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Eine Reise durch Georgien: Von Tiflis nach Stepantsminda und zur Dreifaltigkeitskirche

 
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Es ist Ende Juli und für etwas mehr als eine Woche wollen wir in Georgien bleiben. Nachdem wir mit dem Zug aus Batumi nach Tiflis gefahren sind, schlagen wir unser Hauptquartier in der georgischen Hauptstadt auf. Und nachdem wir diese eingehend zu Fuß erkundigt und ein paar entspannte Tage hier verbracht haben, wollen wir uns ein Auto mieten, um den Rest des Landes auf eigene Faust zu erkunden.

Wir suchen uns also eine heimische Autovermietung in der Innenstadt und nach wenigen Minuten ist eigentlich alles geklärt. In dem Zeitraum, den wir geplant haben, stehen nämlich nur zwei Autos zur Verfügung und eins davon befindet sich gerade in Batumi. Also nehmen wir das andere, einen VW Jetta, der in seinem früheren Leben in den USA vermietet wurde.

Nachdem ein paar Unstimmigkeiten mit dem Gurt auf der Beifahrerseite, der sich bei der Ankunft in der Autowerkstatt von selbst repariert zu haben scheint, geklärt sind, verlassen wir Tiflis und brettern erstmal auf die Autobahn, die wir nach 60 Kilometern in Gori verlassen. Auf dem Rückweg werden wir hier noch einen Halt einlegen, vorerst geht es aber über ein paar Landstraßen kleineren Typs und einige Orte der Kategorie “Kühe haben Vorfahrt” in Richtung Süden.

Uplistsikhe heißt unser Ziel. Dabei handelt es sich um eine Stadt, die direkt in den weichen Stein eines Berges geschlagen wurde. Uplistsikhe wurde im 6. Jahrhundert vor Christus errichtet und später zu einem wichtigen Handelszentrum an der Seidenstraße. Neben den Wohnhöhlen gab es auch einen Markt, ein Gefängnis, ein Amphitheater und eine große Festung, die lange Zeit niemand einzunehmen vermochte. Von der Festung ist heute nichts mehr übrig, von den Wohnhöhlen allerdings schon.

Weil es keinen vorgegebenen Weg gibt, sucht sich in Uplistsikhe jeder Besucher seinen eigenen Weg, der ganz von der individuellen Sportlichkeit abhängt. Man klettert einfach durch die Stadt und erlebt sie so aus einer eigenen Perspektive. Wer hier nicht gut zu Fuß ist, muss unten am Eingang bei den Chinesen bleiben, die nur kurz hier sind, um ein Selfie zu machen.

Nachdem wir fertig geguckt haben, geht es also zurück nach Gori, denn auch wenn den Ort selbst kaum jemand kennt, hat er doch einen Mann hervorgebracht, von dem die Welt schon gehört hat. 1878 wurde hier nämlich ein Junge namens Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili geboren, der 34 Jahre später den Namen Josef Stalin annehmen sollte.

Obwohl sich Stalin im Laufe seines Lebens bei den meisten Menschen eher nicht so beliebt gemacht hat, scheint man in Gori zumindest seinem bekannten Namen nicht ganz abgeneigt. Anders lässt sich jedenfalls nicht erklären, dass die Hauptstraße, die einmal quer durch die Innenstadt führt, in der englischen Transkription "Stalin Avenue" heißt.

Am Anfang der Stalin Avenue befindet sich das Stalin Museum mit einer lebensgroßen Statue des Namensgebers davor. Und weil es offenbar nicht ausreicht, diese einmal auszustellen, oder man noch einen Ersatz hatte, falls die erste mal wegkommt, steht die gleiche Statue noch mal in der Eingangshalle des Museums. Dort natürlich ganz prominent auf einem Treppenabsatz und festlich angestrahlt.

In verschiedenen Räumen gibt es im Obergeschoss Stalin in allen Farben, Formen und Lebenslagen zu sehen. Von seinen Büchern in verschiedenen Übersetzungen über Wandteppiche, die ihn mit Lenin zeigen, und seiner Totenmaske aus Bronze bis hin zu dem Geschirr seiner Mutter ist hier alles zu finden, wo "Stalin" draufsteht.

