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Ein Hansa-Sieg, zweimal Rote Erde und 30 Jahre WET-Erinnerungen
Der F.C. Hansa Rostock zu Gast in Dortmund! Mal abgesehen, dass es heute das Deutschlandticket gibt und viele Fußballfreunde inzwischen gern auf das ICE-Gruppenticket zurückgreifen, wäre das heutige Ziel der Auswärtssause wieder eine klassische WET-Sause wert gewesen. Schön am Abend zuvor so weit gefahren wie möglich, dann auf einem windigen Bahnhof die tote Kernzeit der Nacht um die Ohren geschlagen, und dann vor dem Morgengrauen mit den ersten Regios weiter gen Ruhrpott! Ahu!
Stichwort „Schönes-Wochenende-Ticket“ (kurz „WET“ oder auch „SWT“) und Stichwort Ruhrpott. Heute vor 30 Jahren wurde am 01. Februar 1995 erstmals von der Deutschen Bahn das Schönes-Wochenende-Ticket verkauft (Gültigkeit ab 04. Februar 1995). Für auch damals unglaubliche 15 Deutsche Mark konnten bis zu fünf Personen Samstag UND Sonntag kreuz und quer mit dem Nahverkehr durch Deutschland düsen. Drei DM pro Person. Umgerechnet also rund 1,50 Euro. Was für ein Quantensprung in Sachen Fortbewegung, und vor allem, was den Fußball betraf, eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten.
Ich sag mal so, in meiner Zeit in NRW / im Rheinland von 1991 bis 1994 war es bereits mega, mit den damals wahrlich preiswerten Fußballtickets (meist kostete ein Steher zwischen fünf und acht Mark) am Spieltag gratis im VRS- bzw. VRR-Bereich zu fahren. Wollte einer am Wochenende von Düsseldorf aus seine Tante in Dortmund zum Kaffee besuchen, so kam es günstiger, sich im Vorverkauf eine Stehplatzkarte eines BVB-Heimspiels zu besorgen und mit dieser dann durch den Kohlenpott zu juckeln als mit einem regulären Verbund-Ticket.
Im Osten hatten wir allerdings diesbezüglich nischt. So ermöglichte mir das WET Mitte und Ende der 90er Jahre im Nordosten neue Fußballhorizonte zu eröffnen. Zwickau, Leipzig, Dresden, Rostock - alles hübsch bezahlbar. Abstrus wurde es allerdings, wenn man damals von Berlin aus gen NRW oder andersherum reisen wollte. In den Zügen wurden Zustände erreicht, die Bangladesch alle Ehre machten, und der Umstieg in Braunschweig war legendär. Was für ein Gerenne auf dem versetzten Bahnsteig! Alle nach Magdeburg! Und das mit Sack und Pack.
Schräg waren auch manche Verbindungen, die man fahren musste, um mal neue Orte zu erkunden. Aschersleben, Sangerhausen und Sondershausen durften sich über meine Zwischenstopps freuen - und das zu einer Zeit, als die ostdeutsche Provinz teils noch richtig ranzig war. Und mega ranzig war auch manch eine alte Regionalbahn, die wohl noch die Zeit des erlaubten Rauchens im Zug erleben durfte. Und ja, schön war es, wenn auf manchen ausgewählten der Interregio mit der rosa-türkisfarbenen Ausstattung genutzt werden durfte.
Lang, lang ist’s her. Apropos, in Kürze die 30 Jahre voll hat auch die Wirtin Kerstin mit der urgemütlichen Vereinsgaststätte „Rote Erde“ auf dem altehrwürdigen Sportgelände von Motor Neptun Rostock, wo noch auf Asche gebolzt wird. Am gestrigen Freitagabend hatte ich die Ehre, dort aus meinem neuen Buch „Kaperfahrten II - 65 Grad Kurs Ost-Nordost“ lesen zu dürfen. In feiner Runde wurde es eine runde Angelegenheit, die mit Sicherheit noch einmal an gleicher Stelle wiederholt wird. Die Zugfahrten auf eigene Faust nach Nitra und Ostrava und Suhl, die von den alten Jungs vom Hansa-Fanclub „Udopia Zwickau“ und von „Dick Turpin“ aus Bad Doberan im Buch geschildert werden, sorgten beim Publikum teils für Erstaunen. Ein Taschenmesser im Fuß und noch mehr Suff als in den 90ern auf den WET-Touren? Donnerwetter!
Von der „Roten Erde“ direkt zur anderen „Roten Erde“. Das hätte wahrlich was gehabt. Ich hatte im Vorfeld noch überlegt, ob ich einfach mal allein auf eigene Faust eine Deutschland-Ticket-Tour von Rostock nach Dortmund und dann zurück nach Berlin starte, doch fehlte mir dann ein wenig die Courage. Zudem übernahm mein turus-Kompagnon aus Essen problemlos den Staffelstab. Wohl denn!
