Rot-Weiss Essen: Alles wieder auf Anfang nach Titz Rauswurf?

Rot-Weiss Essen: Alles wieder auf Anfang nach Titz Rauswurf?

Eigentlich wollte ich gar nichts mehr zur Entlassung des Essener Trainers schreiben, denn eigentlich wurde mehr oder weniger alles dazu gesagt ob bei meinen Lieblingsbloggern, im RWE Fanforum oder auch beim lokalen Online-Sportblatt (bei Letzterem mehr oder weniger zufriedenstellend). Aber nun denn, eine Nacht darüber geschlafen und die Gedanken reifen lassen, um im Endeffekt die Entscheidung der Vereinsführung nachvollziehen zu können. Denn auch wenn man die internen Vorkommnisse nicht kennt, die auch zur Entlassung von Christian Titz als Trainer bei Rot-Weiss Essen führten, war auf dem Platz ein sportlicher Trend zu erkennen, der nicht immer logisch war. Rückwirkend betrachtet ist die Freistellung dann nur richtig und konsequent.

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Gut hinterher ist man immer schlauer, kann man jetzt sagen. Also nehmen wir den Schleier des Spektakels (und das waren wirklich einige Spiele), der auch zugegebenermaßen vor meinen Augen vibrierte, einmal ab und schauen genauer auf die Saison, die leider aufgrund der Corona Krise abgebrochen wurde:

Am 5. Juni titelten wir: „Rot-Weiss Essen: Kräftig durchgewischt und auf Los vorgerückt.“ Und dem war auch so. Ein Großteil der alten Mannschaft der Saison 2018/2019 wurde aussortiert inklusive des Trainers Karsten Neitzel. Neue Spieler wurden direkt verpflichtet und dann mit Christian Titz ein neuer Cheftrainer vorgestellt, der reichlich fußballerisches Know-how als Referenzen und zahlreiche Lobeshymnen mitbrachte. Er trainierte erfolgreich die U23 des Hamburger SV und coachte die HSV-Profis von März bis Oktober 2018. Er konnte sie nicht vor dem Abstieg in die 2. Bundesliga retten, aber überzeugte die Fans mit seinem Spielkonzept, das er auch in Essen einführte und damit bei nicht wenigen Fans an der Hafenstraße für Herzrasen sorgte.



Er machte den hochstehenden Torwart zum Feldspieler und auch wenn die (wie in den Testspielen) befürchteten Konterläufe kaum eintraten, war es doch vor allem zu Beginn immer ein wilder 90minütiger Ritt, der meist kurz vor Schluss entschieden wurde und nicht nur Nerven sondern auch reichlich Bier kostete (sehr zur Freude der lokalen Brauerei). Den Auftakt bildete der Last-Minute Sieg gegen die U23 von Borussia Dortmund vor 14.500 Zuschauer und es folgten Wochen der Glückseligkeit inklusive eines Derbysiegs in Oberhausen und eine überzeugende Niederrhein-Pokalrevanche gegen den Drittligisten KFC Uerdingen.



Bis Ende September 2019 marschierte RWE erfolgreich durch die Liga. Die erste Niederlage (mit 4:1 eindeutig ein paar Tore zu hoch), setzte es gegen den SC Verl. Die Ostwestfalen hebelten das System von Titz erstmals raffiniert aus und auch die folgenden Spieltage bei der U23 von Borussia Mönchengladbach und zu Hause gegen Fortuna Köln verloren die Rot-Weissen. Die „Handball-Taktik“ schien nicht mehr aufzugehen. Zwar war das Spiel schnell sowie faszinierend und spielte sich meist in der gegnerischen Hälfte ab, aber für Schönheit gibt es halt keine Punkte.



Die Essener fingen sich zwar wieder und gewannen, aber nicht klar und deutlich, sondern meist erst in der zweiten Spielhälfte. Das RWE Fanzine „jawattdenn.de“ hat nachgerechnet: Wäre jedes Saisonspiel nach 45 Minuten abgepfiffen worden, hätten die Essener nur magere 21 Zähler aus 24 gewerteten Spielen auf der Habenseite. Die RWE Spiele in der abgelaufenen Saison wurden am Ende entschieden und das meist emotional. Wie beispielsweise am 10. November 2019, als Hedon Selishta beim Derby in Wuppertal im Stadion am Zoo in der sechsten Minute der Nachspielzeit netzte, aber auch zwei Spieltage später als Alexander Hahn erst in der 88. Spielminute den Siegtreffer bei der U23 des BVB erkämpfte, nachdem aber zuvor schon ein Treffer des Schiedsrichtergespanns zurück gepfiffen wurde.



