Unter internationaler Isolation: Fußball in der Türkischen Republik Nordzypern

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NordzypernSchon immer haben auf Zypern Griechen und Türken nebeneinander gelebt. 1960 wurde die Insel im östlichen Mittelmeer von Großbritannien unabhängig und eine neue Verfassung garantierte die Gleichberechtigung beider Bevölkerungsgruppen. Nach jahrzehntelangen innerzyprischen Spannungen, die sich in den 50er Jahren aufgrund der Bevorzugung der Griechen durch die Kolonialherren immer mehr zugespitzt hatten, wurden mit der Unabhängigkeit den türkischen Zyprioten, deren Bevölkerungsanteil damals etwa 20 Prozent betrug, feste Repräsentationsrechte eingeräumt und der Vizepräsident sollte stets von türkischer Seite gestellt werden. 

NikosiaEr hatte ein in der Verfassung verbrieftes Vetorecht bei allen Angelegenheiten, bis dies 1963/64 von den Griechen versucht wurde abzuschaffen, woraufhin es zu einem Bürgerkrieg kam, der erst durch Intervention der UNO beendet wurde. Die türkische Bevölkerung schloss sich daraufhin in Enklaven zusammen. Politisch waren die Fronten fortan verhärtet. Während die griechische Mehrheit einen Anschluss an Griechenland anstrebte, wollten die Türken den Taksim, die Teilung der Insel. Im Juli 1974 eskalierte die Lage: Griechenland versuchte, sich die Mittelmeerinsel mittels eines Putsches einzuverleiben, woraufhin die Türkei militärisch intervenierte und ab dem 20. Juli den Nordteil der Insel besetzte, insgesamt 37 Prozent des bisherigen Staatsgebiets. Die Regierung in Ankara berief sich bei der Invasion auf ihr verfassungsgemäßes Recht als Garantiemacht und rief im Februar 1975 erst den türkischen Bundesstaat aus und im November 1983 schließlich die „Türkische Republik Nordzypern“. 

NikosiaZwischen beiden Landesteilen war mittlerweile, ähnlich wie in Deutschland, eine Mauer gezogen wurden, undurchlässig und von der bereits 1963 im Zuge der Spannungen eingerichteten Pufferzone umgeben, der Green Line. 2003 wurde, auch hier nach etwas mehr als 28 Jahren, die Grenze erstmals wieder durchlässig. 200.000 vertriebene Süd-Zyprer konnten nach langem ihre Heimatorte wieder besuchen, es kam zu Verbrüderungsszenen wie 1989/90 in Berlin. Die Befürchtungen, dass die Grenze wieder geschlossen würde, bewahrheiteten sich nicht. Stattdessen öffnete sich Nordzypern immer mehr, auch dem Tourismus, und die Grenze wurde zunehmend durchlässiger, Kontrollen wurden entschärft oder teilweise sogar ganz abgeschafft. 

Anno 2013, 39 Jahre nach der militärischen Invasion, besteht die türkische Besatzung des Nordteils der Insel noch immer und Nordzypern ist ein von der internationalen Staatengemeinschaft – bis auf die Türkei – nicht anerkannter Staat. Unter den 1,2 Millionen Einwohnern der Mittelmeerinsel befinden sich heute 220.000 Türken, von denen 80.000 erst seit 1974 hier angesiedelt wurden. Dazu kommen 40.000 türkische Soldaten. 2004 wurde den Bevölkerungen in beiden Landesteilen ein durch den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan vorangetriebenes Dokument zur Abstimmung vorgelegt, das die Wiedervereinigung des Landes, unter Beibehaltung zweier Bundesstaaten, zum Ziel hatte. Während die türkische Seite zu 65 Prozent zustimmte, lehnte die griechische Bevölkerung mit 76-prozentiger Mehrheit ab, hauptsächlich aufgrund nicht geklärter Kompensationsansprüche für seit 1974 entstandene Schäden. 

