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Hansa-Fan Tobias landet mit 3 Promille statt auf dem Betzenberg im polnischen Hirschberg

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Die Wege des Herrn sind unergründlich. Vor allem zu Ostern - und vor allem, wenn man drei Promille intus hat. Was hatte Tobias (Name geändert) kürzlich in der Kneipe gelacht, als die Sache mit dem angeblichen Benfica-Fan, der sich statt in Frankfurt am Main in Frankfurt an der Oder verirrte, die Runde machte und die Netzgemeinschaft bei Laune hielt. Was für ein Idiot! Aber irgendwie kam Tobias die Sache nicht ganz geheuer vor. So blöde kann niemand sein. Nicht zu Zeiten, in denen mit Hilfe des Smartphones jede Info sekundenschnell abgerufen werden kann. Die Zeiten, in denen sich Nürnberg in Aalen statt in Ahlen (oder war es andersherum?) verirrte, sind längst vorbei. Jedes Navi gibt Auskunft, der Routenplaner zeigt einen den Weg von A nach B. Wenn man jedoch statt mit dem Auto oder dem Fanbus auf eigene Faust klassisch auf dem Schienenweg reist und es dabei irre laufen lässt, kann das Ganze dann doch aus dem Ruder laufen. 

Auf den Sonderzug zum Betzenberg hatte Tobias durchaus Bock gehabt, doch zum einen waren die Tickets schnell vergriffen, zum anderen wohnt er einfach zu sehr abseits der Route. Vom südöstlichen Brandenburg aus wollte er mit drei Kumpels mit dem Schienennahverkehr quer durch die Lande reisen. Die Nacht von Samstag zu Sonntag wollten sie irgendwo auf der Strecke verbringen. Irgendwo im Raum Thüringen / Hessen. Dann sollte es die restlichen Kilometer bis Kaiserslautern gehen. Das mit Spannung erwartete Drittligaduell 1. FC Kaiserslautern vs. F.C. Hansa Rostock lockte immens, und die im Vorfeld ergatterten Tickets steckten in den Innentaschen der Jacken. Über 3.000 FCH-Fans würden live auf dem Betzenberg dabei sein, und Tobias und seine Freunde würden mittendrin stehen. 

Nur Bier, lautete eigentlich die Ansage vor der langen Reise in die Pfalz. Zu groß war die Gefahr, dass das Ganze (mal wieder) ausufern könnte. Stress mit den Behelmten, Stress am Einlass des Stadions, Stress mit den anderen Fans, weil man reglos in der Ecke des Blocks liegen würde. Und dann brachte Jonas (Name geändert) doch wieder zwei „Bolzen“ im Netzbeutel mit. Kommt Jungs, bis morgen um eins sei man wieder nüchtern, lautete die trockene Ansage. In Cottbus wollten sie dann nur mal kurz was essen gehen, doch daraus wurde ein erstes Gelage. Zwei Energie-Kanten wollten zuerst Stress, ließen sich dann aber überzeugen und tranken zusammen mit den Hansa-Jungs den ersten „Bolzen“ aus. 

Im Zug von Cottbus nach Görlitz (eigentlich sollte es die Bahn nach Leipzig sein) uferte das Gelage noch weiter aus. Fast hätte die Zugbegleiterin die blau-weiße-rote Sauf-Truppe in Horka aus dem Zug geworfen, doch am Ende ließ sie Milde walten. Görlitz war schließlich bereits in Sichtweite. Kommt, einer ging noch! Der zweite „Bolzen“ machte die Runde, dazu wurden immense Mengen Bier geöffnet. Als Tobias in Görlitz durch den Bahnhof eierte, verlor er komplett die Orientierung. Plötzlich wusste er nicht, wo seine Freunde waren. Ihm dämmerte nur, dass es weiter nach Dresden und dann in Richtung Thüringen gehen sollte. Wie genau, wusste er nicht mehr. Reichlich Zeit wurde vertrödelt, der Alkohol rauschte durch die Adern, klare Gedankengänge wurden ein Dinge der Unmöglichkeit.

