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Eiserner (Fast-)Aufstieg im Juni 1993: Als Sektflaschen knallten und Tränen flossen

Unvergessen! Ein Tag nach dem DFB-Pokalfinale Hertha BSC Amateure vs. TSV Bayer 04 Leverkusen (0:1) stand am 13. Juni 1993 das mit Spannung erwartete Duell 1. FC Union Berlin vs. Bischofswerdaer FV an der Tagesordnung. Es war der letzte Spieltag der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga. In der Gruppe Nordost nahm neben dem 1. FC Union Berlin und Bischofswerda das Team von Tennis Borussia Berlin teil. Eigentlich hätte als Meister der Staffel Süd der FC Sachsen teilnehmen müssen, doch aufgrund der Lizenzverweigerung von Seiten des DFB rückte Bischofswerda. Und warum gleich zwei Berliner Vereine am Start waren? Damals gab es in der NOFV-Oberliga neben der Süd-Staffel noch die Staffeln Mitte und Nord. Dies war auch der Grund, weshalb sich zu jener Zeit der FC Berlin (BFC Dynamo) und Union Berlin nicht begegnet sind. Der FC Berlin spielte gemeinsam mit Tennis Borussia Berlin in der Staffel Nord, der 1. FC Union Berlin hatte es in der Staffel Mitte unter anderen mit dem 1. FC Magdeburg, Energie Cottbus, Lok Altmark Stendal und dem SV Thale 04 zu tun.

Aus Sicht der Eisernen begann am 16. Mai 1993 die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga alles andere als optimal. Daheim im Stadion An der Alten Försterei musste man sich vor vollen Rängen TeBe mit 1:3 geschlagen geben. Der Drops schien bereits gelutscht, doch folgte auswärts ein 1:3-Sieg in Bischofswerda. Alles oder nichts beim darauffolgenden Spiel im Mommsenstadion. Was für eine Kulisse! 14.280 Fußballfreunde füllten die Ränge, es erfolgte eine rot-weiße Invasion, für TeBe wurde es ein Auswärtsspiel im heimischen Stadion. Klaus Theiss brachte die Lila-Weißen mit 1:0 in Führung, in der 69. Minute konnte Mario Maek vom Elfmeterpunkt aus ausgleichen. Seit der 64. Minute musste Union in Unterzahl spielen, Matthias Zimmerling ging mit Rot vom Rasen, doch auch mit einem Mann weniger wurde jetzt ordentlich Druck gemacht. Nur drei Minuten nach dem Ausgleich erzielte Goran Markov den 2:1-Siegtreffer für die Ost-Berliner. Der Jubelschrei war locker bis zum Funkturm zu hören. Die Unioner hatten es nun in der Hand. 

Beim letzten Spiel gegen Bischofswerda würde ein Unentschieden genügen, um den Aufstieg in trockene Tücher zu bringen. Die Eintrittskarten hatte ich bereits im Vorfeld besorgt (in der Geschäftsstelle bestaunte ich das aufgestellte Stadionmodell, geplant war ein ähnliches neues Stadion wie in Leverkusen), es war klar, dass das Stadion An der Alten Försterei mit rund 17.000 Zuschauern ausverkauft sein würde. Bei anhaltendem Schmuddelwetter stellten Karsten und ich uns auf der Waldseite auf die alten Stufen direkt hinter das Tor. Sogar ein paar ältere Hertha-Fans mit Kutte, Schal und zum Teil sogar mit Gesichtsbemalung drückten den Köpenickern die Daumen. Damals wurde noch die vor dem Mauerfall entstandene Freundschaft zwischen Hertha und Union gepflegt. Zudem hätten sich nicht wenige Berliner die im Fall des Aufstieges anstehenden Lokalderbys in der 2. Bundesliga gewünscht. 

