SG Dynamo Schwerin: Aufstieg in die Oberliga! RIP Paulshöhe! Wut auf die Stadtpolitiker!

SG Dynamo Schwerin: Aufstieg in die Oberliga! RIP Paulshöhe! Wut auf die Stadtpolitiker!

Welterbe Schwerin. Seit 2014 steht das Residenzensemble Schwerin auf der Liste zur Bewerbung um den Titel als Welterbe-Stätte der UNESCO. Was die in Schwerin befindlichen Bauwerke betrifft, ganz sicher zurecht. Schwerin ist einfach wunderschön, und es ist immer wieder eine Wonne, vom Hauptbahnhof aus einen ausgedehnten Spaziergang durch die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern zu starten. Was jedoch einen Teil der lokalen Stadtpolitiker betrifft, so kann man nur den Kopf schütteln. So fand sich tatsächlich im Jahr 2018 eine knappe Mehrheit, die dem Abriss der einmaligen Sportstätte Paulshöhe zustimmte. Wohnungen statt Tradition, sportlicher Aktivität und einmaliger Historie am Schleifmühlenweg.

Am 20. August 1922 wurde der Sportplatz Paulshöhe im Stadtteil Ostorf eingeweiht, das sogenannte Torhaus wurde 1927 errichtet, das erweiterte Vereinsheim mit Gaststätte wurde 1938 eingeweiht. Anfangs ließ der 1903 gegründete Schweriner FC 03 dort auf den zwei Plätzen den Ball rollen, ab 1953 durfte die SG Dynamo Schwerin diese Sportanlage nutzen. Immerhin 29 Spielzeiten war Dynamo Schwerin in der DDR-Liga (zweithöchste Spielklasse) mit von der Partie. In der ewigen Tabelle dieser Spielklasse ist Dynamo Schwerin auf Rang sieben zu finden. Knapp hinter der ASG Vorwärts Stralsund und der BSG Post Neubrandenburg.

 

Die vermutlich denkwürdigsten Partien fanden auf der Paulshöhe in der Saison 1989/90 statt. Im FDGB-Pokal schlugen die Schweriner im Viertelfinale den 1. FC Magdeburg und im Halbfinale den 1. FC Lok Leipzig. Als PSV Schwerin musste man sich am 2. Juni 1990 im Berliner Jahn-Sportpark der SG Dynamo Dresden denkbar knapp mit 1:2 geschlagen geben. Trotz Niederlage war Schwerin für den Europapokal der Pokalsieger qualifiziert, in der ersten Runde schlug man sich gegen Austria Wien recht wacker (0:2 und 0:0). Das Heimspiel wurde jedoch im Rostocker Ostseestadion ausgetragen.

 

Die jetzige SG Dynamo Schwerin wurde am 27. November 2003 neu gegründet und führt die Tradition fort. Die alte SGD ging 1997 im FC Eintracht Schwerin (seit 2013 FC Mecklenburg Schwerin) auf. 2004/05 wurde der Spielbetrieb in der Kreisliga Schwerin gestartet, über die Bezirksklasse West und die Bezirksliga West ging es schnurstracks in die Landesliga West. In dieser hing die SG Dynamo Schwerin ganze 14 Jahre fest. So auch 2018/19, als die Mehrheit der  Stadtvertreter dem Bebauungsplan und dem Abriss der Paulshöhe zustimmten. Die Stadt setzte voll auf den FC Mecklenburg Schwerin als Aushängeschild und machte diesem Verein den neuen Sportpark Lankow hübsch. Für die SG Dynamo Schwerin - quasi eine Art unbequemes Schmuddelkind der Stadt - war / ist ein Nebenplatz in Lankow vorgesehen.

 

Neulich durfte man vom Glauben abfallen, als dieser Nebenplatz in Lankow von der Stadt stolz eingeweiht wurde. Oh meine Güte! Ein gesichtsloser Käfig im Gehölz mit sehr niedrigen Rängen. Trostloser könnte ein neuer Sportplatz wohl kaum aussehen. Dies soll also die neue Heimat der SG Dynamo Schwerin werden! Eine Schande! Aber hey, eine kleine Tribüne und ein Funktionsgebäude würde man Dynamo noch bauen.  

