1. FC Frankfurt (Oder) neuer Tabellenführer im Vorwärts-beflaggten Stadion

1. FC Frankfurt (Oder) neuer Tabellenführer im Vorwärts-beflaggten Stadion

Ein Zeichen. Ein Wille. Ein epischer Moment. Etwas überraschend kamen die Spieler des 1. FC Frankfurt (Oder) nach dem 6:1-Sieg gegen den SV Altlüdersdorf und der damit verbundenen Eroberung der Tabellenführung rüber zur Gegengerade des altehrwürdigen Stadions der Freundschaft, machten eine LaOla und bedankten sich für die Unterstützung der dort stehenden alten Vorwärts-Fans. Shakehands und strahlende Gesichter. Die Freude stand den Spielern ins Gesicht geschrieben. Die Freude über die Tabellenführung - und die Freude über die Tatsache, dass wieder etwas Leben auf der Gegengerade war.

Nun war es ja nicht so, dass die alten FCV-Fans während der Partie großartig supporteten. Vielmehr wurde bei den sechs Treffern brav geklatscht und ansonsten über alte Zeiten geplaudert. Allein die Tatsache, dass am vergangenen Samstag all die angebrachten rot-gelben Stoffe für einen herrlichen Farbtupfer sorgten und sich einige ältere Fans mal wieder die Ehre gaben, im Stadion vorbeizuschauen, sorgte für Hoffnung und hüpfende Herzen.

 

Meine Güte, ist das bereits lange her! Es war in der letzten (DDR-)Oberliga-Saison 1990/91 - in jener Spielzeit wurde bekanntlich der F.C. Hansa Rostock Meister -, als zum letzten Mal die Oderstädter als FC Vorwärts Frankfurt bei einem Heimspiel antraten. Am 24. November 1990 trat der FC Vorwärts im Stadion der Freundschaft vor knapp 1.000 Zuschauern gegen die BSG Stahl Brandenburg an. Tore gab es an jenem Tag keine zu sehen. In der Woche darauf wurde als FC Vorwärts mit 1:2 beim FC Berlin (BFC Dynamo) verloren, am 23. Februar 1991 wurde auswärts in Halle erstmals als FC Victoria 91 Frankfurt (Oder) gespielt.

 

Am Ende der Saison waren die Frankfurter Tabellenletzter und verpassten somit jegliche Qualifikationen. Man fiel komplett hinter runter und war einer der Wendeverlierer schlechthin. Als Frankfurter FC Viktoria 91 spielte man bis 2012 in der Oberliga und der Verbandsliga Brandenburg, nach der Fusion mit Eintracht Frankfurt (Oder) wird als 1. FC Frankfurt (Oder) aktuell in der Brandenburg-Liga um den Aufstieg in die NOFV-Oberliga gespielt. Zuletzt hatte die Mannschaft ordentlich Aufwind und konnte mächtig Boden gut machen. 

 

Aufgrund des Bruchs mit der Tradition des ASK / FC Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) taten und tun sich die älteren, noch verbliebenen FCV-Fans, die einst in den 80ern regelmäßig ins Stadion pilgerten, ziemlich schwer mit dem aktuellen 1. FC Frankfurt (Oder). Mein Besuch am vergangenen Samstag bot die Gelegenheit, mal wieder die alten rot-gelbe Stoffe aus den Schränken und Bettkästen hervorzuholen.

 

Und ja, es war einiges dabei. So schnupperte der rot-gelbe Preußen-Stoff wieder Stadionluft. Darüber wurde gleich die Zaunfahne befestigt, auf der die Meistertitel 1958, 1960, 1962, 1965, 1966 und 1969 aus der Berliner Ära drauf geschrieben wurden. Nicht fehlen durften auch „FCV für immer“, „FCV Frankfurt / Oder“ und der selbst gemalte Hahn mit Herz und  Fußball. Und siehe an, auch ein Stoff mit dem alten Berliner Wappen wurde am Zaun angebracht. Dazu hatte jeder eine braune Jacke, ein gelbes Shirt und / oder einen Schal mit dabei. Nicht fehlen durften jedoch nicht die Regen- bzw. Windjacken, denn punktgenau um 15:25 Uhr erreichte die angesagte Regenfront das Stadion der Freundschaft. 

 

Petrus - oder war es der Fußballgott? - weinte, aber in Halbzeit zwei waren sämtliche Tränen vergossen und der Himmel riss wieder auf. Nachdem der Stadionsprecher die große sportliche Leistung der Frankfurter Eintracht auf europäischem Parkett gelobt hatte und sogar ein SGE-Lied abgespielt wurde, konnten unten auf dem Rasen die lokalen Fußballer zeigen, was sie drauf haben.