Das einzige, das in diesem sogenannten Museum fehlt, ist eine kritische Einordnung seines Handelns in die Weltgeschichte. Unter der Treppe in der Eingangshalle gibt es einen kleinen Raum, der leicht zu übersehen ist, aber einige Kritikpunkte aufzeigen soll. Für mich ist allerdings nicht erkennbar, inwiefern das tatsächlich passiert, denn die handgeschriebenen Zettel, die an der Wand hängen, sind auf Georgisch und die Bilder, die moderne Krisengebiete (in Georgien?) zeigen, haben keinen Bezug zu Stalin. Außerdem scheint man sich große Mühe zu geben, den Raum möglichst unattraktiv zu halten - er hat keine Fenster, es müffelt dort und man findet ihn nur, wenn man weiß, dass er da ist. Eine ernsthafte kritische Aufarbeitung sieht anders aus.

Klar, so eine Person wie Stalin oder die Vergangenheit grundsätzlich totzuschweigen, ist keine Lösung. Im Gegenteil, ich halte es für sehr wichtig, daran zu erinnern, dass die Welt schon viele große Arschlöcher gesehen hat. Aber die Art und Weise, wie das hier in Gori passiert, ist vollkommen respektlos den Millionen Menschen gegenüber, die Opfer der stalinistischen Diktatur wurden - ob in den Gefängnissen, vor den Exekutionskommandos oder in den Gulags. Man stelle sich mal vor, in Braunau würde jemand Kaffeetassen mit dem Gesicht von Hitler verkaufen...

Weil wir die Autobahn schon kennen, wollen wir die Landstraße zurück nach Tiflis nehmen und zwischendurch ein paar abgelegene Kirchen und Klöster besuchen. Leider scheitert die Anfahrt jedes Mal daran, dass die Straßenverhältnisse ohne Allradantrieb und hochgesetzte Karosserie nicht zu bezwingen sind. Trotz größter Vorsicht und höchster Kompetenz am Steuer müssen wir dreimal abbrechen, weil kein Weiterfahren möglich ist.

Jedes Mal endet der Asphalt kurz hinter der Hauptstraße und weicht einem schlammigen Schlachtfeld mit metertiefen Furchen, das auch nicht umfahren werden kann, weil das schon so viele vor uns versucht haben, dass die Ränder bereits so ausgefahren sind wie die Straße selbst.

Selbst auf den befestigten Landstraßen ist höchste Vorsicht geboten, denn entweder steht dort eine Gruppe Kühe, die sich von Nebensächlichkeiten wie einem heranfahrenden Auto nicht stören lässt, oder die Schlaglöcher sind so tief und voller Wasser, dass man befürchten muss, am anderen Ende nicht wieder aufzutauchen. Schön ist diese Strecke aber allemal.

Irgendwo in den Wirren dieser unwirtlichen Landschaften müssen wir ein- oder mehrmals ungünstig aufgesetzt haben, denn zurück in Tiflis stellen wir fest, dass der Unterbodenschutz des Jetta zur Hälfte herunterhängt und sich ein Stein der Größe "Schafskopf" darunter verfangen hat.

Dieser löst sich am nächsten Tag kurz nach der Abfahrt wieder, der Unterbodenschutz repariert sich allerdings nicht von selbst, sodass wir erstmal ein großes Stück Plastik unter uns herschleifen, was an der einen oder anderen Stelle ein bisschen nervig ist, jetzt aber auch nicht die Weiterfahrt behindert.

Mit herabhängendem Unterbodenschutz geht es also in Richtung Norden. Das Ziel ist der Ort Stepantsminda, der keine zehn Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt und Ausgangspunkt für Wanderungen in die Berge ist.

Bevor es soweit ist, haben wir aber noch ein paar Halte vor uns. Der erste ist an der Festung Ananuri, die malerisch über dem Schinwali-Stausee gelegen ist und mit dieser Lage Touristen aus der ganzen Region anzieht. Leider ist es bereits auf dem Park-/Marktplatz so voll, dass sich Lage und Aussicht nicht in Ruhe genießen lassen. Die Kulisse kann sich trotzdem sehen lassen.

Nachdem wir später die eine oder andere Serpentine hinter uns gelassen haben und die Temperaturen deutlich zurück gegangen sind, halten wir am Denkmal für die Georgisch-Russische Freundschaft, das wahrscheinlich nur deshalb mitten ins unbewohnte Gebirge gesetzt wurde, weil es sonst nirgends hingepasst hätte.

