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Von Wernsdorf zur Bienenstadt: Kanalwanderung, nasse Schuhe und DDR-S-Bahn

 
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Im Normalfall würde wohl niemand direkt von Wernsdorf nach Hohen Neuendorf fahren. Aber was ist schon normal? Für ein in Arbeit befindliches Buch über den Brandenburgischen Fußball mussten noch ein paar Lücken geschlossen werden. Soll heißen: Es wurden von ein paar der insgesamt 100 Standorte ein paar Fotos benötigt. Nachdem zuvor der Ofenstadt Velten und der einstigen Stahl-Metropole Hennigsdorf ein Besuch abgestattet wurde, blieben nun noch Werder, Stahnsdorf, Wernsdorf und Hohen Neuendorf übrig. Da sich Werder und Stahnsdorf prima kombinieren lassen, mussten die anderen beiden Standorte in einen Ausflug verpackt werden. Und dabei war es am Samstag zuvor so gut geplant. Von Hennigsdorf tuckelt ein Regionalbahn von Hennigsdorf rüber nach Hohen Neuendorf West. Was ich nicht bedacht hatte: Diese „Satelliten-Strecke“ von Potsdam nach Oranienburg wird nur von Montag bis Freitag bedient. An Wochenenden und Feiertagen ist Ritze.

Okay, dann also Hohen Neuendorf irgendwie in die Sause nach Wernsdorf integriert. Mit der S-Bahn ging es nach Grünau, von dort aus brachte mich die Straßenbahn in einer Viertelstunde bis nach Alt-Schmöckwitz. Nach dem Überqueren der Dahme ging es linke Hand in den Wald, immer am Wasser entlang folgte ich anfangs der Dahme und anschließend dem Oder-Spree-Kanal.

An der Mündung des Kanals befindet sich eine kleine Siedlung, in der ein Anglerverein ansässig ist. Ein angebrachter Zettel weckte mein Interesse. Jemand verkaufte sein Bungalow inklusive Sportboot. Mensch ja, das wäre es ja. Hat die Bude ein kleines Öfchen? Das wäre doch ein ideales Plätzchen, um mal zur Ruhe zu kommen und ein paar Bücher zu schreiben. Allerdings malte ich mir wenig später in Gedanken aus, wie ich abends im Dunkeln den Weg von Alt-Schmöckwitz entlanglaufe und die Wildschweine links und rechts im Unterholz wüten.

Ich folgte dem Oder-Spree-Kanal bis zur Fußgängerbrücke und bog nach rechts ab, um den Ortskern von Wernsdorf zu erreichen. Schaute es am Vormittag wettertechnisch noch überraschend gut aus, so hielten nun irische Verhältnisse Einzug. Graue Wolken zogen auf und der Regen pladderte fröhlich auf die Straßen und Dächer von Wernsdorf. Das Witzige: Vor etwas über 20 Jahren holten wir an der dortigen Schleuse bei einem Ausrüster zwei Funkgeräte für unsere selbstgebauten acht Meter langen Segelboote (Sydney rief) ab. Kinder, wie die Zeit vergeht! Im Restaurant „Zur Linde“ ging es damals im Anschluss essen. Dieses Mal war die Lokalität geschlossen, und nicht einmal ein Bäcker war zu finden, der kurz Unterschlupf und einen heißen Kaffee bot.

Mit aufgespanntem Schirm tat ich das, wofür ich eigentlich da war. Statt Funkgeräte abzuholen hieß es dieses Mal, Fotos vom Sportplatz von Frankonia Wernsdorf anzufertigen. Ich latschte über den Klitschnassen und suchte ein passendes Motiv für das im Buch gewünschte Hochformatfoto. Quer geht immer, Hochkant ist mitunter echt schwierig. Dabei fällt mir ein, dass ich früher zu Beginn des Jahrtausends auf Diafilm immer recht gern Hochkant fotografiert hatte. Bei späteren Diavorträgen musste ich feststellen, dass diese Aufnahmen aufgrund der gewünschten Ausnutzung der gesamten Leinwand immer schwer einzubauen waren. In der Folgezeit dachte ich immer wie beim Film. Alles quer - fertig (zuschneiden kann man notfalls immer noch). Nun hieß es punktuell mal wieder umzudenken.

Im Vereinsheim von Frankonia brannte das Licht, und ich roch schon den frisch gebrühten Kaffee. Die Tür würde sich schon von allein öffnen, sagte ich mir - und das tat sie auch. Ob man helfen könne, wurde ich gefragt. Ich erklärte kurz meine Arbeit und fragte, ob man ein Käffchen bekommen könne. Der Mann ging auf Nummer sicher, vielleicht witterte er eine Falle des Finanzamtes, und meinte nur, dass Winterpause und somit das Vereinsheim geschlossen sei. Ach Menno, und ich malte mir bereits ein Pläuschchen beim Heißgetränk aus. So aber wollte ich mich nicht aufdrängen, und ich warf einen Blick auf die Fahrpläne an der Bushaltestelle. Ein dort sitzendes Kind staunte, weil ich auf beiden Seiten die Aushänge studierte. Königs Wusterhausen, Alt-Schmöckwitz oder Erkner. Egal, Hauptsache Italien. Oder so ähnlich. Einfach nur zur nächsten S-Bahnstation!

