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Licht und Schatten: Umgang der Vereine mit Pyrotechnik und die Alemannia-Problematik

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Wir schrieben den 5. August 2019. Noch waren es fünf Tage bis zum großen Heimspiel in der ersten Runde des DFB-Pokals. Gegner war Bayer 04 Leverkusen, und in Aachen war man bereits richtig heiß auf den Pokalfight. Um auch die letzten Alemannia-Fans richtig warm zu machen, schließlich hoffte man auf eine lautstarke Unterstützung von Seiten der eigenen Anhängerschaft, wurde auf YouTube ein Trailer onlinegestellt. Videosequenzen gezeigt wurden vom Landespokalfinale gegen den S.C. Fortuna Köln, das im Nordpark in Bonn ausgetragen wurde. Filmmusik, die Mannschaften liefen auf, ein erstes Mal wurde die Aachener Choreo eingeblendet, im Hintergrund rauchte es bereits, und ab Sekunde 26 wurde voll draufgehalten. Gelbe Rauchtöpfe wurden geschwenkt, es ergab sich aus Sicht vieler Fußballfreunde ein schmuckes Gesamtbild. Am Ende angekündigt wurde ein „DFB-Pokal warm up“ am 8. August 2019 im Apollo Kino.

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Soweit so gut. Es ist nicht das erste Mal, dass Vereine für Werbemaßnahmen oder andere Zwecke Fotos und Videos von Pyro-Aktionen nutzen. Beim 1. FC Union Berlin werden sich Fotos mit roten Flammenmeeren auch schon mal auf Leinwand gezogen und in den VIP-Räumlichkeiten an die Wände gehängt. Sieht ja auch hübsch aus. Und wie ein Alemannia-Fan kürzlich anmerkte, hing auf der Geschäftsstelle von Alemannia Aachen jahrelang ein Foto einer Pyro-Aktion von einem Pokalspiel gegen den SV Waldhof Mannheim. Zudem betitelten die „Aachener Nachrichten“ Fotos von solchen Aktionen schon mal mit „super Atmosphäre“.

Als „super Atmosphäre“ bezeichneten zahllose Fußballfreunde auch das, was die Anhängerschaft der SG Dynamo Dresden beim DFB-Pokalspiel bei Hertha BSC auf die Beine gestellt hatten. Als einer der beeindruckendsten Auftritte im deutschen Fußball, lautete der Tenor. Während der gesamten regulären Spielzeit brannte und rauchte es an irgendeiner Ecke der gewaltigen Gästekurve (über 30.000 Dynamo-Fans waren vor Ort) - die große Kritik blieb indes aus. Zu beeindruckend war das Spektakel, das die schwarz-gelben Freunde auf den Rängen boten. Und schließlich war es nicht eine kleine Ultra-Gruppe, die ihr eigenes Pyro-Süppchen kochte, vielmehr waren es einige Gruppierungen an sämtlichen Ecken der Kurve, an denen Fackeln und Rauchtöpfe abgebrannt wurden, ohne mit diesen unnötig herumzufuchteln und in den Innenraum zu schleudern.

Medienschelte gab es zum Beispiel auch kaum, als mehrfach in Magdeburg der gesamte Block U flächendeckend rot leuchtete. Der Effekt war interessant: War die breite Masse in solch eine Pyro-Aktion mit einbezogen, gab es auch weniger Kritik von anderen Zuschauern. Dies soll jedoch nicht heißen, dass der eine oder andere Fan den Einsatz von Pyrotechnik grundsätzlich ablehnt. Sei es aus sicherheitstechnischen Gründen oder sei es aus finanziellen Gründen, da der Verband im Nachfeld wieder die Hand aufhält und dem Verein eine hohe Strafe aufdonnert.

Anders verhält es sich, wenn der eigene Verein im Nachfeld einer Pyro-Aktion richtig drastische Worte findet und die „VORKOMMNISSE AUFS SCHÄRFSTE VERURTEILT“. Ja, in Großbuchstaben. Wortwörtlich heißt es in der gestrigen Meldung von Alemannia Aachen: „Wir verurteilen es aufs Schärfste, dass mit dieser Aktion Gesundheit und Sicherheit von vielen hundert Fans auf der Tribüne riskiert wurden. Die Alemannia wird die Polizei und die Ermittlungsbehörden uneingeschränkt dabei unterstützen, die Täter zu identifizieren. Ermittelte Täter müssen mit entsprechenden Strafen und ggf. mit Regressforderungen sowie Stadionverboten rechnen. Der Verein, die TSV Alemannia Aachen GmbH, Sponsoren und besonders der Großteil der treuen Alemannia Fans sind nicht mehr gewillt, dieses Verhalten zu tolerieren und dabei zuzusehen wie einige wenige dem Verein immer wieder Schaden zufügen. Aktuell werden Videomaterialien ausgewertet und Gespräche mit den verschiedenen Gruppierungen geführt. Sobald dem Verein ein Gesamtbild über das jüngste Verhalten vorliegt, werden Konsequenzen geprüft und gegebenenfalls eingeleitet.“ 

