Mit dem Fahrrad durch Serbien: Etappe Kikinda - Zitiste

 
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altAm nächsten Morgen verließen wir nach einem kleinen Frühstück das Hotel im serbischen Kikinda, holten die Fahrräder aus dem bewachten Keller und wollten uns gerade auf die Sattel schwingen, als mich eine Frau im mittleren Alter ansprach.
»Dobro jutro. Do you have a little bit time for me? Ja sam journalist, here in Kikinda. Odakle ste?« In einer bunten Mischung auf serbisch und englisch wurde ich gefragt, woher wir kämen und was unser Ziel sei. In einer ebenso bunten Sprachmischung gab ich Auskunft und schilderte unsere Reisepläne. Die Journalistin zeigte sich beeindruckt, machte Notizen und fertigte mit ihrer digitalen Kompaktkamera ein Foto von uns an.

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Ganz sicher waren Karsten und ich uns nicht, ob sie wirklich Journalistin war, oder ob sie nicht eventuell für den serbischen Geheimdienst oder für die Polizei arbeitete. Als sie ganz beiläufig nach unseren Nachnamen fragte, blockte ich ab und meinte, unsere Vornamen genügen doch sicherlich für den Zeitungsbericht.
Eines stand fest, wir waren ein echter Blickfang, denn Touristen sah man in dieser Region so gut wie gar nicht. Zwei junge Männer auf bepackten Fahrrädern schon gar nicht.
Nach einer freundlichen Verabschiedung machten wir uns auf den Weg. Das nächste Tagesziel wartete. Wie es lauten würde, wussten wir noch nicht. Wir wussten nur, dass wir übermorgen Vrsac erreichen wollten.
Es war gar nicht so einfach in Kikinda die kleine Verbindungsstraße nach Rusko Selo zu finden. Als ich an einer Straßenkreuzung die Landkarte studierte, hielt ein Mann mit seinem Auto an, stieg aus und zeigte sich von seiner hilfsbereiten Seite. Er erinnerte mich ein wenig an den Vater meiner langjährigen kroatischen Freundin in Berlin, und ich musste innerlich schmunzeln. Nach Rusko Selo? Kein Problem. An der vierten Kreuzung nach rechts, dann an der dritten Kreuzung nach links, dann immer geradeaus.
Die Anzahl der Kreuzungen stimmte zwar nicht ganz genau, aber die grobe Tendenz war richtig, und somit war der Tipp wirklich hilfreich. 

altAm Stadtrand von Kikinda fielen erbärmliche Ziegelhäuser und Bretterhütten auf, die so gar nicht ins Stadtgefüge passten und wie ein Geschwür abseits des Hauptgeschehens wucherten. Noch weiter außerhalb lag auf der linken Seite, eingerahmt von Maisfeldern, eine verlassene Baustelle. Hier sollte einst ein großes luxuriöses Anwesen errichtet werden, doch aus irgendwelchen Gründen kamen die Bauarbeiten ins Stocken. Einsam und verlassen stand das recht ausgefallene Steinhaus mit der kleinen Kuppel auf einer kleinen Wiese inmitten der im Wind raschelnden Maisfelder. An der Straße wurde bereits ein Torbogen aufgestellt, zum Aufstellen des Zaunes kam es allerdings nicht mehr. Unkraut wucherte auf einem angelegten Sandweg, der zum verwaisten Gebäude führte. Solchen Anwesen sollten wir auf unserer Tour noch öfters begegnen.

Das Fahren auf den Straßen der Voivodina war eine helle Freude. Fix ging es auf dem teilweise hervorragenden Asphalt voran. Spitzengeschwindigkeiten bis zu 40 km/h konnten wir bei leichtem Rückenwind zurücklegen. In der Regel fuhren wir auf glatten Straßen allerdings zwischen 20 und 30 km/h.
Dieser Tag wurde hochsommerlich heiß, die Sonne brannte unerbittlich, und langsam machte ich mir Sorgen um meine Haut. In der nächst größeren Stadt wollte ich unbedingt Sonnencreme kaufen, und zwar eine mit Sonnenschutzfaktor 20 oder mehr.
Negativ fiel teilweise in Serbien die Müllentsorgung auf.  An ruhigen Verbindungsstraßen entstanden zwischen zwei Ortschaften vielerorts wilde Mülldeponien am Straßenrand, die im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stanken. Ab und zu sah man auf diesen vor sich hin qualmenden Müllbergen die Ärmsten der Armen, die mit Stöcken den Müll ausbreiteten und nach brauchbaren Gegenständen stocherten.

