DDR

Wenn der geplante Bahn-Trip nach Thüringen zur Weltreise wird

 
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FerienlagerGroßbreitenbach im Thüringer Wald. 2.700 Einwohner. Eine Kleinstadt unter tausenden. Gelegen im Ilm-Kreis auf 630 Metern Höhe. Hm, und? Es würde diesen Artikel nicht geben, wäre nicht diese Postkarte in die Hände gefallen. Ein von den Eltern geschriebenes Kärtchen, abgeschickt an der Ostsee, adressiert an das Betriebsferienlager in genau diesem Großbreitenbach. Im Sommer 1985 war´s. Zu sehen ist eine 10-Pfennig-Briefmarke. „40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus“. Zwei Kosmonauten heben die Hand zum Gruß. Geteiltes Deutschland Mitte der 80er Jahre. Sommeridylle im Kinderferienlager, mitten im Thüringer Wald.

PostkarteWas der Autor nun eigentlich sagen möchte? Gemach, gemach! Zu der Zeit in den Kinderferienlagern in Eggersdorf bei Strausberg, in Breege auf der Insel Rügen und im polnischen Mikoszewo bei Gdansk wurde in einem anderen Bericht bereits reichlich geschrieben. Allerdings gab es in den beiden Artikeln eine Lücke. Der Aufenthalt im Betriebsferienlager in Großbreitenbach im Sommer 1985. Zahlreiche Erinnerungen aus der gesamten Schulzeit inklusive der Ferienlageraufenthalte blieben taufrisch. Die zwei Wochen in Thüringen sind komplett vergessen. Wie ausgelöscht. Weggewischt. Verdrängt? Hätte ich nicht neulich diese DDR-Postkarte gefunden, wäre mir definitiv nicht mehr der Name der Ortschaft eingefallen. Großbreitenbach bei Ilmenau. Damalige Postleitzahl: 6909. Die Straße: Zur Hohen Tanne. Die ist problemlos auf der Landkarte zu finden. Aus welchem Grund hätte man sie auch umbenennen sollen?

Nordwestlich von Großbreitenbach führt die L1047 über Möhrenbach nach Gehren und von dort aus nach Ilmenau. Die am Ortsausgang abgehende L1143 und ein Stichweg heißen laut google maps „Hohe Tanne“. Der Stichweg müsste es gewesen sein. Der Weg ins Glück, der Weg zum Betriebsferienlager von ORWO Wolfen. Die Satellitenaufnahme gibt in der Tat ein Gelände preis. Viel Brachfläche. Drei, vier Gebäude scheinen noch zu stehen. Reste des einstigen Kinderferienlagers? Wer weiß! Eine interessante Frage, die am besten vor Ort geklärt werden könnte.

altes ferienlagerUnd da wären wir beim eigentlichen Thema. Auf nach Großbreitenbach. Auf Spurensuche in Sachen eigener Kindheit. Nach 27 Jahren zurück an die alte Stätte. Längst vergessene Erinnerungen wieder auffrischen. In Eggersdorf hatte es gut funktioniert. Bunt und emotional ging es im Geiste zu, als ich das einstige, nun brach liegende Gelände des ORWO-Betriebsferienlagers in Eggersdorf aufgesucht und fotografiert hatte. Solch ein Erlebnis in diesem Großbreitenbach? Weshalb nicht! Mit der Bahn einen hübschen Ausflug gemacht. Am besten am frühen Morgen und am späten Nachmittag wieder zurück. Da müsste zwischendurch genügend Zeit bleiben für einen Spaziergang und eine emotionale Spurensuche.