Man hatte in der Stadt allerdings nicht damit gerechnet, dass Dynamo Schwerin plötzlich durchstartet. Etwas im Schatten der Corona-Krise stieg Dynamo Schwerin 2021 in die Verbandsliga Mecklenburg-Vorpommern auf. Die Aufstiegsfeier wurde damals nachgeholt, und bei jener Party ließ es sich richtig gut versacken und fast den letzten Zug nach Berlin verpassen. Noch gab es ein Fünkchen Hoffnung, dass sich in Sachen Paulshöhe noch ein Schlupfloch finden lassen möge.

 

Zwar gab es das Schlupfloch nicht, doch marschierte Dynamo Schwerin mal eben durch. Ausgerechnet beim letzten Pflichtspiel auf Paulshöhe konnte die SG Dynamo Schwerin am vergangenen Samstag in die NOFV-Liga aufsteigen. Der Fußballgott schien Dynamo zu mögen, denn krasser konnte das Zusammenspiel kaum sein. Gegen Anker Wismar sollte ein Pünktchen reichen, und der Verein machte richtig mobil.

Letztendlich fanden sich bei bestem Sommerwetter knapp 2.300 Zuschauer auf den Rängen von Paulshöhe ein. Und das in der sechsten Liga! Ein echter Hammer! Unter dem Strich sollte es ein großartiges Fußballfest werden. Der eine oder andere ortsfremde Groundhopper bekam jedoch zu spüren, dass auch Schwerin eine Hansazone ist. Diesbezüglich war das eine oder andere auf diversen Blogs zu lesen, doch soll es an dieser Stelle einzig und allein um den Aufstieg der SG Dynamo Schwerin und die emotionale Verabschiedung von Paulshöhe gehen.

 

Ganz klassisch reiste ich mit meinem größeren Sohnemann gleich früh morgens mit dem 9-Euro-Ticket an. Die verbleibende Zeit zwischen Zugankunft und Anpfiff zu vertreiben, war in Schwerin nun wahrlich kein Problem. Verliebt, verliebt, verliebt - wieder einmal hatte ich mich in diese Stadt verliebt, und meine Entscheidung steht nun endgültig fest, dass ich 2023 einen Roman schreiben möchte, der in den 80er und 90er Jahren in Schwerin und auf Hiddensee spielen wird.

Im Stadion selbst brütete bereits die Hitze, und an den Getränkeständen kamen die netten Damen kaum hinterher, die Flaschen mit dem lokalen Bier für 2,50 den halben Liter zu öffnen. Wer auf der Gegengerade im Schatten der dortigen Bäume stand, hatte es an diesem Tag recht gut getroffen. Auf die restlichen Ränge knallte die Sonne mit voller Wucht. Das juckte jedoch an diesem Tag keine Sau, um es mal so zu sagen. Aufstieg und Abschied standen voll im Fokus.

 

„Mach’s gut geliebte Paulshöhe“, war in weißen Lettern auf schwarzem Grund zu Beginn der Partie zu lesen. Eine Art Blockfahne wurde hochgezogen, auf der die Wappen des eingangs erwähnten Schweriner F.C. 1903 und der SG Dynamo Schwerin zu sehen waren. Dazu eine alte Eintrittskarte und ein Programmheft von der legendären FDGB-Pokalsaison 1989/90. An den Rändern stieg schon bald blauer, gelber, roter und grüner Rauch empor. Wenig später gab es einige Doppelhalter mit dem Schweriner Stadtwappen und etliche Bengalos zu sehen.

 

Es sollte an diesem Nachmittag nicht das einzige Mal gewesen sein, dass Pyrotechnik zum Einsatz kam. Später wurde zur Botschaft „Schwerin hat dich nicht verdient“ reichlich schwarzer Rauch zum Wabern gebracht. Im Laufe der weiteren Partie wurden im eigentlichen Dynamo-Fanblock immer wieder Fackeln angerissen, an anderen Stellen stieg roter Rauch empor. Sagen wir es mal so: Nicht nur mein Söhnchen kam voll und ganz auf seine Kosten. 

