Ein Blick zum Himmel. Graues Trübsal. Katzen und Hunde regnen hernieder. Zu Hause zwei Kinder, die Bock auf Fußball und etwas Action haben. Mit einem öden Fußballplatz brauchte ich ihnen bei diesem englischen Pisswetter nicht kommen. Die Lösung: Auf nach Brandenburg an der Havel! Dort bietet das Stadion am Quenz eine überdachte Tribüne, und da das Landesliga-Spitzenspiel gegen Fortuna Babelsberg anstand, war mit einer passablen Kulisse - irgendwas zwischen 500 und 1.000 - zu rechnen.
Stahl Brandenburg vs. Fortuna Babelsberg: Große Kulisse, englisches Wetter und eine Mumie
Also hinein in die S-Bahn und zum Bahnhof Charlottenburg vorgefahren, wo ein russisches Lebensmittelgeschäft mit Verpflegung lockte und der Rest der Reisegesellschaft dazu stieß. Fünf Erwachsene, drei Kinder - ein Berlin-Brandenburg-Ticket für die 1. Klasse. In Anbetracht der kleinen Rasselbande war die 1. Klasse durchaus eine lohnenswerte Angelegenheit. Ein Kind spielte Schach, die anderen fleezten zufrieden in den grauen Ledersitzen. Das hatte glatt was von einem Kurzstreckenflug.
Mit Straßenbahn und Bus ging es schließlich weiter zum Stadion am Quenz (Stahlstadion), das Ende der 1980er sogar bereits Europapokalspiele gesehen hatte. Wenngleich leider Gottes inzwischen - welch eine Schande! - die Flutlichtmasten verschwunden sind, so ist diese Spielstätte für Old-School-Freunde noch immer eine wahre Wonne. Was für ein geiles Ambiente! Allein der Weg vorbei am Stahlpalast und am Nebenplatz - einfach mega! Osteuropa lässt fröhlich grüßen!
Bereits eine dreiviertel Stunde vor Anpfiff wurde deutlich, dass am heutigen Tage etwas mehr Zuschauer kommen würden. Extra geöffnet wurde auch der Gästeblock, in dem sich rund 70 Babelsberger Fußballfreunde eingefunden hatten. Schon bald war die Haupttribüne sehr gut gefüllt, sodass auch die Kurve an der Anzeigetafel geöffnet wurde. Offiziell waren es insgesamt 721 zahlende Zuschauer, die diesem Siebtligaspiel beiwohnten, gefühlt waren es etwas mehr. Was jedoch auch daran lag, dass auf der Haupttribüne für Stimmung gesorgt wurde.
Zu Beginn der Partie gab es ein Spruchband mit der Aufschrift „Keiner wird es wagen unsere BSG zu schlagen!“ sowie hochgehaltene Schals und geworfene Kassenrollen zu sehen. Die Atmosphäre oben auf der Haupttribüne erinnerte teils an ganz, ganz alte Zeiten. So meinte auch Olde neben mir: „Der Geruch, die Gesänge, das Gefühl - das erinnert mich an alte Zeiten im Hamburger Volksparkstadion.“ Da ist was dran. In jedem Fall fühlte ich mich phasenweise um 30 Jahre zurückversetzt, zumal einzelne Sprüche kamen, die aus der tiefsten Mottenkiste gekramt wurden. „ … Fi**en, oder wat?“
Auf dem Rasen galt es für die BSG Stahl Brandenburg, nach Möglichkeit mit einem Sieg gegen den Verfolger Fortuna Babelsberg die Tabellenführung auszubauen. Allerdings tat sich Stahl Brandenburg recht schwer und wollte nix riskieren. Beide Mannschaften waren vor allem darauf bedacht, hinten keine Fehler zu machen. Zwar ging es motiviert und intensiv zur Sache, doch blieben weitgehend die großen Tormöglichkeiten aus. Langweilig wurde es indes zu keiner Phase der Partie.
Die größte Chance der ersten Halbzeit gab es in der 41. Minute zu sehen, als Stahl Brandenburg in Führung hätte gehen können - ja, müssen. Nachdem es mit 0:0 zum Pausentee ging, rückte in der zweiten Halbzeit der Schiedsrichter ein wenig in den Fokus. Es schien, als sei er bei Fouls und Nicklichkeiten der Gästespieler etwas milder eingestimmt gewesen. Je weiter die Partie voranschritt, desto nervöser wurden die Stahl-Fans. Ein Tor sollte her, nur nix hinten anbrennen lassen! Eine erste blaue Fackel wurde hinter uns gezündet. Meine Kinder wickelten sich indes gegenseitig mit übrig gebliebenen Kassenrollen ein und wurden zu den Mumien am Quenz.
Als zum Ende der Partie hin weit oben eine weitere Fackel gezündet wurde, legte der Schiedsrichter das Ganze auf die Goldwaage und erhob den Zeigefinger. Zwar waberte ein wenig Rauch über die Ränge, doch war dieser kaum die Rede wert. Nach einer kurzen Unterbrechung konnte es weitergehen, und als die meisten bereits mit einem torlosen Remis gerechnet hatten, fiel doch noch ein Treffer. Nach einer Ecke konnte Markus Goede in der 89. Minute das 1:0 für Fortuna Babelsberg klarmachen. Frenetisch feierten die Gästespieler die Führung - im Gästeblock wurde auf dem Boden eine Portion Pyrotechnik gezündet. Nachdem dies den Schiedsrichter trotz des beachtlichen Qualms nicht zu jucken schien, ertönte ein gellendes Pfeifkonzert und der Schiedsrichter ließ dann doch eine Botschaft verlauten.
Stahl Brandenburg versuchte noch einmal alles nach vorn zu werfen, doch ließen sich die Gäste nicht mehr die Butter vom Brot nehmen. Einem Stahl-Fan brannten kurz die Sicherungen durch, sodass ein Plastik-Mülleimer dran glauben musste. Die BSG Stahl Brandenburg musste am Ende die knappe Niederlage verschmerzen, und es bleibt nur der Trost, dass ja noch einige Spieltage zu absolvieren sind. Zudem haben die Zuschauer gezeigt, dass in dem Verein auch weiterhin Potential steckt und mit einer guten Kulisse zu rechnen ist, wenn es drauf ankommt.
Später im Zug fragte ich meinen kleineren Sohn, wie er die Sause fand. Prima. Bis auf das Gegentor. Er zeigte sich sehr ungehalten vom Endstand und zeigte vollstes Verständnis für den wütenden Tritt des Stahl-Fans gegen den Mülleimer. Er hätte den Mülleimer am liebsten gleich verbrannt, erklärte er. Jut, ein gewisses Bambule-Gen ist beim Siebenjährigen durchaus erkennbar. Der Apfel fällt nun mal nicht weit vom Stamm. Schön zu sehen war indes, dass sich beide Kinder im Stadion am Quenz wieder pudelwohl gefühlt haben. Neben Polonia Berlin, Blau-Weiß 90 und Hansa Rostock ist durchaus ein Eckchen frei im Fußballherz für die BSG Stahl Brandenburg! Stahl Feuer! Aufstieg jetzt!
Fotos: Marco Bertram
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- Stadion am Quenz