Itatiaia

Quer durch den Regenwald: Wandern im Nationalpark Itatiaia

 
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altDer 300 Quadratkilometer große, im Jahre 1937 geschaffene Itatiaia-Nationalpark befindet sich in der Serra da Mantiqueira, die sich in den Bundesstaaten Minas gerais und Rio de Janeiro erstreckt. Im Nationalpark sind über kleine Wanderwege und Pfade bemerkenswerte Wasserfälle zu erreichen, zudem gibt es dort noch den Atlantischen Regenwald (Mata Atlântica) zu bewundern. Auf eigene Faust im Itatiaia-Nationalpark unterwegs zu sein, ist jedoch alles andere als einfach. Im Sommer 1996 ging es auf der siebenwöchigen Reise quer durch Brasilien von der Ortschaft Itatiaia aus in die Berge. Folgend ein Kapitel aus dem Buch "Saudade do Brasil", das 2011 auf den Markt kommt.

Die zum Teil riesigen dunkelgrünen Baumkronen bildeten ein weitflächiges Blätterdach. An einigen Stellen ragten schlanke, hohe Stämme des Vorwaldes aus diesem Dach hervor, und rauschend bahnte sich ein Gebirgsfluss den Weg über moosbewachsene Felsen in das Tal. Es war heiß, und die Luft war mit Feuchtigkeit gesättigt. Schon nach wenigen Kilometern mussten wir das erste Mal zu den Wasserflaschen greifen. Der Schweiß rann von der Stirn und brannte in den Augen.
Obwohl wir nicht viel zu tragen hatten, unsere Rucksäcke waren nur mit dem Nötigsten gefüllt, wurde das Wandern bei dieser Schwüle und den hohen Temperaturen schnell zur Qual. Die drückende Luft erschwerte das Atmen, vom erwähnten alpinen Klima war auf jener Höhe, zirka 1000 Meter über dem Meeresspiegel, noch nichts zu spüren.
Tiere bekamen wir nicht zu Gesicht, nur ein paar buntgefiederte Vögel waren auf den Ästen der Bäume auszumachen. An einer von großen Steinen eingerahmten Stelle des Gebirgsbaches staute sich kristallklares Wasser an. Die majestätischen Bäume des Regenwaldes erhoben sich zu beiden Seiten an den Berghängen.

altEinem urwüchsigen Pfad folgend, wanderten wir einen Berg hinauf und erreichten zwei Wasserfälle von unvergesslicher Schönheit. Kein Mensch der Erde hätte mit seiner Hand so etwas überwältigendes schaffen können. Viele Meter fiel das Wasser an dunklen Felsblöcken herab. Weiß schäumend sprudelte es von einem Gesteinsblock zum anderen. Wasserpflanzen hingen am Felsen und bewegten sich synchron zum hinabfallenden Element des Lebens, das sich zu einem Fluss sammelte, die Berge hinunterfloss, den Nationalpark hinter sich ließ und abschließend in den Rio Paraíba do Sul einströmte.
Der Rio Paraíba do Sul ist der größte Fluß im Bundesstaat Rio de Janeiro, trennt an einer Stelle Rio de Janeiro von Minas Gerais und mündet beim Städtchen São João da Barra in den Atlantischen Ozean.
Winzige Wassertropfen reicherten sich in der Luft an und bildeten einen feinen Nebel. Die gesamte Umgebung wurde in die Wasserfälle mit einbezogen. Die Rankelpflanzen, die wild wachsenden Bäume und das feuchte Gras der freiliegenden Flächen. All dies schien ganz gezielt um die Wasserfälle herum angeordnet zu sein. Alles wurde zu einer Einheit, und das brausende Wasser war das Zentrum des hinreißenden Naturschauspiels.
Den Wasserfall hinter uns lassend, kletterten wir den Pfad weiter hinauf. Die Machete hielt ich schlagbereit in meiner rechten Hand, fest davon überzeugt, jederzeit ein angreifendes Tier abwehren zu können. Mir erschien die Gegend sehr schlangenverdächtig, und so prüfte ich jeden herabhängenden Zweig und jede Schlingpflanze. Glitschige Steine und feuchte Moose mussten vorsichtig überschritten werden. Häufig musste man sich an Bäumen und Felsen festhalten, da die Gefahr bestand, gnadenlos abzurutschen.
Plötzlich wurde der Anstieg steiler, der Pfad war nicht mehr erkennbar, und riesige, mit Pflanzen bewachsene Felsblöcke versperrten den Weg und ließen einen weiteren Aufstieg kompliziert und gefährlich werden. Lehmiger Boden erschwerte das Klettern, und Pflanzen und Bäume wuchsen immer dichter. Undurchquerbares Dickicht  verhinderte ein Weitergehen.

