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F.C. Hansa Rostock vs. MSV Duisburg: Wenn Tränen hemmungslos fließen…

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Rückblickend sich selber gefragt: Haste wat verpasst in deinem bisherigen Leben? Nö, eigentlich nicht. Das Lebensmotto „Carpe diem“ verinnerlichte ich seit Jugend an. Nicht genügend Knete für eine Tour in die Ferne? Egal, irgendwie musste das immer gehen. Manchmal richtig hart an die Kante, in jedem Fall hatte es sich immer gelohnt! Aber eine Sache vermisse ich doch im Nachhinein! Ich hatte als Kind zu DDR-Zeiten kein einziges Fußballspiel live in einem Stadion sehen können. Das ärgert mich nicht nur ein bisschen, sondern mächtig gewaltig. Es war doch egal, ob sich mein Herr Papa nicht für den Ostfußball interessierte und er die Bier trinkenden Fans voll peinlich fand. Mensch, einmal hätte er mich doch als kleinen Bub an die Hand nehmen und mit in ein Stadion nehmen können. Einmal! Es hätte ja nicht gleich ein Heimspiel des 1. FC Union Berlin oder des BFC Dynamo sein müssen. Einfach mal mit zu einem Bezirksligakick, als wir irgendwo im Urlaub waren. Aber nein, daraus wurde einfach nichts. Zudem gab es das oftmals erwähnte Verbot. Da gehste mir nicht allein hin! Das gibt nur Stress! Und wehe, Kollegen von mir sichten dich dort, dann kannste dir richtig ne Pfeife anstecken! 

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Na und? Als 15-Jähriger büchste ich nachts aus, machte mit Kumpels Waldesruh und Mahlsdorf-Süd unsicher, spielte mit Hirschfußmesser und Campingbeil bewaffnet in den Wäldern vor den Toren in der Dunkelheit wilde Jagden in Alaska und fuhr mit einem Schulkumpel auf dem Moped runter nach KW, um Busblinker zu klauen und anschließend an die Schrauberclique der POS zu verticken. Etwas später schauten mein bester Freund und ich nachts bei den Videopartys der Zehntklässler vorbei und spendierten ne Runde selbstgemachten Johannisbeerwein, um dabei sein zu dürfen, wenn die Actionfilme und Pornos eingeschoben wurden. Mein Vater hätte mich kurz und klein gehauen, wenn er das erfahren hätte. Da hätte ich locker auch zum Fußball gehen können. Wenn Hansa, Lok oder Dresden mal bei Union oder beim BFC antreten mussten. Hatte ich aber nicht - und ich ärgere mich im Nachhinein schwarz.

Immerhin ließ ich ab 1990 nichts mehr aus. Und was die eigenen beiden Söhne betrifft: Diesbezüglich wollte und will ich ein anderer Papa sein. Fußball darf - so lange sie Bock drauf haben - fester Bestandteil des Lebens sein. Sie dürfen sehen, dass Fußball eben nicht nur der Kick auf dem Rasen, sondern so viel mehr ist. Dass sich das eigentliche Fußballspiel so wunderbar mit dem Reisen, mit Freundschaften und einer Menge Spaß verbinden lässt. Was war das für Überredungskunst, als ich die Mama von unserem damals sechsjährigen Sohnemann davon überzeugen musste, dass damals im August 2016 das Jubiläumsspiel F.C. Hansa Rostock vs. 1. FC Union Berlin eine dufte Sache für ihn sei, um das erste Mal großen Fußball im Ostseestadion zu schnuppern. Als das Spiel verloren ging, heulte er wie ein Schlosshund, und als wir nachts in Berlin ankamen, jammerte er in einer Tour, weil er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Aber es war die Sache wert!

