Auf gute Freunde! Hansa Rostock besiegt endlich mal wieder den FC St. Pauli!

Auf gute Freunde! Hansa Rostock besiegt endlich mal wieder den FC St. Pauli!

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Hey, hey! Schlager, Partymucke und gute Laune. Es fühlte sich ein wenig an wie in einem Fanbus in den frühen 90ern, als es nach Nürnberg, Bremen, Nantes und Parma ging. Nee, nee, nicht mit Hansa, sondern mit dem Verein aus der kurzzeitigen Wahlheimat am Rhein. Das Gefühl war jedoch sicherlich übertragbar und bei ziemlich jedem Verein gleich. Let’s fetz! Alk und Rock’n Roll! Am gestrigen Samstag ging es von Berlin aus im Neuner gen Rostock - und Spannung und Vorfreude stiegen von Kilometer zu Kilometer. Volle Kapelle im Ostseestadion. Der verhasste FC St. Pauli zu Gast in Rostock!

Das letzte Heimspiel gegen den selbsternannten Kiezklub aus Hamburg hatte ich verpasst. Aber wat heißt verpasst?! Am 19. November 2011 hatte ich dem Sprössling den Vorzug gegeben, fleißig die Windeln gewechselt und den Buggy in Berlin zu irgendeinem Amateurspiel gekutscht. Die Bilder von jener Partie im Ostseestadion hatten sich selbstverständlich eingebrannt. Die fliegenden Leuchtkugeln, die Gegentreffer von Max Kruse und Mahir Saglik. Ein brachialer Stich ins Herz. Rote Karte für Tom Weilandt in der achten Spielminute. Das Nachspiel. Deniz Naki. Die Fahne. Ohnmacht. Wut und Hass. 

Aber hey, den Tränen von Klaus Thomforde sei Dank durften wir Älteren im Oktober 1995 das ins Berliner Olympiastadion verlegte Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt bewundern. Erpelparka und feuchte Augen, als vor knapp 60.000 Zuschauern der Ausgleichstreffer zum 1:1 erfolgte. Geilomat hoch drei! Und während ich mir die Aufstellung des „Skandalspiels“ am 23. September 1995 im Rostocker Ostseestadion anschaue, fällt mir auf, dass damals auf St. Pauli-Seite Stephan Hanke mit in der Startelf stand. Vier Jahre zuvor hatten wir in der Lehrwerkstatt in Leverkusen für kurze Zeit Seite an Seite Platinen bestückt und Dioden festgelötet. 

 

So wat allet jeht einem halt durch die Birne, wenn man hinten im Neuner sitzt und zum Zweitligaduell Hansa Rostock vs. St. Pauli gefahren wird. Während die vorderen Reihen bereits ordentlich abgingen, brauchte ich noch ein bisschen, um auf die nötige innere Betriebstemperatur zu kommen. Später am / im Gasthaus Trotzenburg löste sich ein wenig die Anspannung. Die Vorfreude wuchs. Erst jetzt konnte wirklich realisiert werden, dass in knapp zwei Stunden das Duell gegen St. Pauli angepfiffen wird. Eine Wurst, ein Steak, zig Gespräche. Im Gehölz donnerten die ersten Böller, am sonnigen Himmel war der Polizeihelikopter zu hören. 

 

Knapp eine Stunde vor Anpfiff ging es hinein in die gute Stube. Während der Gästeblock bereits recht gut gefüllt war, herrschte auf der Südtribüne noch gähnende Leere. Exakt 45 Minuten vor Spielbeginn enterten die Hansa-Fans die Süd und stimmten die Schlachtgesänge an. Langsam aber sicher kam eine gewisse Temperatur auf, doch war (noch) nicht dieses krasse Kitzeln zu spüren, wie beispielsweise 2014 gegen die SG Dynamo Dresden und vor allem 2015 gegen den 1. FC Magdeburg. Vor allem gegen den FCM lag damals solch eine krasse Brisanz in der Luft - das Knistern war im letzten Winkel des Ostseestadions zu spüren. Block U & Co schafften es damals sogar mit dem brachialen Support der ebenso gut aufgelegten Südtribüne ernsthaft Paroli zu bieten. Davon konnte nun beim Gästeblock nicht die Rede sein. 

 

Allerdings ist dies Kritik auf hohem Niveau. Nach zwei Jahren Corona-Maßnahmen war es ein hervorragendes Gefühl, endlich wieder volle Heimränge und einen ebenso vollen Gästeblock zu sehen. 2012 und 2021 gab es am Millerntor zwei Duelle ohne Gästefans - nun endlich fand das Ganze in einem angemessenen Rahmen statt. Um die Jungs aus Hamburg ein wenig aus der Reserve zu locken, hatte man einige Minuten vor Anpfiff ein Lied parat. Ähnlich wie beim letzten DFB-Pokalspiel gegen den VfB Stuttgart wurde „Auf gute Freunde“ von den Onkelz abgespielt, und das Stadion sang lauthals mit. Nicht ganz so laut, wie damals im Pokal, doch untermalte dieses Mal dieser Song keine Choreo. Gereizt fühlten sich die Sankt Paulianer trotzdem, sodass ein „Alerta, Alerta, Antifascista!“ zu vernehmen war. 

