England vs. Irland: Kein normales Freundschaftsspiel - ein Rückblick

MB Updated
Daily Mirror

Wembley im Mai 2013, da denkt doch jeder an das anstehende Champions-League-Finale zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München. Sicherlich eine hoch emotionale Partie, die aber von einem Freundschaftsspiel, das nur vier Tage später an gleicher Stelle stattfindet, wahrscheinlich noch übertroffen wird. Zum 150. Geburtstag des englischen Fußballverbandes (FA - Football Association) wird es am 29. Mai im Londoner Wembley Stadion das erste Spiel zwischen England und Irland seit 18 Jahren geben (das erste seit 22 Jahren im Wembley Stadion). Die letzte Begegnung fand in einer Zeit statt, die vom nordirischen Friedensprozess geprägt war, und ging als wohl das unrühmlichste Spiel in die Fußballgeschichte ein. Folgend ein Rückblick:

ZeitungWembley im Mai 2013, da denkt doch jeder an das anstehende Champions-League-Finale zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München. Sicherlich eine hoch emotionale Partie, die aber von einem Freundschaftsspiel, das nur vier Tage später an gleicher Stelle stattfindet, wahrscheinlich noch übertroffen wird. Zum 150. Geburtstag des englischen Fußballverbandes (FA - Football Association) wird es am 29. Mai im Londoner Wembley Stadion das erste Spiel zwischen England und Irland seit 18 Jahren geben (das erste seit 22 Jahren im Wembley Stadion). Die letzte Begegnung fand in einer Zeit statt, die vom nordirischen Friedensprozess geprägt war, und ging als wohl das unrühmlichste Spiel in die Fußballgeschichte ein. Folgend ein Rückblick:

„Sabotage“, „Death riot at Engkand match“. Bei Toast und Baked Beans im Frühstücksraum der Bed&Breakfast-Unterkunft irgendwo in den schottischen Highlands lag die „Daily Mirror“ auf dem Tisch. Beim Anblick der beiden besagten Schlagzeilen blieb ein Stück Brot fast im Halse stecken. Dazu ein großes, ganzseitiges Aufmacherfoto. Drei englische Fans zerren auf dem Rasen an einer Person und schlagen mit hasserfüllten Blicken auf sie ein. Oben rechts ein verletzter Mann mit Brille und herunterlaufendem Blut, der in die Kamera schaut und von irischen Polizisten davongetragen wird. Sprachlos blätterte ich am Morgen des 16. Februar 1995 durch die Zeitung. „Full story – pages 2, 3 ,4 ,5, 40, 41, 42, 43 and 44.“

Mit der Bahn war ich in jenem Februar in Schottland und England unterwegs. Allein, mit dem Rucksack und einer Portion Abenteuerlust. Auf dem Programm: Das schottische Pokalspiel zwischen dem Celtic FC und Meadowbank Thistle im Glasgower Hampden Park und vor allen Dingen der FA Cup-Knaller Manchester United gegen Leeds United im Old Trafford. Vom am 15. Februar 1995 in Dublin stattfindenden Testspiel zwischen der Republik Irland und England hatte ich im Vorfeld kurioserweise überhaupt nichts wahrgenommen. Erst beim Blick auf die besagte Boulevardpresse am Morgen danach erfuhr ich von der Tragödie, die dem englischen Verband fast die Austragung der Europameisterschaft 1996 gekostet hatte.

DublinSeit 1922 hatte es kein Freundschaftsspiel zwischen Irland und England gegeben. Nur bei Pflichtspielen konnten sich die beiden Fußballverbände nicht aus dem Weg gehen. So kreuzten die irische und englische Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation 1956/57 die Klingen, zu verzeichnen waren ein 1:1 und ein 5:1-Sieg der Engländer. Nach über 20 Jahren gab es im Rahmen der EM-Qualifikation 1978/79 die nächsten beiden Aufeinandertreffen. Wieder ein 1:1 und dazu ein 2:1-Sieg für England. Einen Sieg der Boys in Green gab es am 12. Juni 1988 bei der Europameisterschaft in Deutschland zu bewundern. Ray Houghton erzielte bereits in der sechsten Minute im damaligen Neckarstadion den Treffer des Tages. Ein Wiedersehen gab es zwei Jahre später bei der WM in Italien. In Cagliari trennten sich die Rivalen 1:1. Gary Lineker hatte die „Three Lions“ in Front gebracht, Kevin Sheedy konnte für die Jungs mit dem Kleeblatt auf der Brust ausgleichen.