Mit ein paar Ausnahmen gab es die vergangenen drei Jahre für ihn meist Amateurfußball. Hübsch langsam an die Sache ranführen. Ihm zeigen, dass auch unterklassiger Fußball eine dufte Sache sei. Auswärts mit den Hansa Amateuren, eine Menge Spiele beim BFC Dynamo, bei der Sp.Vg. Blau-Weiß 90 Berlin, bei Tasmania Berlin und bei dem einen oder anderen Verein im Berliner Umland. Nun war jedoch die Zeit reif, für eine Wochenendsause nach Rostock. Hotelzimmer gebucht und gleich zwei Spiele mitgenommen. Die Kombi aus dem Drittligaspiel gegen den Tabellenführer MSV Duisburg und das Oberligaspiel der Amateure gegen die Sp.Vg. Blau-Weiß 90 Berlin war perfekt.

Ostseeticket gekauft, hinein in den ICE und ein Tisch im Bordbistro belegt. Am Stadion selbst staunten wir, dass der Familienblock bereits ausverkauft war. Machte nichts, somit saßen wir im Block 30 noch ein Stück dichter an der Südtribüne. Ob es heute Pyro gebe, wurde ich gefragt. Eher nicht, lautete meine Antwort. Aber sportlich interessant würde es auf jeden Fall werden. Hoch den blau-weiß-roten Strickschal, als das „Hansa forever“ ertönte. Und dann passierte das, womit ich wirklich nicht gerechnet hatte. Auf der Süd wurden Fahnen geschwenkt, eine Menge Kassenrollen geworfen und überraschenderweise doch ein paar Bengalen gezündet - und bei meinem Sohnemann rollten die Tränen. Ich verstand nicht recht, und auch die Zuschauer um uns herum zeigten sich besorgt. Hat der Kleine etwa Angst vor der Pyro? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, da er beim FC Polonia Berlin bereits zweimal ganz dicht mit dran stand, als ein paar polnische Jungs gezündet hatten. Vielmehr war er emotional überwältigt von dem gebotenen Spektakel. Mit nassen Augen starrte er in Richtung Südtribüne und flüsterte mir zu, dass alles noch viel schöner sei, als er sich vorgestellt hatte. 

Wow! Logisch, dass das mir nun auch richtig nahe ging. Und ich lächelte innerlich, denn wie oft wurden auch als Erwachsener meine Augen feucht, wenn die Stimmung richtig am Siedepunkt und die Dezibelzahl auf Anschlag war?! Gänsehaut, ein angenehmer Kälteschauer, Tränen in den Augenwinkeln. Und das manchmal auch bei ganz anderen Spielen als neutraler Beobachter. Diese geballten Emotionen ließen mich allzu oft kurzzeitig durch einen leichten Schleier blicken. Andere kriegen im Kino feuchte Augen, ich beim Fußball. Wenn es richtig knistert und laut wird. Oder wenn auch entscheidende Tore fallen. Diese extremen Ausschüttungen an Adrenalin und Glückshormonen (manchmal aus Stresshormone) können absolut süchtig machen - und das ist gut so!

Auf ein gutes Spiel! Dachte ich mir. Ein Sitz weiter griff ein Hansa-Fan zu seinem Schal und wischte meinem Sohn die Augen trocken. Später, als der Blick unentwegt auf der Südtribüne haften blieb, klopfte unser Sitznachbar mal kurz lachend an und meinte, dass auf dem Rasen das Fußballspiel stattfinde. Und dieses konnte sich wirklich sehen lassen! Vor 13.732 Zuschauern zeigte der F.C. Hansa Rostock eine der besten Halbzeiten der laufenden Saison. Etwas überraschend bestimmten die Rostocker gegen den Spitzenreiter das Spielgeschehen und kamen zu prima Möglichkeiten. 

Die erste dicke Chance hatte Nico Neidhart, der aus über 20 Metern knapp das MSV-Gehäuse verpasset. Wenig später verpasste auf der Gegenseite Tim Albutat die Möglichkeit zur Gästeführung. Fünf Minuten später lag indes wieder das 1:0 der Gastgeber in der Luft. Während zwei Möwen durch das Ostseestadion kreisten, gab es eine Doppelchance für den F.C. Hansa. Erst schoss Nik Omladic von schräg rechts, dann versuchte Pascal Breier den MSV-Keeper Leo Weinkauf zu überwinden. Allerdings waren beide Schüsse nicht platziert genug. Ein lautes Raunen auf den Rängen, die Südtribüne legte noch ein Schippchen drauf. 

