Hansa Rostock vs. Dynamo Dresden: Dem Murmeltier gehört der Arsch versohlt!

Hansa Rostock vs. Dynamo Dresden: Dem Murmeltier gehört der Arsch versohlt!

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Mir lag was verdammt schwer im Magen. Und das waren nicht die beim Paddenwirt gereichten Fleischspießchen. Auch nicht die zwei Schwarzbier und die zwei, drei Obstler, die Glück bringen sollten. Es war diese 63. Minute. Diese verflixte 63. Minute. Dieses Gegentor zum 2:1 für Dynamo Dresden. Dieser anschließende Jubel vor dem Gästeblock. Die eingeblendeten Dynamo-Fans, die vor Freude völlig abgingen. Boah ey, was für ein blödes kack Tor. Ich muss es einfach so sagen. Sorry. Nach dem hereingebrachten Ball köpfte Panagiotis Vlachodimos platziert ein. Einfach so. Wie im Training. Wie auf einer Playstation. Wat weeß ick. Hansa-Keeper Kolke kippte vor Schreck nach hinten um, und der Torschütze hielt sich den Finger vor den Mund. Rutschte anschließend auf den Knien und ließ sich feiern. Ich fühlte mich ohnmächtig wie einst vor - sagen wir mal - 25 Jahren, als ich am liebsten in aller Regelmäßigkeit den Röhrenfernseher zertreten hätte, als es mal nicht so lief wie es laufen sollte.

Der Paddenwirt hätte mich am Schlaffichten genommen, hätte ich am vergangenen Samstag sein bestes Stück - sprich, seinen schmucken Flachbildfernseher - zertrümmert. Aber es war so schwer zu ertragen. So schwer wie lange nicht. Man ist ja in die Jahre gekommen. Ich bin altersmilder geworden. Nicht mehr ganz so heißblütig. Dieser Jubel von Vlachodimos war jedoch ein Stich ins Herz. Er tat richtig weh. Aus meiner Warte gibt es einige Vereine, die ich bei weitem mehr hasse als die SG Dynamo Dresden, doch bei dieser Partie juckte bereits der Finger. Das Smartphone lag bereit. Statusmeldung: „Fi*** Euch, Ihr Sachsen***“. War ich brassig. Muffig. Enttäuscht. Traurig. Verbittert. Das mit der Statusmeldung auf WhatsApp oder Facebook ließ ich dann aber doch lieber. 

Ich versuchte, das Ganze mit erhobenen Kopf zu ertragen. Noch nen Schwarzbier, noch nen Obstler, noch ein Fleischspießchen. Als dann sieben Minuten später Julius Kade - schon wieder solch ein Misttor - auf 3:1 für Dynamo Dresden erhöhen konnte, verspürte ich nur noch Ohnmacht. Nee, oder? Wieder 1:3 verlieren im Ostseestadion?! Und jährlich grüßt das dynamische Murmeltier. Das gibt’s doch nicht! Es gab kein richtiges Aufbäumen mehr. Obwohl noch 20 Minuten zu spielen waren. Was hatte Hansa in den letzten Minuten nicht alles gebogen in der vergangenen Saison?! Nun aber Pustekuchen. Es schien, als sei das 1:3 von oben besiegelt. Die Stimmung war am Nullpunkt. Die im Fernsehen zu hörenden Fangesänge der Gästefans waren schwer zu ertragen. Bis zum 1:3 gaben die Hansa-Fans alles, ließen die Ränge beben. Verständlich, dass dann ein stückweit die Luft raus war. Verdammte Axt. Verfluchtes Murmeltier. Dir müsste man das Fell abziehen!

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, gegen einen Gegner viermal hintereinander das gleiche Ergebnis zu erzielen? Wir blicken zurück: 29. November 2014. Es war jener Tag, an dem ich morgens mit dem gewissen Bauchgefühl nach Warnemünde düste und dort die Dresdner in Polizeibegleitung zum Teepott spazieren sah. Beim späteren Spiel brachte Mathias Fetsch die SGD mit 1:0 in Führung. Nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich durch Julian Jakobs legte Mathias Fetsch noch zwei Treffer nach. 3. Oktober 2015. Marco Hartmann machte das 1:0 für die SGD, Christian Dorda unterlief in der 75. Minute ein Eigentor, José Ikeng machte in der 89. Minute den 1:2-Anschlusstreffer für den FCH, eine Minute später machte Pascal Testroet das 3:1 für Dresden. 21. November 2020. Christoph Daferner, Marco Hartmann und Ransford-Yeboah Königsdörffer brachten Dynamo mit 3:0 in Front, Pascal Breier gelang nur noch der Ehrentreffer. 