Lallend fragte er in der Bahnhofsbuchhandlung nach. „Beeeeerg… Berge… Bet, Betz, Bet… Berg…“ Die Dame hinter den Zeitschriften wusste beim besten Willen nicht, wo der Fragende mit dem Seidenschal um den Hals hinfahren wollte. Was für „Berg“? Nach ein paar Minuten dachte sie sich nur, er würde „Hirschberg“ (Jelenia Góra) meinen. Irgendwann saß Tobias schließlich im niederschlesischen Regionalzug nach Jelenia Góra und machte sich auf den roten Sitzen lang. Man würde sich schon auf dem Betzenberg wieder treffen, murmelte sich im Tobias im Halbschlaf selber zu. 

Um 21:27 Uhr rollte der kleine Zug der Koleje Dolnoslaskie schließlich in Jelenia Góra ein. Fast wäre er weiter nach Walbrzych gefahren, doch der Zugbegleiter ahnte wohl, dass der komische Deutsche mit dem Schal hier in Jelenia Góra aussteigen wollte, schließlich brabbelte er irgendwas von einem „Berg“. Kaum stand Tobias auf dem Bahnsteig - ohne zu wissen, wo er überhaupt war -, fühlte er sich relativ nüchtern und höchst motiviert. Ohne groß nachzudenken stimmte er fröhlich leicht lallend ein „Dem Morgengrauen entgegen, ziehen wir gegen den Wind!!! Und wir werden alles zerlegen, bis wir deutscher Meister sind!“ an. Als er plötzlich von hinten an der Schulter gepackt und auf Polnisch angesprochen wurde, zuckte er zusammen und verstand die Welt nicht mehr. Zwar war Tobias das eine oder andere Mal in Polen hoppen, doch sind seine Sprachkenntnisse alles andere als berauschend. Vielmehr beschränken sie sich mehr oder weniger auf „Wurst“, „Bier“, „danke“ und „zahlen bitte“. 

Was der polnische 2-Meter-Hüne von ihm wollte, war ihm völlig schleierhaft. Er ahnte ja nicht mal, wo er überhaupt ausgestiegen war. Mit Tunnelblick eierte er durchs Bahnhofsgebäude und verstand im wahrsten Sinne des Wortes nur Bahnhof. Der Pole bemerkte, dass der Deutsche in einer eigenen Welt durch die Gegend taumelte und ließ von ihm ab. Wohl eine Stunde lang spazierte Tobias um das Bahnhofsgebäude von Jelenia Góra herum. Mehrmals sprach er Passanten an und fragte nach dem „Berg“. Genauer gesagt, nach dem „Betzenberg“. Die meisten dachten wohl, der Alki mit dem Seidenschal wolle am kommenden Morgen in die Berge wandern gehen. Ab ins Riesengebirge zur Schneekoppe oder zur im Vorland liegenden Burg Chojnik. 

Jemand gab Tobias schließlich den Tipp, mit dem Bus nach Cieplice zu fahren. Dort sei es spät abends ruhiger. In Jelenia Góra selbst könne es indes schon mal ein Problem geben, wenn man völlig besoffen durch die Gegend torkelt. Zudem könne Tobias von Cieplice aus am kommenden Morgen prima weiter in die Berge ziehen. Im Bus wurde er von drei Jugendlichen angesprochen, die seinen Schal genauer betrachten wollten. Mit dem „FC Pommern Stralsund“ konnten sie jedoch nichts anfangen und ließen ihn dann in Ruhe. Aufgrund seiner familiären Wurzeln trägt Tobias seit geraumer Zeit den Schal des Vereins, den es seit vergangenen Sommer leider Gottes nicht mehr gibt. Die Farben sind bekanntlich die gleichen wie die des F.C. Hansa Rostock.

Was später genau passierte, als er in Cieplice ankam, weiß Tobias nicht. Ganz, ganz dunkel kann er sich an einen Garten und an ein Lagerfeuer erinnern. Wodka war im Spiel, zudem gab es wohl auf dem offenen Feuer gegrillte grobe Wurst. Das nachts immer wieder gehörte „Kiełbasa Śląska“ blieb im Unterbewusstsein hängen. Tobias muss nachts noch mit einigen Leuten durch die Gegend gestreift sein. Er dachte, diese würden am kommenden Morgen auch nach Kaiserslautern fahren. Irgendeiner konnte Deutsch sprechen und brachte ein Auto ins Spiel. Man könne morgens zum „Berg“ fahren. 

