Rund um den 1. Mai dreht sich in Oberbayern alles um die prächtigen Stämme: Von Dieben und Muskelspielen
Mit dem König kamen die Maibäume. „Die prächtigen Holzstangen symbolisierten die neu gewonnene Freiheit und das Gefühl von Zusammengehörigkeit“, erklärt Rudolf Goerge Kreisheimatpfleger im Landratsamt Freising. Wo zuvor Herzöge, Herren oder Ritter regiert hatten, herrschte ab 1806 mit Max I Joseph ein gekröntes Haupt. Und der räumte sein Reich erstmal kräftig auf: Der Flickenteppich Bayern, der sich aus rund 40.000 kleinen Gebieten zusammensetzte, wurde zu einem Staat aus 8000 Gemeinden, die sich unter dem Mantel der weiß-blauen Monarchie vereinten. Aus Loyalität bemalten die neuen Zusammenschlüsse ihre Maibäume in den Farben des bayerischen Königreiches.
Auch heute tragen die unzähligen Maibäume im Freistaat traditionell Weiß-Blau. In ganz Bayern? Nein. In Mühldorf am Inn ragt jedes Jahr ein Sonderling in den Himmel. Dort wird der Maibaum stets rot-weiß gefärbt, weil die Stadt früher zum Fürstbistum Salzburg gehörte und sich seitdem mit diesen Farben schmückt.
Von der Bemalung abgesehen, hält man sich aber auch dort an die typischen Maibaum-Bräuche. Der spektakulärste ist sicherlich das Klauen der bis zu 40 Meter langen Traditions-Stangen. Sobald ein geeigneter Baum im Wald auserkoren wurde, ist er schon nicht mehr sicher. Zu groß ist die Gefahr, dass die Nachbargemeinde das gute Stück in einer Nacht-und-Nebel-Aktion stibitzt, um anschließend eine hohe Ablöse in Form von Bier und Brotzeiten auszuhandeln. Wenn die gezahlt wird, gibt’s den Baum zurück. Wenn nicht, landet er im Kamin oder muss den 1. Mai als Schandbaum neben dem Prunkstück des Diebes-Dorf fristen.
Um das zu vermeiden, lassen sich die Gemeinden so manche List einfallen. In Aschau am Inn hält man den Maibaum bis zum 29. April im Wald versteckt, bevor man ihn an einem geheimen Ort entastet, abwäscht und mit Kränzen und Girlanden schmückt. Auch die Chiemgau-Gemeinden Übersee, Grabenstätt und Schleching hüten den Maibaum wie ihren Augapfel: In der Region gehört das Klauen des Baums zum guten Ruf. Meist werden die Stücke bis zum Aufstellen Tag und Nacht streng bewacht, unter Autos versteckt oder sogar angekettet. Langfinger müssen sich geschickt anstellen und die Bewacher ausspionieren, Wachhunde mit Wurst außer Gefecht setzen und den bis zu 40 Meter langen Stamm unbemerkt davontragen. Maibaumklau in höchster Perfektion gelang vor Jahren einem pfiffigen Wirt, der den Münchner Maibaum mit einem Schwertransporter stibitzen konnte. Woher die Tradition stammt, die manchmal sogar vor Gericht landet, ist übrigens unklar. Fest steht, „dass sich dieser Brauch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat“, sagt Rudolf Goerge.
Nicht weniger spektakulär als das Klauen ist das Aufstellen des Maibaums. Bis zu 30 Burschen packen mit an, krempeln ihre Hemdsärmel hoch und greifen zu den Hebestöcken, die man „Schwalben" nennt, weil sie wie Vogelschwänze aussehen. Unter lautem „Hauruck" stemmen die Burschen den Baum dann in den Himmel. Anschließend wird gemeinsam gefeiert. Überall, wo in Oberbayern ein Maibaum steht, gleicht sich am 1. Mai die Szenerie: Bier, Brotzeiten, Blasmusik und jede Menge Geselligkeit – auch das zählt zum Brauchtum rund um den Maibaum.
Ein besonders ansehnlicher Maibaum ragt am Ufer des Schliersees in den weiß-blauen Himmel. Es heißt, er sei der Schönste in ganz Oberbayern. Der Kunstmaler Paul Neu hat den Baum 1926 entworfen und ihn mit sehenswerten Motiven geschmückt, die von den Traditionen der Region berichten, darunter Szenen aus dem Bauerntheater, Fischer, Holzknechte und ein Aussteuerwagen zur Bauernhochzeit. Das Prachtexemplar kann man sogar als Mini-Maibaum kaufen und der heimischen Modelleisenbahn einen Hauch von bayerischem Brauchtum verleihen.
Fazit:In Bayern schlägt am 1. Mai mehr als nur ein weiß-blaues Herz.