Ach ja, was liebe ich diese Atmosphäre! Ich könnte von solchen Zeitreisen wie am vergangenen Sonntagabend gar nicht genug bekommen! Es war tatsächlich das erste Mal, dass ich in der Eissporthalle am Westbahnhof vorbeigeschaut habe - und mein Kommen sollte sich wahrlich lohnen! In den vergangenen 32 Jahren hatte ich - vor allem in den 90ern und zu Beginn des Neuen Jahrtausends - etliche spannende Eishockeyspiele gesehen, doch vom Verlauf her toppte das Oberliga-Duell ESC Moskitos Essen vs. Herner EV so einiges.
Moskitos Essen vs. Herner EV: Grandioses Ruhrpott-Derby am Westbahnhof
Was die Halle betraf, so war ich auf Anhieb überzeugt. Ähnlich wie in Duisburg fühlte ich mich gedanklich zurückversetzt in die 90er Jahre, als auch die Kölner Haie, der BSC Preußen Berlin (später Preußen Devils bzw. Berlin Capitals) und der EHC Eisbären Berlin in kleinen engen Eissporthallen spielten. Nach dem Umzug in all die großen modernen Arenen schwand mein Interesse am Eishockey merklich. Ab und zu schaute ich in meiner Heimatstadt mal bei FASS Berlin in der Erika-Heß-Eishalle vorbei, um ein wenig die Nostalgie einzuatmen.
Stichwort Nostalgie und Geschichte. Was ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte, war die Tatsache, dass die Moskitos Essen zur Jahrtausendwende sogar kurzzeitig in der DEL gespielt hatten. Seit 1935/36 gibt es in Essen Eishockey zu sehen, und der Vereinsname wechselte etliche Male. Essener Roll- und Schlittschuhclub von 1936, ERV, Essener SC und EHC Essen. Im Sommer 1983 wurde der Verein als EHC Essen-West neu gegründet, Mitte der 90er wurde als Eissportclub Moskitos Essen der Spielbetrieb übernommen. 1999 gelang schließlich der Sprung von der 2. Bundesliga in die DEL, unter anderen durften nun die Fans des EHC Eisbären Berlin am Westbahnhof vorbeischauen. Nach einem Insolvenzverfahren musste 2002 ein Neustart in der Regionalliga West (vierte Liga) in Angriff genommen werden, 2010 wurde der Aufstieg in die Oberliga gepackt, in der seitdem außer dem einjährigen Rückzug in die Regionalliga (2020) gespielt wird.
Die Wurzeln des Herner EV gehen zurück in den Juli 1970. Als Vereinsfarben wurden die Stadtfarben Grün-Weiß-Rot gewählt, und die sechs Streifen stehen für die damaligen sechs Stadtbezirke von Herne. Auch beim Herner EV gab es einige Umbenennungen (Miners, Twister, Blizzards) und finanzielle Probleme. Ruhe kehrte 2012/13 ein, nachdem die Gysenberghalle zur vereinseigenen Eishalle und der Aufstieg in die Oberliga geschafft wurde.
Essen gegen Herne - das versprach in den Vergangenheit stets gute Stimmung, und manchmal wurde es arg hitzig. Am vergangenen Sonntag schauten knapp 2.700 Zuschauer in der Eissporthalle am Westbahnhof vorbei, und Dank des vorherigen 3:1-Sieges gegen die Rostocker Piranhas schöpften die Fans aus Herne Mut und füllten sehr ansehnlich den Gästeblock. Gute Stimmung also auf beiden Seiten, doch gab es im ersten Drittel keine Tore zu sehen.
Erst im zweiten Drittel nahm das Ruhrpott-Derby richtig Fahrt auf. In der 33. und 36. Minute brachten Cornett und Fern die Essener mit 2:0 in Front und es schien nun, als sei der Heimsieg gegen den Tabellenletzten nur noch Formsache. Nachdem jedoch Lundh Hahnebeck in der 37. Minute Herne auf 1:2 heranbrachte, kochte der Gästeblock und aufgrund des euphorischen Hämmerns auf die obere Abschirmung der Anzeigetafel eilten sogleich die Ordner herbei.
