Chemnitzer FC: Stimmungslage der Fan- und Ultra-Szene

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Seit dem DFB-Pokalspiel gegen Dynamo Dresden am 20. August 2012 ist einiges anders in der Chemnitzer Fan- und Ultra-Szene. Aus der Medienberichterstattung vom Spiel blieben neben den sportlichen Geschehnissen vor allem die rassistischen Beleidigungen von Seiten einiger Chemnitzer Zuschauer gegenüber dem Dresdener Spieler Poté sowie abgebrannte Pyrotechnik hängen. Aber was hat sich seitdem getan und wie ging der Verein mit den Vorfällen und vor allem mit den Fans um? Aus Anlass des am kommenden Wochenende stattfindenden Ost-Klassikers Hallescher FC gegen den Chemnitzer FC gewährt uns der Chemnitzer Autor Jannik Kaiser einen aktuellen Blick in die Stimmungslage der nicht mehr ganz so himmelblauen Fan- und Ultra-Szene.

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Seit dem DFB-Pokalspiel gegen Dynamo Dresden am 20. August 2012 ist einiges anders in der Chemnitzer Fan- und Ultra-Szene. Aus der Medienberichterstattung vom Spiel blieben neben den sportlichen Geschehnissen vor allem die rassistischen Beleidigungen von Seiten einiger Chemnitzer Zuschauer gegenüber dem Dresdener Spieler Poté sowie abgebrannte Pyrotechnik hängen. Aber was hat sich seitdem getan und wie ging der Verein mit den Vorfällen und vor allem mit den Fans um? Aus Anlass des am kommenden Wochenende stattfindenden Ost-Klassikers Hallescher FC gegen den Chemnitzer FC gewährt uns der Chemnitzer Autor Jannik Kaiser einen aktuellen Blick in die Stimmungslage der nicht mehr ganz so himmelblauen Fan- und Ultra-Szene.

Unter himmelblauen Gewitterwolken:

Ein halbes Jahr ist es her, seitdem man das erste Mal mehrere Dutzend junger Fans vor dem Stadion des Chemnitzer FC stehen sah. An manchen Spieltagen waren es über 40 Personen, gegen Osnabrück sogar 150. Im sportlichen Niemandsland, dritte Liga, Platz sieben ohne Chancen auf einen Aufstiegsplatz, hat eine Fanszene die Willkür des Vereins und seiner Organe unbemerkt vom Rest des Landes getroffen. Die Schuldigen in den Augen der Fans: Geschäftsführer Lutz Fichtner, der Szenekundige Beamte W. R. und dessen Sohn, Chef des Sicherheitsdienstes im Stadion.

Am 20. August 2012 spielte der Chemnitzer FC gegen den Zweitligisten Dynamo Dresden im DFB-Pokal vor 14.500 Zuschauern. In der 58. Minute brannten im Block fünf einige Kilo schwarzer Rauch, dazu mehrerer sogenannter Breslauer, grelle Magnesiumfackeln, die Flamme weiß-gelblich. Eine Minute später brannten weitere Breslauer im Block drei. Das Spiel wurde für vier Minuten unterbrochen. Im strömenden Regen verlor der CFC am Ende 0:3 gegen die überlegenen Gäste aus Dresden. In der Sportschau des »mdr« dann ein zweiter Aufreger: In der ersten Halbzeit kommen irgendwo aus der Südkurve Affenleute, als Dresdens farbiger Stürmer Poté im Strafraum der Himmelblauen ist. Es bäumt sich eine Medienflut auf, gegen die der Drittligist machtlos ist. Und es bäumt sich eine »Troika«, so nennen es die »Ultras Chemnitz« später, auf, gegen die die Fans ebenfalls machtlos sind.



Als erstes ändert der Verein seine Stadionordnung: Ab sofort sind Symbole und Aussagen, die einen extremistischen oder rassistischen Hintergrund haben, verboten. Dazu erklärte der Vorstand, dass er kompromisslos hinter dem Verhaltenskodex des DFB und der DFL stehe und Strafen direkt an die Täter weiterleiten werde. Danach brodelt zwei Wochen lang nur die Gerüchteküche, bei den Spielen gegen Wiesbaden und Heidenheim passiert nichts. Am ersten September spielen die Himmelblauen zuhause gegen Halle. An diesem Tag bricht das Verhältnis zwischen Fans und Verein.