 

Was noch fehlte, war ein Treffer der SG Dynamo Schwerin, um Sicherheit ins Ganze zu bringen. Man wusste ja nicht, ob die Gäste aus Wismar kurz vor Schluss noch ein krummes Ding unterbringen und somit die Party versauen könnten. Verfolger 1. FC Neubrandenburg 04 ließ gegen den SV Siedenbollentin nix anbrennen und gewann mit 7:0. Es lief jedoch auch auf der Paulshöhe alles nach Plan, in der 51. Minute erzielte Nicklas Klingberg den Treffer des Tages und ließ die knapp 2.300 Zuschauer jubeln.

 

So langsam aber sicher konnte das große Finale vorbereitet werden. Aus Taschen heraus wurden Fackeln verteilt. Wer wollte, der durfte. Sogar ältere Herren ließen sich kurz einweisen und griffen sich eine Fackel. Dynamo Schwerin konnte das 1:0 über die Runden bringen, und nach Abpfiff wurden ringsherum zu guter Mucke die Fackeln angerissen. Ein wahrlich starker Anblick! Erst dann enterten zahlreiche Dynamo-Fans den Innenraum und feierten gemeinsam mit den glücklichen Spielern den Aufstieg in die NOFV-Oberliga.

 

Während ich fotografierte, rammte mich ein guter Kumpel auf dem Rasen von der Seite fast um. „Ich glaub es nicht! Oberliga! Stell dir das mal vor! Oberliga! Wir fahren mehrmals nach Berlin! Immer wieder können wir dann gemeinsam ein Bier trinken!!“, brüllte er mir ins Ohr und drückte mich ganz fest. Es ist ja auch irre. Nach 14 Jahren Landesliga wurde mal eben durchmarschiert. 

 

So sehr die Freude über den Aufstieg jedoch auch war an jenem Nachmittag, die Trauer über den Abschied der Paulshöhe legte sich etwas bleiern über die Party. Egal, mit wem man sprach, der hässliche Nebenplatz in Lankow war das Thema. Wut und Entsetzen. Vorfreude auf das Stadtduell gegen den FC Mecklenburg Schwerin. Man werde der Stadt zeigen, wer die Nummer eins der Landeshauptstadt ist. 

„RIP Paulshöhe - Ruhe in Frieden“, wurde an eine Wand gemalt. Drei Grabkerzen wurden davor abgestellt. „Dort drüben auf dem Nebenplatz hatte ich vor 47 Jahren mit dem Fußballspielen begonnen“, erklärte mir Axel voller Wehmut. Zuletzt hatte Dynamo Schwerin immer wieder mit der Stadt zu kämpfen gehabt. Warmes Wasser fiel immer wieder aus, nötige Reparaturen wurden nicht mehr in Angriff genommen. Man müsse zusammenhalten - auch in Lankow, erklärte ein anderes Urgestein bei seiner kurzen Rede zu den noch Anwesenden.

 

Ob das Stadion Lamprechtsgrund eine Option sei, fragte ich in die Runde. Schließlich wird es ja dort das Freundschaftsspiel gegen den F.C. Hansa Rostock am Freitag, den 17. Juni geben. Schwierig, lautete die Antwort. Diese Sportstätte gehöre nun mal nicht der Stadt, und eine Stadionmiete an die Betriebsgesellschaft mbH sei fällig. 

Wie die Heimspiele 2022/23 aussehen mögen, weiß noch niemand. Kämen gegen die Amateure des F.C. Hansa Rostock beispielsweise mal eben 2.000 Zuschauer, würde rein theoretisch nicht einmal das Hauptstadion in Lankow reichen. Was jedoch in jedem Fall für Freude sorgen wird, sind die Auswärtsspiele. Die Gegner heißen unter anderen Sp.Vg. Blau-Weiß 90 Berlin, SC Tasmania Berlin, F.C. Hansa Rostock II, FC Mecklenburg Schwerin, TSG Neustrelitz und MSV Pampow. Vielleicht steht auch eine Sause ins Stadion der Freundschaft in Frankfurt (Oder) an, wo einst der FC Vorwärts Frankfurt seine Heimspiele austrug und nun der 1. FC Frankfurt (Oder) beheimat ist. Der Aufstieg ist zum Greifen nahe!

