Kolumbianischer Fußballrückblick Teil 1: Millionarios vs. Deportes Tolima

MS Updated 29 März 2014
Kolumbianischer Fußballrückblick Teil 1: Millionarios vs. Deportes Tolima

BogotaRückblick: 19. Juni 1990. Um 17 Uhr trifft im San Siro von Mailand das noch nicht wiedervereinigte Deutschland (West) im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft auf die Vertretung Kolumbiens. Es war ein der Jahreszeit entsprechend heißer Tag in der Lombardei. Von München aus hatten wir uns damals mit einem Neunsitzer auf den Weg gemacht, um diese Partie vor Ort zu verfolgen. Vom Spiel selbst habe ich nur noch in Erinnerung, dass sich beide Teams recht schwer taten, das Spielgerät im gegnerischen Kasten unterzubringen. Erst in der 88. Minute gelang Pierre Littbarski das späte 1:0, das die Südamerikaner dann mehr oder weniger mit dem Schlusspfiff egalisierten, was sie auch wie die Wahnsinnigen zu feiern wussten. 

Und dann waren da natürlich all die „Typen“ der kolumbianischen Auswahl: Goldlöckchen Carlos Valderrama, Genie und Wahnsinn in einer Person. Der artistische Torhüter René Higuita, der eine ganz eigene Interpretation seiner Spielposition pflegte. Freddy Rincón, dessen Ausgleichstreffer in der Nachspielzeit eine ganze Nation in Ekstase versetzte und ihn „unsterblich“ machte, während Andrés Escobar aufgrund seines tragischen Eigentors bei der folgenden WM im Spiel gegen die USA nach der Rückkehr in sein Heimatland erschossen wurde. Eine durchgeknallte Truppe aus einem zerrüttetem Land, aber vielleicht gerade deswegen auch so faszinierend und liebenswert.

Kolumbien, das Land, aus dem eben diese Mannschaft kam, galt in den 80er und 90er Jahren als eines der gefährlichsten Länder der Welt. Die Macht lag in der Hand von Drogenkartellen, allen voran jenem aus Medellín unter der Regie von Pablo Escobar. Mord und Totschlag zählten zur Tagesordnung. Kein gutes Reiseziel.

KolumbienEtwas mehr als 23 Jahre später sitze ich in einer Buseta (Minibus) auf dem Weg nach Santiago de Cali vorne neben dem Fahrer. Draußen rauschen Kaffeeplantagen und Zuckerrohrfelder vorbei. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm. Aus dem Radio klingt Salsa. Wir unterhalten uns – sofern es mein rudimentäres Spanisch erlaubt – darüber, welches Obst und Gemüse in Deutschland wächst, ob die Frauen nun in Cali, Medellín oder Bogotá schöner wären (oder vielleicht doch jene von der Karibikküste), und eben über Fußball: Die eingangs erwähnte WM-Partie erfüllt selbst heute noch viele Kolumbianer mit Stolz. Ein Unentschieden gegen den späteren Weltmeister! Das hat bei dieser WM keine andere Mannschaft vollbracht. Im Rezitieren der Mannschaftsaufstellungen muss ich mich dann dem Fahrer geschlagen geben. 1:0 für ihn. Doch die Erwähnung der Tatsache, dass ich damals persönlich vor Ort war, bringt ihn völlig aus dem Häuschen. Punktsieg für mich.

Das erste geplante Spiel der Kolumbien-Reise im Herbst 2013 fand im El Campín, dem mit einem Fassungsvermögen von rund 36.000 Plätzen drittgrößten Stadion des Landes, das sich die beiden großen Hauptstadtvereine Millonarios und Santa Fé teilen, statt.

Millionarios vs. Deportes Tolima 2:1

Estadio Nemesio Camacho "El Campín",

Bogotá 17.000 Zuschauer Primera A, Kolumbien, 03.11.2013

CampinVor geraumer Zeit plante man in Bogotá mal den Bau einer U-Bahn. Dazu kam es bekanntermaßen zwar nie, aber basierend auf dem anvisierten Liniennetz richtete man überirdisch gesonderte Spuren für Expressbusse ein, die heute unter dem Namen Transmillenio die Stadt durchziehen. Damit entkommt man dem anhaltenden Verkehrschaos und kommt für gut 70 Cent von A nach B. Und damit eben auch direkt zum Stadion. Sehr praktisch. Gerade mal zwei Tage im Lande und keine Ahnung, was mich hinsichtlich Stadtviertel und Stadionerlebnis erwarten würde, begab ich mich mit einer gehörigen Portion Vorsicht und offenen Augen Richtung Stadion. Meine Erfahrungen aus Buenos Aires lehrten mich, dass eben die meisten Grounds außerhalb der mehr oder weniger sicheren, von Touristen frequentierten Gegenden liegen, mitunter in ziemlich üblen Vierteln.