Das hatte gesessen. Und was folgt? Die breite Masse der Anhängerschaft stellt sich auf die Seite des Vereins und fordert selbst harte Strafen für die aktive Fans, die sich bei der Pyro-Aktion im Kölner Südstadion mit beteiligt hatten. „Raus mit die Viecher!“, kommentierte ein User unter der entsprechenden Meldung auf der offiziellen Facebook-Seite von Alemannia Aachen. „Der Verein muß endlich etwas gegen diese Leute (Idioten) unternehmen. Vielleicht ist dies ein Grund, warum nicht mehr Zuschauer kommen. Stadionverbot und hohe Geldstrafen sind das Mindeste!!! Was für bekloppte Vollpfosten gibt es auf dieser Welt“, kommentierte ein anderer. Und wenn der wütende Sturm der „braven Fans“ erst einmal Tempo aufgenommen hat, dann wird daraus ein echter Tornado. Relativierende Beiträge werden hart kommentiert, und schon bald hat man als Außenstehender das Gefühl, dass mindestens 90 Prozent der Stadiongänger solche Pyro-Aktionen abgrundtief hassen. 

Komisch nur, dass in anderen Fällen das Gefühl genau andersherum ist. Im Berliner Olympiastadion waren kürzlich beim Pokalspiel Hertha BSC vs. SG Dynamo Dresden keine Pfiffe zu hören. Ganz im Gegenteil, später lobten auch zahlreiche Berliner Fußballfreunde die einzigartige Atmosphäre bei jener Partie. Und wie die SGD-Spieler das Ganze fanden? Gute Frage, in jedem Fall wuchsen sie bei dieser Kulisse über sich hinaus und brachten den Erstligisten fast zu Fall. Gefehlt hatten nur wenige Sekunden. Wohl kaum ein Spieler käme dann auf die Idee, die Kurve nach Abpfiff zu meiden, weil ja dort die „Idioten“ das Teufelszeug gezündet hatten.

Letztendlich springen die meisten Fußballfans auf die schärfste Veurteilungsschiene auf, wenn es um das liebe Geld geht. Welchen tollen Stürmer man hätte wieder kaufen können. Was das wieder koste. Was für Strafen von Seiten des DFB auf den Verein wieder zukommen. Auf die paar Ultras könne man schlichtweg verzichten. Und und und.

Ein klares Zeichen dafür, dass die aktive Fanszene von Alemannia Aachen zu wenig Lobby hat. Bei anderen Vereinen würde man wohl kaum auf die Idee kommen, dass man daheim und vor allem auswärts ohne die jeweiligen Ultra-Gruppierungen auskäme. Dass das Geld für die Strafen wieder reinkommen muss, steht indes außer Frage. In manchen Kurven wird einfach stillschweigend mit Büchsen gesammelt oder ein Motto-Shirt verkauft. Manchmal wird für Auswärtstickets einfach ein Euro raufgeschlagen. Dieser wird dann beiseite gelegt und für etwaige Folgestrafen genutzt. Machen wir uns doch nichts vor, in vielen Fällen gibt es hinter den Kulissen Absprachen zwischen Verein und Fanszenen. So wird auch kommuniziert, wenn eine mögliche Aktion an einem Tag X wirklich extrem ungünstig wäre. Dann werden auch schon mal die Füße still gehalten.

Im Fall Alemannia Aachen fühlte sich der Verein zu sehr im Fokus. Die Proteste der Fans beider Seiten gegen den Sender Sport 1 waren im Kölner Südstadion massiv. So musste die Regionalligapartie sogar unterbrochen werden. „Wir pfeifen auf Sport 1“ stand auf einem Spruchband in der Gästekurve geschrieben. Auf die Tränendrüse drückte im Nachgang der Kölner „EXPRESS“. So seien die Trillerpfeifen so laut gewesen, dass sich viele Besucher und sogar der Alemannia-Trainer die Ohren zuhalten mussten. Und dabei sollte es doch so ein toller Fußballabend werden. Prickelnde Derbystimmung unter Flutlicht. Kritik an der Anstoßzeit? Fehlanzeige von Seiten der Zeitung. Vielmehr wurde von einem erneuten Eklat gesprochen, als kurz nach der Pause in der Gästekurve Pyrotechnik gezündet wurde. Demzufolge waren auch die Proteste gegen Sport 1 (lautes Pfeifen und geworfene Tennisbälle) ein Eklat. 