 

Und was das Optische und Knalltechnische betraf: Während im Gästeblock bereits vor Anpfiff die erste Ration Pyrotechnik zum Einsatz kam, hielt man sich auf Heimseite zurück. Es muss ja auch nicht alles auf Knopfdruck kommen. Um es schon mal vorweg zu nehmen: Das Erfreuliche des Tages war die Tatsache, dass im Stadion selbst keine Gegenstände hin- und herflogen und somit ein möglicher Spielabbruch zu keinem Zeitpunkt im Raum stand. 

Auf der Heimseite setzte man - abgesehen von einzelnen Fackeln beim späteren Tor - vor allem auf die Sangeskraft. Und auch diesbezüglich musste sich nach all den Lockdowns und Einschränkungen sicherlich erst einmal wieder eingetaktet werden. Was sicherlich auch für den Gästebereich zutrifft. Aber hey, irre laut auf den heimischen Rängen wurde es, als Rhein kurz nach Anpfiff zum gedachte 1:0 für Hansa Rostock traf. Welch eine Wucht! Wie ein Orkan bürstete der Torjubel alles weg und war sicherlich bis Güstrow und Warnemünde zu hören. Da blieb kein Auge trocken. Zu emotional war der Moment. Nach den 0:3 und 0:4-Niederlagen auswärts bei St. Pauli nun endlich die Führung gegen den Erzrivalen schlechthin. Das „scheiß St. Pauli!!!“ schepperte aus allen Ecken - und dann das! Meine Fresse, ja, Hansa spielt ja in der 2. Bundesliga. Und in dieser gibt es den VAR. Arge Sache! Nicht dass wenige Sekunden später sich eine Fahne hob. Nein, nach gefühlter Ewigkeit rief wohl der verhasste Keller an. Wegen eines eher leichten Fouls von Verhoek wurde der Treffer zurückgenommen. 

 

Wat willste machen? Jetzt erst recht! Die erste Viertelstunde wurde bissig, in der Folgezeit kamen die Gäste etwas besser ins Spiel, doch Hansa verteidigte mit Leidenschaft und Bravour. Das Gefühl dürfte bei den meisten Hansa-Fans ein gutes gewesen sein. Hier ging was gegen den Tabellenführer - das war klar. Kurz vor dem Pausentee legten die Rostocker ein Schippchen drauf und kamen zu zwei guten Möglichkeiten, doch Neidhart und Rhein konnten den Ball nicht unterbringen.

 

Pause. Kaffee trinken gehen? Neee. Bei solch einem Duell bewahrt man stets den wachen Blick. Und es sollte nicht lange dauern, bis rötliches Licht durch das Mundloch unter dem Gästeblock auszumachen war. Böller detonierten, draußen lieferte man sich am Zaun ein hitziges Gefecht, bei dem Pyrotechnik die Seiten wechselte. „Klopft hier einer?“, fragte wohl einer auf der Süd, der wohl ein wenig in den Gedanken versunken war. Tja, so kann man es auch ausdrücken. Glücklicherweise übertrugen sich die Auseinandersetzungen nichts ins Stadioninnere, sodass die Partie wieder pünktlich angepfiffen werden konnte. Routiniert wie am Schnürchen zogen USP & Co auch ihre zweite Pyro-Aktion durch und brachten den Block zum Leuchten. Auf Heimseite verzichtete man weiterhin auf den Einsatz von Fackeln und Rauch.

 

Auf dem Rasen nahmen nun die Rostocker das Heft in die Hand. Der Anblick von Einsatz und Kampfeswille war eine reine Freude. Hansa Rostock wollte es am gestrigen Abend wirklich wissen und drängte auf den ersehnten Treffer. Nach einer Stunde gab es den Lohn all der Mühen. Rizzuto brachte den Ball von der rechten Seite aus scharf rein, und am zweiten Pfosten stand Neidhart bereit. Und zwar in solch einem spitzen Winkel, dass eigentlich nicht mit einem direkten Treffer zu rechnen war. Denkste, Puppe! Rein das Ding! 1:0 für Hansa Rostock - und wieder brandete unbeschreiblicher Jubel auf. Jedoch nicht ganz so krass wie bei der gefühlten Führung in der Anfangsphase. Abseits oder ähnliches? Wieder ein Anruf aus dem gruseligen Keller? Kein Anruf unter dieser Nummer! Der Treffer hatte Bestand und wurde ausgiebig gefeiert. 

