Delay Sports vs. BFC Dynamo: „Ohne W-Lan habt Ihr keine Chance!“

„Berlin, Berlin, Einheit Berlin!“, hallte es immer lauter durch das Casino des Preußenstadions an der Malteser Straße. Wir schrieben den 20. Oktober 2007, und nach dem 3:0-Sieg des BFC Dynamo beim BFC Preußen vor 434 Zuschauern kam es bei der anschließenden Bierrunde im Vereinsheim zu einer fixen Idee. DER Idee. Wie das so ist. Anfangs meinten Oliver und ich - auf der Halbinsel Stralau ließen wir abends regelmäßig den Ball rollen -, dass wir einen eigenen Fußballverein gründen könnten. Müssten! Richtig back to the roots. Dann könnten wir anfangs selber auflaufen, und später würden wir dann einfach die Geschicke leiten, wenn das „Baby“ aus dem Krabbelalter raus sei und in der Bezirks- oder Landesliga spielen würde. Ein Name musste her. Und zwar sofort. Noch ein Bier! Andere BFC- und auch Preußen-Fans wurden aufgrund unserer lebhaften Diskussion immer neugieriger und setzten sich bei uns mit ran. Eine Idee? Ja! Gibt es schon einen Berliner Verein, der „Einheit Berlin“ heißt? Nein! 18 Jahre nach dem Mauerfall würde doch „Einheit Berlin“ mega gut passen. DER gesamtberliner Verein für uns alle!

Noch ein Bier! Uns war es wahrlich ernst. Kohle sei vorhanden, so Oliver. Also zumindest für ein Kreisliga-Projekt. Na dann man tau! Lauter, immer lauter wurde unser Schlachtruf im Preußen-Casino. Das Ganze war dermaßen ansteckend, dass am Ende rund 20 Leute die Arme hoben und immer wieder das „Berlin, Berlin, Einheit Berlin!“ anstimmten. Auch der damalige BFC-Präsident Frank Berton im grauen Anzug fand die Idee knorke und stimmte hoch erfreut mit an. Cool, nach dem West-Ost-Oberliga-Duell BFC gegen BFC hatten wir die zündende Idee. Berlin sollte mehr zusammenwachsen!

Das Ende vom Lied? Der Rausch verflog, der Alltag holte uns alle ein. Nach ein paar weiteren Gesprächen mussten wir einsehen, dass allein der bürokratische Aufwand schlichtweg zu groß sei. Ich persönlich wollte eigentlich eh nur mit dem Ball pillen und gern auch mal Rand der Einheit-Spiele paar Fackeln anreißen. Bürokratie und Behörden sind nicht so meins.

Bei späteren neu ins Leben gerufenen Vereinen musste ich immer an unsere Idee denken. Was hatte man nicht für dolle Pläne beim 2017 von Stefan Teichmann gegründeten Verein Berlin United. So soll es schon Pläne für ein eigenes Stadion gegeben haben. Der Club sollte als Marke für ganz Berlin-Brandenburg etabliert werden (Zitat Wikipedia). Merkste wat? Tja … In der Saison 2020/21 war alles wieder Geschichte. Geldgeber und Präsident Teichmann hatte den Verein verlassen, Berlin United zog sich dann aus dem Spielbetrieb zurück.

Erfolgreicher verlief indes das 2012 ins Leben gerufene Projekt FC Polonia Berlin. Von der Freizeitliga ging es hoch in die Kreisliga A, in der sich aktuell sportlich weiter stabilisiert wurde. Einer der aktuell gegründeten Vereine ist zudem der SC Intermare Berlin, der Spieler aus den verschiedensten Ländern bei sich vereinen möchte und aktuell locker flockig in der untersten Freizeitliga durchmarschiert.

Wohl denn, der SC Intermare hat auf Instagram bislang 118 Follower, der FC Polonia Berlin konnte auf Instagram 1.338 Fußballfreunde an sich binden. In ganz anderen Sphären schwebt indes Delay Sports Berlin, das am 12. Juli 2021 von Elias Nerlich und Sidney Friede ins Leben gerufen wurde und in kürzester Zeit flott Fahrt aufnahm. Sage und schreibe 552.000 Follower hat inzwischen die Instagram-Seite von Delay Sports, auf TikTok sind es fast exakt genauso viele. Auf Twitch dürften noch ganz andere Reichweite-Zahlen zu bestaunen sein.

