Újpest FC gegen Ferencvárosi TC: Das ultra-heiße Derby in Budapest

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Derby BudapestNach zwölf Stunden Zugfahrt und einem feuchtfröhlichem Abend, inklusive „Deutschland über alles“-Bekundungen der ungarischen Kneipenbesucher, konnte am Samstagnachmittag das Budapester Fußballwochenende mit einem Heimspiel des Club Budapesti Vasas SC begonnen werden. Das Team der zweiten ungarischen Liga gewann vor allem durch die Sportart Wasserball an Popularität, da sie durch ihre Arbeit zu einem großen Teil den ungarischen Landeserfolg herstellten. Im Jahre 1911 gegründet, ist der Verein nahe der Nordspitze der Margareteninsel, im 18.000 Zuschauer fassenden Illovszky-Rudolf-Stadion beheimatet. 

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Nach zwölf Stunden Zugfahrt und einem feuchtfröhlichem Abend, inklusive „Deutschland über alles“-Bekundungen der ungarischen Kneipenbesucher, konnte am Samstagnachmittag das Budapester Fußballwochenende mit einem Heimspiel des Club Budapesti Vasas SC begonnen werden. Das Team der zweiten ungarischen Liga gewann vor allem durch die Sportart Wasserball an Popularität, da sie durch ihre Arbeit zu einem großen Teil den ungarischen Landeserfolg herstellten. Im Jahre 1911 gegründet, ist der Verein nahe der Nordspitze der Margareteninsel, im 18.000 Zuschauer fassenden Illovszky-Rudolf-Stadion beheimatet. 

Vasas

An diesem Tag ging es gegen die Nordungarn vom Putnok VSE. Spielten diese letztes Jahr noch gegen die zweite Mannschaft von Vasas, so konnten sie sich nun bei schönstem Fußballwetter gegen die erste der Nordpester bewähren. Diese stiegen nämlich als Vorletzter aus der ersten Liga ab. Für 800 Forint, umgerechnet knapp drei Euro, konnte eine Karte für den Stehplatzbereich gekauft werden. Dort fanden sich im Laufe des niveauschwachen und von den Gästen bestimmten Spiels rund 100 meist sehr junge Heimfans ein. Unter den restlichen rund 800 Zuschauern befanden sich auf der Gästeseite rund 16 leichtbekleidete Personen. Für die beiden Teams endete dieser erste Spieltag mit einem Remis, wobei das Elfmetertor in der 19. Minute durch den Stürmer Péter Monyók die allgemeine Meinung unterstützte, der Schiedsrichter pfeife nur für die Gäste. Ungarische Schimpfwörter fielen, ansonsten blieb die Stimmung sehr angenehm und erinnerte an hiesige Ligaspiele der fünften Ligen.

Vasas

Nach dieser ersten fußballerischen Schnupperpartie ging es auf ein Oi-Konzert der Band Egészséges Fejbőr. Diese behandeln unter anderem Themen wie Hooliganismus und ungarische Heimatliebe, aber auch Partys, Frauen und Alkohol. Zwischen einem Straßenstrich und Baracken zeigte die Mehrheit der Besucher ihre positive Einstellung gegenüber längst vergangenen Zeiten klar und unmissverständlich. Die Band, welche der Ferencváros Fanszene zuzuordnen ist, zeigte diese Sympathie indes an diesem Abend nicht. Es sollte doch am darauffolgenden Sonntag DAS Derby Budapests und Ungarns stattfinden, welches seit langer Zeit für Brisanz und Emotionen aller Art auch über die Grenzen der Hauptstadt sorgt. 

Ujpest

Die Feindschaft zwischen den lila-weißen vom Újpest Football Club und dem grün-weißen Ferencvárosi Torna Club entstand  in der kommunistischen Ära Ungarns. Dort hieß der älteste Verein Ungarns, 1885 gegründet, Újpesti Dózsa Sport Club. Er hatte wie in anderen kommunistischen Ländern ein D in seinem Logo, welches dem anderer Dynamo-Sportvereine nachempfunden wurde. Der Name Dózsa geht auf den Anführer des ungarischen Bauernaufstandes von 1514 zurück. Der Club war in der Zeit vor dem Fall des alten Systems der Verein der Polizei und somit dem System zugeneigt. Wie in der damaligen Zeit in den meisten Ostblockstaaten üblich, musste es hierzu ein Pendant geben, dies war der auf Abneigung durch die Staatsmacht stoßende Verein aus dem Süden der Hauptstadt Ungarns: Ferencvárosi TC. Dessen Heimat ist das 18.100 Zuschauer fassende Albert-Flórián-Stadion, benannt nach dem 1967 zum Fußballer Europas gewählten Stürmer.