Das Teil ist nicht allein aufgrund seiner Größe so beeindruckend, sondern auch, weil es einen großartigen Blick auf das Tal bietet und einfach so dermaßen deplatziert wirkt. Ich mag diesen Ort. Obwohl das Denkmal auf den ersten Blick so gigantisch wirkt, wird es plötzlich ganz klein, wenn man einen Blick auf das weite Tal und die riesigen Berge wirft.

Der weitere Weg ist ein Wechselbad der Gefühle zwischen viel zu vielen Autos auf der Strecke und der phänomenalen Gebirgslandschaft abseits der Straße. Ganze Berghänge sind voller Schafe, am Straßenrand stehen die Kühe und lassen sich von nichts und niemandem stören und mittendrin ist immer ein Russe, der direkt vor der Kurve überholt.

Stepantsminda, unser Ziel für den heutigen Tag, ist eine Kleinstadt, die aus allen Nähten zu platzieren scheint. Im Zentrum ist an einen Parkplatz gar nicht zu denken, die vielen Gasthäuser scheinen bis auf das letzte Bett ausgebucht und überall sind Menschen.

Wir wollen auf den Berg, auf dem die Gergetier Dreifaltigkeitskirche, georgisch Tsminda Sameba, liegt und versuchen es zunächst mit dem Auto. Das lassen wir allerdings schnell sein, denn die Straßenverhältnisse erfordern einen Allradantrieb oder zumindest mal ein höhergelegtes Auto, was nicht so gut mit unserem immer noch herunterhängenden Unterbodenschutz harmoniert.

Also parken wir den Jetta am Rande einer kleinen Siedlung und wandern einfach los. Der direkte Weg ist nur zwei Kilometer lang, hat es höhentechnisch aber in sich und ist an einigen Stellen mehr als nur ein Sonntagsspaziergang.

Obwohl wir unterwegs immer mal wieder anderen Menschen begegnen, bleiben genügend Gelegenheiten, die Weite, die Stille, den Wind und das Rauschen des Flusses zu genießen. Hier ist Georgien so, wie wir es uns vorgestellt hatten: weit, bergig und großartig natürlich.

Oben angekommen lassen wir uns erstmal platt auf die Wiese fallen, denn die zwei Kilometer sind erst nach einer Stunde bezwungen und der Wind konnte nicht von der direkten Sonneneinstrahlung ablenken. Dafür haben wir einen tollen Platz gefunden - zur einen Seite thront etwas erhöht die Dreifaltigkeitskirche, zur anderen der Mount Kazbek mit seinem schneebesetzten Gipfel hinter der russischen Grenze.

In der Kirche ist Georgien dann so wie wir es uns nicht erhofft hatten - überfüllt und eng. Dass Männer sie nur mit langen Hosen und Frauen nur in Rock und Kopftuch betreten dürfen, bekommen die fast alle noch hin, denn diese liegen zur Leihe am Eingang bereit.

Das mit dem Handy- und Fotografierverbot geht den meisten dann aber doch zu weit, was sehr schade ist. Im Inneren singt nämlich ein Männerchor a cappella ein Kirchenlied und in diesem kleinen, düsteren Raum klingt das wunderschön. Leider hat der Großteil der Leute das Handy in der Hand, versucht, sich möglichst weit nach vorne zu drängeln, und schaut beim Filmen nur auf den Bildschirm, ohne dem Gesang wirklich zuzuhören. Das macht die ganze Atmosphäre kaputt und ist so unwürdig für einen Ort wie diesen, dass wir schnell genug davon haben und wieder gehen.

Weil uns der Unterbodenschutz mit seinem Schleifen auf dem Asphalt langsam auf die Nerven geht und deswegen immer alle gucken, halten wir unterwegs an einer Autowerkstatt, die sofort unser Vertrauen gewinnt als wir die beiden Mechaniker in ihrer Arbeitsjogger und ihren Sicherheitsadiletten sehen.

Es zeigt sich, dass der Unterbodenschutz an einigen Stellen bereits mit Kabelbindern befestigt ist, was darauf hindeutet, dass wir nicht die ersten sind, die dieses Problem haben. Eine halbe Stunde und 30 Lari (10 Euro) später ist der Unterbodenschutz wieder befestigt und der platte Reifen, den wir bisher noch nicht bemerkt hatten, geflickt und es geht wieder auf die Straße zurück nach Tiflis.

Fotos: Anika (ein Zug nach Irgendwo)

> zum zweiten Teil des Georgien-Berichtes

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Georgien

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