Karlsruher Erinnerungen: Schäfer raus, Spalier in Dresden, Hanuta auf Paule Beinlich

Karlsruher Erinnerungen: Schäfer raus, Spalier in Dresden, Hanuta auf Paule Beinlich

 
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„Schäfer raus! Schäfer raus!“ Ja, es muss sein. Es kann von mir keine niedergeschriebenen KSC-Erinnerungen ohne das brachiale „Schäfer raus!“ im Leverkusener Ulrich-Haberland-Stadion geben. Man schrieb den 15. Februar 1992, als der Karlsruher SC zu Gast beim TSV Bayer 04 Leverkusen war. Endlich war die Winterpause passé, und der Ball rollte wieder auf den Bundesligaplätzen. Die Werkself spielte oben mit, und Karsten und ich standen in unserer damaligen Wahlheimat Leverkusen mittendrin im Block C. „Ooh, Rot-Schwarz-Rot, wir saufen bis zum Tod. Wir holen den U-U-EFA-Cup und wir werden Deutscher Meister!“ Zwar hatten sich auf den Rängen nur rund 9.000 Zuschauer eingefunden, doch die Stimmung im C-Block empfanden wir durchaus als Italien-tauglich. 

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Während sich auf dem winterlichen Rasen ein heißer Kick entwickelte, fragte ich mich, ob der Typ im KSC-Gehäuse wohl der Sohn vom Trainer sei, wenngleich die Nachnamen unterschiedlich. Oli und Winnie - das passte doch. Dazu die blonden Mähnen und das aufbrausende Temperament. Es ging bei jener Partie hoch her, und als nach einer Stunde der KSC-Spieler Srećko Bogdan vom Schiri Lutz-Michael Fröhlich die rote Karte gezeigt bekam, drehte Winnie Schäfer richtig am Rad. Wie ein Irrer stürmte er über den Platz, um dem Schiri die Meinung zu geigen. 

Währenddessen kochten im Leverkusener Fanblock die Emotionen hoch. Jeder, wirklich jeder riss die Arme hoch und brüllte wie von Sinnen „Schäfer raus! Schäfer raus!“ Im arg leeren „Schmuckkästchen“ hallten die hasserfüllten Rufe richtig derb über den Platz. Wie von Sinnen rissen Bayer-Fans unten am Zaun, der KSC-Trainer war halt eine echte Reizfigur. Dieser starrte kurz in Richtung Fanblock, machte dann einen Scheibenwischer und trabte zurück zur Auswechselbank. Vor dieser warf er wütend seine berühmte helle Jacke auf den Boden. Idiotischer Trainer, idiotischer Torwart, idiotischer Verein, dachte ich nur mit meinen 19 Jahren. Umso mehr wurden die beiden späten Tore von Ulf Kirsten gefeiert. Der 2:0-Sieg war in trockenen Tüchern. „Karlsruh, Karlsruh, wir…“ Nun ja.

Wie bei so vielen Fußballfreunden in jener Zeit änderte sich das Verhältnis zu Winnie und dem KSC schlagartig am 2. November 1993. Der Karlsruher SC trat abends gegen Valencia an, und auch wir enterten den Gemeinschaftsraum des Ausbildungswohnheims in Leverkusen-Schlebusch. Zur damaligen Zeit wurde wirklich jedes Europapokalspiel vor der Mattscheibe verfolgt, jeder deutschen Mannschaft wurden feste die Daumen gedrückt. Wenngleich die Chancen nach der Hinspielniederlage denkbar gering waren, so füllte sich der Raum, und alle waren gespannt, ob der KSC das Ding nicht vielleicht doch noch drehen könnte.

Und - wir wissen es alle - er konnte! Mit sage und schreibe 7:0 fegte die Badener die Jungs aus Valencia vom Platz. Das Spiel wurde bei ran in Sat.1 übertragen und der Kommentator Jörg Dahlmann brüllte beim sechsten Treffer ins Mikro: „Wie aus einem Guss. Eine Sternstunde im Europapokal … Edgar Schmitt! Das ist nicht möglich, es ist unfassbar, unglaublich, ich raff’s nicht, ich we … ich werd’ wahnsinnig hier! Sechs zu Null. Liebe Freunde, ach, was … ist das herrlich. Wie schön kann Fußball sein, wie schön kann Europapokal sein. Lieber KSC, wir danken euch.“ Und der vierfache Torschütze Edgar Schmitt, der in der Woche zuvor einen Autounfall mit vierfachem Überschlag hatte, wurde fortan nur noch „Euro-Eddy“ genannt.