BahnhofWie wäre es unter der Woche mit dem „Quer-durchs-Land-Ticket“ der Deutschen Bahn? Hübsch mit dem Nahverkehr von Berlin in den Thüringer Wald getingelt. Gewiss, Großbreitenbach ist nicht Hannover, Dresden oder Essen, doch eine vernünftige Anbindung sollte doch vorhanden sein. Schließlich liegt dieses Großbreitenbach mitten in einem Urlaubsgebiet. Da das Ticket unter der Woche erst ab neun Uhr gültig ist, also fix eingegeben: Berlin-Südkreuz ab 9 Uhr. Nach Großbreitenbach Bahnhof. Klick! Ernüchterung! Knapp acht Stunden Fahrtzeit. Fünfmal umsteigen. Eine völlig verrückte Verbindung. Mit dem Interregio-Express (wusste gar nicht, dass es so was noch gibt) nach Magdeburg, dann mit der Regionalbahn nach Halle (Saale), anschließend mit der Regionalbahn nach Erfurt, dann mal eben mit der Süd-Thüringen-Bahn rüber nach Plaue (nicht Plauen!), weiter mit dem Schienenersatzverkehr-Bus nach Ilmenau und abschließend mit dem Bus 304 nach Großbreitenbach. Ankunft 16:52 Uhr. Man könnte auch ein halbes Stündchen später losfahren und die Verbindung über Lutherstadt Wittenberg und Bitterfeld wählen, doch am Ende wäre es die gleiche Route. 

WartezeitAuch rein theoretisch wäre es nicht möglich, an dem gleichen Tag mit dem Nahverkehr wieder zurückzufahren. Es bleiben nur zwei Möglichkeiten. Einen Tag am Wochenende wählen oder gleich regulär mit einer schnellen Verbindung reisen. Am Samstag ginge es frühestens um 06:25 Uhr in Berlin-Südkreuz los. Nach 8:20 Stunden käme man in Großbreitenbach an. Dieses Mal über Saalfeld, Rottenbach und Gehren. Zwei Busfahrten inklusive. Das klingt nach Abenteuer. 350 Kilometer beträgt eigentlich nur die Entfernung auf der Straße. Theoretisch würde man am gleichen Tag wieder zurückkommen. Allerdings bliebe dann nur eine Stunde Aufenthalt. Definitiv zu wenig für eine emotionale Spurensuche zwischen alten Baracken und zu gewucherten Brachflächen. 

Was gibt eine schnelle Verbindung mit dem Fernverkehr her? Allerdings ahnt man schon, dass auch diese nicht viel schneller sein kann. Immerhin, knapp fünf Stunden würde es dauern. Viermal umsteigen. Zeitgewinn nur auf der ersten Hälfte. Mit dem ICE nach Leipzig, mit dem ICE nach Erfurt, dann wieder mit der STB nach Plaue und anschließend die beiden ermüdenden Fahrten mit dem SEV-Bus und dem regulären Bus. Soll ich es wagen? Spontan abgedüst?! Die Laune verdirbt indes der Normalpreis, der schlappe 66 Euro beträgt. Hin und zurück an einem Tag für 132 Euro? Das ist dann doch ein wenig zu viel, um nur mal so auf Verdacht auf einem Brachgelände an der Hohen Tanne zu stöbern. Sei wie es sei. Eine Sache machte diese Recherche deutlich. Von Großstadt zu Großstadt ist man in Deutschland fix unterwegs. Hat man jedoch einen etwas verwegeneren Ort als Reiseziel, können auch 300 Kilometer Luftlinie ganz schnell zu einem echten Husarenritt werden. 

Eines steht nun fest: Nach Großbreitenbach wird es eines Tages nur mit dem Auto gehen. Hin muss ich auf jeden Fall, denn ich möchte meinen Eltern die Urlaubskarte aus dem Jahre 1985 beantworten. Auf das damalige „Sei ganz lieb gegrüßt von Papa + Mutti, du fehlst uns du Lümmel!“ werde ich sicherlich eine passende Antwort finden! ;-)

> zum turus-Bericht: Kindheitserinnerungen DDR-Betriebsferienlager

> zu den turus-Fotostrecken: Reise-Impressionen aus aller Welt

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