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Backpacker im Land der Pharaonen

22 Dez 2005 13:34 #2164 von Marco
Ja, komisch war das allemal.
Also wir waren im Februar 1996 dort.
Ich muss dazu sagen. In Luxor konnten wir problemlos für die Rückfahrt kaufe. Dort ging es reibungslos.
Wo hattest du in Kairo genächtigt? Und in Luxor?
Wir wohnten in Theben-West bei einer Familie.

Marco
:D

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22 Dez 2005 14:39 #2168 von pushbike
pushbike antwortete auf Re: Backpacker im Land der Pharaonen
War 2005 und 2002 in Ägypten. Bei der ersten Reise war ich dann 10 Tage in Kairo. Auf Dauer ist die Stadt stressig. Bin nach der Zeit mit dem Zug zurück nach Luxor. Von dort ist der Flieger zurück nach Deutschland geflogen.
In Kairo hab ich im Dahab in der Nähe des Talaat Harb genächtigt, in Luxor im New Everest. Hat sich in den 3 Jahren wesentlich verbessert. Mittlerweile renoviert, Preise werden vermutlich steigen. Da es aber reichlich Konkurrenz gibt, können sie das nicht stark ansteigen lassen.
Übrigens sind in den letzten Jahren in Theben-West viele Hotels gebaut worden.
Gruß peter

Laßt es rollen, am besten umweltfreundlich.

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23 Dez 2005 13:01 #2186 von Marco
Ja, in Theben-West wird sich vieles verändert haben, das glaube ich auch!
Damals im Februar 1996 war es dort recht ruhig, und fast nur Einheimische lebten dort.
Dann kam 1997 das Massaker am Tempel der Hadschepsut, ich hörte, dass sich danach alles veränderte. Viele kleine Häuser an den Berghängen wurden abgerissen. Es wurde Freiraum geschaffen, Militär und Polizei waren ab dato viel präsenter...

Es grüßt Marco

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24 Dez 2005 11:32 #2201 von Marco
Feliz Navidad - Frohes Fest - Merry Christmas!

Als kleines Weihnachtsgeschenk hiermit das komplette Ägypten-Kapitel!

Viel Spaß beim Lesen wünscht Dir, Peter, und all der anderen Leserschaft

Marco!



Ohne Gepäck durch Ägypten


Von Marco Bertram

Golden schimmerten die geschwungenen arabischen Buchstaben auf den hellen Wänden des Terminalgebäudes.
Die Luft flimmerte, obwohl es bereits kurz vor Mitternacht war. Die Triebwerke des Flugzeuges wurden heruntergefahren, und der Lärmpegel nahm ab.
Willkommen in Kairo. Der Kälte Berlins entflohen. Für zwei Wochen den harten Winter verlassen. Keine Probleme mehr mit eingefrorenen Wasserrohren und Ofenheizungen.
Der Klimawechsel war enorm. Zwischen den Temperaturwerten Mitteleuropas und Nordafrikas lagen im Februar 1996 Welten.
Kairo, Ausgangspunkt für eine zweiwöchige Reise quer durch Ägypten, begrüßte uns mit seinen goldenen Schriftzügen und der selbst für ägyptische Verhältnisse heißen Luft.
Der Flug der Egypt Air von Berlin über Hugharda nach Kairo war die letzte Ankunft des Abends. In der Empfangshalle war es bereits ruhig, und an einigen Ecken wurde bereits mit dem Kehren begonnen.
Nach dem Erwerb der briefmarkenähnlichen Visa und der darauf folgenden Paßkontrolle stellten wir uns an das Gepäckfließband und warteten auf unsere Rucksäcke. Jans Rucksack kam auch sogleich, und wir mußten nur noch auf mein gutes Stück warten, um uns anschließend auf den Weg ins Ciao Hotel zu machen.
Ratternd und ächzend drehte das Fließband seine unermüdlichen Runden und brachte reichlich Gepäck aus der Luke in der kahlen, gekreideten Wand zum Vorschein. Mit braunem Klebeband versiegelte Pakete, noble Koffer, mit Folie eingewickelte Ballen und abgewetzte Taschen.
Die Leute nahmen hastig ihr Gepäck und eilten davon. Einen Wagen vor sich herschiebend oder einen Rollie und ein Paket hinter sich herschleifend.
Es war spät. Die Halle leerte sich zunehmend, das Band spuckte in immer größeren Abständen Gepäckstücke hinaus, und dann kam der Augenblick, als ein aufs Fließband gelegtes Schild verriet: Hier ist das Ende. Das war’s.
Jan hatte bereits seinen Rucksack geschultert. Etwas irritiert blickte ich auf das an mir vorüber ziehende Schild mit den arabischen und englischen Aufschriften.
Die erste Vermutung, mein Rucksack würde als Sperrgut mit einem Lastenaufzug gebracht werden, bestätigte sich nicht. Bald standen Jan und ich allein am mittlerweile verstummten Fließband.
Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen und zu überlegen, was am besten auf die Schnelle zu tun sei.
Der erste Mann in Uniform wurde angesprochen. Mit Fingerzeig wies er mich auf einen Angestellten des Flughafens.
Morgen, kommen sie bitte morgen wieder, bekam ich Augenblicke später vom Flughafenangestellten zu hören. Es werde sich alles klären. Am Vormittag solle ich mich erkundigen, ob mein Rucksack eventuell nachgesandt wurde.
Den Kopf schüttelnd forderte ich zumindest eine Bestätigung, ein Stück Papier als Beleg dafür, daß mein Rucksack hier in Kairo nicht ankam. Ich wurde zum Büro der Egypt Air weitergeschickt, wo bereits die Lichter ausgingen.
Nur widerwillig händigte man mir einen Bogen aus und empfahl mir anschließend, schnellstmöglich ein Taxi zu nehmen. Die Zeit sei sehr vorangeschritten. Ich solle bitte morgen wiederkommen.
Die Taxifahrer ließen nicht lange auf sich warten und boten ihre Dienste auf die berühmt berüchtigte arabische Art an. Wir handelten einen Preis aus und fanden uns Sekunden darauf in einem Auto wieder, das Kurs auf einer der Hauptmagistralen Kairos nahm.
Ciao Hotel, den Namen unser geplanten Unterkunft wußte ich. Die Adresse nicht. Es sollte gleich gegenüber der Ramses Station liegen und durchaus preiswert sein. Ein guter Freund, der des öfteren in Ägypten unterwegs war, gab uns den Tip. Ob das Hotel nördlich, südlich, westlich oder östlich vom Stadtkern liegen sollte, wußte ich nicht. Ich hatte keinerlei Ahnung und hoffte, daß der Taxifahrer uns nicht übers Ohr hauen würde.
