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Vor Ort beim Teheran-Derby: Azadi bedeutet Freiheit

Im März und April 2019 reiste Yannic Lacombe knapp zwei Monate lang durch den Iran und besuchte dabei eines der größten Fußballspiele der Welt – das Teheran-Derby zwischen Persepolis und Esteghlal. Folgend seine Schilderungen vom großen Stadtduell, das in der Vergangenheit bis zu 110.000 Zuschauer anzog.

Smog liegt in der Luft. Er treibt einem die Tränen in die Augen und macht das Atmen fast unmöglich. Tausende Tote soll es jedes Jahr aufgrund der Verschmutzung geben. Ich kurble das Autofenster hoch, um wenigstens etwas besser Luft zu bekommen. Durch das geschlossene Fenster beobachte ich das wohl verrückteste Verkehrschaos der Welt. Zu jeder Tageszeit sind  hier die Straßen überfüllt, sämtliche Regeln werden ignoriert, auf Motorrädern sitzen teilweise vier Leute und das wichtigste Utensil am Auto ist die Hupe. Plötzlich tritt mein Fahrer mit Schwung auf die Bremse, weil von der Seite, wie aus dem Nichts, ein Motorrad vor unserem Taxi auftaucht. Willkommen in Teheran.

Noch vor einigen Tagen sah es hier ganz anders aus, der Verkehr war für hiesige Verhältnisse sogar vergleichsweise ruhig. Mitte März wird nämlich das Persische Neujahr gefeiert, und daraufhin begibt sich das ganze Land für zwei Wochen auf Reisen. Ob Schiraz, Maschhad oder Bandar Abbas: Alle größeren Städte im Iran werden in dieser Zeit von einheimischen Touristen bevölkert. Nur die Hauptstadt Teheran wirkt in dieser Zeit wie ausgestorben. Geschäfte haben geschlossen, es sind deutlich weniger Autos unterwegs und auch der Smog lässt etwas nach. Doch nun sind die Ferien fast vorbei und die Metropole erwacht wieder zum Leben.

Auch ich habe es den Iranern gleichgetan und bin in den letzten Wochen, trotz aller Warnungen und Bedenken von Freunden und Familie sowie eines zunächst abgelehnten Visumsantrags, durch das Land gereist. Die Gastfreundschaft der Einheimischen sowie das gute Essen und die phantastischen Sehenswürdigkeiten – beispielhaft seien hier die Städte Ghom und Shiraz genannt – haben mich meine Entscheidung nicht bereuen lassen. Doch am meisten beindruckt hat mich, obwohl es in anderen Städten für Touristen sicher mehr zu sehen geben mag, Teheran. Das mag damit zusammenhängen, dass mich als gebürtiger Berliner auf meinen Reisen stets vor allem die Metropolen dieser Welt in ihren Bann ziehen - sei es London, Paris, Moskau, Peking oder in diesem Fall die iranische Hauptstadt.

Doch diese Tatsache ist nicht der Hauptgrund, weshalb ich nach knapp drei Wochen im Land per Inlandsflug an den Ort, an dem ich meine Reise begonnen habe, zurückkehre. Eigentlich hatte ich vorgehabt, von Shiraz weiter in den Süden des Irans zu reisen, doch der Spielplan der „Persian Gulf Pro League“, der nationalen Fußballiga des Landes, macht mir einen Strich durch die Rechnung. Denn nicht nur das Ende der Neujahrsferien steht an, sondern auch ein Ereignis von nationaler Bedeutung, das ich mir auf keinen Fall entgehen lassen möchte: das Teheraner Stadtderby. Persepolis gegen Esteghlal. Rot gegen Blau. Der Klub des Volkes gegen den Verein der Oberschicht. Eines der größten Fußballspiele der Welt.

Doch schon der Ticketkauf stellt das erste Problem dar. Zwei Tage vor dem Spiel erfahre ich an der Hostelrezeption, dass man bei der Onlinebestellung eine iranische Ausweisnummer angeben muss, die angeblich auch beim Einlass am Stadion überprüft wird. Na klasse. Ich verabrede mich deshalb über Couchsurfing mit Amir, einem Esteghlal-Fan, der das Spiel ebenfalls besuchen möchte und sich freundlicherweise bereit erklärt, auch für mich eine Karte zu organisieren.

Am Spieltag sitzen wir dann im eingangs erwähnten Taxi, das uns zum Stadion bringen soll. Doch nichts geht vorwärts. Zum üblichen Verkehrschaos kommt noch hinzu, dass wir offensichtlich nicht die einzigen sind, die die Idee hatten, mit dem Auto zum Spiel zu fahren. Ich werde langsam nervös, denn bis zum Anpfiff sind es nur noch fünfzig Minuten. „Should we maybe take a motorbike?“, frage ich Amir, obwohl mir die Motorrad-Taxis nicht ganz geheuer sind. Zu spät zum Spiel kommen möchten wir aber auch nicht, deshalb drücke ich dem Taxifahrer, der uns eine Stunde durch die Stadt kutschiert hat, 500000 Rial in die Hand (was ungefähr 3,30 Euro entspricht) und wir begeben zusammen auf eines der Motorräder. Auf zwei Rädern geht es natürlich deutlich schneller und nach fünf Minuten sind wir am Stadion angekommen. In dieser Zeit sterbe ich allerdings tausend Tode, denn sicher habe ich mich auf dem klapprigen Motorrad - ohne jeden Kopfschutz - nicht wirklich gefühlt. 

