Schicksalssaison 2006/07: Als Münchner Löwen an Essener Hafenstraße gewannen

Schicksalssaison 2006/07: Als Münchner Löwen an Essener Hafenstraße gewannen

Wir schreiben den 1. April 2007. Vor 13 Jahren traf Rot-Weiss Essen im alten Georg-Melches-Stadion vor vollen Rängen auf den TSV 1860 München, und es wurde ein besonders dramatisches Spiel in einer von Pech geprägten Zweitligasaison für RWE - und das 100 Jahre nach Gründung. Der damalige Trainer hieß Lorenz-Günther Köstner. Er hatte von 1982 bis 2014 einige Stationen, bei denen er als Trainer tätig war. Angefangen beim FC Bayern Hof, aufgehört bei Fortuna Düsseldorf. Auf dem Profilbild bei weltfussball.de ist er indes in roter RWE-Jacke zu sehen. Allerdings waren es gerade einmal knapp sieben Monate, in denen er bei Rot-Weiss Essen tätig war. Mitte November 2006 übernahm Lorenz-Günther Köstner den Trainerposten an der Essener Hafenstraße, da RWE aus den bisherigen 12 Partien der Zweitligasaison 2006/07 gerade mal neun magere Pünktchen einfahren konnte. Mit Bravour meisterte Rot-Weiss Essen mit Trainer Uwe Neuhaus und Sportdirektor Olaf Janßen in der Vorsaison den Wiederaufstieg in die 2. Bundesliga, doch in der neuen Saison kam das Ganze gewaltig ins Stocken. Zwar war Uwe Neuhaus in Essen überaus beliebt (bereits als Spieler dort von 1984 bis 1988 aktiv), doch wurde nach dem katastrophalen Saisonstart die Reißleine gezogen.

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Bei der 0:2-Niederlage beim TSV 1860 München am 3. November 2006 saß Neuhaus noch auf der Bank, nach dem folgenden traurigen 0:1 am Dienstagabend vor 9.300 Zuschauern war dann jedoch Schluss. Auswärts in Unterhaching sprang fix der Sportdirektor Olaf Janßen ein, doch auch dieser konnte auf die Schnelle nicht das Ruder herumreißen. Nach dem 1:2 musste mit leeren Händen nach Hause gefahren werden, RWE befand sich bereits auf dem vorletzten Rang. 

Exakt 9.180 Zuschauer im alten Georg-Melches-Stadion wollten am 19. November 2006 sehen, was der neue Trainer Lorenz-Günther Köstner zu bewirken vermag. Rot-Weiss Essen hatte aber wieder kein Glück. In der 23. Minute sah Macchambes Younga-Mouhani die rote Karte, in der 56. Minute musste der Gegentreffer zum 0:1 hingenommen werden. Wieder keine Punkte - RWE steckte in der Zweitligatabelle unten fest. Und auch im darauffolgenden Spiel beim F.C. Hansa Rostock gab es nichts zu holen. Kai Bülow und Marc Steine sicherten am Freitagabend vor 17.000 Zuschauern der Kogge die drei Punkte.

Indes auf Tuchfühlung nach oben war zu jenem Zeitpunkt der TSV 1860 München, der am Spitzentrio Karlsruher SC, Hansa Rostock und 1. FC Kaiserslautern dranbleiben wollte. Nach zehn aufregenden Jahren in der 1. Bundesliga (von 1994 bis 2004) steckten die Münchner Löwen plötzlich fest im Fußballunterhaus. 2005 wurde der Wiederaufstieg als Tabellenvierter denkbar knapp verpasst, im Folgejahr fand sich der TSV 1860 auf Rang 14 wieder! Der Vorsprung zu Dynamo Dresden betrug gerade einmal ein Pünktchen! Bitter damals: Mit 41 (!) Punkten musste Dynamo Dresden den Weg in die Regionalliga antreten. Apropos: Damals noch mit dabei in Liga zwei waren Sportfreunde Siegen und LR Ahlen. 

Aber nicht nur sportlich ging es im Frühjahr 2006 bedenklich zu beim TSV 1860 München. Auch finanziell geriet der Verein in arge Schieflage. Vor der drohenden Insolvenz rettete die Löwen der FC Bayern München, der für elf Millionen Euro die Anteile an der Allianz Arena abnahm. Finanziell vorerst abgesichert wollten die Münchner Löwen in der Saison 2006/07 wieder oben angreifen. 

