Kairo

Stress pur: Ohne Gepäck nach Kairo

 
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KairoEs ist der Albtraum eines jeden Reisenden. Man kommt mit dem Flugzeug an seinem Reiseziel an, steigt voller Freude aus und schlendert zum Gepäckband, um seine Taschen abzuholen. Man wartet und wartet. Es werden immer weniger Leute, die auf ihr Gepäck warten. Zu guter Letzt ist man der einzige, der am verwaisten Förderband steht und ungläubig auf das Schild "End" starrt. Vom Gepäck keine Spur. So geschehen in Kairo im Februar 1996. Geplant war eine Doku-Reise quer durch Ägypten, die erste böse Überraschung gab es gleich am Airport. Exklusiv für das turus-Magazin an dieser Stelle ein Auszug aus dem Kapitel "Ohne Gepäck quer durch Ägypten" aus dem Buch "13 Reise-Fragmente".
 

Golden schimmerten die geschwungenen arabischen Buchstaben auf den hellen Wänden des Terminalgebäudes. Die Luft flimmerte, obwohl es bereits kurz vor Mitternacht war. Die Triebwerke des Flugzeuges wurden heruntergefahren, und der Lärmpegel nahm ab.

Willkommen in Kairo. Der Kälte Berlins entflohen. Für zwei Wochen den harten Winter verlassen. Keine Probleme mehr mit eingefrorenen Wasserrohren und Ofenheizungen. Der Klimawechsel war enorm. Zwischen den Temperaturwerten Mitteleuropas und Nordafrikas lagen im Februar 1996 Welten.
Kairo, Ausgangspunkt für eine zweiwöchige Reise quer durch Ägypten, begrüßte uns mit seinen goldenen Schriftzügen und der selbst für ägyptische Verhältnisse heißen Luft. Der Flug der Egypt Air von Berlin über Hugharda nach Kairo war die letzte Ankunft des Abends. In der Empfangshalle war es bereits ruhig, und an einigen Ecken wurde bereits mit dem Kehren begonnen.

KairoNach dem Erwerb der briefmarkenähnlichen Visa und der darauf folgenden Paßkontrolle stellten wir uns an das Gepäckfließband und warteten auf unsere Rucksäcke. Jans Rucksack kam auch sogleich, und wir mußten nur noch auf mein gutes Stück warten, um uns anschließend auf den Weg ins Ciao Hotel zu machen.
Ratternd und ächzend drehte das Fließband seine unermüdlichen Runden und brachte reichlich Gepäck aus der Luke in der kahlen, gekreideten Wand zum Vorschein. Mit braunem Klebeband versiegelte Pakete, noble Koffer, mit Folie eingewickelte Ballen und abgewetzte Taschen.
Die Leute nahmen hastig ihr Gepäck und eilten davon. Einen Wagen vor sich herschiebend oder einen Rollie und ein Paket hinter sich herschleifend. Es war spät. Die Halle leerte sich zunehmend, das Band spuckte in immer größeren Abständen Gepäckstücke hinaus, und dann kam der Augenblick, als ein aufs Fließband gelegtes Schild verriet: Hier ist das Ende. Das war's.

Jan hatte bereits seinen Rucksack geschultert. Etwas irritiert blickte ich auf das an mir vorüber ziehende Schild mit den arabischen und englischen Aufschriften.
Die erste Vermutung, mein Rucksack würde als Sperrgut mit einem Lastenaufzug gebracht werden, bestätigte sich nicht. Bald standen Jan und ich allein am mittlerweile verstummten Fließband. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und zu überlegen, was am besten auf die Schnelle zu tun sei. Der erste Mann in Uniform wurde angesprochen. Mit Fingerzeig wies er mich auf einen Angestellten des Flughafens. 
Morgen, kommen sie bitte morgen wieder, bekam ich Augenblicke später vom Flughafenangestellten zu hören. Es werde sich alles klären. Am Vormittag solle ich mich erkundigen, ob mein Rucksack eventuell nachgesandt wurde.
Den Kopf schüttelnd forderte ich zumindest eine Bestätigung, ein Stück Papier als Beleg dafür, daß mein Rucksack hier in Kairo nicht ankam. Ich wurde zum Büro der Egypt Air weitergeschickt, wo bereits die Lichter ausgingen. Nur widerwillig händigte man mir einen Bogen aus und empfahl mir anschließend, schnellstmöglich ein Taxi zu nehmen. Die Zeit sei sehr vorangeschritten. Ich solle bitte morgen wiederkommen.