Spannend, meinen die einen. Abartig und nervig, meinen die anderen. Manche bekommen ja schon einen Ko**reiz, wenn sie den Begriff „Influencer“ hören. Ich persönlich kann mit Influencern nicht allzu viel anfangen, doch war mir von Anfang an solch ein Projekt lieber als ein Red-Bull-Konstrukt, bei dem sich mit massig Kohle an einem Standort XY in Liga XY eingekauft wurde. Dass bei Delay Sports der Berliner Fußballverband eine Ausnahme machte und der Verein somit statt in der Freizeitliga gleich in der Kreisliga C starten durfte, kann ich gut nachvollziehen. Für Einheit Berlin hätte ich selbstverständlich auch solch eine Ausnahme gewünscht. Für die Einheit des Fußballs in unserer Stadt, usw. Ist doch klar, oder?

Delay Sports marschierte durch Kreisliga C und Kreisliga B und ist nun in der Kreisliga A oben dran. In der Staffel 2 ist Delay Sports aktuell hinter dem BSV Al-Dersimspor II mit 27 Punkten aus zehn Spielen auf Rang zwei zu finden. 75 bislang erzielte Treffer sprechen eine deutliche Sprache, der Tabellenführer schoss „nur“ 30 Tore. Mit solch einer Offensivstärke sollte doch ein Törchen möglich sein beim BFC Dynamo, sagte man sich und bereitete sich nach Kräften für das am vergangenen Samstag über die Runden gebrachte Berliner Landespokalspiel vor. Eigentlich hätte Delay Sports Heimspiel gehabt, doch wurde das Heimrecht getauscht und beim BFC Dynamo im altehrwürdigen Sportforum Hohenschönhausen gespielt.

Der BFC verkaufte im Vorfeld die VIP-Tickets wie warme Semmeln beim Konsum-Bäcker am Hultschiner Damm, und einige von ihnen fanden Käufer in westlichen Regionen des Landes. Der Pokalfight zwischen dem BFC Dynamo und Delay Sports stieß bereits im Vorfeld auf großes Interesse, manch ein Medium konnte es nicht sein lassen und griff wieder mal in irgendwelche Schubladen. Selbst der Vereinsname wurde hier und dort (sogar in einem Bericht der Sportschau) falsch geschrieben. „BFC Dynamo Berlin“. Hm ja, ausländischen Medien würde man es gewiss nicht krumm nehmen, hierzuland sollte allerdings klar sein, dass das „Berlin“ bereits im „BFC“ steckt. Genauso grausig wie „Hertha BSC Berlin“. Und ja, in der Info-Mail an die akkreditierten Pressevertreter war sogar extra ein Hinweis bezüglich des korrekten Vereinsnamens zu lesen.

Was die Berichterstattung aus dem Haus Delay Sports betrifft, so dürften viele BFC-Fans positiv überrascht worden sein. So kam die Nachbetrachtung auf YouTube „UNSER GRÖSSTES SPIEL“ äußerst gut an. Viel Herzblut, viel Lob an den Gegner, echte Fußballfreude über das zurückliegende Highlight, wenngleich es mit 0:12 verloren ging.

Nun denn, wie lief es denn eigentlich am Spieltag? Sagen wir es so: Es waren unglaublich viele schwarzen Jacken im Umfeld des Stadions und auf den Rängen zu sehen. War im Umfeld etwas von „Alle im neuen Delay-Tikot!“ zu lesen, so gab es wohl eine Planänderung. Auffällig unauffällig, lautete wohl die Devise. Handy-Teleskopstange daheim lassen und einfach eine schwarze Jacke an! Kumpel Tom sprach am Heim-Einlass mal einfach fünf jungsche Fußballfreunde an, die allesamt die gleiche nagelneue schwarze Northface-Jacken trugen. „Moin, na zusammen beim Herrenausstatter gewesen?“ Aufgrund der vielen schwarzen Jacken ergab die Gästekurve einen kuriosen Anblick ab. Hätte auch Polen oder Serbien sein können. Fahnen hingen keine, allein eine Hessen-Fahne wurde unten am Zaun angebracht. Eventuell hätte man eine Aktion erwartet. Schwarze und weiße Luftballons, eine Delay-Blockfahne. Andererseits: Man möchte eben kein Retorten-Verein sein, der Klatschpappen und selbst bedruckte Blockfahnen verteilt.

