Alle Vögel sind schon da?! Stipp-Visite am Reservat „Zgierzynecki-See“

Alle Vögel sind schon da?! Stipp-Visite am Reservat „Zgierzynecki-See“

 
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Einer meiner Dozenten an der Uni war ein Hobby-Ornithologe. Ohne große Gedankenexperimente konnte ich mir seinen gewöhnlichen Sonntag vorstellen, den Höhepunkt seiner schweren Woche. Einen Hut auf dem Kopf, lange Socken gucken aus den Sandalen, in der Hand sein Fernglas. Ein Bestimmungsbuch brauchte der bestimmt nicht. Bei dem Wissen über sämtliche slawische Sprachen war gewiss das bildliche Gedächtnis sein Bestimmungsbuch. Mit Sicherheit ist dieser Zeitvertreib gar nicht so verkehrt, weshalb ich auchmal so richtig Lust auf einen ornithologischen Sonntag hatte. Direkt in der Umgebung, gar direkt vor der Nase hätte ich sogar ein Vogelschutzgebiet; aber: Was kostet die Welt? Die ca. 40 Kilometer nach Zgierzynka (bei Lwówek) zogen sich wie ein Kaugummi. Na dann nehmen wir mal das dortige Reservat Zgierzynecki-See unter die Lupe. Knapp 100m² misst das durch einen See und Schilfrohr geprägte Areal, das südöstlich des kleinen netten Dorfes beginnt. Schöne alte Häuser, ein Dorfkonsum und die bunte Vogelwelt vor der Haustür. Was will man mehr?

Für die Beobachtung unserer gefiederten Freunde wurde ein kleiner Turm errichtet. Eine Etage mehr hätte er schon haben können. Ob da nun hinsichtlich der Höhe die Vögel ein Wörtchen mitzureden hatten, entzieht sich meiner Kenntnis.

So, nun los Schwarzstorch und Co., zeigt euch! Ziemlich amateurhaft hatte ich mir vorher leider kein Fernglas zugelegt. Erkennbar war allerdings auch so ein reges Treiben. Im Sekundentakt schoss stets ein Federvieh aus dem Schilf, eine andere Gruppe setzte zur Landung an. Ein Betrieb wir früher Tegel! Da Graugänse, dort ein Storch, in der Ferne sogar ein Silberreiher. Der Silberreihe sollte aber das einzige Highlight bleiben. Der Turm ist ganz nett, aber dennoch ist man als Tourist ziemlich weit vom Geschehen entfernt. Sogar vom letzten Platz im Berliner Olympiastadion aus sieht man das Spielfeld noch besser, wenn ich die Distanz von hier bis zum langsam verlandenden See vergleiche, der übrigens eine fleischfressende Wasserpflanze (die Wasserfalle) beheimatet. Die vielen Birken und die sprießenden Sträucher des Frühjahrs sind Gift für Sümpfe, Moore und Feuchtwiesen. Vom Turm herabgestiegen zog gleich mal eine Hirschkuhgruppe vorbei. Da muss noch mehr gehen! Entlang der Reservatkante führt ein Weidenweg entlang. 

Ich laufe nun 30 Minuten in die eine Richtung und kehre dann um. Es ist zwar ganz nett hier, aber viel zu sehen gibt`s nicht mehr. Am Rande eines Wasserlochs zeigen sich knallgelb noch ein paar Exemplare der Sumpfdotterblume. Die geben dem tristen Sonntag wenigstens noch etwas Farbe. Wie Ende April war das heute gewiss nicht. Ziemlich eisig pfiff der Wind durchs Rohr. Bei angenehmen Temperaturen macht es hier sicherlich mehr Spaß. So war die ganze Angelegenheit eher als mäßig zu bewerten. Nur allein für das Reservat sollte man nicht den Weg auf sich nehmen. Immerhin gibt es in der direkten Umgebung noch zwei nette Schlösser. Schloss Posadowo ist leider in privater Hand. Von außen kann man zumindest außerhalb der Vegetationszeit etwas vom Park und den Gemäuern sehen. Schloss Brody wird von der Uni Poznań genutzt, die Forte stand offen, aber ohne Einladung betrat ich das Gelände dennoch nicht. 

Vom Ort selbst war ich ziemlich überrascht. In der Mitte wurde ein überdimensionales Gestell errichtet, auf welchem „I love Brody“ zu lesen ist. Wer kam auf diese Idee? Nicht schlecht. Rein von der Grammatik her heißt „Brody“ ins Deutsche übersetzt „Bärte“. Mit Bärten hat das wenig zu tun. „Brody“ bedeutet, dass es hier eine Furt durch einen Sumpf gibt/gab, wie im Barnim das Dorf Brodowin! Ein Highlight des 700-Seelen-Ortes ist die Schlosskapelle im neogotischen Stil, in welcher wohl immer noch die deutschen ehemaligen Schlossherren begraben liegen.

Die Kapelle ist mit gefühlt 100 Kameras ausgestattet, das Tor ist verschlossen. Nur ganz selten mal soll das Gelände geöffnet sein. Wesentlich häufiger ist die Holzkirche zu Ehren des heiligen Andreas geöffnet. Was für den Groundhopper „90minut.pl“ ist, das ist für den Kirchengänger „msze.info“. So häufig sind viele Kirchen nicht rund um die Uhr geöffnet, weshalb man sich an den Messen orientieren müsste, wenn man einen Blick in die ein oder andere Kirche werfen möchte. Da bietet halt die genannte Adresse zu jeder Kirche die Zeiten der Messen an. Diese Kirche hier scheint allerdings sonntags permanent geöffnet zu sein. 

Atemberaubend war das, was ich zu sehen bekam. Nun brach noch das Sonnenlicht durch die dichte Wolkendecke und suchte sich den weg durch die kleinen Fensterchen, sodass das dunkle Holz plötzlich von goldenen Strahlen Gesellschaft bekam, welche aus Reflektionen aller möglichen Objekte resultierten! Eine wirklich einmalige Atmosphäre. Das Gotteshaus wurde im 17. Jahrhundert errichtet. Allein der Geruch des alten Holzes war die Reise wert. Auch das Kolymbion, das noch aus der Vorgängerkirche stammt und schon im 11. Jahrhundert das Behältnis für Weihwasser war, ist äußerst sehenswert. Das ganze Gebäude ist ein echter touristischer Geheimtipp! Ein letzter Blick auf die uralte Linde, ein letzter Blick auf „I love Brody“ – und die Reise durch Wielkopolskie geht weiter.     

Fotos: Michael

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