Ujpest

Das 211. Derby der beiden Clubs sollte jedoch in der ehemals eigenständigen Stadt Újpest stattfinden. In der Partnerstadt des Berliner Stadtteils Marzahn-Hellersdorf befindet sich zwischen einer traditionellen ungarischen Einfamilienhaussiedlung das Szusza Ferenc Stadion, mit einer Kapazität von 13.501 Sitzplätzen. Der restliche Teil des IV Bezirkes besteht zu großen Teilen aus Plattenbauten und ist Endstation der U-Bahn Linie 3. Um zum Stadion zu gelangen, steigt man dort aus und wählt den zirka 20-minütigen Fußweg oder die Busvariante. Vorbei am Rathaus, einem Büro der Jobbik-Partei und einigen Graffitis mit Sympathiebekundungen zum lilaweißen Verein erscheint das Stadion mitsamt dem hügeligen Hinterland Budapests. Nüsse und ähnliche Sachen können als Wegnahrung an mobilen Ständen erworben werden. Das Ticket, aufgrund der Partie etwas teurer als sonst, konnte für rund 5 Euro erstanden werden. Die Taschenkontrollen wurden durch Polizeibeamte durchgeführt, die dies auch gründlich taten. Die letzten Jahre waren geprägt von Pyrotechnik und Vandalismus auf beiden Seiten. 

Ujpest

Im Block der Heimfans angekommen, organisierte die führende Ultragruppe, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Bestehen feiernden Ultra Viola Bulldogs, mit anderen Gruppen, wie den Solo Ultras, die Durchsetzung der angedachten Choreographie. Von einzelnen Vertretern wurde nochmals darauf hingewiesen, dass das Fotografieren in deren Umfeld bitte zu unterlassen sei.  Die vorbereitete Präsentation der Ultras hatte das Jubiläum ihrer Gruppe zum Inhalt, in dem die ungarischen Landesfarben nicht fehlen durften. Auf einem Banner vor dem Block stand groß: „kissrác voltam én bámultam a csodát“, was soviel heißt, wie „als ich ein Kind war, habe ich das Wunder gesehen“. Zusehen war ein Mann mit einem Kind am Arm und der Nummer 12 auf dem Rücken. Um die beiden Personen war Újpest in lila Lettern geschrieben. 

fradi

Im selben Augenblick machten sich die Gästefans bemerkbar. Es knallte, rauchte, Ferencváros  mit seinen Fans war bereit für das Spiel. Die Fangruppen Green Monsters, Erkölcs, Erö, Egyetértés und andere erreichten im Konvoi, begleitet durch die Polizei, das Stadion. Strikte Trennung beider Fanlager, so auch im Stadion mithilfe von enormen Pufferblocks, war das Ziel an diesem Tag, welches auch zu funktionieren schien. Am Abend zuvor lieferten sich die Erlebnisorientierten bereits ihre Schlacht gegeneinander. Die Stimmung im Stadion war prächtig und die Mischung der Fans untereinander ideal. Erlebnisorientierte standen mit Familien, Ultras und normalen Fans Seite an Seite und peitschen ihren geliebten Club verbal nach vorne.

Der einprägsamste, aber auch bei anderen ungarischen Vereinen übliche Schlachtruf war „hajrá lilak“, „auf geht’s lila“. Wurde nicht mitgesungen oder geklatscht, kam schon das ein oder andere Mal die Aufforderung dies zu tun. Spruchbänder wurden während des Spiels zweimal in Richtung der Gäste gehalten, unter anderem „101% Anti FTC“. Der Anhang des erfolgreichsten Clubs Ungarns antwortete in beiden Halbzeiten mit Anspielungen in Richtung der lila-Freunde der dritten Halbzeit. So zeigten sie in der zweiten Halbzeit den Spruch: „Újpest Hooligans, letztes Mal fragten wir euch nur nach euren großen Brüsten, aber ihr zeigtet uns gleich eure behaarte Fot**. Ihr seid billige Schlampen!”.

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In der 28. Minute erzielte der Stürmer P. Kabat völlig verdient das 1:0 für die Mannschaft von dem Belgier Jos Daerden. Es brach ein Jubel aus, dessen Intensität man einmal in seinem Leben hautnah erleben sollte. Leute rannten durch den Block, sprangen und schrien sich die Anspannung heraus. Der Zaun war voll von lilaweißen Fans. Die Führung wurde mit in die Kabine genommen, das „hajrá lilak“ begleitete die Teams in die Kabinen, man war sich des Sieges sicher. Die Halbzeitpause reichte nicht aus, den Massen in kurzer Zeit Bier oder Hot Dogs zur Verfügung zu stellen, so waren 30 Minuten Anstehen normal und nervenraubend. Auf dem Spielfeld dümpelte das Spiel ohne nennenswerte Aktionen vor sich hin, sangesfreudig ging es trotzdem zu. Auch die als Zigeuner beschimpften Fans vom FTC, abgekürzt Fradi, unterstützten ihr Team durch häufige kleinere Pyroeinlagen.

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Ab der 75. Minute kam Bewegung in den Heimblock. Sportliche Typen mit einem erwartungsvollen Grinsen rannten in Richtung Blockausgang. Mit dem Blick nach draußen konnte man sehen, dass die Exekutive ebenfalls, bloß ohne erkennbares Grinsen, anlief, um in den Block hineinzukommen. Lautes Zischen, Schreie, Wurfgeschosse waren die Folge. Frauen wie Männer hielten sich die Nase und den Mund zu und liefen mit roten Augen umher. Die Masse der Schaulistigen und Aktiven wurde größer. Einige zogen sich Masken über, andere provozierten mit dem Hitlergruß. 