Nach dem mißglückten Start auf dem Flughafen hielt ich weitere Pannen für durchaus möglich. Es könnte ja schließlich sein, daß diese Reise unter keinem guten Stern stehen würde.
Nur drei Stunden nach Verlassen des winterlich trüben Berlins sogleich im prallen, turbulenten Leben der arabischen Welt. Krasser konnte ein Wechsel von einer Welt zur anderen kaum sein. Ob das nun Kairo, Damaskus oder Islamabad war, spielte dabei keine Rolle. Genau unterscheiden und realisieren konnte man dies mitten in der Nacht eh nicht. Arabisch, ja. Südlich, warm und fern, sehr fern.
Der Taxifahrer sprach kaum ein Wort mit uns, was ich nicht positiv oder negativ zu bewerten wußte. Ich hoffte nur auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit des Mannes, denn der Fahrstil war bemerkenswert halsbrecherisch.
Nach Verlassen der breiten, vielspurigen Hauptstraße mit den Palmen, Statuen und Plakaten wurde es zunehmend ärmer und bautechnisch betrachtet elend. Papierfetzen, zertretene Holzkisten und sonstiger Müll lag verstreut auf den Straßen und Bürgersteigen. Männer standen in Gruppen und diskutierten.
Das Ciao Hotel besaß zwei separate Eingänge. Einen für ausländische Besucher und einen für die Ägypter. Die unteren und obersten Etagen gehörten zum Teil des Hotels, der den ausländischen Gästen offenstand. Die beiden Bereiche waren mit einem Fahrstuhl verbunden.
Die dazwischen liegenden Stockwerke, welche mit Sicherheit schlichterer Natur waren, konnten von den anderen Etagen nicht betreten werden. Ein Aufzug auf der anderen Seite des Gebäudes führte geradewegs zum ägyptischen Teil.
Von unserem Zimmer aus hatte man direkten Blick auf die Ramses Station und seinen großen Vorplatz, auf dem am späten Abend und während der ganzen Nacht der Teufel los war.
Es war der Fastenmonat Ramadan, und deshalb versammelten sich nach Sonnenuntergang hunderte Ägypter vor Ort und aßen und tranken gemeinsam an aufgebauten Ständen und Tischen. Eine beachtliche Geräuschkulisse begleitete dieses Nachtmahl.
Schreiende Begrüßungen, permanentes Hupen und auf enorme Lautstärke geregelte arabische Musik untermalten das allabendliche Treffen auf dem Platz an den Lastwagen, Kleinbussen und Ständen. Die Männer schienen aus dem gesamten Großraums Kairos zu kommen. Immer wieder traf ein Kleinbus mit fröhlich gestikulierenden Ägyptern ein.
An Schlaf war kaum zu denken. Der Lärm auf dem Vorplatz, die Qual der Wahl, ob stehende Hitze oder ratternde Klimaanlage, und die Sorge um mein Gepäck ließen keine Nachtruhe zu.
Dummerweise hatte ich kein Handgepäck dabei. Mein sämtliches Hab und Gut, die Papiere und das Geld mal ausgenommen, befand sich im Rucksack. Ich wollte die Hände bei Einreise und Paßkontrolle frei haben. Zum Glück hatte ich unter der normalen Kleidung noch einen Jogginganzug an, da es bei der Fahrt zum Flughafen in Berlin dermaßen klirrend kalt war.
Bei einem Stella Bier in einer Bar auf der obersten Etage des Hotels machten wir mit Hesham Bekanntschaft. Er sprach uns beim Kauf unser Getränke an, fragte, ob er uns helfen könne, und setzte sich zu uns an einen Tisch.
Er war der zum Hotel gehörende Taxifahrer, der den Gästen seine offiziellen und privaten Dienste anbot. Hesham war um die vierzig, besaß einen Schnurrbart, spitzbübische Augen und schwarzes, raspelkurzes Haar. Er fragte uns über unsere Herkunft aus und machte diverse Vorschläge für mögliche Taxifahrten quer durch Kairo und ins Umland.
Wir lehnten vorerst ab, baten um Bedenkzeit und teilten ihm mit, daß wir vorerst die Angelegenheit mit dem verschwundenen Rucksack klären müssen. Jan und ich wollten lieber am kommenden Morgen beim Frühstück nochmals drüber reden. Nun aber seien wir müde und erschöpft.
Tatsächlich kam Hesham pünktlich zum Frühstück an unseren Tisch und unterbreitete weitere Tourenangebote. Er mag uns, teilte er uns mit, wir haben einen eigenen Kopf, einen eigenen Stil und wissen, was wir wollen. Das gefalle ihm, teilte er uns mit. Extra für uns würde er eine besondere Rundfahrt planen. Er wolle uns Kairo von der ganz anderen Seite zeigen.
Kennen wir Cemetry, den Stadtteil auf den Gräbern der Ahnen? Das müssen wir sehen. Und das Koptenviertel? Auch nicht? Na klar, das erste Mal in Ägypten. Nun denn, Gizeh müsse natürlich auch sein, aber wichtiger sind die versteckten Dinge der Stadt.
Der Preis sei kein Problem. My friends, wir können im Anschluß des Tagesprogrammes zahlen, was uns der Tag wert sei. Kein Problem, wirklich nicht. Wir würden den Preis und das Programm selbst bestimmen.
Unser Einwand, erst müsse die Sache mit Egypt Air geklärt werden, war auch schnell behoben. Hesham wollte uns persönlich zum Flughafen fahren. Es sei sowieso besser, wenn jemand arabisch sprechen könne bei diesen sturköpfigen Beamten. Daß es auf dem Flughafen zu Streß, Ärger und Diskussionen komme, stehe außer Frage, da sei es wirklich besser, wenn er dabei wäre.
Hesham hatte es nach einer Stunde geschafft. Jan und ich hatten uns breitschlagen lassen und stimmten seinem Vorschlag zu. Hesham nickte vergnügt und zwinkerte mit seinen spitzbübischen Augen. Die Tour, die er für uns mache, würden wir nie vergessen.
Auf dem Kairoer Flughafen war nichts zu erreichen. Entgegen der großspurigen Ankündigung hielt sich Hesham eher im Hintergrund zurück. Ich diskutierte auf Englisch mit den Angestellten des Bodenpersonals der Egypt Air.
Morgen. Morgen müssen wir noch einmal wiederkommen. Sie haben bis dato keinerlei Informationen über mein Gepäck. Doch es würde sich alles klären. Hugharda und Berlin seien informiert.

