Alles zu seiner Zeit! - Piotr Reiss` junge Wilden zerlegen Wronki

Alles zu seiner Zeit! - Piotr Reiss` junge Wilden zerlegen Wronki

Ich wohne mittlerweile vor den Stadttoren von Poznań, habe aber meinen Friseur weiterhin noch in Poznań. Das ist ziemlich praktisch, da ich so noch andere Sachen nebenbei erledigen kann. Heute stand beispielsweise ein weiterer Schritt in Richtung „Komplettierung von Poznań“ an, Ground Nr. 10. Die Bimmelbahn brachte mich also nach Górczyn, ein nettes Viertel am südlichen Stadtrand. Ich wohnte hier viele Monate. Fußball gibt es hier gar nicht, dafür mehrere Kirchen, Parks, Militärfestungen, ein Arbeiterviertel und das alte Bahnhofsgebäude von Poznań-Górczyn. 

Es gleicht einem Lost Place. Sogar die vergilbte Gardine hängt noch herunter. Die vielen Raben und der Geruch von Abgasen und Schornsteinrauch erschaffen eine irgendwie typisch polnische Herbst-Atmosphäre. Wenn ich da an Schlesienfahrten in der kalten Jahreszeit denke, dann kehrt wieder dieses Bild ins Gedächtnis zurück. Oldschool. Einfach geil! Überall hat sich Poznań und im Allgemeinen Polen entwickelt. Polens wirtschaftlicher Aufschwung der letzten Jahre hat so manches unschöne Relikt architektonischer Art verschwinden lassen. Doch der dortige Bahnhof konnte dieser Entwicklung standhalten. Eigentlich könnte das Gebäude abgerissen werden, denn der Ticketschalter befindet sich ein paar Meter neben diesem funktionslosen „Beton-Greis“. Somit hatte ich jedenfalls einen netten Empfang und das ein oder andere Foto-Motiv.

Ich mache jetzt mal einen kleinen Sprung: Der Haarschnitt kostete 40 zł, die dudelnde Entspannungsmusik traf meinen Geschmack und meine Laune und vor allem Haupt waren jetzt bestens für den Fußballabend vorbereitet. Ein schöner Kurzhaarschnitt! Klischees müssen ja schließlich bedient werden! Da ich noch genau zwei Stunden bis zum Anstoß an der ulica Warmińnska hatte, wählte ich den kostengünstigen Fußbus. 4,5 Kilometer sind ja nun kein Hit. Ich kam am alten Platz von Poznaniak und der Arena vorbei, mit welchen ich einige angenehme Gedanken aber auch traurige verbinde. Ich hatte es nicht mehr geschafft, das Poznaniak-Stadion zu kreuzen. 

Coole Hallenturniere erlebte ich dagegen in der Arena. Nun wurde es schon dunkel. Bei Ankunft war es dann schon recht finster. Ohhhh! Blaues Flackern? Policja? Gästefans aus Wronki? Leider war dem nicht so. Das Flackern kam scheinbar von einem kleinen Weihnachtsmarkt. Ein Stand in Sportplatznähe offerierte u.a. Bier, warme Suppen, Tee und Kaffee. Ohne mich! Ich bin da einfach zu geizig, zumal ich eh kein Bier trinke. Das Flutlicht strahlt und auf dem wirklich nun sehr spartanisch eingerichteten kleinen Sportplatz fand sich 40 Minuten vor Anstoß neben mir auch schon der nächste deutsche Groundhopper ein. Grüße nach Essen! 

Und nun rein ins Vergnügen nach siebenminütiger Verspätung! Das sportlich mittlerweile schon unbedeutende Spiel auf Level 6 wurde von einer jungen Dame geleitet, die keine Scheu davor hatte, sich die pöbelnde Gästebank zur Brust zu nehmen. Ja, Respekt hat sie sich im Laufe des eher langweiligen Spiels ziemlich eindeutig verschafft. Chancen waren Mangelware, dennoch stolperten beide Mannschaften in Hälfte 1 irgendwie den Ball über die gegnerische Linie. Halbzeitpause. Die Reihen lichteten sich deutlich. Von 20 Zuschauern blieben nur vier übrig. Der Rest wärmte sich in den Autos auf oder verschwand gänzlich. Mit Fan-Aktivitäten war hier nun wirklich leider gar nicht zu rechnen. Anwesend war ein gut angesoffener Typ mit einem Schal von Notec Czarnków, welche zuvor bei KS Wiara gewannen. Das ist überspitzt ausgedrückt Polens 2G-Regel: gut gelaunt und/oder gut einen im Tee. Der Typ hatte seinen Rucksack gar bis obenhin mit Bierbüchsen gefüllt. Da war einer durstig! 

Es ist Schade, dass sich nach dem Wegbruch vom alten Amica Wronki in Sachen Fanszene nichts mehr entwickelt hat. Der Ursprung von Błękitni Wronki geht bis auf das Jahr 1921 zurück. Danach folgten unzählich viele verschiedene Namen. Das Häufige Wechseln ist Gift für eine feste Fanbasis. Dazu kam dann noch die Fusion mit einem anderen kleinen Verein eben hin zu Amica Wronki. Błękitni wurde dann wieder reaktiviert. Mit dem Verein Amica Wronki assoziiere ich nicht nur ein nettes Stadion, sondern auch eine richtig gute Vereinshymne, die selbst den Greifswalder Studenten gefallen hat, die ja nun meist auf der Mainstream-Welle schwimmen. Im Lied mit einer wirklich mega einprägsamen Melodie heißt es: „Solange Wasser in der Warta fließt, solange führt Amica seinen erbitterten Kampf fort!“ Wenn man dann noch weiß, dass Amica (lat. Freundin) der Name einer Waschmaschinenfirma ist, dann stellt sich die Frage, ob der erbitterte Kampf gegen schmutzige Teller oder dreckige Wäsche gemeint ist. Aber ich finde das Lied geil. Unter „Amica Wronki + hymn“ sollte man problemlos im Netz fündig werden. „Bis zum Umfallen spielen wir, jeden besiegen wir“, so endet der Vollständigkeit halber die erste Strophe. Ein Ohrwurm. Damals kaufte ich mir sogar die CD.

An Unterhaltung gab es hier also gar nichts. AP Reissa (abgeleitet von Piotr Reiss, auf dem Platz für u.a. Fürth, Hertha, Duisburg, Lech, Warta) ist praktisch das polnische Pendant zu „Förderkader Rene` Schneider“. Die Jungschen traten dann auch wesentlich sicherer in Hälfte 2 auf. Ein abgefälschter Heber nach der Pause leitete die Auswärtsniederlage von Wronki ein. Das 3-1 in der Schlussphase machte die Pleite defekt. Mittlerweile war es schon ziemlich ungemütlich kalt und die Luft eklig nass. Dadurch, dass auch die zweite Hälfte verspätet begonnen wurde – das muss man erstmal schaffen -, verpasste ich ziemlich eindeutig meinen Bus. Der nächste Bus kam eine Minute zu früh, das reichte aber für eine Pufferzeit von einer Minute, die dann wirklich noch für das Erreichen Anschlusszuges ausreichte! Wahnsinn!     

Bericht & Fotos: Michael  

Artikel wurde veröffentlicht am
28 November 2021

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