altKathrin und ich kehrten mit der Absicht um, einen anderen Pfad zu suchen, ohne dem eine Wanderung im Nationalpark nicht möglich war. Einem verwachsenen Weg folgend, machten wir zufällig ein verlassenes Grundstück ausfindig, das sich an einem Berghang auf mittlerer Höhe befand. Seit Jahren schien dieses Grundstück nicht mehr von Menschen bewohnt. Überall wucherten Pflanzen und eroberten sich Stück für Stück wieder zurück.
Es war eine Überraschung, ein Grundstück mit drei verlassenen Häusern mitten in den Wäldern zu finden. Die Häuser waren nicht sehr groß und standen etwas voneinander entfernt. Gründlich schauten wir uns jede Ecke der Gebäude an und überlegten, ob es vielleicht doch noch menschliches Leben gäbe. Fensterläden verhinderten Einblicke in die Häuser, Spinnweben hingen an den Türen, und altes, vertrocknetes Laub lag auf der Veranda. An einer Wand, unter einem morschen Vordach, befand sich ein Wasserhahn. Rotbraunes Wasser ergoss sich in den blechernen Waschtrog. Insekten stoben aufgeschreckt in alle Richtungen. Das Wasser hatte die gleiche Farbe wie die Erde Brasiliens.

»ATENÇÃO!  CHAME  O  CASEIRO  BATE  NO  GONGO!«
Achtung! Rufe den Hausbesitzer, schlage an die gongo! Diese Wörter standen mit roten und weißen Buchstaben auf einem dunklen Holzbrett am Eingang des einen Hauses.
Ich erschrak beim Anblick des rot geschriebenen »Atenção« und dachte an eine ernsthafte Warnung, denn die restlichen Wörter verstand ich anfangs nicht. Neben dem Schild hing ein an einer Strippe angebundenes Rohrstück. An dieses sollte man mit einem festen Gegenstand schlagen, um den Hausbewohner herbeizurufen. Diese Zeiten waren vorbei, niemand wohnte mehr dort, und einsam verwitterte nun das Holzschild.
Auf der Veranda standen weiße Gartenmöbel, die langsam Moos ansetzten. Die Farbe blätterte ab, doch luden die vornehmen Lehnstühle wie einst zum Verweilen ein. Efeu wand sich um die Holzstützen der Veranda und ließ die Gedanken um Friedhöfe und Gräber kreisen. Ich fragte mich, was die Bewohner dazu trieb, dieses herrliche Fleckchen Erde zu verlassen. Ob eine Tropenkrankheit die Leute dahinraffen ließ? Lag es an dem verseuchten Wasser?

altWir hängten gerade unsere Hängematten auf die Veranda, um dort die kommende Nacht zu verbringen, als ich zwei Wespennester bemerkte, die direkt über uns am Dach hafteten. In Anbetracht dieser Tatsache zogen wir es vor, die Schlafsäcke auf einer freien Fläche auszubreiten. Ganz in der Nähe wuchsen Bananenpflanzen, große Stauden mit mächtigen Blättern. Ich schlug zwei, drei Blätter ab, die unsere Körpermaße übertrafen. Diese nutzten wir als Unterlage für die kommende Nacht.
Mit Einbruch der Dunkelheit begann die unheimlichste Nacht der gesamten Reise. Es war Vollmond. Kaltes Licht erhellte die Umgebung, die nur ab und zu durch vereinzelte Wolkenfetzen verdunkelt wurde. Die Umrisse der Bäume und die Silhouetten der verlassenen Häuser wirkten bedrohlich. Aus dem Wald ertönten wieder einmal die Geräusche der Tiere, die jetzt aktiv wurden. Kälte kroch langsam in unsere Schlafsäcke, so dass wir noch dichter zusammenrutschten. Tau ließ den Untergrund feucht werden.
Ohne Unterbrechung knackte, jaulte und wimmerte es aus dem Wald heraus. So einiges an Getier war auf dem Weg durch das Unterholz, und ich hoffte, dass keine Wildkatze uns einen unverhofften Besuch abstatten würde. Die Geräusche aus dem Dickicht waren nicht vertrauenerweckend. Krampfhaft war ich bemüht endlich einzuschlafen, um dieses nächtliche Treiben nicht weiter anhören zu müssen.
Der Mond ließ die dunklen Schatten der Wolken über die Wipfel der Bäume, Dächer der Häuser und Freiflächen dahingleiten. Wieder heulte es nicht weit entfernt im Gestrüpp auf.
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Jedoch ohne Insektenstich, Schlangenbiss oder Kratzspuren eines Jaguars wachten wir bei aufgehender Sonne auf. Irgendwann im Morgengrauen mussten Kathrin und ich doch noch fest eingeschlafen sein, denn die Sonne stand bereits hoch über den Wipfeln der sattgrünen, stark verzweigten Bäume.
Diesmal folgten wir einem anderen Weg und machten uns auf zum Hochplateau. Schon bald sahen wir erste Warnschilder, die wir schlichtweg ignorierten. Als weitere Hinweisschilder und Absperrungen folgten, lasen wir uns diese genau durch. Wieder einmal befanden wir uns auf einem Militärgelände, das sich mitten im Nationalpark befand.

> zur turus-Fotostrecke Brasilien

> weitere Brasilien-Bilder auf www.saudade-fotos.net

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