Hesham kutschierte uns in seinem alten Lada mit dem seitlichen Aufdruck der Taxi-Registrierungsnummer von einem Stadtteil zum nächsten.
Es stand einiges auf dem Programm. Gleich im Anschluß des Versuchs, auf dem Airport Neuigkeiten über mein Gepäck zu erfahren, ging es zur größten Moschee Kairos, von deren Dach man auf die gesamte Stadt schauen konnte.
Beigefarbene Gebäude so weit das Auge reichte. Hier und dort die schmalen Minaretten der Moscheen und die hohen Bauten der Geschäftsviertel am Nil.
Weit außerhalb am Horizont lagen die Wohnklötzer und Schornsteine diverser Kraftwerke. Dunst lag über der Stadt. Obwohl der Himmel komplett wolkenfrei war, erschien er trüb und grau.
Nicht ohne weiteres würde man als ortsunkundiger Besucher der Stadt gleich am ersten Tag die engen Gassen und verwinkelten Gebäude des Viertels besuchen, das auf einem Friedhof errichtet wurde. Akute Platznot zwang die Bewohner Kairos, auch diesen Raum zu nutzen. Die Häuser auf dem Cemetry waren schlicht und zumeist ein- oder zweistöckig.
Hesham parkte seinen Lada und führte uns zu Fuß durch das verzweigte System der Wege und Gassen. Allein sollte man des Nachts dort nicht spazieren gehen, teilte er uns mit. Zwar verbiete der muslimische Glauben den Ägyptern strikt das Stehlen, doch bei angespannter Lage könne es dennoch mal vorkommen, daß man als Tourist Opfer eines Raubüberfalls werden könne.
An einer Teestube wurde halt gemacht. Präsident Mubarak hing auch dort wie ein Heiliger an der weiß gefliesten Wand hinter dem Tresen.
Hesham schien das halbe Viertel zu kennen. Jan und ich wurden allerhand Leuten vorgestellt, und es war unverkennbar, daß Hesham überaus stolz war, ausländische Besucher quer durch Kairo fahren zu dürfen. Zumal er unser privater Taxifahrer für den gesamten Tag war. Das machte bei den Bewohnern Eindruck.
Man lud uns zu schwarzem, stark gesüßtem Tee und Wasserpfeife ein. Der Einwand, man rauche nicht, zählte nicht und wurde belächelt. Dies sei kein Rauchen, sondern der Gebrauch einer Wasserpfeife. Klitschiger Tabak wurde auf die schmokenden Kohlestückchen gelegt, und ehe ich mich versah, hatte ich den Schlauch mit dem Mundstück in der Hand und wurde fotografiert.
Nicht daß wir uns aufdrängten Fotos zu machen, ganz im Gegenteil, die Ägypter zwangen uns regelrecht, stets von der Kamera Gebrauch zu machen. Kleine Kinder und die ganze Sippschaft des Teestuben-Besitzers wurden herbeigebracht, um sich in Gruppen vor der Kamera aufzustellen.
Mal mit Baby auf dem Arm, mal ohne Baby. Mal mit Hesham in der Mitte, mal ohne Hesham. Vor der Teestube, in der Teestube...
Sollte man meinen, das Wohnviertel auf dem Cemetry sei arm und verelendet, so wurde man im Koptenviertel eines besseren belehrt. Was wir dort zu Gesicht bekamen, spottete jeder Beschreibung.
Das es um die koptisch christliche Minderheit in Ägypten nicht gut bestellt ist, war mir bereits vor der Reise bekannt, doch daß die Zustände in den Wohnvierteln der Kopten dermaßen hanebüchen und menschenerniedrigend sind, überraschte mich.
Viele Bewohner der Viertel füllten in kleinen Fabriken und Werkstätten Kalk und Gips inmitten der Wohnhäuser ab. Der höllische Staub bedeckte alles im Umkreis von mehreren hundert Metern. Ohne Mundschutz und teilweise mit bloßen Händen schaufelten eingestaubte Gestalten das graue Puder in Säcke.
Überall lagen riesige Haufen auf den Straßen und Höfen, und ich fragte mich, durch wen und womit diese Materialien herbeigeschafft wurden. Man hätte meinen können, die Stollen befänden sich unter den Wohnhäusern, was nicht verwunderlich wäre.
Im Gegensatz zu dieser brutalen Armut stand das Papyrusmuseum an einer schmucken Straße der Innenstadt. Hesham erklärte uns vollmundig, daß nur dort das echte Papyrus zu haben sei. Woanders verwende man nur Bananenblätter für die Schriften und Zeichnungen. Hier, in diesem Museum und dieser Werkstatt sei alle echte Ware.
Wahrscheinlich bekam Hesham Provisionen, denn er legte aller größten wert darauf, daß wir eine Führung durch die Ausstellungsräume und Werkstätten machten.
Nach knapp zwei Stunden ließen Jan und ich uns breit schlagen und kauften ein paar Exemplare. Auf der weiteren Reise durch das Land der Pharaonen sahen wir allerdings noch viele Geschäfte, die nicht minder wertigere Waren zu weitaus niedrigeren Preisen anboten.
Sorgfältig und zufrieden rollte der Verkäufer nach seiner Fachberatung die von uns erworbenen Papyruszeichnungen ein und verstaute sie in einer stoßsicheren Pappbox. Hesham stand etwas abseits und warf einen wohlwollenden Blick zu uns herüber.
Der Tag war jedoch noch längst nicht beendet. In den Abendstunden brauste Hesham mit uns zu den vor den Toren der Stadt gelegenen Pyramiden von Gizeh. Es schien, als stünden Kamele und Führer schon für uns bereit.
Hesham verabschiedete sich, wünschte viel Spaß und ließ uns für die kommenden zwei Stunden allein.
Massiv wurde anschließend mit den Kamelführern um den Preis gefeilscht. Die Kamele waren jämmerliche Tiere. Sie humpelten, hinkten und schauten abgemagert und abgehalftert aus. Die Sattel waren auch von minder Qualität und wurden nicht sorgsam zwischen den Höckern befestigt, so daß Jan fast zur Seite herunterzurutschen drohte. Nach kaum zehn Minuten Ausritt kam der Führer im typisch ägyptischen Gewand erneut herbei und verlangte ein Bakschisch. Von dieser Forderung ermutigt stürmten zwei weitere junge Burschen herbei, die angaben, seine Söhne zu sein. Sie redeten auf uns ein und verlangten mit Nachdruck Geld.
»My friend, a little Bakschisch. Give me a little Bakschisch. My friend, he, my friend...«
Diese Worte bekamen wir während der folgenden Wochen noch des öfteren zu hören.
Händler kamen zu Fuß und mit Esel herbei, zogen an unseren Beinen und steckten uns allerlei Krimskrams zu. Schlecht angefertigte Skarabäuskäfer aus Alabaster, Keramik und Stein. Schlichte Skulpturen aus Ton.
»My friend! Look here, my friend! Antik, this is antik!«
Ich lachte. Jan war genervt.
Es blieb uns keine Minute, das Weltwunder von Gizeh in Ruhe betrachten zu können. Kein Augenblick zum Innehalten, und nichts desto trotz war es ein sagenhaftes Erlebnis.
Die Sonne verschwand soeben hinter den Sandhügeln und färbte diese in einem orange farbenen Ton ein. Majestätisch erhoben sich die über einhundert Meter hohen Pyramiden. Ein Stück weiter stand die Sphinx, die von einem hohen Metallzaun umgeben war. Es fanden zur Zeit Restaurierungsarbeiten statt, die nur schleppend voranzugehen schienen. An der Cheopspyramide stieg ich vom Kamel, um ein paar Stufen hinaufzuklettern. Dies war kein leichtes Unterfangen. Zum einen waren die Stufen hüfthoch, und zum anderen versuchten mich der Kamelführer und seine Begleiter davon abzuhalten.
Ich musste laut werden, damit sie mich wenigstens für einen Moment in Ruhe ließen. Eingeschnappt trollten sie sich von dannen und schimpften vor sich hin.
Die Ausmaße der Cheopspyramide sind beeindruckend. Wie müssen diese Pyramiden einmal ausgesehen haben, als noch geschliffene Platten aus Granit und Alabaster glatte Oberflächen geschaffen haben. In der Sonne müssen die weit über 100 Meter hohen Bauwerke geglitzert und gefunkelt haben.
Im jetzigen Zustand bestehen die Pyramiden aus Gizeh nur noch aus unregelmäßigen, verwitterten und angegriffenen Sandsteinstufen. Aus der Ferne betrachtet würde man meinen, sie problemlos besteigen zu können, doch aus der Nähe erkennt man, daß dies mit großen Anstrengungen verbunden und nicht ganz ungefährlich ist.
Zum Abschluß unseres Ausritts erfolgte der versprochene Galopp, bei dem die Sattel vollends zur Seite abzurutschen drohten. Eine ganze Horde Kamelführer und Händler begleiteten uns und lachten fröhlich daher.
Hesham befand sich nicht zur abgesprochenen Zeit am verabredeten Ort. Weit und breit war nichts vom Mann in der braunen Lederjacke zu sehen. Wir vermuteten, daß er sich mit dem von uns gekauften Papyrus aus dem Staub gemacht hatte.
»Nicht zu glauben, die Ägypter sind nur auf Betrug aus!« schimpfte ich.
»Vor allem wird es spannend, wie wir wieder zurück ins Stadtzentrum kommen. Das sind von hier aus etliche Kilometer«, fügte Jan hinzu.
Während wir über unseren untergetauchten Taxifahrer schimpften, kam ein unbekannter Mann herbei und meinte, daß Hesham in einem Café gleich dort gegenüber zu finden sei.
Das Café stellte sich als Souvenierladen heraus, in dem eine ganze Meute Verkäufer und Händler auf uns zu warten schien. Sie wollten uns die feinen und außergewöhnlichen Gegenstände des Geschäftes mit aller Gründlichkeit vorstellen.
Wir lehnten jegliche Angebote ab. Es half nichts. Eine Figur wurde nach der anderen in unsere Hände gedrückt. Es war wie auf einer Zwangsveranstaltung einer Kaffeefahrt. Fluchtgedanken wurden wegen dem in Heshams Lada liegenden Papyrus zunichte gemacht. Die sorgfältig verschnürten Schachteln mit dem nicht gerade preiswertem Papyrus war sozusagen eine in Heshams Händen befindliche Geisel.
Jan und ich ließen das ganze Szenario über uns ergehen und lächelten freundlich beim Betrachten der Skulpturen, Skarabäuskäfer und kleinen Alabasterpyramiden.
Im Ganzen betrachtet war der Tag ein großartiges Erlebnis. Ohne Hesham hätten wir mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht das Kopten- und das Cemetryviertel gesehen, und so zahlten wir Hesham am Abend eine gute angemessene Summe als Tageslohn. Hesham bedankte sich und lobte unsere Großzügigkeit in höchsten Tönen.