Das zeugt von großer Moral und Kampfeswillen, aber ist nicht unbedingt der Taktik zuzuschreiben. Klar für viele Mannschaften der Regionalliga West ist es etwas Besonderes gegen RWE aufzulaufen und sie geben vielleicht mehr als sonst, aber auch gegen solche Teams, die beispielsweise sehr tief stehen und auf Konter lauern muss es ein sportliches Rezept geben. Klar viele Spiele waren zauberhaft und emotional, so dass man schnell das Wichtigste übersah: die fehlende Ideenvielfalt für den letzten Zug zum Tor, wie beispielsweise bei der absolut unnötigen Heimpleite gegen den Aufsteiger VfB Homberg. Zitat aus meinem Artikel vom Freitag den 13. Dezember: „Es braucht keinen Acker von einem Spielfeld, es braucht kein parteiisches Schiedsrichtergespann, es braucht nur eine disziplinierte Abwehrleistung, etwas Glück im Spiel und Kampf bis zum Krampf sowie ein wenig Schauspielkunst am Ende um an der Hafenstraße zu bestehen. Fazit des Abends: Der Abstiegskandidat VfB Homberg aus Duisburg gewinnt beim überlegenen Aufstiegsaspiranten Rot-Weiss Essen mit 2:0 und muss dafür kaum was tun.

Ein Spiel zum Haare raufen, ähnliche Spiele (wie später gegen Haltern) sollten folgen, während die Konkurrenz aus Ostwestfalen (Rödinghausen und Verl) in der Liga so gut wie alles niedermähte. Die Fans hofften aus Ausrutscher der Konkurrenz und die RWE-Spieler auf Spielzeit. Mit einem breiten Kader in die Saison gestartet, fanden sich zur Überraschung der Fans frühere Stammspieler (z.B. Marcel Platzek) oder als Derbyhelden gefeierte (Enzo Wirtz) plötzlich auf der Tribüne wieder. Auch eine gestandene Persönlichkeit wie Dennis Grote, der in der zweiten Bundesliga spielte und maßgeblich am 2019er Aufstieg des Chemnitzer FC in die dritte Liga beteiligt war, wurde erst in den Himmel als „Quarterback“ gelobt und dann aus dem Kader verbannt. Klar die Vergangenheit hat RWE gelehrt (Verletzungen, Sperren) breit aufgestellt in den Aufstiegskampf zu gehen, aber ein wenig Kontinuität hätte sicherlich dem Ideenreichtum des Spiels gutgetan. So stand bei jedem Spiel irgendwie ein anderes Team (bis auf Kevin Grund in der wahrscheinlich besten Saison seines Lebens) auf dem Platz.



Dazu wurde in der Winterpause nochmal nachgelegt. Dabei wurde die größte Baustelle im Sturm aber nicht direkt beseitigt, denn Sturm-Neuzugang Maximilian Pronichev spielte nicht im Sturmzentrum wo er hingehörte, sondern im offensiven Mittelfeld. Dafür glänzte der vom 1. FC Kaiserslautern ausgeliehene José Matuwila bei seinen Auftritten (insbesondere im Derby gegen RWO). Leider durfte er dann plötzlich im Spiel gegen Haltern nicht mehr ran, sondern der völlig überforderte Phillip Zeiger. Das unrühmliche Gekicke in Wattenscheid endete 1:1.


Sicherlich auch Corona geschuldet konnten sich die Neuen nur kurz präsentieren, denn die Saison endete am 8. März 2020 (letztes Spiel in Bonn). Vielleicht hätte Christian Titz noch erfolgreicher nachjustiert und hätte wieder wichtige Punkte geholt (obwohl er ja einer der erfolgreichsten RWE Trainer nach erzielten Punkteschnitt seit zehn Jahren war). Vielleicht hätte sich das gerüchteweise „schlechte“ Verhältnis (durch angeblich fehlende Empathie) zur Mannschaft verbessert. Das weiß man alles nicht. Sein Vertrag lief noch bis 2021 und wurde nun aufgelöst.

Ein großer Schritt des Vereins, aber in der Nachbetrachtung ein richtiger, denn unter den sportlichen (und internen) Voraussetzungen wäre ein Saisonstart ein Risiko und eine spätere Entlassung fataler. Es ist aber auch ein mutiger Schritt. Stellte sich doch der Klub den zu erwartenden und eingetretenen „Shitstorm“ in den sozialen Netzwerken. Das spricht für einen starken Verein mit einer professionellen Führung, die im Hintergrund sicherlich schon längst mit einem Nachfolger von Christian Titz verhandelt, dem neunten Trainer (inklusive Interimstrainer) in sechs Jahren.



Also alles wieder auf Anfang? Na zumindest Ligatechnisch schon. Rot-Weiss Essen bleibt in der "Schweineliga" Regionalliga West. Aber sonst: Ein gestandenes Team steht, dazu wurde der Top-Torjäger der Regionalliga West Simon Engelmann aus Rödinghausen verpflichtet. Dazu steht noch nicht genau fest wann die Saison beginnt und vor allem wie. Je nachdem müsste übergangsweise ein Co-Trainer die Mannschaft übernehmen, denn es stehen noch Halbfinale und Finale im Niederrheinpokal an. Die Austragung dieser Partien steht aber noch nicht fest.

Aufregende Zeiten an der Hafenstraße, aber war es schon einmal nicht aufregend? Wir bleiben dran.

Update 19.06.2020: Christian Neidhart wird neuer RWE-Chef-Trainer. Rot-Weiss Essen wird die Spielzeit 2020/2021 mit Christian Neidhart als neuem Chef-Trainer angehen, dies teilte der Klub mit. Neidhart kommt vom SV Meppen an die Hafenstraße.

Fotos: K.Hoeft

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Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
18 Juni 2020

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