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Schweiz: Die Angst der Wirtschaft vor einem kleinen Unternehmer

24 Jan 2013 13:42 #19699 von kalleman

SchweizIn der Schweiz lernt derzeit ein kleiner Unternehmer den großen Konzernen das Fürchten. Wie es dazu kam? Hier die Geschichte dazu: Im Jahre 2002 wurde das Unfassbare wahr. Die einst so reiche Fluggesellschaft Swissair war erledigt. Bankrott. Am Ende. Vernichtet durch unfassbares Missmanagement. Im Verwaltungsrat der Swissair saß die crème de la crème der Schweizer Wirtschaft. Sie alle machten sich ganz schnell aus dem Staub und taten das natürlich nicht gratis. Einem jedoch, Mario Corti, war das Schicksal der Swissair nicht egal. Aus Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und der Liebe zum Land machte er sich auf, die Fluggesellschaft zu retten. 

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24 Jan 2013 17:02 #19700 von Marco
Sehr spannend zu lesen. Die Schweiz: Gleich nebenan - und doch hört man so wenig von ihr (Die Steuerflucht-Problematik mal ausgenommen)... Schon aus diesem Grund ein überaus interessanter Artikel. Besten Dank an unseren Kollegen!
Gruß Marco

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10 Feb 2013 18:19 #19751 von Adrian Engler
Hier ist es wieder, das Märchen vom selbstlosen Helden Mario Corti und der Verschwörung der bösen Banken. In die Welt gesetzt wurde es vom Film "Grounding", dessen Produzent der Ehemann einer Cousine von Corti ist (und der Regisseur war Michael Steiner, der jetzt im Auftrag von Economiesuisse ein Film mit Angstpropaganda gegen die Abzockerinitiative gedreht hat).

Wenn man mehr auf die Fakten achtet, sieht man, dass das Märchen mit der bösen Verschwörung und dem Helden Mario Corti nicht viel mit der Realität zu tun hat. Bereits bevor er Swissair-CEO wurde, war er Mitglied des Verwaltungrates und trug die schlechte Politik, welche die einst kapitalkräftige Swissair in den Ruin trieb, mit. Die schlimmsten Fehler wurden vor seiner Zeit gemacht, aber auch Corti trägt sicher eine gewisse Mitverantwortung. Über die kurze - von der Swissair-Pleite beendete - Zeit, während der er CEO war, können die Meinungen auseinandergehen. Er war vor allem damit beschäftigt, die Situation der Swissair, die bereits am Abgrund stand, schönzureden. Sicher initiierte er einzelne Massnahmen, aber als bekannt wurde, wie schlecht es um die Swissair wirklich stand, meinten viele, dass man unbedingt schon früher radikalere Spar- und Sanierungsmaßnahmen hätte einleiten müssen und dass Corti durch sein Zaudern das Schicksal endgültig besiegelt hat.

Wie dem auch sei, Corti ist als Swissair-Verwaltungsrat und kurzzeitiger CEO auf jeden Fall gescheitert. Niemand hat etwas dagegen, dass er für die schwierige Stelle einen guten Lohn bekam, aber dass er sich im Voraus den Lohn für fünf Jahre auszahlen ließ, damit es für ihn persönlich gar nicht mehr darauf ankam, ob die Swissair bankrott geht oder während fünf Jahren prosperiert, ist doch jenseits von gut und böse, und es schafft auch völlig falsche Anreize.

Natürlich kann man nun in populistischer Manier alle möglichen Fälle, in denen Manager von Weltfirmen Millionenbeträge bekamen, aufzählen. Die einen der Fälle sind ganz normal - warum soll ein erfolgreicher Manager einer großen Firma nicht viel Geld bekommen? -, andere mögen auch störend sein. Aber all diese Fälle sind doch etwas völlig anderes als der Fall von Mario Corti, der die Swissair kurz nach Antritt pleite gehen ließ und gleichzeitig sicherstellte, dass er - während wegen des Bankrottes viele andere ihr Geld nicht bekamen - gleich viel Geld bekam wie wenn er die Firma fünf Jahre lang erfolgreich geleitet hätte.

Das Märchen, es habe eine böse Verschwörung gegeben und die Banken seien am Swissair-Bankrott schuld gewesen, ist vollkommen absurd. Die Swissair war pleite, es wäre vollkommen verantwortungslos gegeben, noch mehr Geld in dieses Fass ohne Boden zu geben, und dass Mario Corti nicht bereit war, radikal zu sparen, hatte man ja gesehen. Es wäre ein Skandal gewesen, wenn die Banken der Swissair, die enorme Verluste machte und kein Kapital mehr hatte, noch mehr Geld nachgeschoben hätte. Aber Verschwörungstheorien mit Banken als Bösewichte klingen für einige Leute wohl besser...

Die Abzocker-Initiative wird an hohen Manager-Gehältern nicht viel ändern, da diese meistens mit dem Einverständnis der Aktionäre bezahlt werden. Aber bei Extremfällen wie bei Mario Corti, in denen Manager mit Vorauszahlungen des Lohnes und Goldenen Fallschirmen sicherstellen wollen, dass es überhaupt nicht auf ihre Leistung und das Wohlergehen der Firma ankommt, sie keinerlei Risiko eingehen und gleich hohe Millionenbeträge kassieren, wenn sie wie Mario Corti scheitern, wie wenn sie die Firma jahrelang erfolgreich geleitet hätten, können mit der Initiative schon verhindert werden.

Economiesuisse versucht nun mit einem riesigen Werbebudget und einer unglaublichen Angstpropaganda die Stimmbürger davon zu überzeugen, dass eine Annahme der Initiative zum Untergang der Schweiz führen könnte. Das ist völlig unglaubwürdig. Ich sehe bei der Abzockerinitiative auch einige Nachteile, und im Allgemeinen wird sie voraussichtlich keinen großen Einfluss auf hohe Manager-Gehälter haben, aber um Extremfälle wie bei Mario Corti zu verhindert, ist sie doch sinnvoll.

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10 Feb 2013 18:58 #19752 von Adrian Engler
Außerdem ist zu ergänzen, dass die Behauptung, dass Minder fast alle Parteien gegen sich habe, falsch ist. Die linken Parteien (Sozialdemokraten und Grüne) sind für die Abzockerinitiative. Die größte rechtsgerichtete Partei, die SVP tritt gesamthaft für ein Nein ein, aber einige kantonale Sektionen sind für die Abzocker-Initiative. Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung für ein Ja ist. Wie man da behaupten will, eine Annahme wäre eine große Überraschung, ist mir schleierhaft.

Ebenso wie beim Märchen, dass Mario Corti, der sicherstellte, dass er mit Vorauszahlung des Lohnes für fünf Jahren trotz der Swissair-Pleite, für die er mitverantwortlich war, finanziell ähnlich gestellt war wie wenn er die Firma fünf Jahre lang geleitet hätte, ein selbstloser Kämpfer für das Gute war und es eine Verschwörung der bösen Banken gab, die schrecklicherweise einer maroden Firma nicht noch mehr Geld in den Rachen schoben, ist der Artikel auch bei der Beschreibung der aktuellen politischen Realität in der Schweiz sehr weit von den Fakten entfernt.

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