Am folgenden Tag machten wir uns allein auf den Weg. Erst am Nachmittag wollten wir uns mit Hesham treffen, um ein wiederholtes Mal auf dem Flughafen nach dem verloren gegangenen Gepäckstück zu fragen.
Ein morgendlicher Blick aus dem Fenster zeigte nichts Gutes. Der Wind kam aus Südwest und brachte den Staub und Sand der Sahara in die Stadt. Als gewaltige Dunstglocke legte sich dieser feine Sandstaub über Kairo und verdeckte den Himmel.
Der Sand war nicht nur zu sehen, sondern auch zu spüren und zu schmecken. Er brannte in den Augen und knirschte zwischen den Zähnen.
Beim Blick aus dem Fenster nach hinten hinaus, auf die Wohnviertel hinter dem Ciao Hotel, fühlte ich mich nach Beirut oder Kabul versetzt. Die eh schon übel aussehenden Wohnblocks wurden vom Dunst in ein noch schlechteres Licht gerückt. Es sah aus wie kurz nach einem Bombenangriff. Alles war in einem Farbton eingetaucht. Himmel, Erde und Gebäude. Von der obersten Etage des Hotels konnte man auf die Dächer der umliegenden Häuser blicken.
Was von oben deutlich wurde, übertraf jegliche Vorstellungskraft. Unten auf den Straßen, Gassen und Bürgersteigen des Viertels kaschierten bunte Obststände, ausgehängte Waren und Werbeschilder das triste, bräunliche Antlitz der traurigen Gegend. Von oben betrachtet wurden jedoch die wahren Ausmaße des Elends und der Baufälligkeit sichtbar. Schuttberge lagen auf Dächern, Fenster fehlten, Begrenzungsmäuerchen waren abgebrochen, Fassaden bröckelten und Müll schrie einen an jeder Ecke entgegen.
Daß nicht jeden Moment Passanten und Bewohner von herunterfallenden Ziegelsteinen und Fassadenbrocken erschlagen wurden, grenzte an ein Wunder.
Unser Rundgang durch die Innenstadt führte uns durch die Einkaufstraßen und am Ufer des Nils entlang. Von einem älteren Mann ließen wir uns überreden, auf einen Tee in seiner Parfümerie vorbeizuschauen. Diese befand sich in der oberen Etage in einem Hinterzimmer.
Auf noblen Ledersesseln wurde uns Platz angeboten, und eine Frau brachte geschwind Gläser und Zucker auf einem silbernen Tablett herbei.
Nach dem Austausch von Floskeln und einer kleinen Teezeremonie kam der ältere Mann im grauen Anzug zum Wesentlichen. Aus einem Schrank brachte er Ampullen und Schraubflaschen mit konzentrierten Parfümölen und stellte sie vor uns auf den Tisch.
Alkohol sei kein einziger Tropfen enthalten, klärte uns der Händler auf und hielt uns einen langen Vortrag über die Parfüme und Gerüche dieser Welt und über den Betrug der großen Konzerne an den Kunden.
Der Alkohol sei in den arabischen Ländern strengstens verboten. Je nach Bedarf müssten wir zu Hause selbst Alkohol einfüllen. 40 Prozent für eine Parfümmischung, 50 für das Eau de Toilette und 70 für das simple Rasierwasser. Wenn man also 100 Milliliter eines Öls kauft, so hätte dieses einen Wert von 200 bis 300 Millilitern eines in Westeuropa handelsüblichen Parfüms. So erklärte es uns ausschweifend der Mann im grauen Anzug.
Zudem habe er alle Duftrichtungen und sämtliche aktuelle Kompositionen. Die Mischung von Lagerfeld sei kein Geheimnis. Er habe alle Marken im Haus. Was wir denn bevorzugen, wurden wir gefragt. Cartier, Hugo Boss, Armani, Davidoff oder Coco Charnel?
Er empfahl uns, alle Öle zu testen. Sie zu riechen, sie auf der Haut zu probieren. Meiner Meinung nach roch das gelbliche und rötliche Öl nicht gerade nach feinster Qualität, doch taten wir interessiert und zufrieden.
Nach einer Stunde kam der Mann auf den Punkt. Er wollte sein vormittagliches Geschäft mit uns abschließen. Ein einfaches Entkommen war nach diesem weit vorangeschrittenen Gespräch nicht mehr so einfach möglich. Zumal wir nicht einfach so durch eine Ladentür auf die Straße treten konnten. Wir saßen in einem verschlossenen Hinterzimmer bei Tee. Inmitten von dunklen Schränken und Regalen.
Ich fragte nach zwei kleinen Proben von jeweils 10 Millilitern. 10 Milliliter? Dies sei ja gar nichts, gab der Händler uns mit den Armen rudernd zu verstehen. Er holte aus einem Regal leere Abfüllflaschen herbei und zählte die Größen auf: 40, 50, 100 Milliliter...
Der Mann wurde ungeduldig und ungehalten über so viel Zurückhaltung und fragte im ernsten Ton, was denn nun sei.
Um nicht richtigen Ärger aufkommen zu lassen, beschlossen Jan und ich, jeweils eine 40-Milliliterflasche mit Parfümöl zu kaufen. Der Händler war zwar nicht recht zufrieden, doch akzeptierte er unseren Höflichkeitskauf und ließ die beiden Fläschchen von der Frau abfüllen. Diese wurden abschließend verkorkt und zur Sicherheit mit durchsichtigem Klebeband umwickelt.
Geholfen hatte es trotzdem nicht. Noch vor der Rückkehr nach Deutschland konnte gut ein Drittel auf ominösem Wege aus den Flaschen entweichen und sich in den Tragebeuteln verteilen.
Wieder draußen auf der Straße wurden wir hundert Meter weiter von einem weiteren Händler angesprochen, der uns zu einem Tee in seinem Büro einladen wollte. Als wir ihm mitteilten, daß wir soeben von solch einem Gespräch kämen, fragte er uns nach dem bezahlten Preis für Parfüm.
Um ihn zu schockieren nannte ich einen inakzeptablen Tiefstpreis. Niemals, rief der gestikulierende Mann und meinte, ich lüge, solch einen Preis könne man nirgendwo in Kairo bekommen. Schließlich habe er schon die besten Preise der Stadt.
Doch, das sei einzig und allein die Wahrheit, fügte ich hinzu. Daraufhin fluchte er, verwünschte uns, ließ uns fortan in Ruhe und zog von dannen.
Mit der längsten U-Bahnlinie Kairos machten wir uns auf den Weg zur südlichsten Station, um von dort aus in einem Stück zur nördlichsten zu fahren. Größtenteils fuhr die U-Bahn oberirdisch, und somit konnten wir uns einen guten Eindruck von den umliegenden Wohngebieten verschaffen.
Über 80 Kilometer zieht sich die ägyptische Hauptstadt am Nil entlang, und immer mehr Leute ziehen vom Land in die Stadt und lassen sich in den ausufernden Wohngebieten nieder.
Niemand kann genau sagen, wieviel Einwohner Kairo nun wirklich hat. Ob neun oder zwölf Millionen, niemand weiß es. Viele Ägypter melden sich nicht polizeilich in Kairo an und leben in den sich endlos hinziehenden Vierteln, in denen in aller Regelmäßigkeit Häuser in sich zusammenstürzen, weil immer schneller und schlichter gebaut wird.
An der südlichen Endstation war es nicht möglich, ein Ticket bis zur nördlichen Endstation zu lösen. Anscheinend fuhr sonst nie einer die gut 50 Kilometer am Stück. Die Fahrkarten reichten nur bis kurz hinter das Stadtzentrum.
Bei Ankunft in der nördlich gelegenen Endstation gerieten wir in eine Fahrscheinkontrolle, die am Ende des Bahnsteiges postiert war. Als schienen sie nur auf uns warten, stürzten sich zwei Männer in Zivil auf uns und verlangten die Tickets.
Nein, diese seien nicht gültig, gaben sie uns nach dem Zeigen der Fahrkarten zur Antwort. Ich wand ein, daß es nicht möglich war ein durchgängiges Ticket zu lösen und schlug vor, den Restbetrag an Ort und Stelle zu zahlen.
Nein, die Sache müsse anders geklärt werden, teilten sie uns mit. 200 ägyptische Pfund seien als Strafe fällig. 200 Pfund? Das waren umgerechnet satte 100 Deutsche Mark!
Nein, auf keinen Fall werden wir dieses Geld bezahlen, entgegnete ich, schließlich war es nicht unsere Schuld. Wenn man in Kairo nicht vernünftig Tickets kaufen kann, ist das nicht unser Problem. Mein Tonfall wurde lauter und entschieden.
Meine harte Gangart zeigte Eindruck. Verunsichert schauten die beiden Kontrolleure zu allen Seiten. Es war von Anfang klar, daß in die eigene Tasche gewirtschaftet werden sollte.
Man könne auch die Polizei holen, teilte man uns mit. Von mir aus, entgegnete ich und wurde mir meiner Sache immer sicherer. Als der Versuch der Einschüchterung ebenfalls fehlschlug, gaben sie auf und ließen uns ziehen.
Da uns die Gegend trotz allem nicht geheuer war, nahmen Jan und ich die nächste Bahn und fuhren auf schnellstem Weg ins Zentrum zurück.
Am Schalter der Egypt Air konnte man uns am Abend noch immer nichts konkretes sagen, und ich freundete mich mit dem Gedanken an, die kommenden zwei Wochen ohne mein Gepäck auskommen zu müssen. Immerhin brauchte ich somit keinen Rucksack auf der Reise durch das Land tragen.
Jan borgte mir ein T-Shirt und ein paar kurze Hosen als Wechselwäsche, und es musste halt öfters gewaschen werden. Den ganzen Tag über konnte ich beim Rundgang durch die Stadt keine Drogerie ausfindig machen, und somit musste ich mir mit Jan weiterhin die Zahnbürste teilen.

