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FC Remscheid vs. VfB Frohnhausen: Regnende Hunde und Katzen im „brutalen“ Ground


Remscheid im Oktober: Den ganzen Tag schon regnet es Hunde und Katzen. Und die Angst, diesen historischen Ort wegen einer Spielabsage oder der berühmten Nebenplatzfalle zu verpassen, lässt mich den wackligen Knirps-Imitat-Schirm immer fester umklammern. Vom Bahnhof in Remscheid-Lennep geht es knappe zehn Minuten zu Fuß Richtung Stadion. Die Straße bergab ist ein einziger Rinnsal. Dann endlich erblickt man durch Herbstlaub die alte Tribüne und eine wuchtige Anzeigetafel. Fast noch schöner: Der unverkennliche Soundtrack von typischem Gebolze auf dem Rasen - denn das ehemalige Zweitliga-Stadion punktet mit erstklassigen Bodenverhältnissen, selbst bei Dauerregen. Hier denkt niemand an eine Spielabsage. In Schleswig-Holstein - wo ich herkomme - mit seinen tiefen Marschböden, geht das vielleicht auch schneller. Willkommen im Bergischen Land!

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Der Ground ist einfach nur brutal. Ich kann mich noch genau an ein Mannschaftsfoto aus dem Kicker-Sonderheft zu glorreichen Zweitliga-Zeiten erinnern, als man in zeittypischer Mode vor einer Sponsorenwand in einer der Hintertor-Kurven posierte. Carsten Pröpper, Ingmar Putz und Sigitas Jakubauskas standen da in ihren weiß-blauen Trikots und grinsten in die Kamera. Um diese Kurve hat sich seitdem offensichtlich niemand mehr gekümmert. Laubbäume und Gebüsch bahnen sich ihren Weg durch die Ritzen. Und fast könnte man davon sprechen, die Zeit wäre hier stehengeblieben, wenn der Kapitalismus nicht direkt hinter der Kurve für ein amerikanisches Schnellrestaurant mit Gratis-Blick in das Röntgen-Stadion gesorgt hätte.



Alle anderen Bereiche des Stadions sind zugänglich und recht gut gepflegt. Auf ein paar Bänke der großen, überdachten Tribüne sind nachträglich mal blaue Sitzschalen montiert worden. Ansonsten hat sich hier seit der Stadion-Eröffnung 1981 nicht viel getan. Das Röntgen-Stadion ist ein schönes Beispiel dafür, wie einfach und schön ein Fußballbesuch vor 30 Jahren gewesen sein muss. Kurven, Stehplätze, eine überdachte Haupttribüne. Nur Flutlicht fehlt. Das Vereinsheim ist eine Bretterhütte. Eine freundliche Oma steht dort hinter einer gedeckten Kaffeetafel und verkauft Kuchen und Heißgetränke. Ich bin mir sicher, das war vor 30 Jahren schon aus der Zeit gefallen. Hier und da entdeckt man sogar noch den Schriftzug "BVL 08", wie sich der Verein vor 1990 nannte (BV Lüttringhausen 08). Dann gab es eine Art Fusion mit dem VfB Marathon Remscheid. Es folgte der dritte Aufstieg in die 2. Bundesliga, ehe es steil bergab ging.



Schon seit Jahren soll das Röntgen-Stadion einem Designer-Outlet weichen. Die Verträge sind unterschrieben. Nebenan hat man bereits einen Grandplatz platt gemacht. Scheiß Kapitalismus. Als Ausgleich für das große Stadion, soll sich der FCR einen Kunstrasenplatz mit einem anderen Verein teilen. Was ich aber rausgekriegt habe: Der Verein wehrt sich dagegen und gespielt wird hier ja schließlich immer noch. Was für eine schrecklich zweckorientierte Stadt, könnte einem da in den Sinn kommen. Aber nächste Überraschung: Lennep, das ist die Geburtsstadt von Wilhelm Conrad Röntgen. Alles hört hier auf sein Kommando, sogar das Maskottchen der Remscheider heißt "Rudi Röntgen". Die Altstadt von Lennep hat sich seit den Lebzeiten des großen Physikers nicht mehr wirklich verändert und ist ein echtes Schmuckstück, mit ihren schiefergedeckten Häusern und grünen Fensterläden. Würde es nicht regnen, könnte sich das grad auch wie ein Urlaub in der Eifel anfühlen.