ZypernAnno 2013 ist die Wiedervereinigung weiterhin nicht in Sicht. Wie in allen Krisengebieten der Welt gibt eine Kraft den Menschen auch in Nordzypern Hoffnung sowie Ablenkung vom Alltag, eine Gemeinschaft und das Gefühl, gemeinsam etwas zu erreichen - nämlich der Fußball. Anlässlich meines Zypern-Aufenthalts war es für mich daher logisch, mir auch im Nordteil der Insel ein paar Spiele anzuschauen. Als ich am Freitag letzter Woche erstmals den Grenzübergang in der Ledra Street überquerte, tat ich dies mit einem mulmigen Gefühl. Auf der Südseite der Pufferzone befindet sich ein Denkmal und ein Schild „Die letzte geteilte Hauptstadt der Welt“. Auf der Nordseite stehen zwei Bretterverschläge als Grenzposten, hier fertigen türkische Polizisten die Einreisenden freundlich ab. Die Unterschiede zwischen beiden Landesteilen werden zuerst kulinarisch sichtbar: Statt Gyros, Zitronenlimonade und KEO Bier gibt es im Nordteil Döner, Uludag und Efes Pilsener. Nach mehreren hundert Metern erreicht der Besucher das Atatürk-Denkmal. Dem „Vater aller Türken“ wird auch in Nordzypern stets sichtbar gehuldigt. Nur 300 Meter von hier entfernt befindet sich der Austragungsort unseres ersten Spiels.

U19Die Paarung der U19-Junioren lautete Cetinkaya Türk SK vs. Hamitköy SHSK, beide Clubs kommen aus der Hauptstadt Lefkosa, wie sich Nord-Nikosia auf Türkisch nennt. Die U19-Liga ist für Groundhopper ein absolutes Geschenk: Wie früher in der DDR bestreiten hier die Nachwuchsmannschaften der Vereine in den unterschiedlichen Ligen jeweils das direkte Vorspiel. Das heißt, wenn die Männer um 14:30 Uhr spielen, treffen um 12:00 Uhr die U19-Mannschaften beider Clubs aufeinander. Dies ist von der ersten bis zur dritten Liga gleich, die Auf- und Abstiege der Nachwuchsmannschaften sind an die der Herren gekoppelt. Heute hatten wir nicht nur das Glück, selbst an einem Freitag zwei Spiele sehen zu können, sondern auch, dass beide Spiele auf unterschiedlichen Plätzen stattfanden. Die Yusuf Kaptan Sahas ist ein einfacher Kunstrasenplatz mit auf zwei Seiten bebauten Rängen, heute von insgesamt 35 Zuschauern bevölkert. Ohne Zaun verläuft direkt hinter einer Längsseite eine viel befahrene Straße, von der Sportanlage getrennt nur durch einen etwa zwei Meter breiten Bürgersteig. 

NordzypernAuf der gegenüberliegenden Seite wird der Platz von der historischen Stadtmauer begrenzt. Um 15:00 Uhr sollte das Spiel beginnen, um 15:50 Uhr war es dann endlich soweit. Die Verzögerung lag einzig und alleine darin begründet, dass lange keine Eckfahnen vorhanden waren und der Schiedsrichter unter diesen Umständen nicht anpfeifen wollte. Als es dann doch endlich soweit war, wurde ein überraschend gutes Niveau geboten, wenngleich der Gastgeber sportlich über 90 Minuten chancenlos war. Bereits nach sieben Minuten stand es 0:2, zur Pause 0:3 und am Ende 1:5. Bei einem Aufeinandertreffen des Tabellenneunten und –zehnten war so ein klares Ergebnis jedenfalls nicht zu erwarten. Oder lag es daran, dass auf Seiten von Cetinkaya Türk zahlreiche Spieler nicht zur Verfügung standen? Ich weiß es nicht, aber dass zur Pause der erst 13-jährige Samet Akrep eingewechselt wurde, spricht sicherlich nicht für eine bestens besetzte Bank. Kurioserweise war Akrep fortan sogar einer der besseren Spieler, selbst wenn er für keine entscheidenden Akzente mehr sorgen konnte.