Den dritten Tag verbrachten wir wieder gemeinsam mit Hesham, der glücklich war, uns wieder fahren zu dürfen, zumal an diesem Tag eine weite Tour aufs Land auf dem Programm stand. Ziel war die südwestlich von Kairo gelegene Oase El-Fayum, die einen Ruf als Hochburg der Fundamentalisten genoss.
Mit dem Lada ging es zuerst die Hauptstraße parallel zum Nil entlang. Noch immer wehte eine steife Brise aus Südwest und ließ die Kronen der Palmen wiegen und uns den Staub der Wüste schmecken.
Zu beiden Seiten der asphaltierten Straße wurden intensiv und sorgsam die Felder bewirtschaftet. Überall sah man Männer in weißen und hellgrünen Umhängen mit altertümlichen Gerätschaften die fruchtbaren und künstlich bewässerten Felder bestellen. Ochsen zogen den Pflug, und Kinder schnitten das Grünzeug mit Sicheln.
Hesham machte am Straßenrand halt und lief mit uns zu einer arbeitenden Gruppe, die aus fünf Männern und zwei Kindern bestand. Sie hielten bei ihrer Arbeit inne und wußten gar nicht so recht, wie mit uns umzugehen sei, zumal niemand von ihnen ein einziges Wort Englisch sprechen konnte.
Hesham vermittelte und redete am laufenden Band. Anschließend griff er zur Fotokamera und machte zwei Aufnahmen von uns.
Gut 50 Kilometer hinter Kairo bogen wir auf eine Sandpiste ab, die geradewegs nach El-Fayum führte.
Bald wich der Asphalt einer breit gefahrenen, mit kleinen Steinchen übersäten Sandschicht, die zu beiden Seite der Straße abfiel. Vor uns ritten ägyptische Frauen mit roten und grünen Kopftüchern auf Eseln, streckten die Beine zu beiden Seiten ab und gaben den Tieren mit Ruten Hiebe auf das Hinterteil.
Ein paar Kilometer zog sich der fruchtbare Streifen ins Land. Noch fuhren wir an kleinen Dörfern vorbei, in denen kleine, hell getünchte Moscheen die Farbtupfer bildeten. Doch schon bald gab es nur noch Sand und Steine. Wie eine riesige Kiesgrube zog sich die Wüste an dieser Stelle bis an den Horizont.
Hesham stoppte und machte den Vorschlag, ein paar Meter in die Wüste hineinzulaufen. Er würde vom Auto aus ein Erinnerungsfoto machen. Ein wenig skeptisch liefen wir über den lockeren Sand und achteten auf das tuckernde Motorengeräusch des Ladas. Zwar trauten wir ihm nicht zu, uns einfach hier stehen zu lassen, doch man wusste ja nie.
Eine halbe Stunde später erreichten wir die Oase El-Fayum. Wer sich unter dieser Oase eine hübsche Anhäufung von Palmen, sonstigem Grünzeug und Hütten vorstellt, der sieht sich getäuscht. El-Fayum war eine Stadt inmitten von Staub und Dreck. Ein Moloch mit kreuz und quer errichteten, bis zu fünf Stockwerken hohen Gebäuden aus Ziegelsteinen und Beton.
Auf dem Markt am Stadtrand hockten Frauen und Männer in Gewändern auf Decken und Tüchern und verkauften Waren aus flachen, geflochtenen Körben. Als ich auf die Schnelle aus der Hand ein Foto knipste, wurden uns böse, vielsagende Blicke zugeworfen.
Im Zentrum von El-Fayum befanden sich recht passable und überraschend moderne Hotels und Verwaltungsgebäude. Vor einem Hotelkomplex sprudelte das Wasser an künstlichen Wasserfällen nur so herunter und trieb aus optischen Zwecken mehrere Schaufelräder an. Ein kurioses Bild, wenn man die Gegend betrachtete, in der die vielen armen Wohnblocks errichtet wurden.
Hesham versprach uns einen aufregenden Nachmittag. Schließlich seien wir das erste Mal und eventuell nur einmal in unserem Leben in Ägypten. Mit dem Lada fuhren wir in ein militärisches Sperrgebiet, auf dem sich einige Pyramiden und Grabstätten befanden.
An einem Kontrollposten bat uns Hesham, dem Beamten in Uniform einfach einen 20-Pfundschein zu überreichen. Dann würde alles schon glatt laufen. Problemlos konnten wir somit diesen Posten passieren und fanden uns kurz darauf inmitten von Pyramiden wieder, die gar nicht die typische Form hatten. Sie wurden vor tausenden Jahren aus Lehmziegeln gebaut, und der Zahn der Zeit hatte an der Oberfläche genagt, so daß immer mehr Material verwitterte und abrutschte. Übrig blieben unförmige Hügel, die mitten in der Wüste stehen.
Einige Kilometer weiter statteten wir dem Pyramidenfeld von Dashar einen Besuch ab. Die dort befindliche Pyramide Meidum wurde aus Sandstein erbaut und hatte einen Konstruktionsfehler, so daß sie einen Knick aufweist.
Zwei Männer, einer von ihnen im landestypischen Umhang, der andere in schwarzer Uniform, begrüßten uns und führten uns für einen weiteren 20-Pfundschein in eine Grabkammer.
Über eine Holztreppe gelangte man durch eine Luke in das Innere der Pyramide. Nur auf allen Vieren war es möglich, durch einen engen Gang in eine tief in der Pyramide gelegene Grabkammer zu kommen. Über drei ausgelegte Bretter musste man über einen Schacht krabbeln, was zur Folge hatte, daß anschließend unsere Kleidung komplett mit Staub bedeckt und wir fix und fertig waren.
In einer Nische bat mich der eine Begleiter zu sich auf einen Steinblock zu setzen. Mein Freund möge doch bitte ein Foto von uns beiden machen. Ach ja, und einem kleinen Bakschisch wäre er auch nicht abgeneigt, teilte er mit und hielt mir seine rissige Hand entgegen.
Unsere Großzügigkeit wurde belohnt, denn für weitere zehn ägyptische Pfund bekamen wir eine frei gelegte Grabstelle zu sehen. Der Mann mit dem grauen Umhang drückte uns ehe wir uns versahen zwei mumifizierte Füße in die Hände. Füße, die 3000 Jahre alt sind.
Jan und ich schauten ein wenig benommen rein und fassten die Füße mit den Fingerspitzen an. Hesham lachte. Die beiden Führer lachten. Sie amüsierten sich prächtig.
Ein paar Meter weiter lag die Unterseite eines geöffneten Sarkophag im Wüstensand. He, schaut mal, wurde uns zugerufen. Eine Ansammlung an Schädel- und Beinknochen ruhte wie auf einem Gabentisch auf dem flachen Sarkophag, der aus hellem Sandstein bestand.
Mit Eindrücken überhäuft wurden Jan und ich vom vergnügten Hesham im Anschluss zu einen riesigen Salzsee gefahren, der sich mitten in der Wüste befand. Wie eine Fata Morgana lag der bläuliche See vor uns. Man konnte nicht das gegenüber liegende Ufer sehen, und kleine Wellen platschten ans Ufer.
Wir kamen uns vor wie in einem irrwitzigen Traum. Am Strand standen zwei Korbstühle, in die wir uns setzen durften. Niemand war zu sehen. Nur ein kleines Kind, das herbeigerannt kam und Muschelketten verkaufen wollte.
Hesham fragte, ob wir Fisch essen gehen möchten.
Fisch? Ja, in dem Restaurant dort drüben. Aber es ist geschlossen, wand ich ein. Kein Problem, sie werden es für uns öffnen, versprach Hesham.
Der Traum fand seine Fortsetzung. Minuten später saßen wir zu dritt als einzige Gäste in einem riesigen, noblen Fischrestaurant. Eine Karte wurde uns nicht vorgelegt. Hesham übersetzte, was der Kellner aufzählte, und meinte, die Preise lägen im Rahmen.
Wir bestellten Fisch, der frisch zubereitet wurde und köstlich schmeckte. Nach dem Essen teilte uns Hesham mit, daß er mal kurz auf Toilette müsse, wir können ja schon mal bereits bezahlen.
Die Rechnung haute uns vom Stuhl, und Hesham ließ sich erst wieder sehen, nachdem Jan und ich alles beim Kellner beglichen hatten.
Uns ging langsam das Geld aus, und so gaben wir Hesham am Abend nicht so einen üppigen Lohn wie zwei Tage zuvor.
Die ganzen Schmier-, Hand- und Trinkgelder im Laufe des Tages ließen unseren Inhalt der Börsen ganz erheblich schrumpfen. Hinzu kam, daß wir uns von Hesham im Fischrestaurant auf den Arm genommen fühlten.