Windböen peitschten den Regen über die Ränge und ließen die mitgebrachten Schirme zerfleddern. Kein Wunder also, dass „nur“ 15.000 Zuschauer den Weg ins komplett unüberdachte Stadion gefunden hatten. Egal, der bereits greifbare, so sehr herbei gesehnte Aufstieg in die zweite Liga ließ die Herzen der Fans erwärmen und die extrem miese Witterung vergessen. Auf dem nassen Rasen konnte sich kein hochklassiges Spiel entfalten, doch dafür war die eine oder andere Grätsche zu sehen. Nachdem es torlos zum an jenem Tage wirklich bitter nötigen heißen Pausentee ging, sollte im zweiten Spielabschnitt endlich das erlösende Tor her. Union-Trainer Pagelsdorf gab die notwendigen Anweisungen und in der Tat wurde der Druck auf das Gästegehäuse stetig erhöht. Zwar hätte auch ein 0:0 gereicht, doch darauf wollte man sich nicht verlassen. Ein dummer Elfmeter für Bischofswerda in den letzten Minuten und alles wäre im Eimer. 

In der 67. Minute die Erlösung. Union ließ den Ball über den gesamten Platz laufen, passte anschließend in die Spitze, wo Jens Henschel das Spielgerät annahm, den Gästekeeper umkurvte und anschließend von schräg rechts zum 1:0 einlochte. Was für ein Jubel auf den Rängen! Tränen. Kollektives Umarmen. Direkt neben uns entkorkten alte Unioner ihre mitgebrachten Sektflaschen. Hunderte Kassen- und Klorollen landeten auf dem Rasen, der Schiedsrichter musste die Partie kurz unterbrechen und drohte sogar mit einem Spielabbruch. Pagelsdorf lief über den Platz und versuchte die Fans, die vor Freude außer Rand und Band waren, zu beruhigen. Das Spiel konnte fortgesetzt werden, kurz vor Schluss detonierten allerdings ausversehen zuvor installierte Böller. 

Noch vor Ablaufen der regulären Spielzeit pfiff der Schiedsrichter schließlich das Spiel ab, für Bischofswerda ging es ja um nichts mehr. Der Rasen wurde von den Fans geentert und wieder flossen etliche Freudentränen. Manch einer schlug Purzelbäume, andere schrien ihr Glück in Richtung Himmel. „Saufen, feiern und dann Urlaub!“, brachte es Goran Markov (Spieler der Eisernen) im Fernsehen auf den Punkt. Gesagt, getan. Auf einer Wiese startete nach dem Spiel die große Aufstiegsparty. „Dass ich das noch erleben durfte“, seufzte ein Union-Fan. „All die erlittenen Leiden waren doch nicht umsonst. Ach Mensch, das ist so geil!“ Bei 3.000 Litern Freibier feierten die Unioner mit dem Trainer und den Spielern den Aufstieg und ahnten an jenem Abend noch nicht, dass der Traum nur wenige Tage später platzen würde. 

Die gefälschte Bürgschaft. Ein Begriff der sich bei mir – und natürlich bei all den Anhängern des 1. FC Union Berlin – einbrennen würde. Der Verein war klamm und benötigte für die Zweitligasaison 1993/94 eine Bürgschaft. Diese wurde dem DFB auch vorgelegt. Dumm nur, dass diese gefälscht war. Ebenso dumm gelaufen war, dass wohl ein ehemaliger Mitarbeiter aus dem Umfeld des Vereins ausgerechnet dem TeBe-Präsidenten die Sache mitgeteilt hatte. Dieser fackelte nicht lange und rief kurzerhand beim DFB an. Eine Story wie aus einem Krimi. Völlig surreal. Ich ahnte damals nicht, dass wegen solch einem gefälschten Wisch der sportliche Aufstieg zunichte gemacht werden könnte. Besser gesagt, ich wollte es einfach nicht wahr haben. Die Sache war noch in der Schwebe, als ich mit Jan nach New York flog, um dort unsere vierwöchige Sommerreise zu starten. 