Atatürk StadionMit dem Taxi ging es anschließend in den Nordwesten von Lefkosa, wo es ebenfalls das Duell Cetinkaya Türk SK vs. Hamitköy SHSK gab, aber nun eben im Männerbereich. Das Spiel der Telsim Süper Lig fand im Atatürk Stadyumu statt, dem mit einer Kapazität von 28.000 Plätzen größten Stadion der Insel. Es beherbergt mit Cetinkaya Türk auch den größten Verein zumindest des Nordteils. Die Rot-Gelben haben nicht nur 17 Meisterschaften errungen, sondern waren 1934 auch das einzige türkische Gründungsmitglied der gesamtzyprischen Nationalliga. Vor der Teilung des Spielbetriebs wurde man 1951 sogar deren Meister, 1952 und 1954 kamen noch zwei Pokalsiege hinzu, bevor sich der Verein 1955 aufgrund der innerzyprischen Unruhen zurückzog und auf seine Initiative hin der KTFF (Zyprisch-Türkischer Fußballverband) gegründet wurde, der noch im gleichen Jahr seinen Spielbetrieb aufnahm. 1996 stellte Nordzypern übrigens einen Aufnahmeantrag bei der FIFA, der aber zurückgewiesen wurde. Seitdem nimmt die Nationalmannschaft immer wieder an internationalen Turnieren nicht anerkannter Staaten teil, die man auch regelmäßig gewinnt, wie zum Beispiel 2006 den FiFi Wild Cup (durch Siege gegen Sansibar, Gibraltar und Grönland) oder 2007 den ELF Cup (Siege gegen die Krim, Sansibar, Tadschikistan und Tibet). Seit 2012 spielt man auch bei der inoffiziellen WM des NF-Board teil, hier unterlag man erst im Endspiel Kurdistan mit 1:2. 

NordzypernNachdem Cetinkaya Lefkosa, wie sich der Verein damals noch nannte, 1963 seine Spielstätte in der errichteten Pufferzone verlassen musste, wechselte der Verein ins riesengroße Atatürk Stadion. Zweifelsohne ist es reichlich überdimensioniert, denn zu den Heimspielen verlieren sich selten mehr als 300 Zuschauer, heute waren es 250. Auch bei den Herrenmannschaften zeigte sich das Niveau sportlich weitaus besser, als vorher gedacht. Diesmal waren allerdings die Vorzeichen anders. Cetinkaya Türk ging als Tabellenführer ins Spiel, Hamitköy kam als Sechster. Der Gastgeber bestimmte das Spiel über 90 Minuten, vergaß allerdings lange das Toreschießen. Erst unmittelbar vor dem Pausenpfiff schlug es im Gästegehäuse ein – 1:0. Während der Halbzeit hatten mein Begleiter und ich Zeit, uns ausgiebig der riesigen nordzyprischen Flagge zu widmen, die auf der Größe eines Fußballfeldes in die anliegenden Berge gemalt wurde, und die man bis weit nach Süd-Nikosia hinein sieht. Während der Dämmerung werden die Umrisse der Flagge nämlich illuminiert, was sehr schön aussieht, dem Nachbarn im Süden aber sicherlich auch wie eine immerwährende Drohung vorkommen wird. 

Auch der zweite Spielabschnitt verlief dann ähnlich wie der erste Durchgang: Cetinkaya Türk stürmte und Hamitköy hatte nicht die Mittel, um sich adäquat zur Wehr zu setzen. Ab und zu waren die 40 Gästefans dabei zu hören, wie sie sich lautstark Luft machten über die Chancenlosigkeit ihrer Elf, aber ansonsten gab es auf den Rängen keinerlei Emotionen, von halbherzigem Torjubel, der noch zweimal zu hören war, mal abgesehen. Viel mehr waren zahlreiche Zuschauer mit dem Kauen von Sonnenblumenkernen beschäftigt – einem Brauch aus der Türkei, der auch hier Einzug gehalten hat. Und selbst die beiden anwesenden deutschen Fußballtouristen schlugen sich in dieser Disziplin mittlerweile gut, brachten sie doch während der 90 Minuten anderthalb Tüten zur Strecke. Nach dem Endstand von 3:0 ging es für uns schnell zurück zur Ledra Street, und der Abend endete mit einem Bier und einem Kebab, allerdings schon wieder im Südteil der Stadt.

NordzypernNachdem wir uns am Samstag im Südteil der Insel das Spitzenspiel APOEL vs. AEL gegeben hatten und im türkischen Sektor gemeinsam mit Grenzsoldaten noch die letzten Augenblicke des Süper Lig-Spiels Trabzonspor vs. Besiktas (0:0) sahen, ging es am Sonntag nochmals in den türkisch besetzten Teil der Hauptstadt. Ziel war das Hamitköy Stadyumu. Da der platzbauende Verein sein Spiel des Wochenendes aber bekanntlich bereits am Freitag bei Cetinkaya Türk ausgetragen hatte, sollten wir uns heute „nur“ ein Viertligaspiel geben. Zur groundhopperfreundlichen Anstoßzeit um 10:00 Uhr fand die Begegnung Ortaköy SK vs. Gayretköy Gazi Spor statt. Der Tabellenführer empfing den Neunten und Vorletzten, dies versprach eine klare Sache zu werden. Überraschend viele Zuschauer, nämlich etwa 70, waren gekommen, und rieben sich verwundert die Augen, dass nicht der Gastgeber die Partie bestimmte, sondern der Außenseiter, und zwar haushoch. 