Hesham hielt die Dollarnoten in der Hand, betrachtete sie, hielt sie nach oben und fragte uns, ob dies alles sei. Ja, war meine lapidare Antwort. Dies müsse heute genügen, denn wir hatten bereits den ganzen Tag über nur so das Geld ausgegeben.
Dies sei ein schlechter Scherz, wand er ein und ließ die Geldscheine nach hinten fallen, was ich dagegen gar nicht witzig fand.
Ich teilte ihm mit, daß vor Beginn der Fahrt nicht gesagt wurde, was uns alles an Kosten erwarte. Die Handgelder übertrafen wirklich jegliche Dimensionen des guten Geschmacks.
Was wir denn wollen, rief Hesham, das Programm war üppig. Zudem die anfallenden Benzinkosten, das Tageshonorar und die sonstigen Spesen.
Ich teilte ihm mit, daß er ein wenig verwöhnt vom letzten Honorar sei. Dieses Geld war sozusagen auch ein Vorschuss für kommende Touren.
So habe er das aber nicht verstanden, erklärte Hesham und hielt uns einen Vortrag über das westliche Europa. Daß wir reich seien, üppig zu Hause leben können, daß wir nur einmal in Ägypten wären. Daß die Leute in seinem Land so arm seien.
Ich unterbrach ihn und teilte ihm mit, daß nicht jeder Deutsche, der nach Ägypten kommt, reich sei. Wir hatten hart für diese Reise gespart und leben zu Hause alles andere als im Überfluss.
Es kam zu einer Diskussion, die fast eine ganze Stunde andauerte. Hesham und ich schimpften auf Englisch, und Jan schaute verdutzt zu. Er war erstaunt, welche Formen das Streitgespräch annahm, während wir noch immer im Lada vor dem Ciao Hotel saßen.
Nach einiger Zeit kühlten sich unsere Gemüter, wir entschuldigten uns gegenseitig für die etwas zu laute Redensart und einigten uns auf eine akzeptable Summe, die wir ihm bar in die Hand drückten.
Zum Abschied war Hesham wieder richtig nett und versprach uns, sich um die Zugtickets für die Fahrt nach Luxor am Abend darauf zu kümmern.
Sämtliche Beschriftungen und Hinweisschilder auf der Ramses Station waren in arabischer Schrift, und so hatte man es als Europäer alles andere als leicht, sich auf dem Bahnhof zurecht zu finden und eine Fahrkarte zu erwerben.
Ein Angestellter des Hotels sollte in Heshams Auftrag unsere beiden Fahrkarten besorgen, doch da dieser erfolglos und achselzuckend zurückkehrte, lief Hesham mit uns persönlich zum Ticketschalter der Ramses Station, schob sich an der langen Warteschlange vorbei, legte einen Schein extra bei und erhielt ohne Probleme auf Anhieb die gewünschten Fahrkarten.
Wir saßen erster Klasse, da selbst diese überaus preiswert war. In einem klimatisierten Waggon fuhren wir über Nacht bequem, ja fast dekadent von Kairo ins 500 Kilometer entfernte Luxor.
Zwar wollte ich lieber unter dem Volk in der dritten oder zweiten Klasse sitzen, doch Hesham riet uns von solchen Ausflügen ab. Die Bahn sei alles andere als sicher. Mitunter käme es auf Bahnhöfen an der Strecke zu schlimmen Zwischenfällen.
Anschläge auf dem Nil waren Mitte der 90er Jahre keine Seltenheit, und auch bei der Fahrt mit der Bahn durch das Land sollten wir Obacht geben.
Ein mit Reliefs und Zeichnungen verziertes Bahnhofsgebäude und ein Obelisk vor dem Bahnhof begrüßten uns in Luxor. Die Sonne strahlte, und einem schönen Tag stand nichts im Wege.
Bevor wir mit einer Fähre über den Nil nach Theben West auf der Westbank übersetzen wollten, hatten Jan und ich vor, einen Tag in der Stadt Luxor zu verbringen, um uns einige Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Die Ruinen der altägyptischen Stadt Karnak liegen vor den Toren der Stadt und weckten unser Interesse.
In Theben West planten wir, einer ägyptische Familie, die eine Alabaster Factory betrieb und Kunstgegenstände in einem Geschäft verkaufte, einen Besuch abzustatten. Marcus, ein guter Freund aus Berlin, gab mir die Anschrift und die Namen mit auf den Weg. Er war dort zuvor einige Male bei dieser Familie und fühlte sich dort außerordentlich wohl.
In Luxor nächtigten wir in einer Jugendherberge gegenüber einer Mädchenschule, auf deren Hof die mit schwarzen Umhängen und weißen Tüchern bekleideten Schülerinnen morgens und mittags an einem Fahnenappell teilzunehmen hatten. Über angebrachte Lautsprecher drang Marschmusik bis in unser Zimmer, das nur 4 ägyptische Pfund kostete, dafür aber auch mehr als spartanisch eingerichtet war.
Die Fähren, die für die Einheimischen zwischen Luxor und der Westbank verkehrten, glichen sudanesischen Flüchtlingsschiffen. Von den grün und weiß angestrichenen Planken und Geländern blätterte die Farbe ab, und braune Rostflatschen prangten an jeder Ecke und Kante.
Auf den Schiffen wurde alles transportiert, was tragbar ist, und hunderte Ägypter schoben sich auf das Unter- und Oberdeck. Die Rohre und Stangen, die das Oberdeck trugen, waren mittlerweile schon verbogen von der täglich zu tragenden Last.
Am anderen Nilufer suchten wir uns einen Weg, der an den Zuckerrohrfeldern und Dattelpalmen vorbei zu den Dörfern und Grabstätten von Theben West führte.
An einer Straße, die parallel zu unserem Pfad verlief, begrüßten uns die beiden Memnonkolosse, zwei hohe Statuen, die als Wächter in der Ebene harren.
Im Hintergrund ragten die Gipfel und scharfen Kanten des thebanischen Gebirges in den tiefblauen Himmel. Willkommen im Reich der Toten. So nannte man früher das Gebiet westlich des Nils gegenüber der Stadt Luxor. Neben dem Tal der Könige befinden sich dort das weniger bekannte Tal der Königinnen und der berühmte Tempel der Hadschepsut. 1997 erlangte diese Tempelanlage traurige Berühmtheit, als Terroristen ein großes Massaker unter Touristen und Einheimischen anrichteten.
Da wir nur den Namen der Familie und eine ungefähre Beschreibung des Hauses hatten, fragten wir einen jungen Ägypter, der vor einer Teestube ein Getränk zu sich nahm, nach der Familie Morsay.
Gewiss, er kenne die Morsays sehr gut. Nicht weit von hier haben sie eine bekannte Alabaster Factory. Er könne uns sogleich mit dem Auto dorthin fahren.
Das passte gut. Augenblicke später fanden wir uns vor dem farbenfroh bemalten Haus der Familie Morsay wieder. Es war ein zweistöckiges Gebäude mit einer Dachterrasse und einem Vorbau, unter dem Steinbrocken lagerten. Teilweise waren die Ziegelsteine weiß verputzt und mit arabischen Schriftzügen und Bildern versehen.
Ein Hirte mit seiner Herde, eine Frau, die einen Krug Wasser auf dem Haupt trägt, ein Reiter auf einer grünen Wiese.
Eine Steintreppe führte geradewegs ins Haus, aus dem angenehm kühle Luft strömte.
Ein junger Mann, der sich gerade an den Gesteinsbrocken zu schaffen machte, begrüßte uns und fragte, zu wem wir denn wollen.
Wir seien gute Freunde von Marcus aus Berlin, teilte ich ihm mit.
»Marcus?« fragte er skeptisch.
»Ja, Marcus aus Berlin. Er besuchte euch einige Male hier in Theben West und wohnte einige Zeit bei euch«, antwortete ich.
»Hm, kenne ich nicht...«
»Ich glaube, ihr nanntet ihn Murgus!«
»Ah, Murgus! Na so was, kommt herein!«
Sämtliche Bewohner des Hauses kamen herbeigelaufen und begrüßten uns. Man teilte uns mit, daß sie überaus erfreut und überrascht seien, Freunde von Murgus hier begrüßen zu können. Leider würde das Haus gerade umgebaut und erweitert, und somit sei nicht genügend Platz für alle da, doch in der kleinen Herberge nebenan sei ein preiswertes Zimmer zu haben.
Da sie annahmen, wir seien müde und erschöpft von der Reise, führten sie uns sogleich in die Herberge nebenan und luden uns zum Abendbrot zu sich ins Haus ein. Dann sei auch Sayed, der Spaßvogel der Familie, anwesend. Er war der beste Freund von Murgus.
