Dass mich dieser Verein irgendwann noch wahnsinnig machen wird, habe ich mittlerweile wahrscheinlich schon oft genug erwähnt. Und trotzdem schafft er es immer wieder, auf diese ganzen (letztendlich positiven) Dramen, die wir vor allem in den letzten Monaten erleben durften, noch eins draufzusetzen. Ich könnte jetzt wieder mit sämtlichen Superlativen um mich werfen, aber so richtig verarbeitet hab ich das, was da am Sonntagabend in unserem Ostseestadion passiert ist, wohl immer noch nicht, was dazu führt, dass mir immer noch die Worte fehlen.
F.C. Hansa Rostock vs. 1. FC Heidenheim: Ein Torjubel wie ein Erdbeben
HotIm Prinzip galt es, sich gegen einen soliden bis sehr guten Zweitligisten bestmöglich zu verkaufen und vielleicht für eine Überraschung zu sorgen. Man war sich aber einig, dass ein Sieg in der Liga eigentlich der wichtigere wäre. In Gedanken an dieses geniale Spiel gegen Stuttgart vor ein paar Jahren hätte ich natürlich auch nichts gegen die Wiederholung eines Pokalerfolgs in der ersten Runde gehabt. In der Liga reicht ja dann fürs erste auch ein Unentschieden. Dass das Spiel aber Szenen hervorbringen sollte, die selbst den Jubel zum 2:0 gegen Stuttgart damals in den Schatten stellen sollten, ahnte ich noch nicht, als ich pünktlich zum Anpfiff meinen Platz einnahm.
In der regulären Spielzeit tat sich Hansa zunächst schwer, musste sich gegen läuferisch starke Heidenheimer regelrecht in das Spiel reinkämpfen. Nach dem doch recht frühen Rückstand behielt man aber die Ruhe und belohnte sich – vielleicht auch mit etwas Glück, dass der Schiri ungünstig stand – mit dem Ausgleich. Die wenigen zwingenden Aktionen beider Seiten brachten nicht den gewünschten Erfolg, sodass es in die Verlängerung ging. Da ich mit Hansas Pokalspielen, die über die 90. Minute hinausgingen, bisher eher weniger gute Erfahrungen gemacht hatte, hielt sich meine Begeisterung über die zusätzlichen 30 Minuten dezent in Grenzen.
Was dann kam, schwankte dann mehrfach zwischen „Typisch Hansa“ und „Hansa macht Nicht-Hansa-Sachen“.
Früh in der 1. Halbzeit der Verlängerung fällt das 2:1 für Hansa und schon jetzt könnte man meinen, dass das Ostseestadion kurz gebebt hat. Die Stimmung anschließend war trotz der Anspannung, die man vielen anmerkte, wirklich richtig gut. Was mich dann aber vorerst endgültig vom Hocker riss, war das Hansa Forever, was dann in der Pause der Verlängerung angestimmt wurde und ohne irgendwelche Nebengeräusche durch das Stadion hallte. Wer da nicht zumindest ein bisschen Gänsehaut hatte, dem kann ich auch nicht mehr helfen.
Apropos vom Hocker reißen… man landete doch relativ schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen, als die Heidenheimer es tatsächlich schafften, nochmal auszugleichen. Da war er dann, dieser „Typisch Hansa“ Gedanke. Jetzt fing wieder das große Zittern an und die meisten haben wahrscheinlich wie ich einfach nur gehofft, dass man sich jetzt wenigstens noch ins Elfmeterschießen rettet und nicht noch in der 120. Minute die Butter vom Brot nehmen lässt. Mein persönliches Horrorszenario ging sogar so weit, dass Kevin Müller, der in seiner Zeit bei uns einen ganzen Elfmeter gehalten hat (da war dann übrigens der Nachschuss direkt drin), zum Helden des Elfmeterschießens wird.
