Fortuna Düsseldorf Fußballfibel: Viel Freud und Leid und ganz nah dran

Fortuna Düsseldorf Fußballfibel: Viel Freud und Leid und ganz nah dran

 
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„Ich hab gehört, du hattest vorgestern Stress? Ich habe dir was mitgebracht!“ Plötzlich lag eine orangefarbene Eintrittskarte auf der Werkbank. Stephan Hanke, der später unter anderen beim FC St. Pauli *hüstel* gespielt hatte, machte damals im September 1991 gemeinsam mit mir die Ausbildung zum Elektroniker und saß in der Werkstatt neben mir. Na ja, was heißt Stress? Beim DFB-Pokalspiel TSV Bayer 04 Leverkusen vs. 1. FC Köln - es war mein allererstes Spiel in meiner zwischenzeitlichen Wahlheimat am Rhein - fand ich mich ausversehen mit frisch gekauftem LEV-Schal im Gästeblock wieder, und nach der brisanten Partie, bei der im H-Block eine Würstchenbude abgefackelt wurde, jagte mich eine Gruppe Kölner den Willy-Brandt-Ring entlang. Was für ein Einstand in meinem Fußballleben! Zu DDR-Zeiten war ich nur zwei-, dreimal bei Bau Marzahn zu Gast und sah knüppelharte Freundschaftsspiele im Betriebsferienlager, als die ORWO-Jungs gegen eine tschechische Auswahl antraten. Nach dem Mauerfall waren das Schülerländerspiel gegen England und das Heimspiel von Hertha BSC gegen eine Weltauswahl meine ersten Spiele. Der Fight gegen Kölle war also mein erstes DFB-Pokalspiel, und mein erstes Bundesligaspiel sollte das der Werkself gegen - nun kommt´s - Fortuna Düsseldorf sein.

Tribüne West, Aufgang F1, Reihe 10, Sitz 47 für 30 Deutsche Mark. Mit einem Stempel wurde „Ehrenkarte“ aufgedruckt. Für mich gab es das Ticket gratis. Danke, Stephan! Nach dem Derby gegen die Kölner nun gleich noch ein Rheinisches Duell. Ich hoffte auf eine ähnliche Brisanz wie beim Pokalfight. Der Nachmittag wurde allerdings erkenntnisreich. Rund 11.000 Zuschauer, ein dürftiges 1:1, ein eher spärlich gefüllter Gästebereich, der sich im Gegensatz zum Spiel gegen Köln nur auf den Block G beschränkte. Eins war mir auf Anhieb klar. Nicht jedes Bundesligaspiel ist ein Festmahl. Und das Sitzen ist für den Arsch! Ich wollte dabei sein im Trubel und nicht irgendwo auf der Haupttribüne rumsitzen wie Falschgeld.

Womit wir beim Autor der „Fortuna Düsseldorf Fußballfibel“ wären. Julian Rieck wollte ebenso immer voll dabei sein und nicht irgendwo abseits sitzen. Anders als in meinem Fall kam er bereits als Kind in den Genuss, höherklassigen Fußball zu sehen. Während ich beim Spaziergang mit den Eltern in den 1980er Jahren nur mal kurz am Sportplatz Waldesruh stoppte, um das Treiben der BSG Bau Marzahn zu begutachten, ging es für ihn bereits im Alter von acht Jahren zu den ersten Bundesligaspielen - und zwar bei der SG Wattenscheid 09. Wie jetzt? Wir erinnern uns: Anfang der 1990er Jahre war Wattenscheid mit von der Partie. Und da sein Freund Gerd ein Wattenscheid-Fan war und den Spieler Jörg Bach persönlich kannte, begann die Fan-Karriere von Julian Rieck ebenfalls im Lohrheidestadion. Geschockt war Julian, als in der Sportschau doch tatsächlich erzählt wurde, dass Dirk Bach das fulminante Weitschusstor schoss. Ein Blick auf die Panini-Karte. Wie konnte man bitte schön Jörg Bach mit dem kleinen dicken Mann mit Halbglatze verwechseln?!

Ausführlich berichtet Julian Rieck in seinem Buch über seine Kindheit und präsentiert auch seinen ersten sportjournalistischen Gehversuch im Jahre 1994. Im Alter von zehn schrieb er in seinem Spielbericht: „… Dieter Frey kam dann noch zum 0:3. Aber die SG Wattenscheid gab nicht auf. Mein Freund Jörg Bach erzielte noch ein wunderschönes Tor zum 1:3 Endstand. …“ Nun denn, der 1984 in Düsseldorf geborene Julian wurde dann noch ein Jahr Fan des Hamburger SV. Wie es dazu kam, soll allerdings an dieser Stelle noch nicht verraten werden. Fakt ist, zu Fortuna Düsseldorf kam Julian über Umwege, doch ohne Frage wurde es dann die große Liebe des Lebens. Das Praktische: Auch Jörg Bach wechselte im Sommer 1995 zur Fortuna. Es fügte sich also alles, was sich fügen musste.