KairoDie Taxifahrer ließen nicht lange auf sich warten und boten ihre Dienste auf die berühmt berüchtigte arabische Art an. Wir handelten einen Preis aus und fanden uns Sekunden darauf in einem Auto wieder, das Kurs auf einer der Hauptmagistralen Kairos nahm.
Ciao Hotel, den Namen unser geplanten Unterkunft wußte ich. Die Adresse nicht. Es sollte gleich gegenüber der Ramses Station liegen und durchaus preiswert sein. Ein guter Freund, der des öfteren in Ägypten unterwegs war, gab uns den Tip. Ob das Hotel nördlich, südlich, westlich oder östlich vom Stadtkern liegen sollte, wußte ich nicht. Ich hatte keinerlei Ahnung und hoffte, daß der Taxifahrer uns nicht übers Ohr hauen würde.
Nach dem mißglückten Start auf dem Flughafen hielt ich weitere Pannen für durchaus möglich. Es könnte ja schließlich sein, daß diese Reise unter keinem guten Stern stehen würde.

Nur drei Stunden nach Verlassen des winterlich trüben Berlins sogleich im prallen, turbulenten Leben der arabischen Welt. Krasser konnte ein Wechsel von einer Welt zur anderen kaum sein. Ob das nun Kairo, Damaskus oder Islamabad war, spielte dabei keine Rolle. Genau unterscheiden und realisieren konnte man dies mitten in der Nacht eh nicht. Arabisch, ja. Südlich, warm und fern, sehr fern.
Der Taxifahrer sprach kaum ein Wort mit uns, was ich nicht positiv oder negativ zu bewerten wußte. Ich hoffte nur auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit des Mannes, denn der Fahrstil war bemerkenswert halsbrecherisch.

Nach Verlassen der breiten, vielspurigen Hauptstraße mit den Palmen, Statuen und Plakaten wurde es zunehmend ärmer und bautechnisch betrachtet elend. Papierfetzen, zertretene Holzkisten und sonstiger Müll lag verstreut auf den Straßen  und Bürgersteigen. Männer standen in Gruppen und diskutierten. Das Ciao Hotel besaß zwei separate Eingänge. Einen für ausländische Besucher und einen für die Ägypter. Die unteren und obersten Etagen gehörten zum Teil des Hotels, der den ausländischen Gästen offenstand. Die beiden Bereiche waren mit einem Fahrstuhl verbunden.
Die dazwischen liegenden Stockwerke, welche mit Sicherheit schlichterer Natur waren, konnten von den anderen Etagen nicht betreten werden. Ein Aufzug auf der anderen Seite des Gebäudes führte geradewegs zum ägyptischen Teil. Von unserem Zimmer aus hatte man direkten Blick auf die Ramses Station und seinen großen Vorplatz, auf dem am späten Abend und während der ganzen Nacht der Teufel los war.

Es war der Fastenmonat Ramadan, und deshalb versammelten sich nach Sonnenuntergang hunderte Ägypter vor Ort und aßen und tranken gemeinsam an aufgebauten Ständen und Tischen. Eine beachtliche Geräuschkulisse begleitete dieses Nachtmahl.
Schreiende Begrüßungen, permanentes Hupen und auf enorme Lautstärke geregelte arabische Musik untermalten das allabendliche Treffen auf dem Platz an den Lastwagen, Kleinbussen und Ständen. Die Männer schienen aus dem gesamten Großraums Kairos zu kommen. Immer wieder traf ein Kleinbus mit fröhlich gestikulierenden Ägyptern ein.
An Schlaf war kaum zu denken. Der Lärm auf dem Vorplatz, die Qual der Wahl, ob stehende Hitze oder ratternde Klimaanlage, und die Sorge um mein Gepäck ließen keine Nachtruhe zu.
Dummerweise hatte ich kein Handgepäck dabei. Mein sämtliches Hab und Gut, die Papiere und das Geld mal ausgenommen, befand sich im Rucksack. Ich wollte die Hände bei Einreise und Paßkontrolle frei haben. Zum Glück hatte ich unter der normalen Kleidung noch einen Jogginganzug an, da es bei der Fahrt zum Flughafen in Berlin dermaßen klirrend kalt war.