altWer denkt, diese mit Lumpen bekleideten Gestalten würden den vorbeifahrenden Radfahrer ansprechen, anbetteln oder gar bedrohen, der irrt. Dies geschah nicht ein einziges Mal. Aber ich muss gestehen, dass ich froh war, recht zügig mit dem Fahrrad vorbeifahren zu können. Zu Fuß und mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken wäre mir bei manch einer Mülldeponie mit Sicherheit mulmig geworden. Wer weiß schon, was manch eine Person, die durch die Lande streift, auf dem Kerbholz hat?
Rund 25 Kilometer von Kikinda entfernt erreichten wir die Siedlung Vojvoda Stepa, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht zu sagen schienen. Vojvoda Stepa zog sich längs der Straße ein gutes Stück hin. Gleich am Ortseingang befand sich auf der rechten Seite ein kleines Geschäft, das sich »Bife Grand« nannte. Quer gegenüber befand sich ein Sportplatz, der sogar eine kleine Sitzplatztribüne hatte. Der Laden war Dreh- und Angelpunkt der Ortschaft. Kleine Mädchen kamen mit ihren Rädern vorbei und beäugten uns misstrauisch. Eine alte Frau holte Getränke und schlurfte zurück zu ihrem Haus. Ein hagerer, steinalter Mann mit dunkelbrauner, sonnengegerbter Haut schob sein altes Fahrrad an uns vorbei und verschwand mit einem »Dobar dan« im Geschäft.

Von Vojvoda Stepa wollten wir die 19 Kilometer lange Verbindungsstraße nach Srpski Itebej nutzen, doch hinter dem Ortsausgangsschild gab es eine Überraschung. Die Straße wurde gerade instand gesetzt und war zu jenem Zeitpunkt eine staubige Sandpiste, auf der in regelmäßigen Abständen die schweren Baufahrzeuge verkehrten. Auf einem Schild war zu lesen, dass die JP Putevi Srbije Beograd als Investor die Straße R-123 neu bauen ließ.
Wir kehrten um und fuhren auf der Hauptstraße einen kleinen Umweg über Nova Crnja. Glücklicherweise waren selbst die Hauptstraßen in Serbien nicht übermäßig befahren, somit war man eigentlich fast überall mit dem Fahrrad ziemlich sicher unterwegs. Was das Fahrverhalten der Serben betrifft, wurden wir auch angenehm überrascht. Rasante Raser machten uns selten das Leben schwer.
Später in Begejci hielten Karsten und ich vor einem Dorfladen eine kurze Beratung ab. Wegen der Umleitung kamen wir an diesem Tag etwas langsamer voran als geplant, und da nur noch kleine Ortschaften kommen würden, war noch ungewiss, wo wir die nächste Nacht unterkämen.
»Was meinst du, wie weit kommen wir heute noch?« fragte ich.
»Na, vielleicht bis Boka? Aber das wird hart. Was war denn geplant?«
»In meiner Berechnung sah ich Sutjeska vor, doch es war nicht herauszufinden, wo es in dieser Gegend ein Hotel oder eine Pension gibt. Erst für Vrsac habe ich wieder eine Adresse«, antwortete ich.
»Bis Vrsac werden wir wohl kaum kommen. Ich hatte mal im Laden gefragt, die Verkäuferin konnte tatsächlich Deutsch sprechen. Sie meinte, in Zitiste gibt es ein Motel. Ansonsten kennt sie hier nix. Das Motel ist nicht weit weg. Dort die Straße runter«, entgegnete Karsten.
»Bevor wir in irgendeiner Ortschaft im Dunkeln ankommen und nichts finden, lass uns lieber dieses Motel nehmen. Sicher ist sicher. Was weiß ich, wie es in Sutjeska oder Boka ausschaut«, stimmte ich zu.
Wir vergewisserten uns noch einmal bei der Verkäuferin im B.B. Market und radelten dann zur von der Route leicht abseits gelegenen Ortschaft Zitiste.
Die Begrüßung in Zitiste war nett und herzlich. Beim Einrollen auf der dortigen Hauptstraße riefen mir ein paar Männer von einem Straßencafé zu, dass es hier bei ihnen freie Zimmer gäbe. Wir gingen jedoch auf Nummer sicher und fuhren zum Motel Kozara weiter, das auf Anhieb gar nicht als solches erkennbar war. Zwar standen wir bereits neben dem Motel, doch fragte ich eine junge Frau in einem Kiosk, die mich anfangs schlecht verstand und dann jedoch verwundert erklärte, dass sich das gewünschte Gebäude gleich nebenan befinden würde.

