„Krieg dem DFB“: Brot und Spiele. Kampf der Klassen. Die womöglich letzte Schlacht!

„Krieg dem DFB“: Brot und Spiele. Kampf der Klassen. Die womöglich letzte Schlacht!

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Es ist doch gehoppt, äh, gehopst wie gesprungen. Letztendlich geht es seit Menschengedenken nur um das Eine. Um Macht. Um den Kampf um Macht. Um den Erhalt der errungenen Macht. Um die Ausweitung der Macht. Das Geld ist dafür eines der Mittel, und genau deshalb häufen auch Multimillionäre so gern weitere Millionen an. Denn mit 666 Millionen Euro in der Hinterhand lässt sich nun mal Macht besser erhalten und ausbauen als mit 13 Millionen. Der eine möchte mit aller Gewalt das größte Filmimperium aufbauen, der andere will Kanzler oder Präsident werden, manch einer möchte seine Marke zu einer der bekanntesten der Welt machen, wiederum andere möchten „ihren“ Verein in die Pole Position bringen. Mit bloßem Reichtum hat das weniger zu tun, denn um ein Leben in Saus und Braus führen zu können, genügen wahrlich ein paar Millionen. Geld allein macht jedoch nicht glücklich. Und selbst der beste Sex befriedigt manch einen nicht so sehr wie das Gefühl, die Zügel in der Hand zu halten und Macht auszuüben. Und wehe, es kommt einem irgendein armer Futzi daher! Was für Möglichkeiten hat man nicht alle, wenn die nötige Kohle auf dem Konto liegt. Her mit den besten Anwälten. Her mit der medialen Kampagne. Die Durchwahlnummern hat man als Mann (oder Frau) von Rang und Namen stets auf dem Mobiltelefon abgespeichert. 

Das Ganze fetzt jedoch erst richtig, wenn sich die gallischen Dörfer erheben und die Keulen schwingen. Na, denen wird man es aber zeigen! Schaut mal, welche Kaliber ich auffahren kann! Wer seid Ihr denn? Ich bin quasi der Imperator - und Ihr seid der Pöbel! Kawums! Wie jetzt? Ihr liegt noch immer nicht in der Waagerechten und streckt die Füße gen Abendhimmel? Noch ein größeres Geschütz her bitte! Der Einschlag des Geschosses ist beachtlich, doch man glaubt es kaum, die „Gallier“ sortieren sich immer neu. Verrückt! Sie sind einfach nicht kleinzukriegen. Denen hätte man mal im Kolosseum nicht auf den Geschmack bringen sollen, als Masse in den Rausch zu verfallen. Es soll schon vorgekommen sein, dass in römischen Arenen die Senatoren in der Loge vom aufgebrachten Mob zur Strecke gebracht wurden, weil jene die Daumen nach oben oder unten gezeigt hatten…

So ist das mit „Brot und Spiele“. Ihr wolltet die jubelnden Massen. Ihr wolltet die Emotionen. Ihr wolltet die fette Kohle. Das ganz große Geschäft. Ein Geschäft, bei dem die zahlenden, johlenden Massen kontrollierbar und steuerbar sind. Allerdings wurde nicht bedacht, dass Fankultur, regionale Identität und jeweilige Werte viel, viel fester verankert sind in den jeweiligen Fankurve als vielleicht vermutet. Die Fußballfans in den Fankurven sind keine Deppen, die nur in die Arenen trotten, um brav ihren mitunter zig Millionen verdienenden Stars auf dem Rasen zuzujubeln. Das Ganze hat sich in den vergangenen 20, 30 Jahren verschoben. Ein fester Anker ist der Verein als solches geworden. Die Stadt. Die jeweilige Region. Mit ihrer Historie. Mit ihren Eigenheiten. Wertschätzung bekommen vor allem die Vereinsfarben, das Wappen, die Historie des Vereins, die regionale Verbundenheit, die Nachwuchsmannschaften. Wäre dies nicht der Fall, wäre der Profifußball nur noch eine seelenlose Hülle, die sich allein auf der Glotze in Fernost und in den Emiraten vermarkten ließe.

Die regionale Verbundenheit führte dazu, dass die Kurven mitunter noch enger zusammenrückten. Für Baden! Für Schwaben! Für Mecklenburg-Vorpommern! Für die Lausitz! Für Anhalt! Für Berlin-Köpenick! Für Essen! Für Gelsenkirchen! Der Verein ist quasi die regionale Identität - und diese wird in zunehmend schwierigen und stürmischen Zeiten hart verteidigt. Stadtwappen und die Farben der jeweiligen Regionen wurden in jüngerer Vergangenheit immer mehr zentraler Bestandteil groß angelegter Choreographien. Mal mit Pyro, mal ohne Pyro. Ja nach Fasson.

