern notiert. Kein Fußballfreund mit weißem Shirt durfte unkontrolliert vorbei, nur die Opas mit Plastiktüte konnten sich vorbeischieben. Dass jedoch auch diese von den Drangsalierungen genug haben, zeigten diese ganz deutlich in verbaler Form. Von hinten nachrückende Fans erkannten den Ernst der Lage und wählten den Weg über den Zaun zum nahen Wald. Rasch bemerkte die Polizei, dass sich einige Fans ohne Personalienaufnahme verduften wollten. In voller Montur stürmten Einsatzkräfte in das Unterholz. Auch die berüchtigten Gewehre, mit denen Gummischrot und Gaspatronen abgeschossen werden können, waren mit am Start. Rufe erklangen im Gehölz. Eine Truppe Kinder startete ein Ablenkungsmanöver und rannte durch das Waldstück. Hätte nur noch gefehlt, dass die Polizei auf Verdacht mal eben Gas und Schrot ins Unterholz ballert.

Die Situation beruhigte sich wieder und auch die letzten Fans konnten nun den Heimweg antreten. Die Gryf-Szene befand sich zu jenem Zeitpunkt längst in Slupsk und feierte von dort aus den 1:0-Auswärtserfolg. Zu absolvieren ist noch ein Spieltag. Am morgigen Samstag trifft Gryf Slupsk auf Gryf 2009 Tczew, Pogon Lebork reist indes zu Zulawy Nowy Dwor Gdanski. Es geht allerdings nicht mehr um allzu viel. Sowohl Gryf als auch Pogon haben den Klassenerhalt sicher und werden sich somit auch in der kommenden Saison gegenüber stehen!

Fotos & Video: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Pogon Lebork vs. Gryf Slupsk

Video vom Duell:

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Artikel wurde veröffentlicht am
20 Juni 2014
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@ ZGR
Kann ich dir leider nicht beantworten. Der Zaun in Slupsk war damals lt. Pogon zugegangen von der Gryf-Szene, daher nur die Revanche. Ist nicht meine Baustelle bzw. kann nur das wiedergeben was ich gehört habe. Auf jeden Fall wars halt nicht von den Bullen ausgedacht.
Z
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@zwickau
Wie soll man denn in Slupsk ein Blick auf das Spielfeld möglich machen? Rumia oder Cartusia, meine ich, saß damals auf einem Bus. Mit einer kleinen Truppe kann man das machen, aber mit nem Haufen wie Lebork nicht möglich.
Z
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@ ZGR
@ ZGR

bzgl. des Gästeblocks kam die Anweisung nicht von oben. Die Aktion ging von Pogon aus und war als Revanche für das Hinspiel gedacht, wo der Blick aufs Spielfeld von außen unmöglich gemacht wurde.

Die Aktion der Bullen nach Spielende ist auch nur Makulatur, denn da das Spiel keine "Massenveranstaltung" war, besteht auch keine rechtliche Handhabe bzgl. Pyro.
Z
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I
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Ein paar kleine Anmerkungen:
- beim Hinspiel gelangte Lebork auch zum Stadion in Slupsk, aber es gibt dort keine Möglichkeiten, um in das Stadion sehen zu können
- Gryf zeigte damals optische Aktionen und die Polizei nahm das als Anlass den Sektor zu stürmen
- aus heiterm Himmel wurden da auch Schüsse in Richtung Tribüne abgefeuert, wo normale Zuschauer sitzen und keine Choreos gezeigt werden (warum hat niemand verstanden)
- die Ansammlung der Polizisten vor dem Eingang nach dem Spiel wirkte allein schon bedrohlich, weil man in Polen immer mit einem schmerzhaften und willkürlichen Sturm rechnen muss anstatt eines gerechtfertigten Einsatzes und kontrollierten Ablaufs - das Flüchten über die Zäune war reines Instinktverhalten
- die normalen Leute auf dem Sportplatz fanden die optische Unterstützung gut, da sie dazu gehört und schon immer dazu gehörte - Verletzte gab es nie
- wie viele andere Leute in Polen auch, ordnen Stadionbesucher in Lebork die Handlungen der Polizei einer Schublade bestehend aus den Verhaltensweisen der Staatsmacht zu den Zeiten bis zum Fall des Eisernen Vorhangs zu, daher wurde von den normalen Leuten auch wieder am Mittwoch z.B. "Weg mit dem Kommunismus" gerufen
- völlig neu war am Mittwoch die Behandlung der Gästefans - eigentlich, wenn die Möglichkeiten vorhanden sind, auf den Platz sehen zu können, dann lässt man sie auch diese Möglichkeiten bestehen - ob die Anordnung von "oben" kam oder von Lebork selbst, was unverständlich wäre, da Lebork oft nicht ins Stadion gelassen wird, muss noch geklärt werden
Z
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K
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