Leider spielte die erste Mannschaft von Borussia Dortmund zeitgleich auswärts beim anderen FCH, - sprich, dem 1. FC Heidenheim. Somit sollte es bei den Amateuren des BVB gegen den F.C. Hansa Rostock keinen aktiven Support geben, aber mit einigen Normalo-Fans war auf Heimseite trotzdem zu rechnen. Er staunte allerdings nicht schlecht, als er feststellen durfte, dass der dortige Parkplatz rappelvoll und am heutigen Tag nicht kostenlos war. Die Ursache war rasch gefunden. „Jagd & Hund“. Europas größte Jagdmesse lud in der Messe Dortmund zum Stelldichein.
Rostocker jagen? Nö! Zwar kam die aktive Fanszene zirka eine halbe Stunde vor Anpfiff mit Polizeieskorte zum langgezogenen Gästeblock, doch gejagt wurde niemand. Auf dem Platz sportlich erlegt wurden dann allerdings die BVB Amateure. Fette Beute für den F.C. Hansa Rostock. Nach der empfindlichen 1:4-Niederlage daheim gegen Wehen Wiesbaden wurde nun zurück in die Erfolgsspur gefunden. Und das ohne den norwegischen Stürmer Sigurd Haugen, der heute nicht mit am Start war. Hinten von Anfang mit dabei war allerdings der tschechische Verteidiger Jan Mejdr, über dessen Wechsel von Sparta Prag an die Küste ich mich zu Saisonbeginn ganz besonders gefreut hatte.
Und was soll man sagen? Nahm bei der 1:4-Schlappe vor einer Woche Hansa-Trainer Daniel Brinkmann einen in der Pause verpassten Wechsel und somit die spielentscheidende Szene auf die eigene Kappe, so hatte er heute nach etwas über einer Stunde das berühmte goldene Händchen! In der 64. Spielminute brachte er Christian Kinsombi für Cedric Harenbrock auf den Platz - und zack! - machte Kinsombi nur zwei Minuten später das 1:0 für den FCH!
Bevor es jedoch soweit war, gab es eine torlose erste Hälfte, in der Dortmund II über die linke Seite kommend eine erste große Möglichkeit hatte. In der 12. Minute startete Hansa einen schnellen Konter und Nico Neidhart versuchte sein Glück. Rostock blieb nun am Drücker, und in der 21. Minute war es Lebeau, der die Rostocker Führung auf dem Fuß hatte. Angetrieben von über 3.000 Hansa-Fans (einige befanden sich ja auch auf der Haupttribüne) zeigte Hansa eine flotte Partie, nach einer halben Stunde hätte dann Harenbrock das 1:0 aus Sicht der Gäste machen können. Kurz vor der Pause hatten die Rostocker noch zwei weitere Chancen, doch mit einem 0:0 ging es zum Pausentee.
Nach Wiederanpfiff nahmen weiterhin die Rostocker das Heft in die Hand. Nach feiner Hereingabe köpfte Harenbrock auf das Gehäuse, doch wieder einmal stellte der Dortmunder Schlussmann Lotka sein Können unter Beweis. Aber dann! Nach der Balleroberung an der Mittellinie stürmte Hansa wieder nach vorn, Kinsombi wurde mustergültig angespielt, und dieser fand am kurzen Eck die Lücke zwischen BVB-Keeper und Pfosten! Jubel, Trubel, Heiterkeit bei der angereisten blau-weiß-roten Fanschar.
Fette Beute im Dortmunder Revier? Aber klar doch! Nachdem die Dortmunder Amateure auf den Ausgleich drängen wollte, machte Nils Fröling den Sack zu und brachte in der 89. Minute mit einem Flachschuss den Ball zum 2:0 für Hansa unter.
Dank des eigenen Sieges und der 0:1-Niederlage des 1. FC Saarbrücken in Ingolstadt beträgt der Abstand zu Rang drei derzeit nur noch vier Punkte. Ohne sich jetzt zu weit heraus lehnen zu wollen, spannend wird der Kampf um die oberen Plätze so oder so werden! Als nächstes muss Hansa gegen den Tabellennachbarn Viktoria Köln ran, und in der Woche darauf wird auswärts beim SV Waldhof Mannheim gespielt.
Ich überlege wieder. Einmal möchte ich ganz allein auf eigene Faust mit dem Nahverkehr zu einem Auswärtsspiel des F.C. Hansa reisen. Auf die alten WET-Zeiten. Was sagt die Verbindung von Berlin aus? Na geht doch! Die gute Nachricht: Nur dreimal umsteigen! Die schlechte Nachricht: 11:37 Stunden Fahrtzeit und zwei Stunden Wartezeit in Halle zwischen 3 und 5 Uhr. Um 12:19 Uhr wäre man am Start in Mannheim. Oha! Man könnte auch eine andere Verbindung nehmen über Nacht. Sechsmal Umsteigen, aber keine nächtliche Gammelei auf einem Bahnhof XY ungelöst. Also dann! Schmalzfleisch und gekochte Eier eingepackt - und ab geht die Luzie! Ahu!
Last but not least: Wer Interesse am besagten 512-seitigen Buch „Kaperfahrten II - 65 Grad Kurs Ost-Nordost“ hat, bitte einfach eine Mail an
Spielfotos > Bildagentur frontalvision.com
Weitere Fotos: Marco Bertram, Udopia Zwickau