Lausanne-Sport: 1994 Amaretto im eisigen Gehölz - 2022 Feuerwerk aus allen Rohren

Lausanne-Sports: 1994 Amaretto im eisigen Gehölz - 2022 Feuerwerk aus allen Rohren

Von Köln nach Lissabon, von Paris nach Edinburgh, von Almería nach Lausanne. Im März 1994 ließen wir kaum eine Möglichkeit aus und nutzten zu zweit - sprich die beiden alten Hasen dieses Magazins - das Interrail-Ticket richtig aus. So ging es unter anderen von Köln aus über Brüssel nach Basel, wo wir auf dem Bahnhof das erste Mal mit aufgerissenen Augen und offen stehendem Mund die Ultras Basel in Aktion bestaunen durften. Glatzenalarm! Aus dem Ghettoblaster hallte immens laute Mucke, als Mob wurde nicht der Sonderzug der Normalos, sondern ein regulärer Zug nach Zürich genommen. Alter Schwede!

Mit einem Bummelzug ging es für uns weiter nach Lausanne, das am Genfer See liegt und sich an einem herrlichen Alpenpanorama erfreuen darf. Leverkusen sein leuchtendes Bayerkreuz. Lausanne sein Blick über den See gen Hochgebirge. So dachte ich und kam ins Grübeln. Ebenso ins Grübeln kamen wir, als wir feststellen durften, dass die meisten Schilder auf Französisch waren. Damals ging es ohne großartige Planung im Hauruck-Verfahren auf Tour, und demzufolge hatten wir gar nicht auf dem Schirm, dass in der dortigen Region der Schweiz vornehmlich Französisch gesprochen wird.

Egal! Für den Kauf einer Eintrittskarte würden die Sprachkenntnisse genügen, und nachdem wir einige Kirchtürme erklommen hatten, um die pralle Aussicht zu genießen, zogen wir immer der Nase nach zum Stade Olympique de la Pontaise, in dem Lausanne-Sports die Jungs von Servette FC Genève empfangen würde. Hinein in die gute Stube und auch dort den Blick auf die Bergketten der Alpen bewundert. 

Man schrieb den 12. März 1994 und angepfiffen wurde recht spät um 17:30 Uhr. Insgesamt 5.400 Zuschauer hatten sich in dem weitläufigen Leichtathletikstadion eingefunden, doch bemerkbar machten sich quasi nur die Gästefans aus Genf. „Allez Servette! Allez Servette!“ Wir platzierten uns direkt neben dem Gästeblock und lauschten den fremd anmutenden Gesängen. Als auch noch Fackeln und Rauchtöpfe angezündet wurden, waren wir vollends zufrieden. Renato Carioca, Marco Grassi und Oliver Neuville (!) sorgten für den ungefährdeten 3:0-Sieg von Servette Genf und ließen auch uns erfreuen. 

Nach einem abendlichen Bummel durch die Innenstadt von Lausanne stiegen wir in einen x-beliebigen Linienbus und fuhren bis zur Endstation. Hauptsache raus aus der Stadt! Warum? Wir mussten uns einen Schlafplatz suchen und hatten keinen Bock auf dem Bahnhof zu nächtigen, zumal dieser viel zu klein erschien. Am Ende einer kleinen Nebenstraße entdeckten wir ein Waldstück, in dem wir uns ins Gehölz schlagen konnten. Ein Zelt hatten wir nicht dabei, dafür aber unsere Schlafsäcke, die wir kurzerhand auf dem kalten Waldboden ausbreiteten. Die Temperatur lag knapp unter Null und in den frühen Morgenstunden setzte leichtes Schneegestöber ein. Gut, dass ich eine Flasche Amaretto dabei hatte, die wir vor dem Einnicken austrinken konnten.

Auf all meinen Reisen hatte ich diverse unvergessene, teils abartige Nächte. In gammeligen Zügen, auf Bahnhöfen und Parkbänken, in abrissreifen Häusern und Kellern, bei Nieselregen unter freiem Himmel in den Highlands in genau jenem März, in einer erdigen Ackerfurche, auf Rastplätzen, auf Fähren und gern auch auf Flughäfen, wo nachts die Servicemitarbeiter die Bodenreinigungsmaschinen durch die Gegend schieben. Mal schauerte es von oben, mal kam einem einer blöde, mal rangierten gleich nebenan scheppernd die Güterzüge, mal war der Gestank unerträglich, mal kroch kurz nach Mitternacht die Kälte von den Füßen beginnend den Körper hinauf. So auch im Gehölz vor den Toren Lausanne. Vier Stunden wärmten wir uns am kommenden Morgen in einem Restaurant auf, bevor es es wieder zurück nach Basel ging.

