Der Pokalabend begann an der Schönhauser Allee mit einer genialen Currywurst und endete sechs Stunden später in den alten DDR-Waggons der U-Bahnlinie 2 mit dragierten Erdnüssen. Sowohl die perfekt gebratene Wurst ohne Pelle, als auch die gebrannten Erdnüsse mit umso mehr Kruste hauten mich echt um und warfen einen gedanklich mal eben locker 30 Jahre zurück. Als ich kurz vor eins im Waggon der Baureihe G (Spitzname Gisela) etwas vom Bier benebelt auf die markanten Lüftungsschlitze an der Decke starrte und ungebremst die in Oschersleben gebrannten und dragierten Erdnüsse in den Mund schob, kamen Erinnerungen hoch, die in den hintersten Ecken des Gehirns verschwunden schienen. Früher in den 1980ern ging meine Oma mit mir am Alex eine Currywurst futtern. „Hier probier ma, ob dir dat schmeckt, Junge!“ Und die Nüsse wurden halt ab und an mal im Konsum nebenan oder in der HO-Kaufhalle am „Hulli“ gekauft. Oder auch mal gemobst. Soll im letzten Fall heißen: In den Regalen gab es immer mal aufgerissene Tüten - und da langten wir vor Ort halt mal frech rein.
BFC Dynamo vs. Tasmania Berlin: Steife Brise, eine Insel und dragierte Nüsse
Dass ich nun wohntechnisch in Friedrichsfelde / Tierpark gelandet bin, machte die Sache noch runder. Bereits als kleines Kind wurde ich immer wieder mal für ein Wochenende oder im Sommer auch mal für zwei, drei Wochen zu meinen Großeltern in der Rummelsburger Straße gebracht. Im Ikarusbus der Linie 8 ging es immer von Waldesruh aus in Richtung Lichtenberg. Logisch, dass auch diese Gegend ein stückweit Heimat wurde, wenngleich manche Ecken aus Sicht eines Kindes recht trau und trist aussahen. Wohlgefühlt hatte ich mich dort in jedem Fall.
Für sage und schreibe 18 Jahre wurde auch Rixdorf in Neukölln eine echte Heimat. Das hätte ich zuvor in den 1990ern im Leben nie für möglich gehalten. Neukölln?! Als im März 2010 der ältere Sohn geboren wurde, ging es mit dem Kinderwagen zum Fußball. Die ersten Stationen waren das Sportforum Hohenschönhausen und der Werner-Seelenbinder-Sportpark, in dem damals Tasmania Gropiusstadt noch in der Landesliga gekickt hatte. Am Eingang musste mir immer ein breiteres Tor geöffnet werden, damit ich mit dem geländegängigen Kinderwagen auch reinfahren konnte. Der Einjährige bekam sein Teefläschchen, der stolze Papa gönnte sich eine Bocki und zwei frisch Gezapfte. Als wenig später der Verein in SV Tasmania Berlin umbenannt wurde, fand ich das richtig dufte. Immer wieder mal schaute ich mit dem Sohnemann, in jüngerer Vergangenheit auch mit beiden Kindern, bei Tasmania vorbei.
Nur zu klar, dass ich am Mittwochabend im Jahn-Sportpark einmal kurz im Gästebereich vorbeischauen musste. Im Heimbereich mit von der Partie waren auch drei befreundete Nürnberger und ein Polonia-Kumpel. An jenem Abend fügte sich irgendwie alles von allein. Schreiberling „Baufresse“ lief mir auch über den Weg. Nach dem Spiel fanden sich alle in der Kneipe „Zur Insel“ ein, in der ich nachts mit Herrn Gläser als letzte die Räumlichkeiten verließ.
Eine harte Schose war jedoch die steife Brise, die brachial über die Ränge des Jahn-Sportparks fegte. Segelwetter in Vollendung! Jetzt auf der Nordsee eine Sause von Helgoland nach Vlieland. Obwohl, selbst einmal rund um Rügen wäre bei solch einer Brise ein echter Gaudi. Das Irre: Der gekaufte Glühwein kühlte innerhalb weniger Minuten ab. Ach, was heißt Minuten. Bereits um die ersten zehn Grad ging die Temperatur auf dem Weg vom Imbissstand zum Sitzplatz runter.