 

Einzelne Fackeln brannten ab, in Block 9A wurden ein paar St. Pauli-Utensilien präsentiert. Auf dem Rasen machte Hansa Rostock die Sache weiterhin prima. Es kam kaum Angst auf, dass die Sache noch in die Hose gehen würde. Man durfte guter Dinge sein. Einen Schreckmoment gab es jedoch in der 74. Minute, als ein Freistoß von Paqarada knapp den Dreiangel verfehlte. Holla die Waldfeh, den hatte ich bereits fast drinnen gesehen.

Weitere hochkarätige Möglichkeiten der Gäste waren jedoch in der Folge Mangelware. Viel mehr hatten die Rostocker die Chance, den Sack zuzumachen. Ach ja, dieses Gefühl, wenn man sich sehnlichst das 2:0 herbeisehnt. Dieses Gefühl der Entscheidung. Den Gegner Schachmatt setzen. St. Pauli endgültig besiegen. In der 86. Minute hatte Malone solch eine Möglichkeit zum 2:0, doch sollten weitere Treffer an diesem Abend nicht mehr fallen.

 

Abpfiff nach vier Minuten Nachspielzeit. Welch ein Jubel! Wirklich das gesamte Stadion beteiligte sich am „Ahu!“. Und als die Gästespieler zum Gästeblock trotteten, hallte ein unfassbares lautes „Scheiß St. Pauli!!!“ durch das Ostseestadion. Herrlich! Minutenlang feierten die Spieler mit den Fans und liefen zu sämtlichen Ecken. Trikotwünsche wurden erfüllt, minutenlang blieben die Ränge noch voll. Es war vollbracht. Der Knoten war geplatzt. Der erste Sieg gegen den braun-weißen Erzfeind seit dem 26. September 2008 war vollbracht. Damals bügelten Régis Dorn und Dordije Cetkovic mit ihren Toren den „Kiezklub“ mit 3:0 weg. 

 

Dass es nach Abpfiff nahe des Gästeblocks noch etwas hektisch werden könnte, war zu erwarten. So waren aus der Ferne Böller zu vernehmen, und der Helikopter kreiste über dem Barnstdorfer Wald. Gelinde gesagt etwas merkwürdig erschien es, als mehrere Polizeifahrzeuge mit Blaulicht in Wild-West-Manier in den schmalen Weg in Richtung Südtribüne und Hotel Sportforum einbogen, war doch dieser gefüllt mit Fans und wegfahrenden Autos. Aber gut, muss man nicht verstehen.

 

Nach der üblichen Wartezeit fanden wir uns im Neuner auf der Autobahn gen Berlin wieder und ließen eher still bei gedämpfter Musik die Gedanken kreisen. Knülle, aber unendlich glücklich wurden auf dem Handy die ersten Nachrichten studiert. Der Blick auf die aktuelle Tabelle lockte ein friedvolles Lächeln herbei. Noch vier, fünf Punkte, dann dürfte der Klassenerhalt greifbar nahe bzw. sicher sein. Vier Siege in Folge für Hansa Rostock - das ist eine echte Hausnummer. Für St. Pauli war es indes die dritte Niederlage in den letzten sieben Spielen. Das dürfte nun oben an der Tabellenspitze ein Hauen und Stechen geben, zumal heute Werder Bremen gegen Sandhausen nicht über ein 1:1 hinauskam.

 

Für Hansa geht es nun bereits am kommenden Freitag nach Düsseldorf, nach dem Heimspiel gegen Jahn Regensburg geht es am 24. April nach Aue. Fazit des Ganzen: Die bravurös kämpfende Mannschaft des F.C. Hansa Rostock konnte am gestrigen Abend endlich mal wieder gegen den FC St. Pauli Geschichte schreiben. Ähnlich wie einst am 23. September 1995, als nicht nur die „Rauchbombe“, sondern auch Stefan Beinlich und Steffen Baumgart mit ihren Treffern die St. Pauli-Kicker zum Weinen brachten. Blau-weiß-rote Geschichte wurde geschrieben - blau-weiß-rote Geschichte wird geschrieben. Ein weiteres Kapitel für Band II von „Kaperfahrten - Mit der Kogge durch stürmische See“ schrieb sich am gestrigen Tag quasi von selbst. Ahu!

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: F.C. Hansa Rostock

> zur turus-Fotostrecke: FC St. Pauli

Artikel wurde veröffentlicht am
04 April 2022
Spielergebnis:
1:0
Zuschauerzahl:
25.000
Gästefans
2000

Ligen

Inhalt über Liga
2. Bundesliga
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Nein

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J
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Ein toller Abend
G
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Super duper
G
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Geil
Ein absolut geiler Spielbericht. DAS ist Fußball und Leidenschaft!
H
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Top!
Kleine Anmerkung: Der Torjubel (2x Mal) war nicht nur bis Güstrow zu hören, sondern in der ganzen Republik (Dank Schallverstärker in Trier und anderswo). Weiter so. Dein Bericht ist super geschrieben.
F
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Jawohl, sehr gut!
G
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Man spielt noch in Aue und Ingolstadt, da sollten die nötigen Punkte eigentlich locker drin sein. Bingo.
G
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G
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