In Berlin rollt wieder der Ball - zumindest im Körnerpark…

In Berlin rollt wieder der Ball - zumindest im Körnerpark…

Mit einer Grätsche und einem folgenden Pressschlag sicherte sich der Lütte den 10:9-Sieg, folgerichtig wurde dieser Erfolg gegen die Alten Herren - oder besser gesagt gegen den Alten Herrn - übereifrig gefeiert. Es sei dem Lütten, der für die Farben Blau-Weiß-Rot spielen wollte, gegönnt. Vorgestern schien die Sonne, und ganz ohne Fußball geht es nun mal nicht. Bevor uns allen in den vier Wänden beim Lernen und beim home office die Decke auf den Kopf knallt, musste es an die frische Luft gehen. Auslauf und Bewegung, aber ganz unter uns. Spielplatz und Bolzplatz waren tabu. Ebenso große Menschenaufläufe. Im Körnerpark in Berlin-Neukölln fand sich ein passendes Stück Grün. Fix wurden Beutel, Schals und Jacken als provisorische Tore ausgelegt - und schon konnte es losgehen. Mit gebührendem Abstand saßen ein paar Spaziergänger auf den Bänken und beobachteten unser Treiben aus dem Augenwinkel. Jetzt ein Schuss mit Effet! Der prall gefüllte Gummiball vollzog in der Luft eine Wende wie einst beim legendären Schuss von Roberto Carlos. Geiles Ding! Bei solchen Flugbahnen hätte sogar ein Bodo Illgner seine Probleme bekommen.

„Corona geht - Syndikat bleibt“, hatte jemand auf die heruntergelassenen Rollläden geschmiert. Zwei, drei Fenster weiter war mit gelben fetten Buchstaben die Botschaft „Open the Borders!“ zu lesen. Au ja, unbedingt! Und all die Schulen, Kitas, Cafés, Kneipen, Opernhäuser, Theater Tierparks und Botanischen Gärten ebenso. Einfach so weiterleben wie zuvor. Scheiß drauf, wenn sich zehn Millionen oder noch mehr Mitmenschen mit dem Corona-Virus infizieren. Oder wie, oder was?

Eine Stunde ließen wir vorgestern den Ball auf dem Stück Grün rollen, und in jenem Moment konnten wir die angespannte Situation ein stückweit vergessen. Allerdings vergaßen wir nicht die grundlegenden Regeln, die wohl jeder einhalten sollte. Als das Eins-zu-Eins-Fußballspiel beendet war, schnappten wir unsere sieben Sachen und setzten uns abseits unter einem Baum und spielten zwei Partien Schach. Kaum zu fassen, aber der zehnjährige Rüpel konnte seinen Papa zweimal überrumpeln. Aber vielleicht lag das auch daran, dass ich nebenbei die Menschen beobachtete, die sich immer mehr im Körnerpark und oben am Geländer tummelten. Nicht immer für sich allein, sondern auch in größeren Gruppen. Wenig später schleppten zwei junge Männer einen Kasten Bier und zwei Pullen Schnaps heran. Dazu ein paar Pappbecher. Gut möglich, dass später auf der grünen Wiese auch mal die Becher untereinander getauscht wurden. 

Als ich ich dann mit dem Sohnemann noch eine Runde durch die Straßen drehte, staunte ich nicht schlecht, wie sorglos sich viele Mitbürger benahmen. Nun gut, ich rammelte mich und die Kinder auch nicht in der Wohnung ein, doch gingen wir bewusst an der frischen Luft unsere eigenen Wege. Auf dem Spielplatz ging es indes hoch her, als sei es das Normalste der Welt, die Kleinsten miteinander auf engem Raum herumtummeln zu lassen. Absurd! Mami und Papi holten sich noch eine Pizza und genossen das schöne Wetter. Home office? Ach was, mache ich heute Abend! Wenn überhaupt.

Okay, okay, den Fingerschwinger möchte ich hier auch nicht spielen. Das machen andere zu genüge. Mich ärgert es nur gewaltig, dass ich in Kürze wohl nicht mehr draußen in einer ruhigen Ecke Fußball bolzen kann, weil tausende Menschen die einfachsten Regeln komplett missachten. Dass es in Deutschland noch kein allgemeines Ausgangsverbot gibt, liegt wohl daran, weil das Wetter sich merklich abkühlte und nicht mehr zum gemeinsamen Bummel zum nächsten Bioeis-Laden lockt. 

Das Gute derzeit: Innerlich fährt man runter, immer mehr runter. Die Spaziergänge durch die ruhigen Nebenstraßen von Neukölln / Rixdorf werden im Gegensatz zum Alltag mit Ruhe durchgeführt. Mal streife ich mit dem kleineren Sohn, mal mit dem größeren Sohn durch das Viertel. Mit beiden gleichzeitig eher nicht, denn dann wäre die Ruhe wieder passé. So aber bleibt genügend Zeit, um sich die Kleinigkeiten anzuschauen. „ZWANG“ steht an verschiedenen Ecken an den Hauswänden geschrieben. An all den Kneipen sind Aushänge zu lesen. „Wegen Corona-Verordnung bis voraussichtlich 20.04.2020 geschlossen!“ An einem kleinen Buchladen durfte sich die bestellte Ware an einem geöffneten Fenster abgeholt werden. Eine gute Idee! Ähnlich wurde in einem Café gleich bei uns an der Ecke verfahren.

Unser Weg führte an einer Apotheke vorbei. Das Desinfektionsmittel aus Eigenabfüllung für 7.95 Euro war bereits ausverkauft. Paracetamol sowie Handdesinfektionstücher (5,45 Euro für zehn Stück) waren indes noch vorrätig. Atemmasken waren jedoch nicht lieferbar. In einem im Netz kursierenden Video beschwerte sich ein Rettungssanitäter, dass solche Utensilien sogar aus ihren Fahrzeug gestohlen wurden. 