Das war es auch schon aus meiner Sicht. Das Wildparkstadion hatte ich nie besucht, die Stadt Karlsruhe sah ich bislang nur ein einziges Mal. Im Sommer 1991 trampten ein Freund ich von Berlin bis nach Paris und Brüssel, in einer Nacht schlugen wir auf einem Feld bei Bruchsal unser Zelt auf, am Tag darauf erfreuten wir uns an den alten Straßenbahnen in der Karlsruher Innenstadt. Gesehen hatte ich den KSC noch einige Male (bei Union, in Babelsberg, in Münster, in Köln, in Bochum, usw.), doch waren keine echten Schlüsselspiel dabei, die sich dermaßen eingebrannt hatten wie die beiden Partien in den 1990er Jahren.

Neugierig auf die Karlsruher SC Fußballfibel (Band 30 in der Reihe von Culturcon Medien) war ich in jedem Fall. Also nichts wie hin zur Lesung im BAIZ, bei welcher der Autor Peter Dittmann und die Lektorin Nelly Möller auf der Bühne saßen. Die Lesung war gelungen, und im Anschluss verabredeten wir uns zu einem weiteren Bier im BAIZ, um ein wenig zu plauschen. Peter Dittmann wurde 1985 in Karlsruhe geboren, studierte Politikwissenschaft und wohnt seit geraumer Zeit in Berlin. Das erste Mal bei einem Spiel war er im Alter von zehn Jahren (seine Eltern hatten null Interesse am Fußball) - und sogleich sprang der Funke bei ihm über. Das erste Mal im Wildparkstadion - und sogleich wurde er infiziert vom KSC-Virus. Zu jener Zeit ging er mit acht anderen gleichaltrigen Jungs immer auf einem Fußballlatz kicken. Sie riefen aus Spaß den VfB Durlach ins Leben und ließen in roten T-Shirts den Ball rollen. Mit der Farbe wollten sich die Jungs halt ein wenig abheben, und hey, das „VfB“ bezog sich auf den einstigen Vorgängerverein VfB Mühlburg. Oder was dachtet Ihr?

Dass Peter Dittmann ein kesses Kerlchen war, darf auf dem Foto auf Seite 17 bestaunt werden, auf dem er mit seinem Kumpel Daniel zu sehen ist. Mit bemalten Gesichtern waren sie bereit für den Wildpark. Während er in den folgenden Jahren seinen Vater nicht dazu bewegen konnte, ihn einmal in den Wildpark zu begleiten, so war seine Mutter in der Saison 1999/2000 einmal mit von der Partie - und zwar beim Heimspiel gegen den 1. FSV Mainz 05. Sie fand es gar nicht mal so übel. Zuvor musste er im Urlaub in Nordspanien jedoch ein Versprechen abgeben: Einen Tag lang mal auf den Wanderungen nicht vom KSC sprechen, dann würde Mama einmal mitkommen. Gebongt!

Arg in die Hose ging die Sache mit seinem Bruder. Als Peter 21 war, schnappte er sich seinen damals 14-jährigen Bruder und nahm ihn mit zum Auswärtsspiel auf dem Betzenberg. Im Zug musste das Brüderchen mächtig pinkeln gehen, doch ein betrunkener „Sitz-Teufel“ schlief auf dem Klobecken und blockierte somit die Toilette. Mit vereinten Kräften brachen FCK- und KSC-Fans die Tür auf. Nicht nur beim Brüderchen drückte kräftig die Blase. Vor Ort in Kaiserslautern hatte die Polizei keinen Plan, und somit kam es zum Schlagabtausch in Form eines „Bengalo-Pingpong“ an einem Kreisverkehr. Verrücktes Ding beim hitzigen Duell, doch Peters Bruder zeigte sich von jener Fußballsause wenig begeistert. Es sollte sein bislang letztes Fußballspiel gewesen sein.