Nun war es wahrlich angerichtet! Die Partie hatte nun richtig Feuer drin, und in dem ausgeglichenen Spiel gelang Snetsinger in der 50. Minute der 2:2-Ausgleichsreffer für den Herner EV. Ja, aus neutraler Sicht wünscht man sich einfach solch ein Szenario! Lasst die Halle kochen! Mehr Spannung bitte! Lasst die Ränge beben! In der Schlussphase der regulären Spielzeit wollten es die Gäste wissen und kamen in der 60. Minute tatsächlich zu einer Riesenmöglichkeit. Das hätte der Sieg für Herne sein können - ja, müssen! Die Sirene ertönte. Auf in die maximal fünfminütige Overtime!
Bevor es in die Verlängerung ging, gab es allerdings noch einen Videobeweis. War der Puck vielleicht doch drin zum 3:2 für Herne? Nein! Der Puck ging wohl nur an den Pfosten - weiter ging’s! Sei es drum, ein Pünktchen war den Gästen bereits sicher! Gespielt wurde nun mit jeweils drei Feldspielern. Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Und siehe da, die Regel wurde erst 2016/17 (auch in DEL und DEL2) eingeführt. Spannend wird es, wenn es eine Zeitstrafe für eine Mannschaft gibt. Da drei Feldspieler mindestens auf dem Eis sein müssen, darf der Gegner nun einen vierten Feldspieler hinzunehmen. Dies war beim Duell Essen gegen Herne am vergangenen Sonntag kur vor Ende der Fall. Vier Sekunden waren noch zu spielen. Was tun?! Nach der Auszeit nahm Essen den Torwart vom Eis und setzte einen weiteren Feldspieler ein. Fünf gegen drei Feldspieler - und die Rechnung schien aufzugehen! In der deutlichen Überzahl genügten die vier Sekunden, um den Puck im Kasten unterzubringen. Daniel Weiß war der frenetisch umjubelte Torschütze und die Halle am Westbahnhof bebte. Im Heimblock saßen etliche Fans quer auf dem Geländer, wie es oft beim Fußball der Fall ist.
Die Essener hatten allerdings zu früh gejubelt. Der Treffer wurde zurückgenommen, die Zeit war wohl bereits abgelaufen. Eine sehr kuriose Sache! Was für ein Hin und Her. Nun ging wieder Gästemob freudig ab und beschenkte die Heimfans mit „netten“ Zurufen. Mein lieber Herr Gesangsverein, auch das Penaltyschießen hatte es in sich! Essen und Herne verschossen, dann trafen Otten und Snetsinger. Nachdem Essens Sandis Zolmanis verschossen hatte, gab es quasi einen Matchball für die Jungs aus Herne. Na dann man tau! Denkste! Niko Ahoniemi schaffte es nicht den Puck an Justus Roth vorbeizubringen.
Es blieb spannend. Drei weitere Versuche scheiterten, dann aber traf Fabio Frick für die Moskitos Essen und noch einmal explodierte der Heimblock. „Die Nummer eins im Pott sind wir!“, hallte es von der Gegengerade, im Gästeblock musste man sich erst einmal kurz sammeln. Nachdem der Essener Torwart allerdings vor den Gästen ein kurzes Tänzchen machte, kam beim Herner Anhang noch einmal Schwung rein. Aber hey, der erste Auswärtspunkt der Saison war in trockenen Tüchern. Und das als Tabellenletzter beim Erzrivalen am Essener Westbahnhof! Was für ein genialer Eishockey-Abend. Beste Grüße aus Berlin in den Ruhrpott! Wir sehen uns mal bei einem Rückspiel in Herne am Gysenberg!
Fotos: Marco Bertram