Hertha BSC Fußballfibel: Als 1997 die Liebe entfacht wurde

Hertha BSC Fußballfibel: Als 1997 die Liebe entfacht wurde

 
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Liebe auf den zweiten Blick. Mit so was kenne ich mich aus. Nicht immer muss im Leben alles gradlinig sein, manches kann auch auf den zweiten Blick einen Sinn ergeben. Und dann kann die Liebe umso intensiver werden. Folgerichtig gibt man dann zu einem bestimmten Zeitpunkt das Ja-Wort in Form der Mitgliedschaft. In meinem Fall war es nach dem Erscheinen des 512-seitigen Wälzers „Kaperfahrten - Mit der Kogge durch stürmische See“, als ich im Februar 2021 quasi den Anker warf und Mitglied beim F.C. Hansa Rostock wurde. Im Fall von Benjamin Moser, der jüngst die „Hertha BSC Fußballfibel“ verfasste, war es die außerordentliche Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr, auf welcher das frühere Ultra-Mitglied Kay Bernstein zum Präsidenten von Hertha BSC gewählt wurde.

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Gänsehaut in der großen Halle, aus den ersten Reihen ertönte ein lautstarkes „Ha Ho He Hertha BSC!“. Die große Chance für einen Neuanfang bei Hertha BSC. Jener Tag ermutigte Benjamin Moser, der zuvor oft mit dem Verein gefremdelt hatte und sich nicht von Gegenbauer und dem bürgerlichen Präsidium nie vertreten fühlte, seinen Mitgliedsantrag einzureichen. Nach einer 25-jährigen ganz eigenen Reise mit Hertha BSC kam Benjamin Moser nun endgültig an - und mit dieser Anekdote endet auch die blau-weiße Fußballfibel. Eine feine Sache! Welch ein gelungener Abschluss, der mich sehr berührte, wenngleich Hertha BSC bei mir keine Emotionen mehr auslöst.

Emotionen löste jedoch das Buch in mir aus. Schließlich ist es nicht so, dass Hertha BSC niemals eine Rolle für mich gespielt hatte. Ich bin 1973 in (Ost-)Berlin geboren und hatte keinen Kindheitsverein. Kein „Danke Papa!“. Fußball spielte in den 80er Jahren nur auf dem Fernsehbildschirmen eine Rolle. Klassisch, wenn eine EM oder WM lief. Mal schaute mein Vater die Sportschau, meist reichten ihm aber die angesagten Ergebnisse am Ende der Tagesschau.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde ich fußballtechnisch ins kalte Wasser geworfen, wurde in meiner zwischenzeitlichen Wahlheimat im Rheinland fußballsozialisiert, naschte von allen Tellern, stieß mir die Hörner ab, stand das erste Mal im Mai 1992 mit Hansa Rostock im Gästeblock in Köln Müngersdorf und vergoss im Herbst 1995 Tränen der Rührung, als Hansa vor knapp 60.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion gegen Eintracht Frankfurt spielte. Anfang und Mitte der 90er Jahre fühlte ich mich gegenüber meiner Heimatstadt durchaus verpflichtet und musste mir vor 30 Jahren in der Ausbildung im Rheinland dumme Sprüche anhören, was das sportliche Desaster von Union Berlin, BFC Dynamo (FC Berlin) und Hertha BSC betraf. Willst du Hertha oben sehen, musst du die Tabelle drehen. Welche europäische Hauptstadt hat keinen Erstligisten? Hö hö. Mich nervte das. Mich kotzte das an.

Umso mehr freute ich mich, als in der Aufstiegssaison 1996/97 Hertha BSC vor 75.000 Zuschauern den 1. FC Kaiserslautern mit 2:0 schlagen konnte. Meine gewisse Zuneigung sollte nach dem Aufstieg langsam enden - aber ich freute mich, dass diese Art Mission erfüllt wurde. Meine Heimatstadt hatte endlich einen Erstligisten! Ähnlich wie im Oktober 1995, als Hansa in Berlin gegen Frankfurt richtig rockte, bekam ich eine Gänsehaut, als Axel Kruse gegen Kaiserslautern den unvergessenen Treffer erzielte. Und hier setzen wir beim tollen Buch von Benjamin Moser ein. Auch er verfolgte mit seinen damals 17 Jahren jene Partie und schrieb zu Axel Kruses Tor folgende Worte: „Es wirkte wie eine verlangsamt vorgetragene Hommage an den Elfmeter von Andreas Brehme in Rom, als unter dem Getöse der 75.000 Fans der Ball langsam, aber stetig in kontrollierter Bahn flach durch den Strafraum in Richtung des leeren Tors rollte und auch der sich im Vollsprint befindliche Abwehrspieler der Roten Teufel die knapp zwanzig Meter Vorsprung des Balls nicht mehr aufholen konnte. Der Ball ging zum 1:0 unter unendlichem Jubel über die weiße Kreidemarkierung ins Tor und fand im leicht nachgebenden Tornetz seine Endstation. Das Tor versetzte Axel Kruse, Hertha, ganz Berlin in einen Freudentaumel.“