RingergriffDie Führung des Vorletzten nach einer Viertelstunde war daher nur folgerichtig, und auch im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit dominierte Gayretköy das Spiel, bis auf gelegentliche Entlastungsangriffe des Klassenprimus. Bereits zur Pause hätte es 0:4 oder 0:5 stehen können, das zweite Tor folgte aber erst nach fünfzig Minuten. Durch einen Konter verkürzte Ortaköy in der 55. Minute auf 1:2, und plötzlich schien die Partie zu kippen, denn fortan spielte der Tabellenführer groß auf. Nach genau einer Stunde schließlich gab es eine strittige Szene im Strafraum der Gäste und auf Seiten des Gastgebers hätte man gern einen Elfmeter gesehen. Als der Schiedsrichter mit seiner Gestik allerdings Gegenteiliges anzeigte, tickte die mehr als halbe Ortaköy-Mannschaft komplett aus. Sechs Spieler rannten wie angestochen auf den Unparteiischen zu, von einem der Akteure wurde der Mann in Schwarz sogar heftig gestoßen, und nur der eigene Torwart hinderte mit einem Umgreifen des Schiedsrichters einen Sturz. Oder sollte es ein Ringergriff sein?

DiskussionEgal, was hier vor sich ging, hatte ich bei etwa 1.200 gesehenen Fußballspielen in dieser Heftigkeit noch nicht erlebt. Ein Spielabbruch wäre die einzig richtige Entscheidung gewesen, stattdessen wurde minutenlang lamentiert. Auch ein Betreuer rannte noch aufs Feld und erst nach vier Minuten war die Situation wieder halbwegs unter Kontrolle. In Deutschland hätte es hier mindestens drei Platzverweise gegeben, hier flog nur ein Spieler, nämlich der Mannschaftskapitän, der zumindest während der Tätlichkeiten fernab vom Geschehen stand, aber irgendetwas Beleidigendes gesagt haben musste. Ebenso wurde der Betreuer, der auf das Spielfeld gestürmt war, von der Sportanlage verwiesen. Anschließend wurde normal weiter gespielt, ohne Worte! 

NordzypernEine der schlimmsten Krankheiten des türkischen Fußballs, nämlich die immer wieder auftretenden Unbeherrschtheiten, hatte sich also auch im zyprischen Exil verbreiten. Anschließend entstand eine üble Treterei, die darin gipfelte, dass ein weiterer Ortaköy-Spieler wenige Minuten nach dem großen Tohuwabohu des Platzes verwiesen wurde, ehe die numerische Unterlegenheit des Gastes dermaßen groß war, dass in der Schlussviertelstunde noch drei weitere Treffer erzielt und ein in dieser Höhe sicherlich nicht mal von den kühnsten Optimisten erwarteter Auswärtssieg eingefahren wurde. Wir freuten uns darüber, mit der Fahrt zu diesem Spiel alles richtig gemacht zu haben, denn neben dem guten Sportplatz und einem wahrlich hohen Unterhaltungswert wurde unterm Strich auch bei unserem dritten Kick in Nordzypern ein sportliches Niveau geboten, welches deutlich über dem von uns erwarteten lag. 

Nach dem Abpfiff ging es für uns zurück in Richtung Ledra Street, da am Nachmittag im Süden noch das Zweitligaspiel Ermis Aradippou vs. Ethnikos Assias auf uns wartete. Unterm Strich kann man jedem Groundhopper, der Lust auf ein exotisches Abenteuer fernab vom Mainstream hat, einen Besuch in der Türkischen Republik Nordzypern empfehlen. Ist man sich der politischen Umstände vor Ort bewusst und hat man dafür eine gewisse Sensibilität, wird man hier eine gute Zeit haben. 

Infos zum Leben vor Ort sind unter www.nordzypern-touristik.de zu finden, und in Sachen Spielplänen wird man auf der superben Homepage des Fußballverbandes unter www.ktff.org fündig.

Fotos: Jörg Pochert

> zur turus-Fotostrecke: Fußball auf Zypern

 

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