 

In der Staffel A der DDR-Liga reiste Dynamo Schwerin in den Spielzeiten 1988/89 und 1989/90 zu Vorwärts Frankfurt, musste sich jedoch dort mit 0:2 und 0:5 geschlagen geben. Unvergessen ist auch ein Aufeinandertreffen im FDGB-Pokal am 20. November 1971. Mit 5:6 nach Verlängerung mussten sich die Schweriner geschlagen geben, in der 53. Minute (!) hatte Hans-Peter Sinn den zwischenzeitlichen Führungstreffer zum 3:2 erzielt. Geschichte wurde geschrieben - nun ist es an der Zeit, neue Geschichte zu schreiben! Und was Vorwärts Frankfurt betrifft, so sei mein kürzlich erschienener Fußball-Roman empfohlen. Im nächsten Roman wird indes die SG Dynamo Schwerin mit eingebaut. Sport frei! 

> die Fußball-Bücher auf www.marco-bertram.de

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: SG Dynamo Schwerin

 

Artikel wurde veröffentlicht am
07 Juni 2022
Spielergebnis:
1:0
Zuschauerzahl:
2.300

Ligen

Inhalt über Liga
Verbandsliga

Benutzer-Kommentare

11 Kommentare
 
91%
4 Sterne
 
0%
3 Sterne
 
0%
2 Sterne
 
0%
 
9%
Alle Benutzer-Kommentare ansehen View most helpful
Hast du schon ein Konto?
Datenschutz
Durch das Anhaken der folgenden Checkbox und des Buttons "Absenden" erlaube ich turus.net die Speicherung meiner oben eingegeben Daten:
Um eine Übersicht über die Kommentare / Bewertungen zu erhalten und Missbrauch zu vermeiden wird auf turus.net der Inhalt der Felder "Name", "Titel" "Kommentartext" (alles keine Pflichtfelder / also nur wenn angegeben), die Bewertung sowie Deine IP-Adresse und Zeitstempel Deines Kommentars gespeichert. Du kannst die Speicherung Deines Kommentars jederzeit widerrufen. Schreibe uns einfach eine E-Mail: "kommentar / at / turus.net". Mehr Informationen welche personenbezogenen Daten gespeichert werden, findest Du in unserer Datenschutzerklärung.
Ich stimme der Speicherung meiner personenbezogenen Daten zu:
Kommentare
Einen großes Respekt an Dynamo Schwerin für den aufopferungsvollen Kampf um das Stadion und um einen wichtigen Teil deutscher Sportgeschichte! Schon um das Millenium herum gab es ja schon Diskussionen um diese Liegenschaft, sodass wir damals bei einem Motor-Spiel in Schwerin einmal die Anlage besichtigten.
Schade, dass es nun dem Zeitgeist zum Opfer gefallen ist.
M(
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 1 0
T
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 2 0
G
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 3 0
G
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 4 0
G
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 4 0
G
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 5 0
Hopperkasse
"Der eine oder andere ortsfremde Groundhopper bekam jedoch zu spüren, dass auch Schwerin eine Hansazone ist. Diesbezüglich war das eine oder andere auf diversen Blogs zu lesen, doch soll es an dieser Stelle einzig und allein um den Aufstieg der SG Dynamo Schwerin und die emotionale Verabschiedung von Paulshöhe gehen."

So kann man komplett asozialem Verhalten auch sein geistiges "Okay, macht mal!" geben. Klar sollten Hopper sich immer zurückhalten, neutrale Klamotten anhaben, nicht den Max machen oder hunderte Fotos von Leuten aus der heimischen Szene knipsen nur um bei Instagram cool dazustehen. Aber Hopperkassen mittels physischem Nachdruck aufzufüllen ist einfach nur asozial. No respect.
MM
Kommentar melden Kommentare (1) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 3 7
F
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 6 0
Glückwunsch zum Aufstieg!
A1
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 5 0
Einfach nur geil!
Was für ein Wahnsinnsspiel mit Wahnsinns-Fans. Ein großes FU für die Politiker, die uns das schöne Stadion nehmen.
Dynamos der ganzen Welt vereinigt euch.
Uns kriegt niemand klein.
D
Kommentar melden Kommentare (0) | War dieser Kommentar hilfreich für dich? 4 0
Alle Benutzer-Kommentare ansehen