Das Stadionareal war weitläufig abgeriegelt, und um sich den Stadiontoren nähern zu können, musste vorab eine Ticketkontrolle absolviert werden. Daher begann ich mich erst mal nach der Boleteria durchzufragen. Die Kartenverkaufsstelle fand ich schließlich in einer unscheinbaren Lottoannahmestelle in einer Seitenstraße. Davor lungerten zahlreiche Schwarzhändler herum, die in ziemlich offensiver Art und Weise die Objekte der Begierde anboten. „Schöner Mist“, dachte ich mir, „es kann doch nicht sein, dass die Partie gegen Tolima ausverkauft ist“. Aber nein, wie sich herausstellte, wurden die Tickets allesamt unter Preis angeboten. Jetzt ging es nur noch darum, die Händler gegeneinander auszuspielen, um den bestmöglichen Rabatt herauszuschlagen: Vorteil Gringo. Letztendlich zahlte ich den Gegenwert von etwa 10 Euro für ein 16-Euro-Ticket auf der Gegengeraden. Da ich zeitig angereist war, galt es nun noch etwa 2 Stunden bis zum Anpfiff totzuschlagen.

BogotaUnd nichts leichter als das: Weitläufig um das Stadion herum hatten sich zahlreiche mobile Verkaufsstände positioniert, die ihre Ware feilboten. Und was dem argentinischen Stadionbesucher die Choripán (Klobasa-artige Bratwurst im Brötchen) ist, das ist dem Kolumbianer der Super Hamburguesa mit Bacon, Käse, Röstzwiebeln und was-weiß-ich-noch-allem. Als Soßen stehen mindestens ein halbes Dutzend Variationen bereit, darunter so Exoten wie die schmackhafte Ananas-Salsa. Den Magen für knapp 2 Euro gefüllt, musste jetzt zum Runterspülen ein Bier her. Und wie überall in Kolumbien bietet fast jeder Tante-Emma-Laden ein paar Sitzgelegenheiten, wo die dort erworbenen Leckereien auch gleich verzehrt werden können.

So ist es keine Seltenheit, wenn man im Lebensmittelmarkt zwischen Waschmittelregal und Kartoffelsäcken auf einen Tisch mit fröhlichen Zechern trifft. In diesem Fall war der Laden vergittert und das kühle 0,3er der Marke Águila wurde durch die Gitterstäbe zum Verzehr auf der Terrasse gereicht. Die Einheit zu fairen 1500 Pesos (60 Cent). Spätestens jetzt war meine anfängliche Unsicherheit gegenüber dem Unbekannten verflogen. Man sitzt hier nicht lange alleine herum: Entweder gesellen sich bald andere Gäste zu einem an den Tisch, oder man wird herangewinkt, um einige Fragen nach Beweggründen des Besuches oder Herkunft zu beantworten. Insgesamt eine sehr freundliche, aufgeschlossene Stimmung.

BogotaGerade als es begann gemütlich zu werden, rückte der Anpfiff bedrohlich nahe und ich bewegte mich durch die entsprechenden Schleusen zum Stadion. Die Sicherheitskontrollen beschränkten sich auf ein kurzes Alibi-Abtasten, und im Handumdrehen war ich drin. Das El Campín ist eine imposante, typisch südamerikanische Schüssel, die heute mit 17.000 Zuschauern nur knapp zur Hälfte gefüllt war. Die Blöcke hinter den beiden Toren waren ebenso wie die Mitte der Gegengeraden gut bevölkert. Ansonsten waren aber leider viele Plätze frei geblieben. Die Stimmung war aber nichtsdestotrotz ganz ordentlich, auch wenn das heute nicht gerade ein Topspiel war und die Millos kurz vor Ende der Clausura ziemlich abgeschlagen hinter Atlético Nacional auf Platz 2 rangierten.

GuapasZahlreiche Banderolen sowie Zaun- und Blockfahnen sorgten schon mal optisch für das passende Ambiente. Pauken und Trompeten gehören hier ebenso dazu wie die Tatsache, dass fast jeder Stadionbesucher im Vereinstrikot erscheint. Offensichtlich gibt es mehrere Fangruppierungen, von denen jede ihr eigenes Ding durchzieht. Und wenn man auch nicht unbedingt gegeneinander ansingt, so war es jedoch selten, dass mal alle in denselben Gesang einstimmten. Am Besten gefiel mir dabei noch die Interpretation des Klassikers „La Colegiala“. Alles natürlich untermalt vom aus Argentinien bekannten „Armwackler“.

Das Spiel selbst war in Ordnung – mehr aber auch nicht. Nach einer knappen Viertelstunde führten die Blauen 2:0 und begannen das Spiel zu verwalten. Für Tolima reichte es kurz vor der Pause noch zum Anschlusstreffer. Der Sieg der Hausherren war aber nie wirklich gefährdet. Insgesamt aber für südamerikanische Verhältnisse ein eher durchschnittliches Stadionerlebnis. Ganz nett anzusehen, aber nicht gerade berauschend.

In Kürze folgen die Rückblicke der folgenden Partien:
Atlético Nacional (COL) vs. São Paulo FC (BRA) 0:0
Itagüí (COL) vs. Club Libertad (PAR) 1:0
Deportes Quindío vs. Boyacá Chicó 2:1
Deportivo Cali vs. Envigado 1:1
Atlético Nacional vs. Millonarios 1:0
Junior vs. Atlético Nacional 0:0

Fotos: Michael Stoffl

Dieser Artikel ist im Original bei "Blick über den Lahmannhügel" (www.lahmannhuegel.de) erschienen.

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Kolumbien

 

Artikel wurde veröffentlicht am
29 März 2014
Spielergebnis:
2:1
Zuschauerzahl:
17.000

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