altVor dem Motel waren auf einer Terrasse eine Vielzahl roter Sonnenschirme und blaue Stühle aufgebaut. Den dort sitzenden Kellner fragten wir nach einem Zimmer, woraufhin er uns zur Rezeption führte. Die Formalien waren wie immer stets schnell geklärt, der Preis betrug pro Person exakt 1.000 serbische Dinar, Frühstück inklusive.
Frisch geduscht und umgezogen schlenderten wir zum Straßencafé zurück, an dem die Männer mir bei der Ankunft zuriefen. Obwohl Zitiste nicht größer war als vergleichbare Ortschaften der Region, war dort einiges los. Dies lag daran, weil Zististe an der Straße von Zrenjanin in Serbien nach Jimbolia in Rumänien lag.
In Zitiste fand an jenem Nachmittag in einem größeren Gebäude unweit des Motels eine Wahlkampfveranstaltung der Partija Ujedinjenich Pensionera Srbije statt. Neugierig warf ich einen Blick in den Saal, und sogleich heftete mir eine junge, attraktive Frau einen roten Sticker an mein T-Shirt. Freudestrahlend drückte sie mir zudem einen Flyer in die Hand.
Interessant wurde das Abendbrot im großen Restaurantsaal des Motels. Karsten und ich hörten auf die Empfehlung des Kellners und bestellten jeweils eine serbische Fleischplatte. Somit durften wir sage und schreibe sieben verschiedene Fleisch- und Wurstspezialitäten probieren. Aber was heißt probieren? Von jeder lecker zubereiteten Spezialität war reichlich auf dem prall gefüllten Teller vorhanden. Dazu gab es Brot, Kartoffeln und Schopska Salat.
Im Restaurant ging es recht lebhaft zu. Das Motel schien Dreh- und Angelpunkt der verschiedensten Leute zu sein. In einem separaten Speiseraum ließen es sich vier wohlhabende Serben gut gehen und riefen den Kellner für jede Kleinigkeit extra herbei. In einer Hand das Mobiltelefon, in der anderen Hand die Gabel wurde ausufernd geredet und gestikuliert. Big in Business zeigte man sich von der wichtigen Seite und genoss es sichtlich, in dem separaten Raum zu speisen.

altAber auch um uns herum ging es turbulent zu. Einige Männer kehrten ein und bestellten zumeist üppige Fleischgerichte. Einer der Männer aus dem separaten Raum überreichte einem anderen Motelangestellten ganz offen einen ganzen Batzen Geldscheine. Wurde an einem Tisch fertig gespeist, so eilte der Kellner mit einem Handstaubsauger herbei und entfernte die Krümel vom Tisch. Geschwind und gekonnt gleitete der kleine Staubsauger über die Tischdecke, und schon bald lag kein Krümelchen mehr auf dem geräumten Tisch.
Abends trafen sich hinter dem Motel an einer Bar im Freien recht viele Männer, die dick im Geschäft schienen, und feierten bis tief in die Nacht bei lauter Balkanmusik. Am kommenden Morgen traf man bereits die ersten wieder, als sie auf der Terrasse vor dem Motel gemütlich in aller Seelenruhe ihren Kaffee schlürften.

> zum ersten Teil der Serbien-Radtour

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Serbien

Video von der Balkan-Tour:

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