Zurück zur Meldung von Alemannia Aachen. „Anstatt mal gemeinsam gegen den Verband vorzugehen... Nein, da wird ein Keil zwischen die Fans geschoben. Geht garnicht sowas!“, schrieb ein User aus Köln. Der Kommentar eines anderes Fans lautete wie folgt: „Es ist so lächerlich wie ihr "Normalos" auf die Ultras schimpft!!! Wer fährt zu jedem Auswärtsspiel egal wie weit und zu welcher Uhrzeit? Genau, die Ultras, während ihr Großmäuler mit ner Pulle Bier vorm Sport1 sitzt. Und nur in Facebook das Maul auf bekommt!!!“ 

Halten wir fest: Die Karre steckt derzeit richtig tief im Geläuf. In der Regionalliga West hängt Alemannia Aachen im Mittelfeld fest. Rang acht ist der Stand der Dinge, der Rückstand auf Rang eins beträgt 13 Punkte. Mit ziemlicher Sicherheit wird Aachen auch 2020/21 nur viertklassig spielen. Nachdem der Verein zwischenzeitlich sogar in der 1. Bundesliga und im Europapokal gespielt hatte, erfolgte der Absturz in die Viertklassigkeit. Wer war eigentlich Schuld an diesem Desaster? Die aktiven Fans mit Sicherheit nicht. Sportdirektoren, Trainer und Spieler kommen und gehen - die Fans bleiben. Auch in den tristen Niederungen des deutschen Fußballs.

TuS Haltern am See und SV Bergisch Gladbach 09 statt Borussia Dortmund und FC Bayern München. Eine harte Nuss für einen Verein mit solch einem Namen und solch einer Tradition. Und trotzdem kommen gegen die Amateure aus Gladbach über 5.000 Zuschauer ins Stadion. Es ist doch lächerlich zu behaupten, es kämen mehr Fans, wenn nicht die „dummen Ultras“ solche Aktionen starten würden.

Und wenn mal wieder der Baum brennt und der Verein finanziell vor dem Abgrund steht? In wie vielen Fällen haben genau diese Ultra-Gruppierungen Aktionen gestartet, um Gelder zusammenzubekommen? 2012 hieß es noch „Liebe kennt keine Grenzen“. Wieder einmal musste gesammelt werden. Manch einer gab quasi den letzten Cent für seinen Verein. In der taz ist in einem Bericht vom 10. Dezember 2012 zu lesen: „Die Stadt fühlt sich „belogen, betrogen und über den Tisch gezogen“ und erstattete Strafanzeige gegen Kraemer, die Aufsichtsräte und die Wirtschaftsprüfer. Offenbar wurden Altlasten kreativ versteckt. Der Oberbürgermeister spricht von „krimineller Energie“. Fans weinen öffentlich. Im Stadion weht das Plakat „Totenkraemer“.

Im März 2017 folgte das nächste Drama. Schuld am Desaster wurde auch den Fans gegeben, die eine „ablehnende Haltung“ gegenüber einer Investorengruppe hatten. „Alemannia verkauft man nicht!“, hieß es damals von Seiten der Fans. Streift man durch die Tiefen des Netzes, so staunt man, was bei Alemannia während der vergangenen zehn Jahre alles los war. Puh, denkt man als Außenstehender, bitter, was die Anhängerschaft alles durchmachen musste. Ein Wunder, dass sich nicht irgendwann die Fans abgewendet und einen neuen Verein in der Kreisliga C (nach dem Vorbild anderer) ins Leben gerufen hatten. Beispielsweise als Aachener TV 1847.

Um zur Pyro und zur Stimmung zurückzukommen. Im Berliner „Tagesspiegel“ war nach dem Pokalspiel Hertha BSC vs. SG Dynamo Dresden zu lesen: „Es war eines dieser Spiele, dass die Mannschaften und auch die Zuschauer an ihre Grenzen brachte. „Das war atemberaubend“, sagte Plattenhardt zum Geschehen auf den Rängen. Dodi Lukebakio gab an, noch nie vor so einer Kulisse gespielt zu haben: „Es war wirklich verrückt.“ Beide Fangruppen unterstützten ihre Vereine mehr als zwei Stunden lang leidenschaftlich, die mehr als 30.000 Dresdner zündeten dabei allerlei Pyrotechnik und Feuerwerk.“

Tja, so geht Berichterstattung auch. Mal so, mal so. Wie es halt passt. Was selbstverständlich niemals passt, ist solch ein Einsatz von Pyrotechnik wie im Gästeblock beim Derby 1. FC Union Berlin vs. Hertha BSC. Das Abschießen von Leuchtkugeln und Werfen von Fackeln auf andere Menschen ist ein absolutes No Go. 

Und was Aachen betrifft: Mal schauen, wann das nächste Mal nach grober Misswirtschaft wieder Spenden erbeten und wann das nächste Mal ach so nette Pyro-Sequenzen in einem Pokaltrailer gepackt werden. Kurzum: Hoffen wir in Zukunft auf einen besseren Dialog zwischen Verein und Fanszene. Einfach nur verbal draufzuhauen hat noch nie etwas gebracht…

Fotos: Marco Bertram, Knipser Köln, Marco Hensel, H.S., K. Hoeft, Fabian S.

Artikel wurde veröffentlicht am
08 November 2019

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Danke.
G
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M
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Perfekt zusammengefasst!
G
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Perfekt formuliert
Der Artikel spiegelt perfekt wieder was da gerade abgeht. Das ist wieder mal die alte Doppelmoral, vor allem zun Thema Pyrotechnik...
BD
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