Daraus wurde jedoch nichts. Tobias hat keinen blassen Schimmer, wie er zum kleinen Sportplatz in Cieplice kam. Hatte er dort die Nacht verbracht? Die Sonne wärmte bereits, als er wieder zu sich kam. Er hatte noch eine Flasche Bier dabei und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck. Die Kehle war irre trocken. Wo zur Hölle war er eigentlich? Der Blick kreiste über die kleine Sportanlage, die wohl zu einer Schule gehörte. An einer Wand entdeckte er die leicht verwitterten Olympischen Ringe. Er verstand nur Bahnhof. Er setzte sich auf eine Bank und dachte lange nach. Jetzt, wo er halbwegs nüchtern war, kam er erst auf die Idee, einfach mal auf google maps zu schauen, was die Position besagt. Wie spät war es eigentlich? Halb zehn!

Ach du heiliger Bimbam! Ulica Kazimierza Pułaskiego Ecke Ulica Staszica in Cieplice (Warmbrunn), das zu Jelenia Góra gehört. Na dann, frohe Ostern! Noch ein Schluck aus der Flasche. Zwei Fußball spielende Jungs bat er, Fotos von sich anzufertigen. Er machte sich auf der Bank noch einmal lang. Zu irre kam ihm das Ganze vor. Das müsse einfach festgehalten werden. Wie verrückt hackte er anschließend auf dem Handy herum und versuchte, seine Kumpels zu erreichen. Nach ein paar Minuten meldete sich dann sogar einer von ihnen. Zwei hatten es noch spät abends bis Meiningen geschafft, dort wurde die Nacht verbracht, bevor es dann weiter ging in Richtung Gemünden(Main), Frankfurt am Main und Bad Münsteram Stein-Ebernburg. Einen hatte es in Leipzig entschärft. Sturzbetrunken geriet er zuerst mit zwei Lokis in die Haare, danach wurde er im kleinen Getränkeshop festgenommen, weil er eine ganze Ladung Büchsen Billigplörre raustragen wollte.

Für Tobias hatte sich das Thema Betzenberg sowieso erledigt. Vom polnischen Cieplice aus bis nach Kaiserslautern wäre von der Zeit her nur noch mit dem Helikopter zu packen. Somit erkundete er die zum Sportplatz anschließenden Straßen und ließ von einem Passanten ein Erinnerungsfoto vor einem alten verrammelten „Sklep“ anfertigen. Wenig später setzte er sich in ein Eiscafé und kam auf die glorreiche Idee, sich per PN an unser Magazin zu wenden. Wie im Rausch tippte er auf das Display seines Smartphones. Er wollte alles festhalten. Zumindest das, an was er sich noch erinnern konnte. 

Macht einen Bericht, lautete die klare Ansage. Die Welt lachte über den vermeintlichen Benfica-Fan, den es an die östliche Außengrenze verschlug. Dann kam raus, dass „11 Freunde“ hinter dem Ganzen steckte. Im Leben nicht hätte er gedacht, dass man im Suff so blöde sein und sich auf solche Irrwege begeben kann. Wie aus „Betzenberg“ das polnische „Hirschberg“ werden konnte, ist ihm völlig schleierhaft. Ob er die Sauferei bereue? Wenn er an das verpasste Spiel des F.C. Hansa Rostock denkt - ja! Ansonsten war es das Abenteuer wert. Was ihn heute jedoch am meisten ärgerte? Der Fakt, dass KS Karkonosze Jelenia Góra bereits am Samstag gespielt hatte. Dieses Heimspiel hätte er nämlich zu gern mal schnell mitgenommen…

Nachtrag: Der F.C. Hansa Rostock konnte mit 2:0 beim 1. FC Kaiserslautern gewinnen. In der zweiten Halbzeit erzielte Biankadi die beiden Treffer. Ahu!

Fotos: D.B., Aumi

> zur turus-Fotostrecke: F.C. Hansa Rostock

Artikel wurde veröffentlicht am
21 April 2019
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