Das Sportforum war am Samstag mit 4.500 Zuschauern quasi ausverkauft, auf der Gegengerade stand der Erhalt bzw. Ausbau des Sportforums ganz klar im Vordergrund. Ein guter Schachzug, denn somit konnten aufgrund der Reichweite von Delay Sports in den sozialen Medien weitaus mehr Leute erreicht werden als bei einem RL-Spiel gegen Meuselwitz oder Plauen. Die klare Botschaft des Tages: „PRO Sportforum!“, „Koalitionsvertrag für’n Arsch!!!“, „Kein Sportforum - keine Wählerstimme!!!“, „Sportforum bleibt!“, „Weil Politik versagt, wird der Umbau vertagt???“

Apropos Reichweite. Derer war sich auch die Mannschaft des BFC Dynamo bewusst. Wenngleich es „nur“ gegen einen Kreisligisten ranging, wurde Fußball regelrecht zelebriert. Zweistellig, so lautete das Ziel - und dieses Ziel wurde erreicht. Geschlenzt, vom Elfmeterpunkt aus, mit dem Kopf, mal freistehend vor dem Tor ins Netz gedroschen - es war so einiges dabei. Auf der Seite von Delay konnte man ein Getümmel vor dem BFC-Tor in der 20. Minute als halbe Torchance werten, einen richtigen Schuss aufs Gehäuse, der allerdings deutlich vorbei gering, gab es in der zweiten Halbzeit zu vermelden. Da führte der BFC bereits mit 7:0.

Und dabei gab es durchaus gute Ansätze bei Delay Sports. Einzelne Aktionen und Spielzüge waren definitiv aller Ehren wert, doch gab es gegen die stark aufspielende BFC-Mannschaft einfach kein Durchkommen. Mega elegant war das 6:0, beim 7:0 klatschte der Ball an den Innenpfosten, dann folgten zwei Kopfballtreffer und schließlich das 10:0 aus völlig freistehender Position.

Nun hallte es laut „Dynamo Berlin!“ und „Pogon Szczecin!“ von der Gegengerade. Die gefestigte Freundschaft zwischen großen Teilen der jeweiligen Fanszenen wurde auf großer Bühne kundgetan. Vielleicht hatte deshalb der eine oder andere Journalist in seinem Text mal fix das „Berlin“ hinten angehängt. Im dritten Anlauf wurde schließlich der Ball zum 11:0 untergebracht, am Ende folgte sogar der Treffer zum 12:0. Die Gästekurve leerte sich nun, und von den Rängen ertönte ein fröhliches „Ohne W-Lan habt Ihr keine Chance!“

Wenig später war Schluss, und es wurde sich abgeklatscht. Trotz der hohen Niederlage hatten die meisten Delay-Spieler ein Lächeln auf den Lippen. Völlig knülle, aber auch glücklich. Für die jungen Spieler von Delay Sports war dieses Spiel vor solch großer Kulisse ein wahnsinniges Erlebnis, und auch für den BFC war dies ganz gewiss kein 0815-Spiel. Trotz der recht ungemütlichen, kühlen Brise hatte sich das Kommen gelohnt, denn irgendwie hatte man sich Delay Sports und seine schwer greifbare Anhängerschaft etwas anders vorgestellt. Überrascht wurde man am Ende wirklich positiv, und man darf gespannt sein, wie es bei Delay Sports weitergehen wird. Einen langen Atem und viel Ausdauer zu haben, ist wirklich nicht leicht.

Schließen wir jedoch den Kreis und kommen noch einmal zurück zu „Einheit“. Es gibt schon verrückte Sachen. Vor zwei Jahren hatte ich nach sage und schreibe 42 Jahren meinen Kindergartenfreund Marco S. auf Facebook wiedergefunden. Vor den Toren Ost-Berlins gingen wir von 1978 bis 1980 in den Kindergarten von Waldesruh. Gemeinschaftliches Bauklötze-Bauen und Fasching-Nachmittage blieben in Erinnerung. Mit dem Schulbeginn gingen unsere Wege auseinander. Ich ging in Mahlsdorf Süd zur POS, er zog mit seinen Eltern nach Birkenwerder und später an die Küste nach Rostock. Und was soll ich sagen? Kindergarten-Freund Marco S. hatte in Rostock einen eigenen Verein gegründet. Sozusagen einen Verein neu aufleben lassen, den es bereits von 1950 bis 1969 einmal gab. Der Namen - haltet Euch fest: Einheit Rostock!

Lieben Gruß an Euch an dort draußen! Hier in Berlin und an der Küste!

Fotos: Marco Bertram

Infos zum Autor: Marco Bertram wurde 1973 in Berlin-Lichtenberg geboren, ist seit 2008 mit an Bord bei turus.net und brachte seit 2014 bereits zehn Fußballbücher unter anderen über den BFC Dynamo und den F.C. Hansa Rostick heraus.

Weitere Informationen zum Autor und seinen Publikationen:

> www.marco-bertram.de