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Cracovia vs. Jagiellonia Białystok: Pro Gästefan 15 Ordnungshüter

Eigentlich wollten wir zum Krakauer Derby am Wochenende. Weil der eigene Zeitplan allerdings nicht zum Spielplan der Liga passt und das Spiel sowieso schon ausverkauft ist, gibt es ersatzweise ein Spiel im Puchar Polski, dem polnischen Pokal, zu sehen: Cracovia, seines Zeichens aktuell fünfter der polnischen Ekstraklasa, empfängt den Tabellenvierten Jagiellonia Białystok. Für zwei Eintrittskarten für die Gegentribüne sind 50 Złoty (11,50 Euro) fällig, wovon 40 auf die Karte des männlichen Teils dieser Expedition abfallen und 10 auf die Mädchenkarte.

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Für uns beginnt das Spiel erst zehn Minuten nach Anpfiff. Das liegt zum einen daran, dass wir ziemlich knapp am Stadion ankommen und noch versuchen, für die beiden voll beladenen Fahrräder einen Platz zu finden, an dem möglichst viel der Ladung und der Fahrräder selbst erhalten bleibt.

Zum anderen liegt es daran, dass wir noch einen kleinen Spaziergang entlang der Haupttribüne unternehmen, an der wir statt unseres Eingangs ausschließlich Fanshops, Versicherungen und Büros finden. Auf Nachfrage bei den anwesenden Ordnern werden wir zwischen verschiedenen Punkten hin und her geschickt, die jeweils weitestmöglich auseinander liegen. 

Schließlich finden wir heraus, dass es unsererseits ein wenig naiv war, anzunehmen, der Eingang zu Sektor A befände sich direkt neben dem von Sektor B. Tatsächlich ist er nämlich zwischen den Zugängen I und J zu finden. Anfängerfehler. 

Das Spiel läuft also schon als wir unsere Plätze einnehmen, es steht allerdings noch 0:0, weshalb wir mal davon ausgehen, nichts wichtiges verpasst zu haben.

Was als erstes auffällt: im Cracovia-Block hinter dem Tor stehen nicht mehr als 150 Leute - die sind allerdings laut genug für 500. Dass der Capo mit einem Mikrofon und Lautsprechern arbeitet, scheint dennoch etwas übertrieben. Obwohl das Stadion nicht mal halb voll ist, gehen immer wieder Wechselgesänge zwischen Hintertor- und Gegentribüne hin und her, die auch eher den Eindruck vermitteln als wäre das Stadion eher doppelt so stark gefüllt als es tatsächlich der Fall ist. 

Im Gästeblock hingegen herrscht gähnende Leere, die im kompletten Kontrast zu dem aufwendig gesicherten Eingangsbereich mit den gefühlten hundert Ordnern, Polizisten und Absperrbanden steht, an dem wir dreimal vorbei gelaufen sind. Lediglich drei Männer in gelb-roten Trikots verteilen sich in dem Eckblock, von denen im Ernstfall jeder bestimmt fünfzehn Sicherheitskräfte für sich allein beanspruchen könnte.

Das Spiel hat eine gute Geschwindigkeit und selbst die eher ungelenk wirkenden, weil zwei Meter großen, Abwehrspieler beider Mannschaften sind überraschend schnell und geschickt unterwegs. Cracovia hat etwas mehr vom Spiel, weshalb es nicht großartig überrascht, dass sie nach 16 Minuten mit 1:0 in Führung gehen und diese keine zehn Minuten später auf 2:0 erhöhen. 

Dass es dann noch laut wird im Gästeblock, kommt hingegen doch eher überraschend. Vor allem der Blick in eben jenen Block sorgt für weitere Verwunderung. Was gerade klang wie ein eingeschworener Mob von zweihundert Mann, entpuppt sich als Zusammenkunft von vielleicht vierzig Fans, die sich eher bequem verteilen statt eng zusammen zu rücken. Im Gegensatz zu den Heimfans ist man ohne Trommel und Mikrofon unterwegs, daher weniger konstant, aber trotzdem echt laut. 

Ungemütlich wird es etwas später als ein aufgenommener Rückpass vom Cracovia-Torwart für etwas Geschubse im Strafraum sorgt, in deren Folge auch der Schiedsrichter ins Straucheln gerät als er den Ball dort platziert, wo die Situation stattfand, nämlich sehr nah und sehr zentral vorm Tor. Der anschließende indirekte Freistoß findet seinen Weg zwar nicht ins Tor, der Anschlusstreffer fällt kurz vor der Halbzeit trotzdem noch, wenn auch etwas überraschend. 

Nur sechs Minuten nach Wiederanpfiff erhöht Cracovia das Ergebnis auf 3:1, das aus Sicht der Gäste ein bisschen unglücklich fällt, weil der Jagiellonia-Torwart durch einen seiner Abwehrspieler irritiert wird, der zum Kopfball ansetzt, aber nicht trifft. 

Trotz des erneuten Zwei-Tore-Rückstands geben die Gäste das Spiel noch nicht verloren und auch Cracovia scheint noch nicht fertig zu sein. Das Tempo bleibt dementsprechend hoch, die Zweikämpfe intensiv, aber im Großen und Ganzen fair, und Gesänge laut. 

Im Stadion macht man sich schon zum Jubeln bereit als der Schiedsrichter aus einem nicht direkt nachvollziehbaren Grund einen Elfmeter für Cracovia pfeift. Aber genauso offensichtlich dies eine Fehlentscheidung ist, genauso schlecht wird der Elfmeter ausgeführt: auf die Seite, die der Torwart anbietet, flach und mit ungefähr zwölf Kilometern pro Stunde. Es bleibt beim 3:1. 

Hinter dem gegenüberliegenden Tor - schräg unter dem Gästeblock - befindet sich ein abgetrennter Bereich, in dem die Kinder aus dem Familienblock bespaßt werden. Über die gesamte Spielzeit wird dort selbst Fußball gespielt, das Geschehen auf dem Platz nebenan scheint eher nebensächlich. 

Dabei wird es kurz vor Ablauf der neunzig Minuten nochmal ein spannend, nachdem Jagiellonia in der 86. Minute den Anschluss erzielt und anschließend natürlich ganz gerne noch mit dem Ausgleich in die Verlängerung gehen würde. Plötzlich erleidet jeder Cracovia-Spieler in jedem Zweikampf eine mittelschwere Verletzung, in deren Folge das Spiel unnötig lange unterbrochen wird - einmal muss sogar ein Wadenkrampf unter Zuhilfenahme von Eisspray behandelt werden. Und dass der ausgewechselte Spieler auf kürzestem Weg das Feld verlassen müsste, ignoriert man gekonnt, wobei es auch den Schiedsrichter nicht allzu sehr zu interessieren scheint.

Alle Krämpfe und Verletzungen sind allerdings vergessen als in der Nachspielzeit das 4:2 nach einem Konter fällt und das Spiel damit endet.

Der Weg aus dem Stadion heraus ist schließlich deutlich schneller gefunden als der Weg in den Block und zur allgemeinen Freude sind sogar noch alle Fahrräder samt Taschen und Inhalt am eingangs erwähnten Stellplatz vorhanden.

Fotos: Anika

Artikel wurde veröffentlicht am
27 September 2019
Spielergebnis:
4:2
Zuschauerzahl:
3.512

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2 Kommentare
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Witzig geschrieben. Klasse. Und eine gute Weiterreise, 100 Tage auf dem Rad. Respekt, mir tut der Hintern schon nach 30km weh.
G
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G
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