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Fußballheimat Waldesruh: Erinnerungen an Bau Marzahn, spannender Sieg gegen Charlottenburg

„Haste heute nach der Schule Zeit?“, „Nee, muss zum Training bei Bau Marzahn…“ Bau Marzahn! Das klang schon richtig knorke. So richtig nach Malocherei auf einem Acker, nach Schweiß und in-die-Beine-holzen. Die Nachhilfestunde mit Marcel musste an jenem Tag im Herbst 1987 wohl oder übel verschoben werden. Bau Marzahn ging bei ihm vor. Fluppe an, rauf aufs Moped gesetzt und zum Sportplatz in Waldesruh gedüst. Gefühlt spielten bei Bau Marzahn nur Kinder und Jugendliche, die wirklich was auf Tasche hatten. Fußball für die Jungs fürs Grobe. Und dabei wurde doch daheim so idyllisch auf dem Sportplatz vor den Toren von Ost-Berlin gespielt. Nix mit Plattenbau Ost in Marzahn. Stattdessen märkische Kiefern so weit das Auge reicht. 

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Waldesruh war ein echter Grenzfall. Die Anfang der 1930er gegründete Siedlung Waldesruh gehörte und gehört zur Gemeinde Dahlwitz-Hoppegarten, doch durften zu DDR-Zeiten die Waldesruher Kinder problemlos auf die 10. Polytechnische Oberschule in Mahlsdorf-Süd gehen. Zudem hatte Waldesruh eine Ost-Berliner Postleitzahl. Ganz früher, als Mahlsdorf zum Stadtbezirk Lichtenberg gehörte, war es noch die 1050. Später wurden Kaulsdorf und Mahlsdorf zuerst in den Bezirk Marzahn und dann in Hellersdorf eingegliedert. Unsere Postleitzahl wurde dann die 1147. Gut zu merken mit dem „4711 Kölnisch Wasser“. Erst später nach der Deutschen Einheit erhielt Waldesruh die Brandenburger Postleitzahl von Hoppegarten. Und auch die beliebte Berliner Vorwahl 030 ging eines Tages flöten. Als Krönchen wurde eines Tages Waldesruh dann auch noch beim VBB Tarifzone C, ist dies aber eine andere Geschichte.

Zurück zum Fußball. Bereits 1931 wurde der Mahlsdorfer Fußball Club 31 ins Leben gerufen. Gespielt wurde damals noch auf einer Wiese nahe des Restaurants Kiekemal. Anfang der 1930er schloss sich der Club dem Arbeitersportverein „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“ an, doch wurden diese Arbeitersportvereine nach und nach von den Nazis verboten. Daraufhin verließen die Mahlsdorfer diese Kampfgemeinschaft und nahmen stattdessen erstmals das „Blau-Weiß“ mit in den Vereinsnamen auf. 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde zunächst als Waldesruher FC und ab 1949 als SG Waldesruh/Mahlsdorf-Süd wieder der Spielbetrieb aufgenommen. Der Sportplatz in Waldesruh war aufgrund der Bombenabwürfe weitgehend zerstört, des weiteren hatten die sowjetischen Truppen das Sportgelände als Schießplatz genutzt. Ein alter Wall am heutigen Platz 3 zeugt noch von jener Zeit. Was nutzte es? Es musste Hand angelegt werden. Es wurde gepflügt und geebnet, anschließend wurden aus Hölzern die Tore errichtet. Laut alten Chroniken wurde von 1951 bis 1954 unter dem Namen BSG Chemie Köpenick gespielt, doch von 1954 bis 1957 wurde der Spielbetrieb eingestellt. Grund dafür war unter anderen der Diebstahl der Tore vom Vereinsgelände.

Am 21. Oktober 1957 gründeten einstige Mitglieder der SG Waldesruh/Mahlsdorf-Süd den Verein als SG Blau-Weiß Mahlsdorf (Süd) neu. Unter diesem Namen wurde bis 1980 gespielt. Im Jahr meiner Einschulung an der 10. POS „Helene Weigel“ wurde „Baurep Marzahn“ der Trägerbetrieb, und somit wurde in den kommenden zehn Jahren als BSG Bau Marzahn der Ball rollen gelassen. 1990 wurde der Verein in FSV Blau-Weiß Mahlsdorf Süd umbenannt, acht Jahre später wurde das „Waldesruh“ wieder in den Vereinsnamen aufgenommen. Zurecht, schließlich befindet sich der Sportplatz in Waldesruh. Die Stadtgrenze befindet sich in Sichtweite auf der anderen Straßenseite. Dort, wo auch einst zu DDR-Zeiten das Trafohäuschen für den Sportplatz stand. Und manch einer wird sich noch dunkel dran erinnern können, dass die Spieler früher rund 500 Meter gehen mussten, um die spartanischen Umkleidekabinen zu erreichen.

Heute schaut selbstverständlich alles ganz anders aus. Vereinsheim und Büroräume können sich wahrlich sehen lassen. Was jedoch nicht gelang, war die Schaffung eines Kunstrasenplatzes auf einem der Hauptplätze. Mit Hilfe einer Spendenaktion wurde versucht, Geld heranzuschaffen, doch gelang es nicht, die komplette Summe bereitstellen zu können. Dies lag auch daran, weil von Seiten des Stadtbezirkes Marzahn-Hellersdorf und der Gemeinde Hoppegarten doch keine in Raum gestellte Geldbeträge ausgezahlt wurden. Somit ist der Sportplatz Waldesruh die einzige Sportanlage im Raum des Berliner Fußballverbandes, der keinen einzigen Kunstrasenplatz besitzt. Somit gibt es im Winterhalbjahr die eine oder andere Schwierigkeit.