Nur keine Verlängerung heute! Das wird sich wohl jeder gedacht haben bei der forsch blasenden Sabine - oder vielmehr ihren Nachzüglerinnen. Ja, so viel Spaß muss heute mal sein. Aber was soll man sagen? Es sah, je weiter die Parte voranschritt, ganz nach einer Verlängerung aus! Nee, echt bitte, wir können nicht mehr! Der eisige Wind kroch durch jede Ritze. Und was nutzte der Glühwein mit Schuss, wenn dieser in Windeseile ein lauwarmes Gesöff wird. Ist nun mal so. Kalt kann man so was wohl kaum trinken. Apropos. Da muss ich gleich noch mal abschweifen. Heute ist der Tag der Anekdötchen. Neulich saßen ein guter Freund und ich bei einer Partie Schach gemütlich am Kamin beisammen und tranken guten Wein. Frankreich und Serbien waren im Angebot. Die Zeit rann dahin, der Rebensaft floss dahin. Als nichts mehr da war, suchte der besagte Freund in allen Ecken des Hauses nach Nachschub. Nix zu machen! Er kehrte ganz traurig mit einer Flasche Glühwein wieder. Im süßen Rausch probierte er ein Gläschen kalt zu trinken. Och nö, Sachen gibt´s! Aber selbst in diesem Zustand sollte diese grausige Tat nicht gelingen.
Nun aber zum Spiel. Als ich nach 20 Minuten kurz bei den Tasmania-Fans vorbeigeschaut hatte, zeigten sich diese positiv überrascht von der Leistung ihrer Mannschaft. Das hatten sie im Vorfeld nicht gedacht. Dafür waren die Leistungen in der Oberliga-Hinrunde einfach zu durchwachsen. Hinzu kam der etwas überraschende Trainerwechsel in der Winterpause. Auch wenn die Regionalligamannschaft des BFC Dynamo im Jahr 2020 noch keinen Pflichtspieltreffer erzielen konnte, so wurde doch mit einem recht deutlichen Sieg der Weinroten gerechnet.
Deutlich wurde es jedoch nicht. Es wurde vielmehr ein umkämpftes Pokalspiel, bei dem sich die Tasmanen wacker schlagen und bis zur 83. Minute den Kasten sauber halten konnten. Nach nicht mal drei Minuten hätte Tasmania Berlin sogar in Führung gehen können. Der Ball landete bei Emre Demir, und dieser zog sogleich ab. BFC-Keeper Kevin Sommer war jedoch zur Stelle und konnte den Schuss abwehren. Nach einer Viertelstunde versuchte sich Enes Aydin aus der Distanz, doch die Kugel sauste knapp über den Querbalken.
Auf der anderen Seite konnte nach einem Freistoß Chris Reher den Ball im Gehäuse unterbringen, doch stand dieser im Abseits. Die Fahne war oben, und es wurde auch gar nicht großartig diskutiert. Es war halt einen Versuch wert. In der zweiten Halbzeit legte der BFC ein Schippchen drauf. So gab es in der 54. Minute einen prima Spielzug zu sehen, doch der folgende Abschluss sollte nichts einbringen. Schon etwas besser sah es bei einem direkten Freistoß aus, doch der Schuss von Ronny Garbuschewski stellte für den Tasmania-Schlussmann Robert Schelenz keine große Gefahr dar.
In der Folgezeit erhöhte der BFC Dynamo immer mehr den Druck, es ergaben sich Möglichkeiten, und das „Dynamo!“ hallte durch das weite Rund. Und dann! In der 83. Minute wurde der Ball an der Mittellinie zurückerobert, fix ging es in Richtung Gästestrafraum, der kurz zuvor eingewechselte Philip Schulz kam über die linke Seite, und aus spitzem Winkel machte er das Ding gleich selber klar. 1:0 für den BFC Dynamo - der viel zitierte Knoten war geplatzt.
Von diesem Rückstand konnte sich Tasmania nicht mehr erholen, die Luft schien raus, der BFC brachte das 1:0 über die Runden und zog am Ende in das Pokalhalbfinale ein. In der rauchigen Kneipe „Zur Insel“ wurde dann später alles noch mal ausgewertet. Und ja, plötzlich dämmert mir. Zu später Stunde erzählten mir zwei Tasmania-Fans, dass der ehemalige Bundesligaprofi Souleymane Sané (Vater von Leroy Sané) wieder bei den Tasmanen einstigen möchte. Mit dem neuen Trainer Abu Njie, der bereits bis März 2015 dortiger Trainer war, soll es sportlich weiter vorangehen.
Nun denn, in der Insel floss noch das Bier und voller Freude warf ich einen Blick auf die alten aufgestellten Bierdeckel und Biergläser an den Wänden. Sogar ein Glas von Motor Falkensee war mit dabei. Brav dient es als Platzhalter zwischen der BSG Sachsenring und dem F.C. Hansa Rostock…
Fotos: Marco Bertram