In Chemnitz gilt noch immer das Konzept der unscheinbaren Präsenz, was bedeutet, dass sich die Polizei rund um das Stadion kaum zeigt, nur sporadisch an einigen Ecken steht, den Verkehr regelt. Gegen Halle war das anders: Die Polizeipräsenz war immens, überall fuhren und standen Mannschaftswagen in Kolonnen, BFE-Polizisten beäugten jeden Stadionbesucher. Wozu die Beamten da waren, sollte sich Mitte der ersten Halbzeit schließlich herausstellen. Aus Sicht vieler grundlos stürmten Mitarbeiter der Sicherheitsagentur Rücker, Beamte in Zivil und in Uniform den Block fünf in der Südkurve. Dort nahmen sie scheinbar wahllos und nur auf Fingerzeig von Vater und Sohn Rücker insgesamt 34 junge Fans mit. Der Stadionsprecher versuchte mitten im laufenden Spiel die Irritationen zu klären: »Das alles sind Leute die dem Verein bereits gegen Dresden geschadet haben und es wieder tun wollten«. Mehr kann man Menschen in einem Stadion nicht bloßstellen. Mit den 34 vorläufig ins Gewahrsam genommenen verlassen auch die verbliebenen Ultras aller Gruppen und viele normale Fans das Stadion. Am Parkplatz vor der Fanhalle brennen kurz darauf Bengalos und Rauchfackeln am Boden ab, die Polizei muss nicht eingreifen. Alle 34 Fans werden auf der Polizeiwache erkennungsdienstlich behandelt und zum Teil befragt. Einigen wird mit bundesweiten Stadionverboten gedroht.



Fünf Tage später treffen sich fast 30 Personen im Chemnitzer Fanprojekt, darunter Vertreter aller aktiven Fangruppen, auch Lutz Fichtner und Vorstandsvorsitzender Dr. Mathias Hänel sowie Zivilpolizist W. R. sind anwesend. Fans der Gruppen »Kaotic Chemnitz«, »Squadra Celeste« und »Ultras Chemnitz« sind schwer enttäuscht und zu keinen Zugeständnissen bereit. Dieses Verhalten war nach den Forderungen von Vorstand und Polizei jedoch klar: Die Fans sollten die Verantwortlichen der gezündeten Pyrotechnik ausliefern, und das obwohl fünf Tage zuvor fast alle mutmaßlichen Mitglieder der ersten beiden Gruppe genau deshalb in Gewahrsam saßen. Denn nun wurde auch der Grund für die Maßnahme bekannt: Im Fanforum des CFC hatte ein unbekannter behauptet, zum Spiel gegen den HFC »würde es wieder rauchen«. Nach über zwei Stunden endet das Gespräch ohne ein wirkliches Ergebnis. Fichtner verkündet von den geplanten Gruppenverboten - betroffen wären neben »Kaotic Chemnitz« und »Squadra Celeste« auch noch »Ostpack« - vorerst abzurücken. Im nächsten Satz rät er den mutmaßlichen Mitgliedern jedoch von einem Kartenkauf zum nächsten Heimspiel ab.

Die aktive Fanszene beschließt, das Spiel gegen Osnabrück nicht zu besuchen. Am Spieltag schließen sich dem etwa 150 Fans an, sie warten vor der Fanhalle, grillen, diskutieren wie es weitergehen soll. In dieser Zeit erreichen immer mehr Fans vollkommen absurde Stadionverbote. Manche werden für drei und vier Jahre mit bundesweiten Verboten belegt, weil sie im Spiel gegen Dresden auf den Werbebanden standen oder sich ein T-Shirt über die Nase gezogen hatten, als hinter ihnen der Rauch aufstieg. Vorstandsvorsitzender Dr. Hänel ließ noch am selben Nachmittag verlauten: »Einige, die dem Spiel am Samstag ferngeblieben sind, werden das noch bedauern«. Eine Woche später, zwei Tage vor dem Spiel gegen Alemannia Aachen, werden die Gruppen »Kaotic Chemnitz«, »Squadra Celeste« und »Ostpack« vom Chemnitzer FC im Stadion verboten. Weiter wird ein Spieler der U23-Mannschaft vom Training suspendiert. Kurz zuvor wurde er zu einem Gespräch zitiert, wieder anwesend: Zivilpolizist W. R..