Nicht nur der 1. FC Union Berlin hatte zu jener Zeit gewisse finanzielle Schwierigkeiten. Auch bei mir war die Kasse leer. Trotzdem sollte es wie geplant in die USA und nach Kanada gehen. Der Flug war ja längst gebucht, die Tickets für die Greyhoundbusse waren gekauft. Es gab kein Zurück mehr. Ich rannte durch die Kölner Innenstadt und zog mit meiner Karte an diversen ausländischen Bankautomaten einen Batzen Geld und überzog das Konto weit über das Limit. Mir war klar, dass sich nach meiner Rückkehr in meiner damaligen Wahlheimat Leverkusen die Mahnungen der Sparkasse stapeln würden. Scheiß drauf! Nach mir die Sintflut! Auf nach Nordamerika, die Rocky Mountains als großes Ziel vor Augen.

Später in Vancouver nutzte ich die Gelegenheit eine aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Kicker zu kaufen. Die Spielpläne für die 1. und 2. Bundesliga waren bereits fertig. Gespannt blätterte ich durch das Heft. Groß war die Enttäuschung, als ich den ersten Spieltag der Saison 1993/94 sah. 27. Juli 1993. Tennis Borussia Berlin gegen 1. FSV Mainz 05. Tatsächlich hatte der 1. FC Union Berlin keine Zweitligalizenz erhalten. Klar war das aufgrund der gefälschten Bürgschaft abzusehen, doch hatte ich gehofft, dass nach meinem Abflug in Richtung Nordamerika doch noch eine Wende eingetreten wäre. Vielleicht war alles nur ein böser Irrtum, der aufgeklärt werden konnte. Doch eine giftige Intrige von den Charlottenburger Seilschaften. TeBe traute man zu jener Zeit einiges zu. Immer wieder blätterte ich durch den Kicker und las die entsprechenden Artikel. Es half nichts. Ich fand keine entsprechende Stelle, in der stand, dass der Spielplan eventuell von vorläufiger Natur sei.  

Später nach der Rückkehr nach Deutschland stellte ich fest, dass es kein Zurück mehr gab. Ich hasste fortan TeBe wie die Pest. Nicht, weil ich Union-Fan war, sondern weil ich in Ost-Berlin geboren wurde und der Nordost-Fußball nach der Deutschen Einheit nur verarscht wurde. Allein die Tatsache, dass nur zwei einstige DDR-Vereine an der ersten gesamtdeutschen Erstligasaison 1991/92 teilnehmen durfte, bringt bis heute mein Blut in Wallung. Das war keine Einheit, das war einfach nur ein Witz! Hat man so was im Hinterkopf, kann ich als geborener Ost-Berliner heute dem 1. FC Union Berlin einfach nur die Daumen drücken (auch wenn mich eine Menge Kumpels dafür schelten werden). Es wäre einfach eine Genugtuung, wenn sich endlich nach drei Jahrzehnten wenigstens zum Teil etwas gerade rücken würde. Schlimm genug, dass zahlreiche andere Nordost-Vertreter in der 3. Liga und den Regionalligen spielen müssen. Andere wie Stahl Brandenburg verschlug es sogar bis runter in die Landesliga…

Anmerkung: Eine erste Version des Textes wurde im Buch „Zwischen den Welten“ abgedruckt.

Anmerkung II: Vom Spiel gegen Bischofswerda haben wir keine eigenen Fotos. Die Kamera hatten wir zu Hause gelassen, da wir befürchteten, sie könnte im Trubel kaputt oder verloren gehen.

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Fußball-Impressionen aus den 1990ern

Artikel wurde veröffentlicht am
27 Mai 2019
Spielergebnis:
1:0
Zuschauerzahl:
15.000

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Oberliga

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Kommentare
Zur Feier des Tages ein ESIERN UNION aus Bischofswerda nach Berlin. Ich denke, die Freude über den Aufstieg verbreitet sich noch weit über die Grenzen Köpenicks hinaus.
Habe damals als 13 jähriger das Hinspiel in Bischofswerda gesehen. Kann mich noch an die zahlreichen Unioner erinnern, denen man das Feiern nicht mehr beibringen musste. Die haben die anwesenden Polizisten ordentlich auf Trab gehalten.
C
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T
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Es wäre schön, aber ich vermute, Stuttgart setzt sich durch.
G
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G
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Ist zu gönnen.
G
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G
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