Eine Rostocker Führung gab es nicht in den besagten Spielen. Auch am vergangenen Samstag nicht. Nach nicht einmal einer Minute erzielte Heinz Robert Mörschel den Führungstreffer für Dresden. Wie, das möchte man gar nicht beschreiben. Einfach zu bitter. Richtig knorke war der Ausgleich kurz vor der Pause von Streli Mamba. Satt unter die Latte. So muss das sein! Im späteren Verlauf wusste er nicht mehr so recht zu überzeugen. Das 1:2 und 1:3 waren einfach nur derbe, was die Entstehungsgeschichte betrifft. Da hatte in der Verteidigung nix gepasst. Und während ich da so vor mich hinschmollte im Kneipchen an der Berliner Nikolaikirche, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Nicht auszudenken, wenn es solche Gegentore gegen den FC St. Pauli zu sehen geben würde. Vielleicht erinnerte mich auch die Art des Jubels von Vlachodimos an ganz bittere Momente gegen diesen Verein aus Hamburg. Da kriegste ja echt arges Bauchgrimmen.

Nach diesem Spiel wollte ich eigentlich gar nix schreiben. Aber irgendwie muss das Ganze doch verarbeitet werden. Hansa Rostock machte die letzten Monate echt zu schaffen. Nix 0815. Immer was für das schwache Nervenkostüm. Blut und Wasser. Bier und Obstler. Was war das für eine verrückte Rückrunde. Mit dem Sahnehäubchen in Form des so lang ersehnten Aufstieges. Man hätte den VfB Lübeck ja auch locker mit 5:0 wegknallen können. Aber nee, das musste ja spannend und dramatisch bleiben bis zur letzten Sekunde. Schön zittern bis zum Abpfiff und danach hübsch fertig sein. Dolle Wurst. 0815 läuft auch in der frischen Saison nix. Erste massive Aufreger in Sachen VAR beim Heimspiel gegen den Karlsruher SC, auch verfolgt vor der beim Paddenwirt hängenden Flimmerkiste. Oder besser gesagt Flimmerscheibe. What ever.

Mit Krücken ging es dann nach Hannover. Mannschaft und Fans rockten das Ding. Der Torjubel hallte weit über den Maschsee hinweg. Mit 3:0 verputzte Hansa Rostock die 96er. Der Oberknaller war dann das Pokalspiel gegen Heidenheim. Als kleine Truppe schauten wir diese Partie in einer anderen Kneipe. Ich schneite zur Halbzeit rein, und dann konnte es losgehen. Bei den Toren wurden Bier und Kirschlikör verschüttet, und der Wirt bekam die Krise. Totale Ekstase dann beim 3:2 in der 119. Minute. Irre, einfach irre. Den DFB-Pokal wollte man in diesem Jahr nicht soooo wichtig nehmen, sagte man sich. Der Klassenerhalt sei wichtiger. Aber wenn ein Pokalspiel solch einen Verlauf nimmt, brechen dann doch alle Dämme. Im Stadion und in der Kneipe. Wir feierten und soffen bis Mitternacht. Stuttgart kann nun kommen.

Nach einem soliden 1:1 im Ligabetrieb in Heidenheim beim „falschen“ FCH folgte nun das Heimspiel gegen Dresden. Gegen die Sachsen müsste doch daheim mal der viel zitierte Knoten platzen. Tat er aber nicht. Vielmehr platzte einem der Kragen. Aber hey, vor einem Jahr gab es in er Hinrunde auch ein lausiges 1:3 gegen die SGD. Was danach folgte, wissen wir ja alle. 

Wann es eigentlich den letzten Heimsieg gegen die SG Dynamo Dresden gab? Am 9. April 2011! Vor 24.200 Zuschauern erzielte damals Robert Müller den Treffer des Tages nach einer Viertelstunde. Damals spielte noch Kevin Pannewitz für den FCH, in der 72. Minute wurde er eingewechselt. Traurig aber wahr, dies war der einzige Hansa-Sieg in der Neuzeit. Seit 2006 gab es bislang 13 Aufeinandertreffen in der 2. Bundesliga und in der 3. Liga. Sicherlich ein Highlight war das Wiedersehen nach 13 Jahren Pause am 22. Februar 2006, als sich abends um 18 Uhr im alten Rudolf-Harbig-Stadion 18.700 Zuschauer eingefunden hatten und die legendäre Botschaft mitgeteilt wurde: „20 Uhr - Lennéplatz - 1.500“. Apropos, das Rückspiel am 14. Mai 2006 ging auch 1:3 verloren. Die Torfolge war die gleiche wie am vergangenen Samstag.

Zumindest einen gefühlten Sieg gab es auswärts am 19. März 2016. Nachdem es bis zur 82. Minute 1:0 für Dresden hieß, unterlief Marco Hartmann ein Eigentor. In der 87. Minute brachte Robert Andrich die SGD wiederum mit 2:1 in Führung. Und dann geschah schier Unglaubliches! In der 90. Minute machte Maximilian Ahlschwede den Ausgleichstreffer klar. Welch ein brachialer Jubel im Gästeblock. Gänsehaut und feuchte Augen. Das war einfach mega. 