Es war zum Haareraufen! Aaron Opoku versuchte sich von schräg links, Max Reinteiler setzte nach einer Ecke mit dem Kopf den Ball auf das Tor - in beiden Fällen war der Schlussmann der Zebras zur Stelle. Hansa hätte definitiv mit 2:0 oder gar 3:0 in Führung gehen können, ja sogar müssen. 

Nun öffnete das Phrasenschwein wieder mal seinen Schlitz auf dem Rücken. Hinein den Fünfer! Nach der Standpauke des Trainers beim Pausentee zeigte der MSV Duisburg zu Beginn der zweiten Halbzeit eine bessere Leistung. Demzufolge kamen die Zebras auch zu Möglichkeiten. Wenn du vorn die Dinger nicht machst, dann… In der 52. Minute haute der zuvor eingewechselte Lukas Scepanik nach einer Hereingabe von Moritz Stoppelkamp mit einem tollen Seitfallzieher den Ball in die Maschen. 1:0 für Duisburg. Verdammt ärgerlich aus Heimsicht. Jedoch hatten die Rostocker die passende Antwort parat! Nur drei Minuten nach dem Rückstand holte der nachrückende Nikolas Terkelsen Nartey den Hammer raus und besorgte den 1:1-Ausgleichstreffer. 

Etwas später hätte es das 2:1 geben können. Nik Omladic wurde im Strafraum von zwei Gegenspielern in die Zange genommen und kam zu Fall. Mit dem linken Bein hatte Scepanik den Ball abgeschirmt, und dabei kam es zu einer Berührung. Man hätte den Elfer durchaus geben können, doch der Schiedsrichter sah dies anders und ließ weiter spielen. Es wurde in sportlicher Hinsicht kein Glückstag für den F.C. Hansa. In der 82. Minute köpfte Vincent Vermeij auf das Rostocker Gehäuse, und der Ball prallte vom Innenpfosten ab und fand den Weg über die Linie. Im Anschluss versuchte Hansa noch einmal, den zweiten Treffer des Tages zu erzielen, doch gegen nun achtsame Duisburger ergab sich nicht mehr die fette Möglichkeit zum 2:2. 

Unter dem Strich war es keine üble Leistung des F.C. Hansa Rostock. Schade, dass nicht zumindest ein Pünktchen eingefahren werden konnte. So sah es auch der Sohnemann, bei dem allerdings nicht die Tränen flossen. Ziemlich abgeklärt meinte er, dass es wenigstens spannend bis zum Abpfiff blieb. Blöd wäre es doch gewesen, hätte Hansa bereits zur Pause mit 0:3 zurückgelegen. Wohl wahr! Es war eine Niederlage der besseren Sorte. Wenngleich das Ganze aufgrund der tollen Leistung in Halbzeit eins richtig ärgerlich war.

Tränen der Rührung sollten am Samstag dann allerdings noch einmal fließen. Auf der Suche nach einer Futtermöglichkeit streiften wir am Abend zu zweit durch die Innenstadt und sahen plötzlich durch eine Seitenstraße Raketen gen Himmel steigen. Nichts wie hin da - und plötzlich fanden wir uns auf dem vollen Universitätsplatz wieder. Als Finale der Lichtwoche gab es ein fulminantes Feuerwerk zu sehen. Aufgeschultert den Nachwuchs und das Spektakel bestaunt. Als nach dem eigentlichen Feuerwerk auch noch auf dem bunt beleuchteten Platz das „You´ll never walk alone“ zu hören gab, wurden zum zweiten Mal am Tag die Augen feucht. Manchmal passt halt alles - und das exakt 30 Jahre nach dem Mauerfall! Okay, fast alles. Ein Heimsieg hätte die Sache noch runder gemacht…

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: F.C. Hansa Rostock

> zur turus-Fotostrecke: MSV Duisburg

Artikel wurde veröffentlicht am
11 November 2019
Spielergebnis:
1:2
Zuschauerzahl:
13.732

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3. Liga

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Fussball mit den Söhnen einfach das BESTE
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Tränenreich ?
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