Ins Berliner Olympiastadion pilgerte der 1980 geborene Benjamin Moser bereits Mitte / Ende der 80er Jahre, wo sein Papa ihm an einer der Buden eine Bratwurst spendierte. Allerdings hieß es nicht „Ha Ho He“, sondern „Wir sind heiß auf Blau-Weiß!“. Gemeinsam mit seinem Vater besuchte er in jener Zeit die Heimspiele von Blau-Weiß 90 Berlin, das 1986/87 sogar eine Saison in der 1. Bundesliga spielte (Hertha BSC musste zeitgleich in der Oberliga Berlin tingeln gehen). Benjamin warf beim Emporkömmling aus Mariendorf selbst geschnittenes Konfetti und drückte kräftig die Luftdruck-Fanfare, die ihm sein Vater gekauft hatte. Bekanntlich gingen die Blau-Weißen im Frühjahr 1992 Konkurs und mussten in der Kreisliga C als SV Blau-Weiss neu beginnen. Trotz DFB-Pokalfinale 1993 zwischen den Bubis von Hertha BSC und Bayer 04 Leverkusen folgte für Benjamin Moser eine fußballabstinente Zeit bis, ja bis zum besagten Spiel gegen die Roten Teufel vom Betzenberg.

1997 gewann das Spiel auf dem grünen Rasen doch noch sein herz zurück. Aber die Zeit konnte nicht zurückgedreht werden. Fußball war fortan keine gemeinsame Geschichte mehr zwischen Vater und Sohn. Fußball war fortan seine eigene Geschichte, wenngleich der Vater ihm zuliebe ein paar Mal mit zu den Heimspielen kam. In jedem Fall ist Benjamin seinem Vater unendlich dankbar, dass er ihm die Welt des Fußballs gezeigt hatte.

Um auf das vorliegende Buch zurück zu kommen: Benjamin Moser ist ein überaus lesenswertes Buch gelungen, das in seinen kurzen kompakten Kapiteln sehr zu überzeugen weiß. Es wurde sehr viel Herzblut und Fußballkenntnis hineingepackt. Auf den 156 Seiten geht es ein wenig um die Historie des Vereins, um die persönlichen Helden - zu nennen sind Gábor Király, Arne Friedrich, Kevin-Prince Boateng und Jordan -, um die Legende von Marcelinho, um Marcelinhos Erben, um die Stadtmeisterschaft und um die Sache mit dem „Big City Club“.

Wie heißt es auf dem Klappen- / Rückentext so schön? „Dieses Buch ist keine Vereinschronik, es ist keine Festschrift zum 130. Geburtstag. Trotzdem erinnert sich der Autor gerne an besondere Momente im Vereinsleben, an Stadtmeisterschaften, an Auf- und Abstiege …“ Entstanden ist ein überaus liebenswertes Werk, das wie bereits oben erwähnt ein echtes Happy End hat.

Anmerkung: Geplant sind in Berlin einige Buchvorstellungen / Lesungen. Weitere Infos können auf der FB-Seite der Fußballfibeln gern entnommen werden.

Die Fußballfibel über Hertha BSC schließt eine Lücke bei den Bänden über Berlin. Über Berliner Fußballvereine sind bereits folgende Fußballfibeln erschienen:

* 1. FC Union Berlin (Jörn Luther)

* BFC Dynamo (Marco Bertram)

* Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) (Marco Bertram)

* SV Sparta Lichtenberg 1911 (Marco Bertram)

* Tennis Borussia Berlin (Daniel Stolzenbach)

* SC Wacker 04 Berlin (Markus Franz)

Fotos: Marco Bertram, Benjamin Moser

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Artikel wurde veröffentlicht am
17 März 2023

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