Immerhin garantiert die Gemeinde Hoppegarten als Verpächter der Anlage, dass in jedem Fall bis 2027 der dortige Spielbetrieb garantiert ist. Aufatmen konnte der Verein zudem im Frühjahr 2018, als bekannt wurde, dass das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf auf die Nachzahlung von 6.500 Euro verzichtete. Hintergrund: Der Verein wechselte im Jahr 2015 vom Berliner zum Brandenburger Landessportbund, um vom Land Brandenburg Fördermittel für den Ausbau der Sportanlage zu erhalten. 

Die Waldesruher sind echte Grenzkinder. Ob ein Spielbetrieb in Brandenburg Sinn machen würde? Die Fahrwege wären bei weitem länger. Somit wird man wohl unter dem Dach des Berliner Fußballverbandes bleiben. Den gleichen Weg geht im Norden von Berlin der SV Blau-Weiß Hohen Neuendorf. Der direkte Nachbar FSV Forst Borgsdorf (zu DDR-Zeiten in der Ost-Berliner Bezirksliga) nimmt indes am Brandenburger Spielbetrieb teil. Gleiches gilt im Süden für Miersdorf/Zeuthen. 

Während in der vergangenen Saison der FSV Blau-Weiß Mahlsdorf/Waldesruh noch in der Berliner Bezirksliga gespielt hatte, muss in der laufenden Saison mit der Staffel drei der Kreisliga A vorlieb genommen werden. Und auch diese Spielklasse ist bekanntlich kein Selbstläufer, was zuletzt der ambitionierte, von unten aufstrebende FC Polonia Berlin feststellen musste. Schneller als man sich versieht, rutscht man wieder ab in die Kreisliga B. Zuletzt konnte Mahlsdorf/Waldesruh, das unten gefährlich am roten Bereich schnupperte, jedoch Boden gut machen. Bei der SG Blankenburg II gab es ein 2:2, daheim durfte gegen den SC Berliner Amateure ein 2:1 gefeiert werden. 

Am gestrigen Sonntag wurde der Tabellenzweite SF Charlottenburg-Wilmersdorf II empfangen. Ein harter Brocken - und in der Tat wurde es eine enge, spannende Partie. Mit dabei waren bei Mahlsdorf/Waldesruh wieder ein paar ältere Stammkräfte, und mit gutem Einsatz ging es in die Partie. In Führung gingen jedoch in der neunten Minute die Gäste. Haakon Räther traf vom Elfmeterpunkt aus. In der 23. Minute war jedoch der Jubel groß, als Christoph Zander den 1:1-Ausgleichstreffer erzielen konnte. Als fünf Minuten später Tom Fricke auch noch das 2:1 klar machen konnte, kannte die Freude keine Grenzen. 

In der 38. Minute musste SF Charlottenburg-Wilmersdorf II einen Platzverweis hinnehmen, nur eine Minute machte Pablo Yigit Hatiran Zeller das 2:2 klar. Trotzreaktion nennt man so was. Und wie meinte ein Gästespieler so schön? „Wir spielen zwar scheiße, aber wir gewinnen das Ding!“

Halbzeitpause. Zeit, um sich im Vereinsheim einen überaus leckeren Glühwein zu holen. Kein 0815-Getränk, sondern ein frisch erhitzter Glühwein mit Gewürzen und Orangenstücken. Perfekt! Grund genug, um demnächst mal wieder vorbeizuschauen! Vor rund 50 Zuschauern - auch die Gäste hatten ein paar Freunde im Schlepptau - ging es im zweiten Spielabschnitt gut zur Sache. Die Gastgeber zeigten echten Willen. Mal war es ein satter Fernschuss, und mal war es ein Freistoß, der mit Schmackes in die Mauer gehämmert wurde. Der Ball wollte jedoch nicht reingehen. In der Nachspielzeit hatten der FSV Blau-Weiß Mahlsdorf/Waldesruh das Glück des Tüchtigen. Der Pfiff ertönte, Elfmeter für die Gastgeber. Tobias Kern trat zum Punkt und vollendete souverän. Schön zu sehen: Der Jubel blieb im Vergleich zu den beiden ersten Toren im Rahmen. Man wollte somit den Gegner nicht unnötig provozieren. 

Wenige Sekunden später war Abpfiff. Nun wurde sich geherzt, und mit echtem Kohldampf ging es dann ins Vereinsheim, wo für die Heimspieler das Buffet bereitstand. So lässt es sich leben! Kein Vergleich zu den kargen Zeiten als BSG Bau Marzahn. Nun kann man sich vorstellen, wie im Sommerhalbjahr ein Abend nach einem Heimsieg ausklingen gelassen werden kann. Hübsch auf der Terrasse bei dem einen oder anderen Bierchen, den Blick auf die nahen Kiefernwälder und die im Westen untergehende Sonne gerichtet. Fußballheimat. Meine echte Fußballheimat. Hier in Waldesruh bin ich von 1973 bis 1991 aufgewachsen…

Fotos: Marco Bertram, Glenn Dawson, privat

> zur turus-Fotostrecke: FSV Blau-Weiß Waldesruh/Mahlsdorf

Artikel wurde veröffentlicht am
25 November 2019
Zuschauerzahl:
50

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Vereinsmitglied und Zuschauer
Vielen Dank für den Spielbericht und die Geschichtsstunde.
F
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Hab Dank!!
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