Die Herberge war ein schlichter Flachbau mit Gittern vor den Fenstern. An den Dachkanten über der Tür und den Fenstern prunkten schwarze und rote arabische Schriftzeichen. Hübsch verziert und verschnörkelt wie auf dem Deckblatt eines Korans.
Der Besitzer der Herberge, ein schmächtiger Mann mit braunem Gewand, nahm ein Zimmer für sich in Anspruch. Die anderen wurden an die Gäste vermietet. Neben der Küche befanden sich ein kleines Bad und eine Holztreppe, die auf das flache Dach führte.
Die Einrichtung war mehr als schlicht. Unsere Zimmerausstattung bestand aus einem uralten, grünen Metallspind, einem roten, abgewetzten Läufer und zwei rustikalen Betten, die nur mit einem Laken bezogen waren. Das Federkissen war so hart und steif wie ein Brett, und die Schlafutensilien komplettierte eine muffige Filzdecke.
So weit wäre alles kein Problem für mich gewesen, wenn ich meinen Schlafsack zur Hand gehabt hätte. Doch dieser befand sich in dem verschollenen Rucksack. Wohl oder übel musste ich mit der Filzdecke vorlieb nehmen und hoffen, daß sich nicht allzu viele Flöhe, Läuse und Krankheitserreger im Filz versteckt hielten.
Einfach ohne Decke zu schlafen war nicht möglich, da die Nächte empfindlich, manchmal sogar bitterkalt wurden.
Jan und ich lachten über unsere Zimmereinrichtung, denn so hatten wir es uns im Vorfeld der Reise vorgestellt, und eigentlich wollten wir es auch gar nicht anders haben. Was bringt es, in einem Luxushotel auf der anderen Seite des Nils in Luxor zu nächtigen, wenn man Ägypten hautnah erleben möchte.
Beim Gang auf die Toilette dufte kein Papier verwendet werden. Der Mohammedaner verwendet für die Reinigung seines Hinterteils stets die linke Hand und spült sie anschließend unter einem Wasserhahn ab. Wir zogen es vor, nach dem Verrichten eines großen Geschäfts gleich unter die Dusche zu gehen. Das machte die Angelegenheit ein wenig einfacher.
Beim Anblick der riesigen Kalkflecken und Kakerlaken unter der Dusche wünschte ich mir sehnlichst meine Badelatschen herbei und nahm mir vor, in Theben West oder Luxor nach einem neuen Paar Ausschau zu halten.
Der Hausherr der Herberge, in der wir momentan die einzigen Gäste waren, lebte in seinem Zimmer genauso asketisch wie seine Besucher. Außer einem Bett, einem Tisch, einem Holzschrank und einem Koranschriftzug an der Wand befand sich nichts zwischen seinen vier Wänden.
Morgens bereitete er uns ein kleines Frühstück, das sich aus heißem Tee, Teighörnchen und Dattelmus zusammensetzte. Alle zwei Tage kochte er uns auch ein frisches Ei.
Der Mann war sehr nett und zurückhaltend, und ich bewunderte sein schlichtes Leben. Sorgsam, geradezu liebevoll legte er in seinem Zimmer die Decken zusammen, fegte die Küche und wusch das Geschirr.
Auf dem Dach des Hauses standen zwei alte Stühle und ein Tisch auf dem blanken Beton, aus dem Metallstäbe gefährlich anmutend herausragten. Es ist typisch für die Länder dieser Region so zu bauen, daß jederzeit eine weitere Etage nach Bedarf aufgestockt werden kann.
Nebenan auf einer Wiese wurden von einem Bauer Ziegel aus Lehm und Kuhdung geformt und in die Sonne zum Trocknen ausgelegt. Der Geruch von Stallmist zog herüber.
Die kommenden Tage setzte ich mich ein fürs andere Mal auf das sonnige Dach, schaute auf die umliegenden Häuser und Felder und schrieb lange Briefe an meine besten Freunde in der Heimat.
Das Abendbrot im Haus der Familie Morsay fiel üppig aus. Es war Ramadan, und somit durfte erst nach Sonnenuntergang gespeist werden. Hungrig und voller Eifer griffen große, kleine, zarte und abgearbeitete Hände zu den Brotfladen auf dem flachen Tisch in der Mitte und tauchten anschließend die Gebäckstückchen in die Soßen und Gemüseschälchen.
Etwa fünfzehn Leute hatten sich im Esszimmer, das auch als Fernseh- und Spielraum der Kinder diente, versammelt. Von jung bis alt waren alle vertreten. Bei den über 14jährigen allerdings nur der männliche Anteil. Die Frauen schafften nur das Essen herbei und aßen zurückgezogen in der Küche.
Herzstück der großen Runde waren der etwa 35jährige Sayed mit seinen Rastalocken und sein älterer Bruder Mohammed, der allein fünf aufgeweckte Kinder mit an den Tisch brachte. Weiterhin saßen Hassan, ein Freund und Helfer des Hauses, Achmed, bester Freund von Sayed, und ein älterer, kräftig gebauter Mann mit in der Runde.
Letzterer schien der Patron der Familie zu sein und hatte das Recht, das aufgetischte Geflügel fachgerecht mit bloßen Fingern zu zerlegen und die Einzelteile, von denen die Hautfetzen hingen, unter den Mitspeisenden zu verteilen.
Trotz seiner wuchtigen Erscheinung wurde er abseits des Abendbrots von den anderen nicht sehr ernst genommen. Die jüngeren Männer flaxten den ganzen lieben Tag lang und stänkerten in einer Tour.
Der alte Mann ließ es über sich ergehen, bis jedoch der Moment kam, an dem er überkochte und ausrastete. Wild schlug er dann mit seinen Krücken um sich.
»Verdammtes Morsay-Pack!« brüllte er und versuchte, einen der feixenden und umher flitzenden Männer zu erwischen.
Ich staunte nicht schlecht, als einer der jungen Männer dem Familienpapa eines Abends in den Schritt packte und anschließend triumphierend und kreischend um den Tisch tanzte. Die anderen Anwesenden fingen an zu lachen und kriegten sich sobald nicht mehr ein.
Der Alte konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man ihn anfasste, und der Griff zwischen die Beine setzte allem die Krone auf. Der Griff brachte beim Alten das Fass zum Überlaufen.
Schimpfend und gestikulierend schwenkte er die Krücke im hohen Bogen durch das Zimmer und fegte fast die Gläser vom Tisch. Haarscharf ließ er die Krücke neben den Umherennenden auf den Boden krachen.
Beruhigend auf ihn einredend schoben Sayed und Achmed den Alten wieder in seinen Lehnsessel und teilten ihm mit, daß alles doch nur ein Scherz sei, daß alle ihn doch fürchterlich lieb haben.
Besänftigt ließ sich der Alte grummelnd auf seinen angestammten Platz schieben. Aus den Ecken ertönte bereits wieder das schadenfrohe Kichern der anderen.
Ein paar Tage später munterten mich die anderen auf, dem alten Mann doch einmal sanft über den Unterarm zu streichen. Der alte Mann betrachtete mich argwöhnisch und teilte anschließend den anderen mit, daß Jan und Marco aus Deutschland nicht so viele Flausen im Kopf hätten wie all die Mitglieder der Morsaybande. Wir hätten noch den nötigen Respekt vor dem Alter.
Um jedoch der guten Stimmung neuen Nährboden zu geben, nahm ich allen Mut zusammen, schaute, wo sich die Krücke befand, und strich dem Alten mit der Hand über den rechten Arm. Resigniert schüttelte der Alte seinen Kopf. Die anderen tobten vor Lachen und klatschten sich vergnügt auf die Schenkel, und ich war immer wieder überrascht, wie albern ägyptische Männer sein können.
Hassan war um die vierzig, trug wie die anderen einen weißen oder hellblauen Umhang, band sich ein Tuch um die Stirn und hinkte ein wenig wie der Glöckner von Notre Dame.
Er hatte das eine oder andere Geschäft am Laufen, und zwinkerte einem beim Vorbeigehen verschmitzt zu. Jan und mir vermittelte er eine Gebirgstour mit Esel und ortskundigem Führer. Geschickt rechnete er uns vor, welch guten Preis er doch für uns ausgehandelt hatte, und ehe wir uns versahen, hatten wir zugesagt.