Eines meiner persönlichen Schlüsselerlebnisse war das brachiale „Scheiß Millionäre!“ auf der Dortmunder Südtribüne im Jahr 2005. Der Drops sei nun gelutscht, dachte ich. Der Bogen schien überspannt. Der Profifußball müsste nun ohne eine lebendige Fankultur auskommen. Viele Zuschauer sahen es nicht mehr ein, horrende Eintrittspreise zu zahlen, um unten auf dem Rasen launig spielende Millionäre, die munter von Saison zu Saison von Verein XY zu Verein YZ wechseln und im TV weichgespülte 0815-Kommentare abgeben, auflaufen zu sehen. Die Stimmung war zu jenem Zeitpunkt in Dortmund am Tiefpunkt. Aber entgegen meiner Vermutung wurde sich fantechnisch wieder aufgerappelt. Diese Geschlossenheit, der gemeinsame Support, das Zusammenrücken, die Auswärtsfahrten, das Umsetzen immer größerer Choreos und Pyro-Aktionen - all dies brachte die innere Flamme wieder zum Lodern. Man hatte wieder Bock.

Auch Dank der Zunahme der regionalen Identität an den einzelnen Standorten nahm das bunte Ausleben der Fankultur richtig Fahrt auf. Aus einem Häufchen dauerhaft wild Fahnen schwenkendem Häufchen Ultras, das mitunter alberne Pokemon-Doppelhalter präsentierte, wurde eine Bewegung, die plötzlich eine beeindruckende Wucht hatte, so dass Verband und Behörden langsam Angst und Bange werden konnte. Plötzlich banden sich Fanszenen in die Vereinsarbeit ein, kämpften nicht nur für ihre eigenen Belange, sondern auch um Vereinswappen, um Gedenksteine und für die Aufarbeitung der Historie - und sie stellten auch glasklare Forderungen. 

Plötzlich ließen sich die Fans mit Trikot, Kutte und Schal nicht mehr einfach in den Eckblock der neu gebauten Arenen abschieben. Hier habt Ihr ne Wurst, nen Bier und paar Fanartikel - und gut ist! Nee, so funktionierte das nicht mehr. Die Fanszenen blickten plötzlich über den Tellerrand, präsentierten politische Botschaften und kritisierten geschlossen Dinge, die ihnen nicht passten. Ein echter Graus für den Verband. Wohin sollte das nur führen? Also wurde die Schraube angezogen. Langsam, aber sicher. 

Mit mäßigem Erfolg. Zu groß und geschlossen - und vor allem vernetzt - waren / sind die großen deutschen Fanszenen. Die Fandemo im Herbst 2010 in Berlin war ein erstes großes Ausrufezeichen. Das zweite folgte im Jahr 2012, als das DFL-Sicherheitspapier in aller Munde war. Der Protest in den Fankurven (und mitunter auch auf den Straßen) hatte sich gewaschen. Stimmungsboykott, Solidarisierungsaktionen und nicht zu überhörende Sprechchöre sorgten für reichlich Gesprächsstoff. 

Seitdem sind acht Jahre vergangen. Passiert ist seitdem nicht allzu viel. Also generell schon. Halt wenig, was das Zusammenfinden zwischen DFB und Fanszenen betrifft. Es gab ein paar Versprechungen. Ansonsten aber: Wenig Bewegung. Was den Einsatz von Pyrotechnik betrifft, wurde quasi komplett geschlafen. Anstatt nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, wurde einfach nur versucht, die Strafenkeule zu schwingen. Teils hatte das ja auch ganz gut funktioniert. „Was das wieder kostet?“, stöhnte allzu oft der Otto-Normal-Zuschauer auf den Sitzplatzrängen oder vor dem eigenen Rechner. „Wen man da hätte holen können in der kommenden Sommerpause!“ 

Andererseits gingen bereits damals im alten Römischen Reich die Bürger nicht in die Arenen, um stillschweigend die Kämpfe der Gladiatoren anzuschauen. Erst das Gebrüll, das Gejubel, die herausbrechenden Emotionen, das wilde Gestikulieren und die Wut machten den Arenenbesuch zu dem, was die Römer abgöttisch liebten. In den Logen der Senatoren und Adeligen amüsierte man sich über den plumpen Pöbel auf den Plätzen, auf denen die gleißende Sonne gnadenlos die Nacken verbrennen ließ. Tss, wie die abgehen, wenn unten das Schwert und der Dreizack geschwungen werden! Innerlich aber ließen sich auch die hohen Herren anstecken. Mach ihn nieder! Ja, hau richtig zu! Aber wehe, die hohen Herren fielen beim tosenden Volk in Ungnade, weil Versprechen nicht eingehalten wurden, der Kampf nicht hielt, was er versprach, oder Entscheidungen getroffen wurden, mit denen das gemeine Volk nicht konform ging. Ruckzuck wurden auch vor 2.000 Jahren Veranstaltungen abgesagt und die Zuschauer kollektiv abgestraft. Im Gegenzug kam es, so schrieben Chronisten, zu Straßenschlachten und Verwüstungen. Oder auch mal zum Sturz des jeweiligen Stadthalters oder Senators.