Bei einem Bier in einer Bar auf der obersten Etage des Hotels machten wir mit Hesham Bekanntschaft. Er sprach uns beim Kauf unser Getränke an, fragte, ob er uns helfen könne, und setzte sich zu uns an einen Tisch. Er war der zum Hotel gehörende Taxifahrer, der den Gästen seine offiziellen und privaten Dienste anbot. Hesham war um die vierzig, besaß einen Schnurrbart, spitzbübische Augen und schwarzes, raspelkurzes Haar. Er fragte uns über unsere Herkunft aus und machte diverse Vorschläge für mögliche Taxifahrten quer durch Kairo und ins Umland.
Wir lehnten vorerst ab, baten um Bedenkzeit und teilten ihm mit, daß wir vorerst die Angelegenheit mit dem verschwundenen Rucksack klären müssen. Jan und ich wollten lieber am kommenden Morgen beim Frühstück nochmals drüber reden. Nun aber seien wir müde und erschöpft.

Tatsächlich kam Hesham pünktlich zum Frühstück an unseren Tisch und unterbreitete weitere Tourenangebote. Er mag uns, teilte er uns mit, wir haben einen eigenen Kopf, einen eigenen Stil und wissen, was wir wollen. Das gefalle ihm, teilte er uns mit. Extra für uns würde er eine besondere Rundfahrt planen. Er wolle uns Kairo von der ganz anderen Seite zeigen.
Kennen wir Cemetry, den Stadtteil auf den Gräbern der Ahnen? Das müssen wir sehen. Und das Koptenviertel? Auch nicht? Na klar, das erste Mal in Ägypten. Nun denn, Gizeh müsse natürlich auch sein, aber wichtiger sind die versteckten Dinge der Stadt.
Der Preis sei kein Problem. My friends, wir können im Anschluß des Tagesprogrammes zahlen, was uns der Tag wert sei. Kein Problem, wirklich nicht. Wir würden den Preis und das Programm selbst bestimmen.

Unser Einwand, erst müsse die Sache mit Egypt Air geklärt werden, war auch schnell behoben. Hesham wollte uns persönlich zum Flughafen fahren. Es sei sowieso besser, wenn jemand arabisch sprechen könne bei diesen sturköpfigen Beamten. Daß es auf dem Flughafen zu Streß, Ärger und Diskussionen komme, stehe außer Frage, da sei es wirklich besser, wenn er dabei wäre. Hesham hatte es nach einer Stunde geschafft. Jan und ich hatten uns breitschlagen lassen und stimmten seinem Vorschlag zu. Hesham nickte vergnügt und zwinkerte mit seinen spitzbübischen Augen. Die Tour, die er für uns mache, würden wir nie vergessen.
Auf dem Kairoer Flughafen war nichts zu erreichen. Entgegen der großspurigen Ankündigung hielt sich Hesham eher im Hintergrund zurück. Ich diskutierte auf Englisch mit den Angestellten des Bodenpersonals der Egypt Air.
Morgen. Morgen müssen wir noch einmal wiederkommen. Sie haben bis dato keinerlei Informationen über mein Gepäck. Doch es würde sich alles klären. Hugharda und Berlin seien informiert.
Hesham kutschierte uns in seinem alten Lada mit dem seitlichen Aufdruck der Taxi-Registrierungsnummer von einem Stadtteil zum nächsten.
Es stand einiges auf dem Programm. Gleich im Anschluß des Versuchs, auf dem Airport Neuigkeiten über mein Gepäck zu erfahren, ging es zur größten Moschee Kairos, von deren Dach man auf die gesamte Stadt schauen konnte. Beigefarbene Gebäude so weit das Auge reichte. Hier und dort die schmalen Minaretten der Moscheen und die hohen Bauten der Geschäftsviertel am Nil.

Weit außerhalb am Horizont lagen die Wohnklötzer und Schornsteine diverser Kraftwerke. Dunst lag über der Stadt. Obwohl der Himmel komplett wolkenfrei war, erschien er trüb und grau ...

Fotos: Marco Bertram

> weitere Infos zum Buch "13 Reise-Fragmente"

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