Auf den Rücken von zwei Mulis folgten wir dem ägyptischen Führer über einen Bergpass. Die Esel oder Mulis, ich konnte beides nicht so recht voneinander unterscheiden, waren recht klein und abgemagert, und unsere Füße schleiften beim Reiten fast auf dem Boden. Man musste sich vorsehen, um nicht an einem Felsbrocken oder einem dornigen Busch hängen zu bleiben.
Mir taten die Esel leid, doch der Führer munterte uns dazu auf, von Rute und Stock ordentlich Gebrauch zu nehmen. Tapfer arbeiteten sich die Tiere den Berg hinauf.
Oben angekommen, empfahl uns der Ägypter, zu Fuß in das Tal der Könige hinabzusteigen, um dort die Grabkammern zu besichtigen. In zwei Stunden würden wir ihn wieder an gleicher Stelle wieder treffen.
Als wir zurückkehrten, trafen wir nur die drei einsam umherstehenden Esel an. Etwas verloren schauten die Esel drein. Die Leine hing locker vom Hals, und die Köpfe waren gesenkt.
Nach einigem Warten wollten wir uns bereits zu Fuß aus dem Staub machen, als uns jemand aus einiger Entfernung auf Englisch zurief:
»He he, eure beiden Esel! Das sind doch eure beiden Esel!«
Ertappt. Kurze Zeit später erschien auch unser Bergführer, den wir fast nicht wieder erkannt hätten. Mit Kopftuch und Umhang sahen die meisten ägyptischen Männer im mittleren Alter für uns gleich aus.
Im Anschluss der Tour wurde gezahlt. Dabei stellte sich heraus, daß der von Hassan vereinbarte Preis nur die Esel und die Tour als solches mit inbegriff. Der Tageslohn für den Führer, der nicht zu knapp ausfiel, war noch nicht mit eingerechnet.
Da wir ihm sichtlich genervt und schlecht gelaunt die Geldscheine in die Hand drückten und uns kurz und knapp verabschieden wollten, lud er uns kurz entschlossen zu sich nach Hause ein. Allein für Jan und mich trug seine Frau im schlichten Wohnraum des geziegelten Hauses die Speisen heran und stellte sie auf einem großen Messingtablett auf dem Lehmfußboden ab.
Das Haus des Eselführers befand sich im ärmsten Teil der Siedlungen von Theben West, und somit relativierte sich für uns der gezahlte Preis für die Tour. Als wir die schlichte Einrichtung und den nackten Erdboden in den Räumen sahen, kam uns die Diskussion um den Preis nicht mehr gerechtfertigt vor, und wir sahen ein, daß diese Leute ihr bestes tun müssen, um ihrer Familie wenigstens ein wenig Wohlstand nach Hause zu bringen. Was stört es dem Besucher aus Europa, wenn er um ein paar ägyptische Pfund übers Ohr gehauen wird?
Als uns die Frau Wasser aus einem Tonkrug mit vollem Strahl in zwei Becher eingoss und dabei unsere Skepsis von den Gesichtern ablesen konnte, erklärte man uns, daß dieses Wasser keineswegs aus dem Nil käme. Es sei frisches, reines Trinkwasser aus einem tiefen Brunnen gleich hinter dem Haus.
Halbwegs beruhigt nahmen wir nach dem schmackhaften Essen, das aus Kichererbsen, Gemüse und Teigfladen bestand, das erfrischende Wasser zu uns.
Als uns Hassan des Abends fragte, wie uns die Eseltour gefallen habe, teilten wir ihm mit, daß der Preis von ihm nicht korrekt ausgehandelt und mitgeteilt wurde. Er wand sogleich ein, daß er dachte, wir wüssten, wie in Ägypten Preise gestaltet werden, doch als Trost mache er mit uns am kommenden Tag eine Bootstour auf dem Nil. Unter guten Freunden, völlig umsonst. Sage und schreibe bis hin zu den berühmten Krokodilinseln flußabwärts.
Am nächsten Tag stellte sich heraus, daß noch zwei junge Damen mit auf große Tour gingen und daß Ziel keineswegs die Krokodilinseln waren. Nicht einmal zehn Minuten drehten wir mit einem uralten, stinkenden Motorboot auf dem Nil eine Runde und legten gleich wieder am Steg an. Hassan war der Diesel zu teuer, und er fragte uns, ob wir nicht ein paar Pfund für den Sprit zu legen könnten. Wir lehnten seine Anfrage höflich ab.
Hassans guter Laune tat es trotzdem keinen Abbruch. Mit einem Auto brachte er uns gemeinsam mit den beiden aufgemotzten Damen in ein uns völlig unbekanntes Haus, führte uns in eine obere Etage, teilte Coca Cola in Dosen aus und ließ uns anschließend zwei Stunden allein.
Verdutzt schauten Jan und ich uns an. Die beiden ägyptischen Frauen nippten an den Colabüchsen und schauten aus den Augenwinkeln zu uns herüber.
Wie es schien, wollte Hassan uns mit den beiden Frauen verkuppeln. Die Sache gestaltete sich schwierig. Die beiden Frauen konnten kein Englisch, und wir sprachen kaum ein Wort Arabisch. An Konversation, wäre es auch die schlichteste Form, die man sich überhaupt ausmalen kann, war also nicht zu denken. Blieb aus deren Sicht wohl nur die eine Variante. Verlegen lächelten wir uns an, drehten zaghafte Runden durch den großen Raum, schauten aus dem Fenster und warteten auf Hassan, dessen Geschäftspläne nicht aufgehen sollten.
Die darauffolgenden Tage verbrachten Jan und ich allein. Mit den Taxis, kleine Transporter, in denen hinten quer zwei Sitzbänke eingebaut wurden, fuhren wir ein fürs andere Mal zum Nil. Ein ganzes Netz von Taxirouten überspannte die Region von Theben West.
Wollte man einsteigen, brauchte man am Straßenrand nur winken, hatte man vor, auszusteigen, klopfte man an die Rückwand des Führerhauses. Anschließend drückte man dem Fahrer eine 2-Pfundnote durch das Seitenfenster in die Hand. Die Fahrten mit den Taxis waren laut, rasant, holprig, und man kam schnell mit den anderen Fahrgästen ins Gespräch.
Zum anderen Nilufer fuhren wir stets mit der überaus preiswerten Fähre der Einheimischen. Es war stets ein kleines Abenteuer und Schauspiel zugleich, von Theben West auf der Westbank nach Luxor überzusetzen. Stets gab es etwas zu bestaunen.
Bei einer abendlichen Überfahrt zurück zur Westbank musste das alte, marode Schiff direkt vom Motor aus bedient und gesteuert werden. Die Luke zum Maschinenraum war geöffnet, auf Deck stand ein Mann und gab Befehle, und unten am Motor machte sich eine mit Dreck und Öl verschmierte Gestalt mit Maulschlüssel und Zange zu schaffen.
Zwischen Luxor und den Siedlungen von Theben West lagen Welten. Auf der einen Seite die Hotelanlagen, die abendlich beleuchteten Diskotheken an der Uferpromenade des Nils und die mit Touristen vollgestopften Einkaufsstraßen, auf der anderen Seite die schlichten Siedlungen und Dörfer der Einheimischen, die sich bis in die kargen Wüstenregionen hineinzogen.
Regelmäßig fiel in den Ortschaften der Westbank der Strom aus, und somit erschienen die Unterschiede zwischen beiden Seiten noch krasser. Auf der Seite von Luxor die hell überfluteten Hotels und Leuchtgirlanden der Diskotheken, dort die schwarze Finsternis der Dörfer von Theben West, unterbrochen von ein paar funzelnden Petroleum- und Öllampen...

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21 Dez 2006 14:15 #5202 von Hannibal Fletcher
Hannibal Fletcher antwortete auf Re: Backpacker im Land der Pharaonen
:lol: :lol: :lol:
Ein Weihnachtsgeschenk?!
Das war ja für 2005, ups, das Jahr ging fix rum. meine Güte.
Stieß nur durch Zufall auf diese Egyptstory.
Werde sie jetzt nicht lesen. Fehlt die Zeit.
Vielleicht bei Gelegenheit einmal...

H.F.

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08 Feb 2008 13:05 #7500 von Marco

Unterwegs im Land der Pharaonen

Bernhard Niebaum ist gerade mit seinem Rad im Land am Nil unterwegs. wer Lust hat, kann hier im Forum sein überaus spannendes Tagebuch lesen:

[url:14x5njfy]www.foto-doku.de/forum/viewtopic.php?t=661[/url]

Viele Grüße Marco :-) )

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