Nach zwei weiteren 1:1 bei der EM-Qualifikation 1990/91 unternahmen der irische und englische Fußballverband im Februar 1995 den Versuch, nach sage und schreibe 73 Jahren wieder ein Freundschaftsspiel über die Bühne zu bringen. Die Angelegenheit wurde zum totalen Desaster. 50 Personen wurden verletzt, ein Mann starb nach einem Herzinfarkt. Die Bilder von den hasserfüllten Gesichtern und dem tobenden englischen Mob gingen um die Welt. Holzlatten, die vom mit englischen Fans gefüllten Oberrang auf den Unterrang flogen. Ja, ganz genau. Dort standen irische Fans. Aus heutiger Sicht ganz gewiss ein grober, ja völlig absurder Fehler. Die Sicherheitsvorkehrungen waren mangelhaft und ermöglichten somit die Gewaltausbrüche dieses Ausmaßes.

„Shame again – Yobs make war on peace“, titelte die „Daily Mirror auf eine ihrer Sonderseiten. „We face Euro KO“ und „How can we let this lot loose on Europe? Lepers oft he world“, war zudem auf der Rückseite dieser Ausgabe zu lesen. Der Begriff „Lepers“ bedeutet ganz klar und deutlich „Aussätzige“. Keine Frage, in Hinblick auf die geplante Europameisterschaft 1996 in England, fand die englische Presse für den in Dublin wütenden Mob überaus harsche Worte. Hart angeprangert wurde zudem die Tatsache, dass auf dem beflaggten Oberrang englische Hooligans Nazi-Grüße gezeigt haben. Aus heutiger Sicht ist dies beim Anblick der Fotos jedoch schwer zu beurteilen. Zu sehen sind aufgebrachte Engländer, die die Fäuste heben. Sei wie es sei, die gewalttätigen Fans leisteten nicht nur dem Verband, sondern auch dem ganzen Land einen Bärendienst.

Allerdings sollte auch bedacht werden, dass das gesamte Stadion von der ersten Minute an extrem aufgeheizt war. Beide Seiten provozierten mit Liedern. Auf das „No surrender to the IRA“ der Gästefans folgte ein lautstarkes „You´ll never beat the Irish“. Und dabei wird es nicht geblieben sein. Als David Kelly in der 22. Minute die 1:0-Führung für Irland erzielen konnte, brannte bei vielen unter den rund 2.000 angereisten englischen Fans die Sicherung durch. Fünf Minuten später brachen sämtliche Dämme. Gegenstände flogen auf den Unterrang, auf dem Platz kam es zu ersten wüsten Schlägereien. Die Ordner und Polizisten hatten alle Hände voll zu tun. Das Spiel wurde vom Schiedsrichter abgebrochen. John „Jack“ Charlton, der als einstiger englischer Nationalspieler von 1986 bis 1995 die irische Nationalmannschaft trainiert hatte, brach im Spielertunnel in Tränen aus. Der englischen Zeitung „The Sun“ erklärte er: „I´ve had enough of this...“ Das durfte man fast wortwörtlich nehmen, denn wenig später beendete „Big Jack“ seine Trainerlaufbahn, nachdem Irland die Qualifikation für die Europameisterschaft 1996 verpasst hatte.

Hampden ParkDie Folgen jenes skandalösen Abends waren noch Tage später auf den Britischen Inseln zu spüren. Beim eingangs erwähnten Pokalspiel Celtic FC gegen Meadowbank Thistle drehte ein Fans fast durch, weil er vermutet hatte, ich sei ein Rangers-Fans. Der Grund: Ein einfarbiger dunkelblauer Fleece-Schal. Andere Celtic-Fans konnten ihn jedoch davon abhalten, mich - den „Fuc*** Bastard“ - zu vermöbeln. Auch am 19. Februar 1995 war ein erhöhter Adrenalinspiegel zu vermerken. Zwar spielten mit Manchester United und Leeds United zwei englische Teams gegeneinander, doch die Zuschauer schienen in jenen Tagen noch mehr aufgeputscht. Die Beschimpfungen und Hasstiraden suchten ihres Gleichen.

Old TraffordIm heimischen Berlin durfte ich eine Woche später bei Eltern und Freunden Rede und Antwort stehen. „Wir wussten ja immer, dass du völlig fußballverrückt bist. Doch bist du völlig bescheuert, zu diesem Spiel zu fahren?!“ Ich? In Dublin? Mit meinem frisch mitgebrachten englischen Nationaltrikot war ich ein wenig in Erklärungsnot. Länderspiel? Nein, dort war ich nicht. Dass ich im kalten, trüben Februar 1995 „nur“ zu zwei Pokalspielen nach England und Schottland fuhr, wenn eine Fährfahrt weiter die Post abgeht, wollten mir einige (zum Teil bis heute) nicht abnehmen...

Fotos: turus.net-Archiv, oben Daily Mirror vom 16.02.1995

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