Satte 28 Jahre später. Ich übergebe quasi den Staffelstab. Unser Fotograf dem das Stade Olympique de la Pontaise noch als Stadionpunkt fehlt (*Lächelsmiley*), reiste kürzlich zum Zweitligaduell FC Lausanne-Sport vs. FC Aarau. In den vergangenen 28 Jahren hatte sich einiges getan. Der 1896 als Montriond FC gegründete Verein stieg niemals ab, bis 2003 Konkurs angemeldet und ein Neustart in Angriff genommen werden musste. Dem jetzigen Nachfolgeverein gelang von 2004 bis 2006 der Durchmarsch in die Challenge League (zweite Liga). 2010 stand Lausanne-Sports im Schweizer Pokalfinale (0:6 gegen den FC Basel) und durfte anschließend in der Europa League spielen. 

Lausanne-Sports meisterte alle Qualifikationsrunden und traf in der Gruppenphase auf ZSKA Moskau, US Palermo und Sparta Prag, wurde allerdings Letzter. Zweimal gelang die Rückkehr in die Super League, aktuell müssen allerdings in der zweiten Liga kleinere Brötchen gebacken werden. Die Heimspiele werden allerdings nicht mehr im altehrwürdigen Stade Olympique de la Pontaise, sondern im am 29. November 2020 eröffneten Stade de la Tuilière ausgetragen. Das Besondere an der neuen Spielstätte: An den Außenwänden befinden sich 50 Nistplätze für Vögel, im Umfeld des Stadions befinden sich neu geschaffene Biotope und Grünflächen mit 400 Bäumen und 11.000 Sträuchern, in denen laut Angaben Reptilien, Echsen und Insekten leben sollen.

Ein Biotop anderer Art schufen die aktiven Fans des FC Lausanne-Sports in ihrer Kurve beim Heimspiel gegen den FC Aarau. Vierter gegen Fünfter. Sportlich nicht DIE Hausnummer. Allerdings gab es trotzdem etwas zu feiern! Die Gruppierung „Loz Boys“ feierte ihren 10. Geburtstag und ließ es demzufolge mal richtig krachen. Unterstützt wurden sie an diesem Tag von 70 befreundeten Ultras aus Dijon, 15 Freunden aus Winterthur und 20 Freunden aus Solothurn. 

Gleich zu Beginn gab es eine Blockfahne mit Frontbanner. Dazu gab es weiß-blauen Rauch, etliche Strobos und im Anschluss 50 Fackeln. Dem nicht genug folgte nach zehn Minuten gleich die nächste Einlage. Zu sehen gab es nun eine durchsichtige Blockfahne, die vor dem Block am Dach hochgezogen wurde. Dahinter wurden die Fackeln angerissen, auf der Anzeigetafel gratulierte der Verein zum Geburtstag. Als weitere Appetithäppchen waren nach dem 1:0 durch Gaudino in der 14. Minute und Labeau in der 31. Minute wie üblich weitere Fackeln zu sehen. 

Nachdem zu Beginn der zweiten Halbzeit die Freunde aus Dijon mit zwei Bannern und einer Blockfahne auf der gegenüberliegenden Hintertortribüne gratuliert hatten, wurden vor dem Heimblock minutenlang etliche Batterien aufgebaut. Zur 65. Minute hieß es dann Feuer frei! Weißer Rauch waberte gen Himmel, Strobos untermalten das Ganze, und als absoluter Höhepunkt wurden die Batterien gezündet. Die Partie wurde kurz unterbrochen, und die Spieler und das Schiedsrichtergespann bestaunten gemeinsam mit den Zuschauern das große Feuerwerk.

Im Gästebereich hatten sich etwas mehr als 300 Fans aus Aarau eingefunden, die aufgrund des auf Heimseite gebotenen Spektakels etwas untergingen. Zu feiern hatten die Gästefans jedoch etwas. In der 55. und 90. Minute erzielte Gjorgjev zwei Treffer und sorgte somit für den Punktgewinn. Zwar trübte das 2:2 auf Heimseite ein wenig die Feierlaune, doch war das Ganze allemal die Reise wert. So ist das. So werden Kreise geschlossen. Mir fehlt das Stade de la Tuilière, dem Fotografen fehlt noch das Stade Olympique de la Pontaise?! Dann nix wie hin gemeinsam nach Lausanne! Statt Amaretto darf es jedoch lokales Bier und eine Flasche Rum sein. Und statt ungemütlichem Gehölz darf es ruhig eine Couch zum Pennen sein. Lausanne! Meldet Euch! Ich wäre soweit!

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in der Schweiz

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
30 November 2022
Spielergebnis:
2:2
Zuschauerzahl:
4.500
Gästefans
300

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