 

Nachdem vergangene Woche in Petershagen/Eggersdorf nach mäßiger Leistung, aber mit zwei tollen Toren mit 2:1 gewonnen werden konnte, wurde am Samstag noch ein Schippchen draufgelegt. Während in der Ferne sich der Oranienburger FC gegen den FSV Bernau schwer tat und keine Tore fallen wollten, legten die Frankfurter den Turbo ein.

 

Bereits nach fünf Minuten konnte Robin Grothe das 1:0 erzielen. Nachdem in der 18. Minute Paul Radom für Altlüdersdorf ausgleichen konnte, machte Marcel Georgi nach etwas über einer halben Stunde das 2:1 klar. Nur zwei Minuten später brachte Paul Bechmann mit dem Tor zum 3:1 Sicherheit ins Spiel. Hier würde nix mehr anbrennen! Gesagt, getan. In der 54. und 61. Minute machte Paul Bechmann zwei weitere Buden. Zwischendurch wurden teils hochkarätige Chancen versiebt, doch in der 76. Minute konnte Steven Frühauf zum 6:1 nachlegen. Der Applaus bei den alten FCV-Fans wurde von Tor zu Tor lauter. 

 

Nachdem sich in der Schlussphase ein Gästespieler schwer verletzt hatte und mit einem Krankenwagen abtransportiert wurde, pfiff der Schiedsrichter nach einer etwas längeren Unterbrechung nach Absprache mit beiden Mannschaften die Partie etwas früher ab. Nachdem sich im Innenraum zum Gruppenfoto versammelt wurde und einige Erinnerungsfotos angefertigt wurden, kamen wie eingangs erwähnt die Frankfurter Spieler in einer Reihe herüber und bedankten sich für die Unterstützung. Eine solche Art des freundschaftlichen Abklatschens wird es lange nicht mehr gegeben haben.

 

An der Bar im Vereinsheim konnte sich noch etwas bei einem frisch Gezapften ausgetauscht werden, während nebenan im Konferenzraum die Spieler ein „Spitzenreiter! Spitzenreiter!“ anstimmten. Wie der Zufall wollte, begegnete man sich am späteren Abend noch einmal, nachdem im benachbarten Slubice eine Schnitzelplatte verdrückt wurde und sich das Kind auf einem Spielplatz an der Oder austoben konnte. Wieder ertönte das „Spitzenreiter!“ und man lud uns herzlichst dazu ein, am 11. Juni zum Heimspiel gegen Union Klosterfelde zu kommen. Im Anschluss würde der Grill angeworfen werden - und vielleicht, ja vielleicht würde es bereits an diesem vorletzten Spieltag eine sportliche Entscheidung bzw. Vorentscheidung geben. Frankfurt (Oder) sei es zu gönnen! Unter anderen eine Partie gegen den möglichen McPom-Aufsteiger SG Dynamo Schwerin hätte doch mal was! Sport frei!

 

Buch-Tipp ‚Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) Fußballfibel‘

Mit sechs Meistertiteln und zwei FDGB-Pokalsiegen war der ASK/FC Vorwärts Berlin in den 1960er Jahren einer der erfolgreichsten Vereine in der DDR-Oberliga. Es gab legendäre EC-Spiele gegen Wolverhampton, Benfica und Feyenoord. Namen wie Otto Fräßdorf, Jürgen „Kuppe“ Nöldner sowie Karl-Heinz Spickenagel hatten einen großen Klang. Mit dem Umzug nach Frankfurt (Oder) endete zwar die goldene Ära des Vereins, doch auch im Stadion der Freundschaft feuerte eine treue Anhängerschaft ihre Helden im rot-gelben Dress an. Aus dem Blickwinkel von zwei jugendlichen Anhängern lässt Marco Bertram die Vereinsgeschichte lebendig werden. Dabei zeigt er das reale sportliche Geschehen eingebettet in eine farbenfrohe Schilderung des zeitgenössischen DDR-Alltags.

Zum Autor: 

Marco Bertram wurde 1973 in Ost-Berlin geboren und geht seit dem Fall der Mauer Woche für Woche zum Fußball. Seit 2008 betreibt er gemeinsam mit K. Hoeft das Onlinemagazin turus.net. In den vergangenen Jahren veröffentlichte er zahlreiche Fußballbücher, u.a. „Zwischen den Welten“, „BFC Dynamo Fußballfibel“, „F.C. Hansa Rostock Fußballfibel“, „Fußballheimat Brandenburg“ und „Kaperfahrten – Mit der Kogge durch stürmische See“. Aufgrund fester privater Freundschaften hat er seit Anfang der 1990er-Jahre eine besondere Beziehung zur Stadt Frankfurt (Oder). 

> Infos zum Buch und Bestellmöglichkeit auf www.marco-bertram.de 

Fotos: Jens, Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: FC Vorwärts / 1. FC Frankfurt (Oder)

Artikel wurde veröffentlicht am
23 Mai 2022
Spielergebnis:
6:1
Zuschauerzahl:
128

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Inhalt über Liga
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  • Verbandsliga

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