Glück gehabt, der Bus nach Erkner ließ nicht lange auf sich warten, und Minuten später fand ich mich als Einziger im modernen Linienbus wieder. An der nächsten Haltestelle wurde ein Wartender aufgegriffen, der im Regen auf der dortigen morschen Holzbank saß. Wiederum ein, zwei Stationen später ging die Post ab. Eine ganze Meute Schüler enterte den Bus, und nun zeigte sich, dass es keinesfalls Leerfahrten gab, sondern die Linienbusse eine große Bedeutung für ländliche Regionen haben. Bis Erkner war es ein einziges Rein und Raus. Am Bahnhof angekommen, durfte wieder bestaunt werden, wie blöd das Ganze eingerichtet ist. Um von der Bushaltestelle zum Bahnhof zu gelangen, müssen die Treppen runtergegangen und an der Ampel die Fahrbahnen der dortigen Straße überquert werden. Nur allzu klar, dass in Eile befindliche Kinder auch mal bei Rot über die Straße flitzen, um die nächste S-Bahn zu erreichen. All die Kids müssten direkt am Bahnhofsvorplatz ausgeladen werden, und dann könnte der Bus ja oben auf der großen Fläche parken. Dass es dazu auch noch völlig verschiedene Aufgänge zur S-Bahn und zur Regionalbahn gibt, ist noch einmal ein anderes Thema. Genial, ist anders.

Da zwischen Erkner und Ostkreuz die Bahnstrecke aufgrund von Bauarbeiten an den Leitungen (ich sah die Tätigkeiten mit eigenen Augen) gesperrt war, musste so oder so auf die S-Bahn zurückgegriffen werden. Mit der S3 ging es bis Ostkreuz, von dort aus ging es nach 12-minütiger Wartezeit mit der S8 weiter in Richtung Birkenwerder. Die Strecke über Mühlenbeck-Mönchmühle und Schönfließ fetzt immer wieder. Hinter Blankenburg gibt es wohl die längste Strecke zwischen zwei S-Bahnhöfen, gefühlt fährt die Bahn eine Viertelstunde am Stück vorbei an den Wiesen und Feldern. 

In Hohen Neuendorf angekommen schaute ich auf die Uhr. Oha, von Wernsdorf bis hierher hatte ich etwas über zwei Stunden gebraucht. Es pladderte immer noch, und ich fotografierte statt des abseits befindlichen Sportplatzes die beiden Bienen-Skulpturen vor dem Bahnhofsgebäude. Schließlich gehe ich im Buch im entsprechenden Kapitel auch ausführlich auf die „Bienenstadt“ ein. Während ich mit Blitzlicht ein paar Aufnahmen anfertigte, spürte ich, dass die Schuhe inzwischen richtig durchnässt waren. An der linken Sohle gab es einen Haarriss, und Dank der Kapillarwirkung befand sich nun reichlich Feuchtigkeit im Innern des Schuhs. Scheiß Qualität! Immer wieder muss ich sagen: Wer jeden Tag zu Fuß auf Achse ist, kann eigentlich nur qualitativ gute Wanderschuhe tragen. Die rasch getätigten Einkäufe im preiswerten Schuhgeschäft XY kann man echt knicken. In jüngerer Vergangenheit wanderte ich einfach alle Schuhe kaputt. 

Und was ist ekeliger als nasse Schuhe bei zwei Grad plus im Januar? Bäh! Ich fuhr eine Station weiter bis Birkenwerder und hielt dort Ausschau nach einer netten Einkehrmöglichkeit. Das Angebot war nicht so prall, an den Irish Pub habe ich eher gemischte Erinnerungen, und somit beließ ich es bei zwei in einem Bäcker gekauften Kokosmakronen (50 Pfennige, äh, Cent das Stück) und setzte mich in die nächste S-Bahn der Linie 8. Wow, was für leckere Makronen! Ich hätte mal gleich zehn kaufen sollen! Aber kann man das vorher wissen?

Die S-Bahn war leer, und da ich fast allein im Waggon saß, zog ich den linken Schuh aus. Ach herrje! Das Innere des Schuhs war weitaus nasser als gedacht. Und vor mir lag noch ein langer Abend im Velodrom beim Berliner Sechstagerennen. Ich begutachtete den Sitz vor mir und hielt die Hand unten an das Gitterblech. Warm, richtig warm! Ich hatte das Glück in einer alten S-Bahn der DR-Baureihe 270 zu sitzen. Beim Halten der Füße an das Heizungsgitter unter dem Sitz erinnerte ich mich sogleich an die runden Heizkörper, die es früher in den ganz alten S-Bahnzügen immer gab. Mein Vater hatte zwei, drei organisiert, und somit kamen diese in den 1970ern und 1980ern auch in den heimischen vier Wänden in Waldesruh zum Einsatz. Sachen drauflegen durfte man jedoch nicht, die Bahnheizkörper konnten verdammt heiß werden!

Auf der S-Bahnfahrt von Birkenwerder bis Landsberger Allee konnte ich den nassen Fuß bis zum Bahnhof Blankenburg am warmen Gitter lassen. Ich lauschte bei der ruhigen Fahrt durch die Einsamkeit den Geräuschen des Zuges und erfreute mich am Flackern und am An- und Ausgehen der Lampen, wenn eine Weiche passiert wurde. Ich genoss die Fahrt in vollen Zügen und ließ meinen Erinnerungen an alte Zeiten freien Lauf. In Blankenburg musste ich wohl oder übel in den nassen Schuh schlüpfen, um nicht als Vollidiot dazustehen. Später im Velodrom verdrängte ich den Gedanken an den nassen Schuh recht gut, Dank der Körperwärme war er eh nach drei, vier Stunden wieder halbwegs trocken.

Das Fazit dieser Tagessause: Es war auch für mich - und ich bin wahrlich viel auf Achse - wirklich eine Tour abseits der gewohnten Routen. Von Wernsdorf nach Hohen Neuendorf würde auch ich nicht fahren, wenn es nicht die offenen Aufgaben, die es zu erledigen galt, gegeben hätte…

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Wanderungen im Berliner Umland

 

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