Vor exakt 13 Jahren kam es schließlich im Georg-Melches-Stadion zum Aufeinandertreffen zwischen Rot-Weiss Essen und dem TSV 1860 München. Für RWE ging es darum, sich endlich mit einem Sieg aus der roten Zone entfernen zu können, für 1860 ging es indes eigentlich nur noch darum, einen einstelligen Tabellenplatz zu sichern. Der Aufstiegszug war inzwischen so gut wie abgedüst. Die Vorsaison war in jedem Fall Drohung genug. Dresden hatte gezeigt, dass man sehr wohl mit 41 Punkten absteigen kann. Noch befanden sich die Münchner Löwen in der Grauzone, würde man jedoch nicht aufpassen, könnte man zwei, drei Wochen später mit unten im Schlamassel stecken. Bei RWE wurden aus den neun kümmerlichen Punkten inzwischen 25 Punkte, die rettende Linie war zum Greifen nahe. Aus eigener Kraft war das Ganze zu packen.

Kein Wunder also, dass das altehrwürdige Georg-Melches-Stadion richtig gut gefüllt war. Auf Heimseite hing an zentraler Stelle das Banner der „Ultras Essen“, im Gästeblock wurde aus klassischen Doppelhaltern das „Cosa Nostra“ gebildet. Prächtiges Frühlingswetter, geile Stimmung - Fußballherz, wat willste mehr?! Laut hallte das „Oh RWE!“ von den Rängen, unten versuchte der neue 1860-Trainer Marco Kurz, der in der Länderspielpause zu den Löwen kam, seine gelb-grün gekleideten Spieler auf die Partie einzustimmen. 

Wer hätte damals gedacht, dass es das bislang letzte Aufeinandertreffen im Rahmen eines Pflichtspiels sein würde? Im Zeitraum 1981 bis 2007 gab es acht Begegnungen in der 2. Bundesliga, und - ich nehme es schon mal vorweg - keine einzige konnte Rot-Weiss Essen für sich entscheiden. Zuvor kam es zu vier weiteren Duellen in den Bundesligaspielzeiten 1966/67 und 1969/70 - am 20. Dezember 1969 konnte RWE das einzige Spiel gewinnen. Und das mit 3:0! Fred Englert erzielte zwei Treffer, Günter Fürhoff steuerte ein weiteres Tor bei. 

Hoffnung auf einen Sieg hatten die RWE-Fans auch am 1. April 2007, schließlich blieb Essen zuvor daheim viermal ungeschlagen. „Kämpft und siegt!“, war auf einem Spruchband zu lesen. Selbstbewusst gingen die Essener vor 16.500 Zuschauern zu Werke, auf der rechten Außenbahn zeigte der quirlige Serkan Calik mal gleich, was in ihm steckte. Nach einem folgenden Freistoß kam Danko Boskovic zu einer guten Möglichkeit, doch der Ball sauste am linken Pfosten vorbei. Und die Gäste aus der bayrischen Landeshauptstadt? Diese kamen erst nach 25 Minuten zu einer nennenswerten Möglichkeit, doch diese vergab Berkant Göktan. RWE blieb am Drücker, vor der Pause setzte Pascal Bieler einen guten Schuss auf das Gehäuse, doch Löwen-Keeper Michael Hofmann war zur Stelle.

So, und nun kommt es wieder das berühmte Phrasenschwein. Machste vorn die Dinger nicht rein, kriegste hinten den Arsch versohlt! Und es kam dick, knüppeldick! In der ersten Halbzeit waren die Löwen mehr oder weniger darauf aus, das Spiel der Essener zu zerstören. Nur 23 Sekunden nach Wiederanpfiff gingen sie dann mit 1:0 in Führung! Puh! Und dabei hatte RWE sogar Anstoß gehabt! Fix hatten die Sechziger den Ball erobert, mit Patrick Milchraum ging es über die linke Außenbahn, dieser arbeitete sich weiter vor und gab den Ball rüber zu Josh Wolff, der quasi nur noch einschieben musste. 

Was dann folgte, kann man sich wohl denken. Rot-Weiss Essen musste kommen, musste öffnen, und für die Gäste ergab sich Raum für schneller Konter. Gesagt, getan, nur fünf Minuten später machte Berkant Göktan von schräg rechts das 2:0 für den TSV 1860 München klar. Das hatte gesessen. Von diesem derben Rückschlag sollte sich Rot-Weiss Essen nicht mehr erholen. Zwar drückte Essen wie wild, doch es wollte einfach kein Treffer gelingen. Es war - wie so oft in Essen - einfach nur zum Haareraufen. Wieder einmal gab es im Georg-Melches-Stadion ein tragisches Spiel zu sehen. Da wurde die erste Halbzeit dominiert, und der Sprung über die rote Linie war zum Greifen nahe, und dann kommt es gleich zu Beginn des zweiten Spielabschnitts so bitter. Ach, Essen!