Ebenso gruselig ist ein Spruch über dem Eingangstor des Böhmischen Gottesacker: „Christus ist mein Leben - Sterben mein Gewinn“. Auf einem rostigen Schild schrieb jemand „Kein Nachleben für AfD“. Ergänzend dazu auf der Mauer nebenan: „Kein Gott für AfD“. Eine andere Botschaft gab es auf einem Aufkleber, der an eine Laterne angebracht wurde. „Ich liebe mein Leben“. Apropos Liebe. Passend unter einem Aufkleber „Wem gehört Neukölln?“ brachte jemand einen Aufkleber des F.C. Hansa Rostock an. Ein Stück weiter hatte jemand an der Ecke Wipperstraße / Schöneweider Straße ein paar Weihnachtskugeln an den Straßenschildern befestigt. 

Zurück zum Fußball. Gestern war das Wetter bereits trüber und der Körnerpark leerer. Es sollte auf dem besagten Rasenstück eine Revanche geben. Er für Hansa Rostock, ich für Karkonosze Jelenia Góra. Jedoch wurde dieses Mal die Partie unterbrochen. Ein Truppe rückte an und versuchte mit der chemischen Keule die Graffiti an den Rollläden zu entfernen. Im Zuge dessen wurden wir vom Stück Grün verscheucht. Oben sei doch ein Bolzplatz! Ja okay, dieser war zu jenem Augenblick sogar verwaist. Krass nur, wie abschüssig die beiden dortigen Plätze sind. Beim abschließenden Siebenmeterschießen musste der Ball auf dem Punkt mit ein paar kleinen Zweigen fixiert werden.

„Du musst gewinnen, aber kannst nur verlieren!“ Mit diesem und einigen weiteren Sprüchen hatte jemand die Brandschutzmauer eines Altbaus verziert. Genau genommen steht dort auch „must“ geschrieben. Wir ließen auf dem Gummihartplatz noch ein paar Minuten den Gummiball gegen die Zäune knallen - und dann ging es wieder heim in die vier Wände. 

Das Wochenende steht nun vor der Tür. Die drei, vier Stunden Lernen fallen nun für zwei Tage weg. Im Normalfall würde ich nun zwei, drei Spiele raussuchen, zu denen wir gehen würden. Abends auf den Wackerplatz! Ab zum Spiel von Polonia Berlin! Spielen die Hansa Amateure irgendwo im Berliner Raum? Heimspiel des BFC Dynamo? Oder doch zu Blau-Weiß 90? Oder lieber doch mit Kumpel Salto eine Wanderung machen, in einem See anbaden und im Umland ein Spiel mitnehmen? Pustekuchen! Wann und wo werden wir wohl das nächste Fußballspiel live erleben dürfen? Ende April? Ende Mai? Oder gar im Spätsommer? Wer wagt eine Prognose? Eines ist sicher! Das wird ein Gaudi! Das wird ein Wiedersehen! Ich werde zu Polonia gleich nen ganzes Fass Piwo mitbringen! Mit beiden Söhnen werde ich ein erstbestes Auswärtsspiel des F.C. Hansa Rostock II mitnehmen und für Partystimmung sorgen! Aber wir wissen alle - noch liegt alles in weiter Ferne… 

Fotos: Marco Bertram

Artikel wurde veröffentlicht am
20 März 2020

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4 Kommentare
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Kritik
Hallo, folgendes finde ich daneben:
" Zwei, drei Fenster weiter war mit gelben fetten Buchstaben die Botschaft „Open the Borders!“ zu lesen. Au ja, unbedingt! Und all die Schulen, Kitas, Cafés, Kneipen, Opernhäuser, Theater Tierparks und Botanischen Gärten ebenso. Einfach so weiterleben wie zuvor. Scheiß drauf, wenn sich zehn Millionen oder noch mehr Mitmenschen mit dem Corona-Virus infizieren. Oder wie, oder was? "

Ich glaube auch du hast mitbekommen, welche Katastrophe sich in den Camps u.a. in Griechenland anbahnt. Hier sind grausame Zustände, die das Leben dort unmenschlich gestalten lassen. Schon seit langem ist das bekannt und von der angekündigten Rettungsaktion für die Menschen dort kam bisher nichts an. Die hygienischen Zustände dort sind unter aller Sau, von der medizinischen Versorgung und der Schlafsituation ganz zu schweigen. Wenn sich das Virus jetzt dort ausbreitet, was denkst du wie katastrophal die Situation dort werden wird? Hier, was zum Nachlesen, direkt von dort: https://wirkommen.akweb.de/2020/03/wie-die-bewohnerinnen-des-fluechtlingslagers-moria-gegen-das-corona-risiko-kaempfen/

Und du vergleichst den absolut notwendigen Appell, die Grenzen zu öffnen und diese Menschen an einen sicheren ort zu bringen, mit der Schließung von Schulen, Kultur- und Sportstätten? Finde ich nicht angebracht, wirklich gar nicht.

Ich finde , die Politik muss jetzt handeln, um diese Meschen zu schützen. Und zwar wirklich jetzt, sofort. Das hat überhaupt nichts mit den Isolationen hierzulande zu tun, die zwar unser aller Leben beeinflussen, jedoch nicht bedrohen.
Bisschen mehr drüber nachdenken und sich informieren.

Gerne verweise ich noch auf die Petition:
https://www.change.org/p/leavenoonebehind-jetzt-die-corona-katastrophe-verhindern-auch-an-den-au%C3%9Fengrenzen

Alles Gute, bleibt gesund und solidarisch.
P
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N
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