Beim gestrigen Bierchen im BAIZ berichtete ich von meinen allerersten Fußballerinnerungen als Fünfjähriger (Argentinien vs. Brasilien bei der WM 1978) auf der schwarzen-weißen Mattscheibe. Nun war ich neugierig, wie weit seine allerersten Erinnerungen zurückgehen. Und siehe an, auch er war fünf Jahre alt. Hängen blieb bei ihm das würfelartige Maskottchen von der WM 1990 in Italien. Da fielen mir persönlich sogleich die Panini-Bilder ein, die ich 1982 an meinen Kinderzimmerschrank klebte. Die aus Hanuta und Duplo? Peter musste lachen, denn bei seinen ersten Spielen im Wildparkstadion bekam er immer von der Mama ein paar Süßigkeiten mit für den Weg. Anstatt das Hanuta aufzufuttern, warf er es lieber beim Heimspiel gegen den F.C. Hansa Rostock auf Stefan „Paule“ Beinlich, der zur Ecke oder zum Freistoß antrat.

Und? Schon mal richtig beim Fußball aufs Maul bekommen? So lautete meine Frage nach dem dritten Fläschchen Ale aus Stralsund. Diesbezüglich habe er immer Glück gehabt, erklärte Peter. Allerdings gab es schon die eine oder andere brenzlige Situation. Unvergessen waren die Duelle gegen Dynamo Dresden in der Saison 2004/05. Zu Beginn dieser Spielzeit musste der KSC gleich zweimal im Rudolf-Harbig-Stadion antreten. Am 22. August 2004 im DFB-Pokal, am 17. September 2004 in der 2. Bundesliga. Am Zugang zum Gästeblock standen Dynamo-Fans Spalier und hielten Zettel in die Höhe. „Wanted“. Dazu das Portrait vom Karlsruher Vorsänger. Beide Partien konnte der KSC mit 2:1 für sich entscheiden, und es war für das Rückspiel eine Menge „Holz aufgelegt“.

Als es am 18. Februar 2005 zum Aufeinandertreffen kam, brannte die Luft. Leuchtkugeln sausten durch die Luft, und als eine im Gästeblock inmitten der Dynamo-Fans einschlug, johlte und gröhlte gefühlt das ganze Stadion. Der Mob war in Wallung. Im Rausch. Hunderte KSC-Fans versuchten hinter der Tribüne an die Gästefans heranzukommen. Und ja, an jenem Tag liefen auch Fans mit, die ansonsten eher friedfertig waren und einer Schlägerei aus dem Wege gingen. Logisch, dass sich solche Spiele im Gedächtnis einbrennen.

Überraschenderweise schwenkte unser Gespräch dann in eine andere Richtung. Es wurde festgestellt, dass wir beide uns für Osteuropa begeistern und auch private / familiäre Verbindungen dorthin haben. Das Irre: Als Peter 9 Jahr alt war, nahm ihn sein Vater mit zu einem Festival nach St. Petersburg. Die Sause im Sonderzug von Karlsruhe nach Russland nannte sich „Butterfahrt“, und vor Ort wurde in einem ehemaligen Kinderheim genächtigt und ein Konzert besucht. Das Ganze war nicht nur aus Sicht eines Neunjährigen extrem faszinierend. Verrückt. Mein größerer Sohn ist nun ebenfalls neun, und ich hatte bereits einige spannende Fußballtouren (auch in Polen) mit ihm gemacht, doch auf solch eine lange Tour kam ich bislang noch nicht. Aber okay, mein Plan steht nun!

2009/10 absolvierte er (auf Englisch) ein Semester an der Uni in Warschau und besuchte zu jenem Zeitpunkt zahlreiche Fußballspiele bei Legia und Polonia, aber auch in anderen polnischen Städten. Nach seinem Studium ging er drei Monate nach Donezk, um dort im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes mit ukrainischen Kindern Fußball zu spielen. Später verbrachte er noch drei Monate in Lwiw (Lemberg). Osteuropa hatte ihn wirklich angefixt, und wie der Zufall es wollte, lernte er vor zehn Jahren in Kasachstan durch Zufall Rico Noack kennen, fünf Jahre später riefen sie mit anderen Mitstreitern den „Gesellschaftsspiele e.V.“ ins Leben, der sich ehrenamtlich fußball- und fankulturellen Themen widmet.

Um den Bogen zurück zum Buch „Karlsruher SC Fußballfibel“ zu schlagen, so sei an dieser Stelle eine klare Leseempfehlung ausgesprochen. Enttäuscht wird beim Lesen wohl keiner sein. Egal, ob man nun KSC-Fan ist oder nicht. Das Ganze wurde äußerst unterhaltsam und sympathisch aufgearbeitet! 

Fotos: Marco Bertram, Fabian S., Arne Amberg

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Artikel wurde veröffentlicht am
19 Februar 2020

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Hertha und der KSC
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