Auf den folgenden 180 Seiten - das Buch kommt mit 212 Seiten in dieser Reihe überdurchschnittlich dick daher - geht es Stück für Stück durch die einzelnen Spielzeiten. Da der Autor stets selbst Fußball gespielt hatte, spürt man als Leser, dass Partien stets fachmännisch analysiert werden konnten. Eingeschoben wurde ein kurzer Rückblick auf alte Zeiten - Stichwort EC-Finale in Basel 1979 und historische Finalspiele der Deutschen Meisterschaft -, doch letztendlich geht es im Buch vor allem um die 25 Jahre, bei denen Julian Rieck mehr oder weniger hautnah dabei war. Was das „mehr oder weniger“ bedeutet? In jüngerer Vergangenheit weilte Julian eine Zeitlang in Chile und beobachtete von dort das das Geschehen in seiner Heimat. Und in der Ferne kam die Erkenntnis. Wann hatte die Fortuna eigentlich mal einem anderen Club den Aufstieg oder die Meisterschaft versaut, als es für F95 um nichts mehr ging? Oder wann wurde ein 0:3 noch in einen Sieg verwandelt. Ich zitiere: „Selbst als sie am Tag ihres 100. Geburtstags 1995 in Rostock ein 0:2 in ein 3:2 verwandelte, hatte Thorsten Judt Mitleid und machte kurz vor Schluss per Eigentor das 3:3.“

Passend dazu sind auf der Rückseite der Fußballfibel folgende Worte zu lesen: „Der größte Erfolg von Fortuna Düsseldorf war eine Niederlage. … Dieses Auf und Ab hat sich auch in der Selbstvergewisserung des F95-Anhangs als tiefes Misstrauen gegen jegliche Art von Erfolg, Überheblichkeit, Glück und Euphorie eingeschrieben.“ Was hatte die Fortuna nicht alles durchgemacht allein in den vergangenen 30 Jahren, als ich stets ein Blick auf das Fußballgeschehen hatte. Von der 1. Bundesliga einmal runter in die Oberliga - und dann wieder im Durchmarsch zurück in die 1. Bundesliga, um dann Ende der 1990er Jahre wieder in Liga zwei zu landen.

So kam ich Anfang der 1990er in den Genuss das besagte Erstligaspiel in Leverkusen zu sehen und wenig später die Zweitligapartien im alten Rheinstadion gegen den Chemnitzer FC, den 1. FSV Mainz 05 und Hertha BSC zu genießen. Zweimal stand ich unter dem Dach im Block 36, gegen die Berliner suchte ich ein Plätzchen im Gästeblock. Es war jenes Spiel, als mir ein besoffener Hertha-Fan von hinten an die Beine gepinkelt hatte. In der Aufstiegsrunde der Oberliga gegen TuS Paderborn-Neuhaus fand ich mich wieder zwischen all den Kutten im legendären Block 36 wieder. Das „Sieg heil!“ hatte ich bei jener Partie nicht gehört, doch mit Bier wurde ich geduscht, als am 22. Mai 1994 der Treffer zum 1:0-Endstand fiel. 

Im Neuen Jahrtausend machten die Düsseldorfer auch so ziemlich alles durch. Oberliga, Regionalliga, 3. Liga, 2. Bundesliga, 1. Bundesliga. Langweilig wurde es nie, und demzufolge hat man als Leser wirklich nichts dagegen, dass Julian Rieck vor allem das Sportliche im Blick hatte. Für Fortuna-Fans ist dieses Buch daher wirklich bombig, da wirklich alles noch einmal ganz ausführlich aufleben gelassen wird. Für Alles-Leser dieser Buchreihe mögen auf dem ersten Blick die Fibeln über Eintracht Frankfurt und Partizan Belgrad locker flockiger und demzufolge interessanter wirken, doch lohnt es sich auf die Fortuna-Fibel einzulassen. Der Einstieg ist wirklich überaus gelungen, und im späteren Verlauf kann als Nicht-Fortuna-Fan notfalls auch mal eine Episode übersprungen werden. In jedem Fall gebe ich eine klare Leseempfehlung ab. Es steckt einfach soooo viel Liebe drin. Daumen hoch!

Fotos: Marco Bertram, Marco Hensel, Julian Rieck (Zeichnung)

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Artikel wurde veröffentlicht am
28 August 2020

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