Der offizielle Ultra Fanshop erkannte schnell das Potential und packte den Stand zusammen und räumte den Platz, da sie genau in der Schusslinie standen. Die sich bereits Gasmasken aufgesetzten Polizisten konnten letztendlich sogar bis hinter die Eingangstore vertrieben werden. Nun erschallte ein lautes und stolz über die Aktion gerufenes: „Hooligans, Hooligans, Hooligans“. Danach ging jeder wieder zurück, um das Spiel weiter zu verfolgen. Es sollte sich lohnen. Das spannende Finale wurde durch einen lauten Knall eingeleitet. Kurz darauf stieg lila- und gelbfarbiger Rauch auf. Nun folgten im Sekundentakt Rauchtöpfe und Böller, welche wahllos umhergeworfen wurden. Meist in Richtung Spielfeld.

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Das nun lilafarbende Meer war am Toben, die 90. Minute brach an. Das Spiel neigte sich mit der Heimführung dem Ende entgegen. Völlig überraschend erzielte der Ungar Mark Orosz in der 91. Minute den Ausgleich. Die Polizei, welche sich im gesamten Stadion, bis auf den Fanblock, in großer Zahl postiert hatte, bekam nun noch mehr Zulauf von Kollegen. Vor allem um den Gästeblock herum. Dort feierte man das Tor sofort mit einer Rauchsäule. Nicht wenige Heimfans gingen bereits bitter enttäuscht nach Hause. 

Allerdings sollte die Nachspielzeit ganze vier Minuten gehen. Eine Ecke, wie sich zeigte, die letzte Aktion des gesamten Spiels, verwandelte der Belgier mit kongolesischer Staatsangehörigkeit Bavon Tshibuabua. Es ertönte der Pfiff, die Spieler feierten per Platzsturm frenetisch den Sieg, die Fans sprangen herum, zerrten am Zaun und umarmten sich gegenseitig wie nach dem Gewinn der Meisterschaft. Mit diesem 2:1 wurde die Serie von 12 ungeschlagenen Jahren zuhause gegen Fradi auf 13 erhöht. Flippten die Fradi-Anhänger nach der historischen 0:6-Pleite gegen den Erzrivalen im Jahre 2010 noch so sehr aus, dass fast die gesamten Sitzschalen vor dem Block lagen, die Polizeikette zwei Mann breit vor dem gesamten Block stand, Vereinsverantwortliche zum Deeskalieren an den Fanblock traten und unter anderem das Stadiontor zum Spielfeld aus den Angeln gehoben wurde, so kam es dieses Mal höchstens zu kleineren  Vorkommnissen. Vor dem Block lagen an die zehn Sitzschalen und zahlreiche Batterien, die das Netz vor dem Block nicht durchschlugen. 

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Während die Heimmannschaft mit den Fans feierte, traten die Gästefans rasch den Heimmarsch an. Entlang der Verbindungsstraße zwischen dem Stadion und der Innenstadt Váci út liefen nun Gruppen klarer Fußballzugehörigkeit, jedoch ohne Embleme offen zu zeigen, entlang und musterten auffallend die Umgebung. Die Straße war auch Weg für etliche Polizeifahrzeuge und den einen oder anderen Wasserwerfer. Es lag reichlich Aggressionen in der Luft, so dass vom Plan, in eine Kneipe im Stadtteil Ferencvaros aufgrund der Info, es herrschten dort chaotische Zuständen, Abstand genommen wurde. 

Die enorme Unterstützung von Seiten der Fans, an diesem Tag waren es 9.827, ist in den letzten Jahren das einzige was für beide Clubs nach Plan und historisch gesehen passend läuft. Für ungarische Ligaverhältnisse war die Zuschauerzahl eher hoch und ungewöhnlich. Gemessen an der Größe des Stadions und des Pufferblocks, dem langjährig fehlenden sportlichen Erfolg beider Clubs, wie dem gesamten eher miserablen Auftreten der ungarischen Teams auf internationaler Ebene. 
Zuletzt spielte die Nationalelf gegen Israel nur 1:1. Diese Partie war in Ungarn eine politisch brisante Ansetzung, da der Antisemitismus in Ungarn allgemein wieder anwächst. Der politische Rechtsruck in dem Land und der Akzeptanz durch die Mittelschicht und breiter Bevölkerungsteile ist offensichtlich. Die Jobbik Partei, die unter anderem die Grenzen Ungarns vor 1920 zurückhaben möchte und mit 12,8 Prozent der Stimmen 2010 ins Parlament einzog, ist derzeit die drittstärkste politische Kraft in Ungarn. Auch zur Feier des ungarischen Nationalfeiertages am 20. August 2012 fand ihr Fest mitten in Budapest auf der Margareteninsel statt. Die historische Innenstadt an der Donau erstrahlte an jenem Abend im farbigen Licht des Feuerwerks und ließ für einen Moment die Sorgen des Alltags komplett in Vergessenheit geraten.

Fotos: P. Schoedler

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen vom Budapester Derby

 

 

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