An der Tabellenspitze festigten indes der Karlsruher SC und der F.C. Hansa Rostock ihre Plätze an der Sonne, indem auswärts mit 2:1 in Paderborn und mit dem gleichen Ergebnis beim FC Carl Zeiss Jena gewonnen werden konnte. Und schau an, das Ernst-Abbe-Sportfeld war damals mit 12.500 Zuschauern ausverkauft! Apropos, Hansa Rostock. Auch dieser Verein gab am Ende jener Saison noch seine Visitenkarte bei Rot-Weiss Essen gab. Zuvor gab es nur in der Zweitligasaison 1993/94 ein Aufeinandertreffen an der Hafenstraße - damals gewann RWE vor gerade einmal 3.500 Zuschauern mit 2:0 -, nun folgte am 30. April 2007 der nächste Streich. 

Ach, was waren das für herrliche Zeiten! Alle freuten sich auf die Touren nach Essen! Dynamo Dresden, Eintracht Frankfurt und nun Hansa Rostock. Es war immer was los! Und was würden wir alle dafür geben, dass RWE endlich mal wieder in der 3. Liga seine Visitenkarte abgibt und es zu knackigen Spielen gegen Vereine mit hochkarätigen Fanszenen kommt. 

16.200 Fußballfreunde wollten damals das Duell RWE vs. FCH sehen. Und apropos „sehen“. Zu sehen gab es zwar keine Tore, das Spiel endete 0:0, doch dafür sorgten die angereisten Gästefans für einen echten Hingucker. Der Block stand quasi in Flammen, im Epizentrum loderten die Flammen meterhoh und es johlten die Massen. Solch einen Brandherd bekam man, auch zu jener Zeit, nicht alle Tage zu sehen.

Der Anblick war skurril. Oben am Dach des Daches befand sich die Werbung „Aluminium aus Essen“, unten im Block rückten die Hansa-Fans von der mächtigen Feuerstelle ab. Es dauerte nicht lange, bis die behelmten polizeilichen Einsatzkräfte in den Block marschierten. Gellende Pfiffe von den Rängen, ein überall ertönendes „Rostock-Schweine!“. Wahrlich, in dieser Partie war wirklich Hitze drin.  Am Ende konnte die Polizei 75 Gästefans in Gewahrsam nehmen.

Und sportlich? Hansa Rostock war weiterhin auf Aufstiegskurs, und unten hatte Essen noch alle Karten in der Hand. Der Rückstand zur Nichtabstiegszone betrug nur zwei Punkte. Es blieb oben und unten spannend. Nachdem Feuerexzess in Essen war die Mannschaft daheim gegen TuS Koblenz völlig von der Rolle und verlor mit 0:3. Rot-Weiss Essen konnte indes überraschend mit 2:0 in Fürth gewinnen. 

Am vorletzten Spieltag riss Rostock wieder das Ruder rum und gewann mit 2:1 beim TSV 1860 München. RWE, das sich nun über der roten Linie befand, hatte es daheim mit Wacker Burghausen zu tun. Wieder strömten über 16.000 Zuschauer ins Georg-Melches-Stadion, und diese gingen richtig ab, als Danko Boskovic nach einer halben Stunde das 1:0 erzielen konnte. Ooooh RWE!!! Und wieder wurde es bitter! Schockstarre, nachdem Nikolas Ledgerwood in der Nachspielzeit den Ausgleichstreffer für Burghausen klarmachen konnte. 

Alles oder nichts am letzten Spieltag. Oben sicherte sich der F.C. Hansa Rostock mit einem 3:1-Sieg vor 29.000 Zuschauern gegen die SpVgg Unterhaching die Rückkehr in die 1. Bundesliga. Unten musste sich dagegen Rot-Weiss Essen mit 0:3 beim MSV Duisburg geschlagen geben. Es war ein schreckliches Szenario aus Sicht des RWE. Man selber stieg ab, der MSV hatte indes denkbar knapp (punktgleich mit dem SC Freiburg) den Aufstieg gepackt. 

Rot-Weiss Essen stieg ab in die Regionalliga, und der weitere Verlauf (kurzzeitig wurde sogar nur noch in der NRW-Liga gespielt) dürfte bekannt sein. Beenden wir das Ganze mit hoffnungsvollen Worten: Möge Rot-Weiss Essen so bald wie möglich wieder gegen den TSV 1860 München und den F.C. Hansa Rostock antreten! Man kann es gar nicht in Worte fassen, wie sehr wir uns auf diese Duelle freuen würden!

Fotos: Claude Rapp, Aumi, Felix, K. Hoeft

 

Artikel wurde veröffentlicht am
02 April 2020

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R
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Mega stark,Mann.Bier kommt.
D
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Sehr gut
G
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A
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G
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