Aber auch daraus wurde zum Glück nichts. Der Blick auf die Uhr, der gefühlt im 20-Sekunden-Takt erfolgte, verriet mir, dass die 120 Minuten eigentlich bald vorbei sein müssten. Groß Grund zum Nachspielen gab es auch nicht wirklich. Ich weiß, dass ich regelrecht erleichtert war, dass der Ball weit in der Heidenheimer Hälfte war. Dass dann Löhmannsröben in der 120. Minute den Ball irgendwie in den freien Raum zu Riedel stocherte, der dann erstmal ganz viel Zeit und Platz hatte, beruhigte mich noch mehr. Mit der Beruhigung war es dann aber schlagartig vorbei, als dann von eben jenem Julian Riedel die Flanke seines Lebens vor das Tor der Heidenheimer kam. Auf den ersten Blick etwas zu lang und aufgrund der Tatsache, dass sich neben dem Torwart, der sich in der richtigen Ecke befand, noch zwei Abwehrspieler dort tummelten, nicht leicht zu nehmen für Munsy, der das Ding aber trotzdem mit dem Kopf zwischen Müller und dem kurzen Pfosten im Tor unterbringt.
Was dann folgte, war ein Torjubel, der so emotional und vor allem brachial war, dass man wirklich kurz Angst um die Statik des Stadions haben musste. Viel mehr Worte finde ich dazu dann auch nicht mehr. Dieser Moment, in dem der Ball ins Tor flog, war einfach nur unbeschreiblich und die Szenen danach absolut geisteskrank. Ich lehne mich auch mal aus dem Fenster und behaupte, dass diese Situation in der 120. Minute im Zusammenspiel mit der doch recht stattlichen Zuschauerzahl, der Reaktion der Mannschaft und vielleicht auch der Tatsache, dass man in den letzten anderthalb Jahren nur viel zu selten vergleichbare Momente im Stadion feiern konnte, diesen Moment für alle, die dabei waren, einfach unvergesslich machen wird.
Bei all dem Jubel ging aber irgendwie unter, dass das Spiel noch nicht vorbei war. Trotz zweier brenzliger Situationen, die noch zu überstehen waren, verging die Zeit bis zum Abpfiff, der dann nochmal bejubelt wurde, wie bei anderen Vereinen wahrscheinlich nicht mal Tore bejubelt werden, irgendwie wie im Flug. Es konnte und sollte einfach nicht sein, dass dieses Märchen ein weiteres Kapitel bekommen sollte.
Ich schüttel jetzt noch den Kopf, wenn ich mich an diese Szenen erinnere, weil es immer noch einfach surreal und vor allem gar nicht hansatypisch ist, was da passiert ist. Es sollte einfach einer dieser Tage sein, an dem man für all den Mist, den man über Jahre mit Hansa durchgestanden hat, entschädigt wird. Diese Emotionen können kein Youtuber und kein Pay-TV dieser Welt auch nur ansatzweise wiedergeben. In der Nacht darauf war an Schlaf nicht wirklich zu denken. Hoffen wir, dass wir uns das alles, was da am Sonntagabend passiert ist, bewahren und mit in die Liga nehmen. Die Saison wird schwer genug… das werden wir sicher am Sonntag beim Spiel in Heidenheim direkt wieder zu spüren bekommen.
Aber bis dahin sind noch ein paar Tage, in denen wir diesen Moment und dieses Gefühl einfach auch mal genießen können. Hansa ist das Leben!
Buchtipp: Der irre 2:0-Sieg gegen den VfB Stuttgart, der legendäre Aufstieg im Frühjahr 1995 in die 1. Bundesliga, die fliegenden Fische in Hannover im April 2005, die Vorfälle in Stendal im Februar 2006, das 4:4 beim KSC, das 4:3 in Aachen, die Zweitligazeiten in den frühen 90ern, zahlreiche Anekdoten aus ferner und jüngerer Vergangenheit - all dies ist im 512-seitigen Wälzer "Kaperfahrten - Mit der Kogge durch stürmische See" nachzulesen. An diesem Werk mitgewirkt gaben rund 20 Hansa-Fans. Das Buch (auf Wunsch mit persönlicher Widmung) ist noch auf Lager und ist direkt beim Herausgeber / Autor Marco Bertram bestellbar: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Greift zu - Band II ist bereits in Arbeit! Weitere Infos zum Buch gibt es auch auf der privaten Webseite: www.marco-bertram.de
Bericht: Ein langjähriger Hansa-Fan *Zwinkersmilie*
Fotos: Aumi, Matthias
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