Auf dem Rasen geht es in der Landesliga um die Sache. Zu Gast ist heute der Spitzenreiter aus Essen: VfB Frohnhausen. Auch der FCR hat nach zwei schlechten Platzierungen in dieser Liga Kontakt nach oben. Die letzten beiden Heimspiele hat man verloren, heute will man mit Punkten gegen den Tabellenführer die Wende herbeizaubern. Dieses Vorhaben geht zunächst mal grandios in die Hose: Nach ein paar Minuten zeigt der Schiedsrichter auf den ominösen Punkt und es gibt die Gästeführung on top. Die Essener sind physisch sehr stark und minimieren ihr Offensivspiel auf Konter. Remscheid spielt sehr emsig und unermüdlich, scheitert am Aluminium, hat aber auch ein bisschen Glück, dass Frohnhausen nicht noch ein Tor erzielt.



In der Halbzeit wechsle ich - wie fast immer - die Seite. Auf der großen Tribüne ist etwas mehr los. Remscheid kommt wieder sehr motiviert aus der Kabine. Was ich nicht wusste: Ich bin in einer kleinen Support-Area gelandet. Im ersten Abschnitt war es hier stumm geblieben. Nun peitschen ein paar alteingesessene Stadiongänger den ehemaligen Zweitligisten nach vorne - ich bin mittendrin. Und die Mannschaft hat richtig Bock auf Fußball! Ein Angriff nach dem nächsten wird aufgezogen. Man fragt sich, wie der Gast es an die Tabellenspitze geschafft hat. Die Heimtore sind nur eine Frage der Zeit und nach gut einer Stunde Spielzeit lochen die Röntgenstädter den Ball endlich ein und erlösen das Publikum mit dem Ausgleich. Vielleicht war das Abseits, aber einen Videobeweis gibt es hier zum Glück nicht. Die Show geht weiter, Frohnhausen ist platt. Vorläufiger Höhepunkt: Ein Remscheider drischt einen vermaledeiten Torwartabstoß volley Richtung Tor und trifft den Pfosten - bumm! Gerade mal 200 Zuschauer und 'n paar Flaschen Bier, aber das Röntgen-Stadion ist ein Tollhaus!



Der FCR lässt nicht locker: Nach einer Unaufmerksamkeit fällt der völlig verdiente Führungstreffer! Die jubelnden Spieler sprinten Richtung Zaun und Zuschauer. In der 2. Bundesliga kann das nicht besser gewesen sein. Aber Frohnhausen ist Tabellenführer. Und das eben doch nicht zu Unrecht. Ein paar Minuten verbleiben und plötzlich ist die Moral wieder auf Seiten der Gäste. Mit der einzigen Chance im zweiten Abschnitt, wuchtet ein Frohnhausener den Ball nach einer Ecke per Kopf ins Tor. Rückschläge gehören bei großen Fußballspielen dazu. Den letzten Sturmlauf der Gäste übersteht der FCR und nach dem Schlusspfiff gibt es fast minutenlangen Applaus von uns.

 



Im Vereinsheim ist man sichtlich stolz auf die Historie des Vereins, überall hängen Mannschaftsfotos und Plakate aus großen Tagen. Das Bier ist zehn Minuten nach dem Abpfiff ausverkauft, aber in der Bretterbude liegen noch ein paar ältere Exemplare der Vereinschronik herum. Nachdem ich irgendwie als "Durchreisender" enttarnt werde, darf ich mir eine Chronik als Geschenk einpacken. Ich bekomme sogar noch einen kleinen Wimpel mit, die Oma hinter der Kaffeetafel sagt: "Der ist mal in der Waschmaschine gelandet, aber noch gut". Stimmt. Sonstige Fanartikel sucht man beim einstigen Zweitligisten vergeblich. Trotzdem war das heute einer der besten Groundhopping-Moves, die ich jemals gemacht hab.

Bericht: Matthias Backhoff

Fotos: Matthias Backhoff

> zur turus-Fotostrecke: FC Remscheid


Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
14 November 2019
Spielergebnis:
2:2
Zuschauerzahl:
200

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Landesliga

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