Der Mensch ist wie er ist. Es war doch weiß Gott nicht schwer vorherzusagen, was passieren würden, wenn der DFB wieder zu Kollektivstrafen greifen würde. Im Schulrecht sind beispielsweise Kollektivstrafen (Kollektivhaftung) gegenüber Schülern unzulässig. Und das aus gutem Grund. Juristisch und ethisch sind diese nicht vertretbar. Aber gut. Mit der Ethik ist es so eine Sache. Andererseits verurteilt die unabhängige Ethikkommission des Deutschen Fußball-Bundes die jüngsten Schmährufe gegen einen, sagen wir mal sehr wohlhabenden Mitbürger. Wenn das Kind plötzlich einen Namen bekommt, wird man sehr dünnhäutig. Vor allem, wenn jenes „Kind“ großen Einfluss hat und es finanziell munter sprudeln lässt.

Eigentlich ist es kurios. Denn wie heißt es so schön? Jeder Mensch ist etwas Besonderes und gleich viel wert wie andere. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Somit hätte es in der Vergangenheit unzählige Male Aufschreie und Spielunterbrechungen geben müssen. Wer wurde da nicht alles verunglimpft und beleidigt. Mal mit Spruchbändern, mal mit Sprechchören und Gesängen. Tja, wat willste da machen? Das sind nun mal die Emotionen beim Fußball. Aber nun: Drei-Punkte-Plan tritt in Kraft. Das Gute: Er gilt ja auch bei rassistischen Vorfällen. Das eher weniger Gute: Jetzt gibt es auch ein Höllentheater, wenn bereits auf einem Spruchband eine Wortspielerei oder eine vage Andeutung zu lesen ist. Stadionsprecher und Schiedsrichter agieren nun übervorsichtig. Lieber einmal voreilig eine Durchsage und eine Spielunterbrechung umsetzen als sich später vom Verband einen Klaps auf den Deckel verpassen zu lassen. Und wohin soll das Ganze jetzt führen? Meinte tatsächlich jemand, die Kritik an Verband, an großen Geldgebern und Konstrukten nimmt dadurch ab? Ist jemand der Meinung, die Fanszenen würden sich beeindruckt zeigen von einem möglichen Spielabbruch? Also bitte! Zu lange wehrt bereits der Kampf der Jungs und Mädels aus dem Gallischen Dorf. Lieber würde man das gesamte Schachbrett verbrennen als sich mit den Bauern komplett auf die Grundlinie zu verkrümeln und klein beizugeben.

Die letzte große Schlacht hatte ich bereits in der Folge des DFL-Papieres 2012 vermutet, doch kehrte damals eine gewisse Ruhe ein. Man setzte auf den Faktor Zeit. Dass es nur eine Ruhe vor dem großen Sturm war, dürfte allzu klar gewesen sein. Es hatte sich einfach zu viel angehäuft - aus Sicht beider Seiten. Sommermärchen 2006, die stetig zunehmende Kommerzialisierung, die Sache mit Katar, die Montagsspiele, der unbeugsame Verband auf der einen Seite - die ebenso unbeugsamen, unbequemen Fans auf der anderen Seite. 

Und nun kommt auch noch Corona von der Seite quer. Gut vorstellbar, dass auch in Deutschland recht bald jegliche Großveranstaltungen abgesagt bzw. ohne nennenswertes Publikum über die Bühne gehen müssen. Auch so etwas hatte es einst im Alten Rom gegeben. Eingeschleppte Seuchen sorgten bereits vor 2.000 Jahren dafür, dass Gladiatorenkämpfe für längere Zeit ausgesetzt werden mussten. Geschichte wiederholt sich immer wieder, und man tut gut daran sich mit dieser zu befassen. Wichtiger noch: Es sollte gesprochen werden. Nicht nur übereinander. Miteinander! Und zwar auf Augenhöhe. Wird dies nicht geschehen, können wir uns getrost vom Fußball mit seinen lebendigen Facetten auf den Rängen, getrost verabschieden. Was dann nur bliebe, hatte ich oft genug geschrieben: Der Amateurfußball. Der Sportplatz um die Ecke. Im Heimatort. Komplett back to the roots. Die dortigen Spieler werden uns dankbar sein. Ich mache das heute Abend schon mal und besuche das B-Junioren-Pokalspiel FSV Blau-Weiß Mahlsdorf/Waldesruh vs. Hertha BSC…

Fotos: Marco Bertram, K. Hoeft, Aumi, Marco Hensel

Artikel wurde veröffentlicht am
04 März 2020

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