Schauen wir einmal weiter zurück. In der legendären gemeinsam Erstligasaison 1991/92 konnte Hansa Rostock daheim mit 3:0 gewinnen. Jens Wahl, Michael Spies und Florian Weichert schossen am 19. Oktober 1991 die Tore. Das Rückspiel konnte der damalige 1. FC Dynamo Dresden mit grünem Wappen mit 2:1 für sich entscheiden. Michael Spies brachte die Kogge mit 1:0 in Front, Sven Kmetsch und Dirk Zander drehten vor 13.000 Zuschauern die Partie.

Unvergessen aus Hansa-Sicht bleibt selbstverständlich der 4. Mai 1991. Ausgerechnet gegen Dynamo Dresden wurde der erste Meistertitel in trockene Tücher gebracht. Damals hieß es mal andersrum: 3:1 für Hansa Rostock. Juri Schlünz (2x) und Henri Fuchs schossen ganz Rostock, eine ganze Region ins Glück! 

Im anderen Sinne unvergessen blieb der 4. November 1988. Zwar konnte Dresden mit 5:0 gewinnen (Torsten Gütschow machte drei Buden), doch auf den Rängen sorgten die Hansa-Fans für eine Überraschung und brachten einiges Material an sich. Wilde Zeiten. Nach dem Spiel war auf den Straßen noch einiges los. Unter anderen wurde ein Fahrrad in die Frontscheibe eines zufällig vorbeifahrenden Autos geworfen. 

Sportlich hatte seit Mitte der 1960er Jahre meist Dynamo Dresden die Nase vorn, doch gab es auch Überraschungssiege der Jungs von der Ostseeküste. So zum Beispiel am 21. Mai 1983, als Hansa in Dresden mit 4:1 gewinnen konnte. Vor 21.000 Zuschauern waren es Axel Schulz, Christian Radtke, Andreas Zachhuber und Frank Rillich, die den Sachsen hübsch was einschenkten. Den zwischenzeitlichen Ausgleich erzielte ein alter Bekannter: Ralf Minge. Im heimischen Ostseestadion konnten die Rostocker am 11. Dezember 1965 einen klaren Sieg feiern. Noch als SC Empor Rostock wurde Dynamo Dresden mit 4:0 weggeputzt. Und ja, es war tatsächlich das letzte Spiel als Empor Rostock! Am folgenden Spieltag wurde damals am 12. Februar 1966 als F.C. Hansa Rostock der FC Rot-Weiß Erfurt mit 2:0 bezwungen.

Geschichte wurde geschrieben - Geschichte wird geschrieben. In Bremen, gegen Darmstadt, in Nürnberg, gegen Schalke, in Kiel, gegen Sandhausen und ganz, ganz wichtig am 23. Oktober 2021 am Millerntor… Und was das dynamische, immer wieder grüßende Murmeltier betrifft, so darf es jetzt endlich mal pennen gehen…

Buchtipp: Einiges zu den Aufeinandertreffen von Hansa Rostock und Dynamo Dresden ist im 512-seitigen Wälzer „Kaperfahrten - Mit der Kogge durch stürmische See“ nachzuschlagen, so zum Beispiel von den Partien am 4.11.1988, 22.02.2006, 23. Mai 2015 und 19. März 2016. Als Bonbon gibt es hinten ein knackiges Interview mit Baldi und NB-Frank zu lesen, in dem es unter anderen über die alten Zeiten des Hansa-Fanclubs Udopia und das Auswärtsspiel in Dresden am besagten 4. November 1988 geht. Das Buch ist direkt beim Herausgeber / Autor Marco Bertram - auf Wunsch mit persönlicher Widmung - bestellbar: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! 

Weitere Infos zum Buch gibt es auch auf der privaten Webseite: www.marco-bertram.de

Fotos: Heiko Neubert, Marco Bertram, Matthias, frontalvision.com

> zur turus-Fotostrecke: F.C. Hansa Rostock

 

Artikel wurde veröffentlicht am
24 August 2021
Spielergebnis:
1:3

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2. Bundesliga

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G
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Was ich Dresden schon seit Ewigkeiten hasse
Du hast es soooo auf den Punkt gebracht, es erscheint so, als ob die es noch heute feiern, dass die gewonnen haben, und, als ob die schon jetzt den Meister der 2. Liga gewonnen hätten!! Dass dieser Typ die Verletzung gegen Rizzoto auch noch gefeiert hat, ist der Höhepunkt des Ganzen. Dass die massig Dresdner 8m Hansa Forum auf Instagram sich dazu selbst gefeiert haben, ist dazu noch der blanke Hohn!!! Unfassbar!!!
SA
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G
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Immer wieder...
Ein kompakter, aufschlussreicher und geil geschriebener Rückblick. So muss Recherche aussehen liebe Medienvertreter!
Mit Herzblut dabei, enthusiastisch und voller Euphorie. Keine negativ zusammengepuzzelten Brocken die man "irgendwo" aufgegriffen hat. Danke lieber Marco!!!
H1
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G
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