Der Einlass klappt wider Erwarten problemlos, und als wir den Oberrang des Azadi-Stadion betreten, verschlägt es mir die Sprache: Was für ein absolut geiler Oldschool-Ground, der eine halbe Stunde vor Anpfiff fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist! Auch die Atmosphäre ist schon vor Anpfiff eines Stadtderbys absolut würdig: Beide Fanlager singen sich warm und werfen sich die üblichen Pöbeleien an den Kopf, die man auch aus Europa kennt. Viele Zuschauer haben dazu vuvuzelaartige Tröten dabei, mit denen sie zusätzlich für Stimmung sorgen. Zum Anpfiff präsentieren beide Kurven jeweils eine Choreographie, ehe die Stimmung erstaunlicherweise kurz etwas abnimmt. Doch aufgrund der couragierten Leistung der Mannschaft von Esteghlal sind die Fans der Blau-Weißen, bei denen ich sitze, schnell wieder mit voller Lautstärke dabei und feuern ihre Mannschaft an. Zumindest bis zur 21. Minute, in der Persepolis durch Ahmad Nourollahi nach einer Ecke völlig überraschend das 1:0 erzielt und damit für eine regelrechte Jubelexplosion im gegenüberliegenden Lager der Rot-Weißen sorgt. 

Beim Derby ist das Azadi-Stadion stets in zwei Bereiche unterteilt, jeder Verein bekommt genau die Hälfte der Karten. Offiziell sollen hier 80000 Fans reinpassen, doch in der Vergangenheit waren es auch schon 90000 bis 100000 Zuschauer. Ausnahmslos Männer, versteht sich, denn Frauen ist im Iran der Besuch von Fußballspielen bis heute per Gesetz verboten. Ein Gesetz, das seit der Islamischen Revolution im Jahre 1979 besteht, aber niemand im Iran so richtig versteht, wie mir Mona, eine andere Couchsurfingbekanntschaft, einige Tage später erzählt: „Mal heißt es, es ginge darum, die Frauen vor den vulgären Gesängen zu schützen. Dann behauptet die Regierung, dass es im Islam verboten sei, dass Frauen Männern in kurzen Hosen beim Sport machen zusehen.“ In den letzten Wochen gab es aber Druck von der FIFA, der dazu geführt hat, dass beim WM-Qualispiel der Nationalmannschaft im Oktober gegen Kambodscha erstmals weibliche Zuschauer im Stadion dabei sein dürfen. Doch an eine baldige Aufhebung des Verbotes auch bei Ligaspielen glaubt kaum jemand. „Ein erster Schritt wäre vielleicht, getrennte Bereiche nur für Frauen einzurichten“, so Mona weiter. Das letzte Wort in dieser Entscheidung hat allerdings weder der Fußballverband, noch der Staatspräsident, sondern einzig und allein das religiöse Oberhaupt Ali Chamenei. 

Auf dem Rasen zeigt sich Esteghlal derweil vom Rückstand unbeeindruckt und erspielt sich weiter gute Möglichkeiten, schafft es aber nicht, den Ausgleich zu erzielen. Als kurz vor der Pause ein Elfmeter für das Team des – mittlerweile entlassenen – Trainers Winnie Schäfer gepfiffen wird, geht es auf dem Feld richtig zur Sache: Es kommt zu minutenlangen Diskussionen, die fast in Schlägereien zwischen den Spielern ausarten, und auch die Stimmung auf den Rängen wird immer aufgeheizter. Fett! Das ist Derby! Als der Strafstoß dann durch einen missglückten Panenka-Versuch auch noch kläglich vergeben wird, sind die Esteghlalfans endgültig auf 180. Doch ändern tut das natürlich nichts, und mit dem 0:1 Rückstand geht es zunächst in die Pause, die ein Zuschauer in der Reihe hinter mir dafür nutzt, um mir zu erklären, dass „Azadi-Stadion“ auf Persisch „Freiheitsstadion“ bedeutet. „Aber Freiheit gibt es hier nicht wirklich“, sagt er lachend.

Auf dem Feld zeigt sich in der zweiten Halbzeit ein ähnliches Bild: Esteghlal macht das Spiel, kann Persepolis aber nicht ernsthaft in Bedrängnis bringen. Die Stimmung flacht derweil etwas ab, die Fans von Esteghlal scheinen nicht mehr wirklich an ihr Team zu glauben. Anders sieht es auf der Seite der Rot-Weißen aus, wo sich ab der 75. Minute die Aussicht auf den Derbysieg in lautstarken Anfeuerungen wiederspiegelt. Ein letzter hoher Ball, eine letzte Kopfballchance - und dann ist es geschafft! Persepolis entscheidet wenige Spieltage vor Saisonende die Stadtmeisterschaft für sich, und noch bis weit bis nach Abpfiff feiern die Anhänger den wichtigsten Sieg des Jahres.

Auf der Seite von Esteghlal ist die Enttäuschung hingegen groß und die Kurve der Blau-Weißen leert sich schnell. Vor dem Stadion stehen Shuttlebusse und Taxis bereit, um die Massen nach Hause zu bringen. Sie werden sich einen Weg bahnen müssen, durch Teheran, durch das verrückteste Verkehrschaos der Welt.

Bericht: Yannic Lacombe

Fotos: Yannic Lacombe

> zur turus-Fotostrecke: Fußball im Iran

 

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
30 August 2019

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Gut geschrieben!
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