Ihm wird Druck gemacht: Er solle verraten wer die Pyrotechnik mit ins Stadion genommen und sie gezündet habe. Er selber soll laut W.R. auch daran beteiligt gewesen, bzw. in der Fanhalle mit Pyrotechnik in Berührung gekommen sein. Zudem soll er Mitglied bei der »Squadra Celeste« sein, gute Kontakte zur »New Society« haben. Davon soll er sich distanzieren – er tut es nicht. Als kurz darauf bekannt wird, dass die Gruppe »New Society« vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird, dementiert der Verein, dass diese und eine zweite Gruppe überhaupt noch aktiv wären.
Weitere Stadionverbote flattern bei den Fans ins Haus, nun trifft es auch Capo und Trommler der »Ultras Chemnitz«. Dazu kommen Stadionverbote bei der Gruppe »Kameniza Sons«. Ein Mitglied der Gruppe hatte beim Spiel gegen Dynamo Dresden einen der Breslauer in Block drei gezündet, war danach geständig. Die Stadionverbote werden jedoch aufgrund der Affenlaute ausgesprochen. Das Froteske: Getroffen hat es auch zwei Fans, die sich politisch gesehen links einordnen. Aber es gäbe Zeugen, und das reicht den Zuständigen die vorformulierten Stadionverbote zu unterzeichnen.

Anfang November tauchten im Stadion immer wieder T-Shirts mit dem Spruch »Fichtner raus!!!!« auf. Mal getragen, mal hingen sie am Zaun, und so landeten sie auch auf den Fotos von L., akkreditierter Fotograf und mit eigenem Blog. Das erregte in der Vereinsführung nicht gerade ein Wohlwollen und so wurde dem Fotografen mitgeteilt er solle die Fotos nicht mehr veröffentlichen. Zudem sollte er einem Mitglied der »Ultras Chemnitz« ausrichten, »wenn das Shirt hängt, gibt’s Konsequenzen«. Der Fotograf L. folgte nicht dem Aufruf und veröffentlichte weiter seine Bilder. Konsequenz der gelebten Meinungsfreiheit: Beim Auswärtsspiel gegen Unterhaching wurde ihm der Zutritt zum Innenraum verwehrt, W.R. nannte ihn einen »unberechenbar[en] Sicherheitsfaktor«.



Mittlerweile wurde der Chemnitzer FC zu einer Geldstrafe von 25.000 Euro verurteilt; 18.000 Euro aufgrund der rassistischen Beleidigungen, 7.000 Euro durch die abgebrannte Pyrotechnik. Was folgt sind mindestens neun Briefe, in denen die Angeschriebenen durch die Anwaltskanzlei »S., S. und K.« aufgefordert werden, dem CFC »unabhängig von ihrem konkreten Verursachungsbeitrag [...] den Gesamtbeitrag von 25.000 Euro« zu überweisen. Die Schreiben wurden eine Woche vor Weihnachten zugestellt.

Es ist ruhig geworden auf der Chemnitzer Fischerwiese. Im Block sechs, dem Block der Ultras, wird es nur selten richtig laut. Vielen fehlt einfach die Lust völlig auszuflippen, sich zu verausgaben, aus vollem Herzen zu Singen und zu Schreien, während viele ihrer Freunde draußen vor dem Stadion stehen müssen. Gleich an der Straßenecke ist ein Pub, dort sitzen jetzt im Winter viele Fans während des Spiels. Nicht alle hier haben Stadionverbot, viele haben im Moment keine Lust ins geliebte Rund zu gehen, obwohl sie es dürften. Aber an diesem Wochenende soll sich das ändern, denn über das Internet mobilisieren alle aktiven Fangruppen zum Auswärtsspiel nach Halle. Und so gab es heute, genau ein halbes Jahr nach dem Spiel gegen Dynamo Dresden eine Meldung, die vielen wieder Lust macht: Der Gästeblock im Kurt-Wabbel-Stadion ist ausverkauft. Nun wird weiter mobil gemacht, auf nach Halle heißt es – auch ohne Karte.

> zur turus-Fotostrecke: Chemnitzer FC

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