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Pilgern auf dem Jakobsweg: Der geheimnisvolle Mann mit der Bohrmaschine

21 Jul 2011 16:44 #16771 von Marco
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Bekanntlich lernt man auf einer Pilgertour entlang des Camino de Santiago de Compostela die verschiedensten Menschen kennen. Auf der Wegstrecke, in den Lokalen und Kneipen der Ortschaften und in den Pilgerherbergen. Auf unserer Tour nach Santiago lernten wir in Villadangos einen 60-jährigen Spanier kennen, der mit schwarzen Lederslippers, normaler Alltagskleidung und einer Reisetasche von León nach Santiago pilgerte. Ohne Vorbereitung – völlig aus dem Stehgreif. Eine spontane Idee, auf die er kam, als er in der Altstadt von León die eingelassenen Muscheln im Straßenpflaster gesehen hatte.





Eigentlich war Ángel auf Dienstreise in Madrid und León unterwegs und wollte am kommenden Tag zurück zu seiner Frau nach A Coruña (La Coruña) fahren, doch als er die metallisch glänzenden Jakobsmuscheln in León sah, änderte er seinen Plan. Sein 60. Geburtstag stand an. Einmal wollte er in seinem Leben nach Santiago de Compostela pilgern. Wenn nicht jetzt, wann dann? Kurzerhand rief er seine Frau daheim an und meinte, er würde zu Fuß nach Hause kommen und es könnte zwei Wochen dauern.

Gesagt, getan. Im Pilgerbüro in León besorgte sich Ángel einen Pilgerpass und los ging´s. Wir lernten Ángel damals eine Etappe weiter in der Herberge von Villadangos del Paramo kennen. Auch wir starteten in León und wollten zu dritt die rund 300 Kilometer zu Fuß nach Santiago pilgern. Wir nächtigten im Monjas Benedictinas de Santa Maria de Carval, einem Benediktinerkloster mit Colegio und integrierter Auberge. Eine Nonne trug unsere Namen in ein Buch ein und drückte den ersten Stempel in unsere Pilgerpässe, die wir bereits aus Deutschland mitbrachten.
 
„Arriba, arriba! Desayunar!“ Punkt 8 Uhr wurden wir vom Hospitaleiro geweckt. Zum Abschied gab es noch ein kleines Frühstück, das aus aufgebackenem Brot und Kaffee mit Milch bestand. Der Hospitaleiro wechselte mit uns noch ein paar nette Worte und drückte uns abschließend wohlwollend die Hand.
Es folgte der Marsch nach Villadangos del Paramo. 22 Kilometer mussten auf dieser ersten Etappe zurückgelegt werden. Anfänglich ging es durch die Vororte Leóns, später folgte der Camino der Schnellstraße N 120. Jeder Meter Abstand von der Schnellstraße wurde erfreut begrüßt, und wir hofften auf baldige Besserung des Weges. Passiert wurde ein Straßenschild mit der Aufschrift „Santiago 326 km“.

In der Herberge von Villadangos waren wir mit Ángel allein zu Gast. Es war Anfang März, und noch waren wenige Pilger auf dem Jakobsweg unterwegs. Bei Baguette, Wein und Oliven plauderten wir mit Ángel und konnten seine Story kaum glauben. Mit dieser normalen Reisetasche, die er sich quer auf den Rücken schnallte? Mit diesen Schuhen, die kein Profil hatten? Niemals! Bis Santiago könne dieser Mann niemals durchhalten. Unmöglich! Und dazu noch der Clou! Die Reisetasche war nicht gerade leicht, denn in ihr befand sich eine nagelneue Bohrmaschine mit allem drum und dran. Gekauft war gekauft. Er ahnte ja nicht zuvor in Madrid, dass er von León aus zu Fuß nach Santiago und Ferrol bei A Coruña wandern würde.

Es folgten 26 Kilometer bis zur Kleinstadt Astorga, wo uns eine nette, komfortable Aubergue erwartete. Auf dem Weg nach Astorga bildeten Hospital de Orbigo und Puente de Orbigo die Höhepunkte des Tages. Eine sehr alte Stadt und eine ebenso alte Brücke über den Rio Orbigo wurden von einer hübschen Landschaft mit einigen Bäumen eingerahmt.
Am Abend trafen wir in der nett gelegenen Pilgerherberge von Astorga ein. Ángel saß bereits am Holztisch im Vorraum der Aubergue und belegte sein zuvor gekauftes Baguette mit Serrano-Schinken und Käse. Im Gegensatz zu uns hatte er eine etwas andere Route gewählt. Aufgrund seiner flachen Schuhe lief er fast die ganze Zeit auf den parallel verlaufenden Straßen. In unseren Augen machte das die Sache für ihn auch nicht leichter.
Auch der Hospitaleiro von Astorga hatte einiges zu berichten. Nach seinen Angaben pilgerte er kurz zuvor zehn Monate lang von Madrid aus über Santiago und Toulouse nach Rom und zurück. Ganze 7.000 Kilometer, so teilte er uns mit, wanderte er ohne Geld von Kloster zu Kloster. Nun arbeite er als Hospitaleiro, um anschließend in seine Heimatstadt Madrid zurückkehren zu können. Später bekamen wir allerdings von zwei Pilgern aus Italien und Guatemala zu hören, dass der Mann in Astorga ein Aufschneider und Angeber sei.

Nach einem Besuch der Kathedrale von Astorga und einem grandiosen Blick von der Altstadt auf die schneebedeckten Berge am Horizont ging es nach Rabanal del Camino. Eine Rast auf der 20 Kilometer langen Etappe legten wir in der kleinen und einsam gelegenen Ortschaft Sta. Catalina de Somoza ein, wo in der einzigen Bar des Dorfes Ángel bereits auf uns wartete. Die Region Castilla-León zeigte sich von ihrer besten Seite. Einsame Ebenen, einzeln stehende Bäume und schneebedeckte Bergketten im Hintergrund.
In Rabanal del Camino waren wir mit Ángel wieder die einzigen in der dortigen Herberge. Aus dem Gästebuch konnten wir entnehmen, dass drei Brasilianer und einige Spanier aus Murcia vor uns auf dem Camino pilgerten, doch waren diese genauso schnell wie wir, und somit konnten wir diese leider nicht kennenlernen.

Der folgende Abschnitt gehörte mit zu den interessantesten der Tour. Die verlassenen Ortschaften Foncebadón und Manjarin boten tolle Motive. In Manajarin gab es inmitten der verfallenen Gebäude einen Einsiedler, der manchmal die vorbeikommenden Pilger zu einem heißen Kaffee einlud. Vor seinem Gehöft befanden sich bunte Wegweiser: Santiago 222 Kilometer, Rom 2475 km, Trondheim 5.000 km, Jerusalem 5.000 km, Finisterre 295 km und Machu Pichu 9.450 km. Sein Haus konnte auch als Refugio de Peregrinos genutzt werden, doch war unser Ziel Molinaseca, und es gab keine Gründe, bereits in Manjarin Pause zu machen. Passiert wurde auch das Cruz de Ferro, das Eisenkreuz, welches eines der ältesten Denkmäler des Pilgerweges ist. Ángel wählte an jenem Tag eine kürzere Variante und blieb in Al Acebo, dafür trafen wir in Molinaseca einen älteren Italiener, der uns zu Wein und Keksen einlud.

Ponferrada, Villafranca, Ruitelán und O Cebreiro. Stück für Stück pilgerten wir in Richtung Santiago. Galizien war bereits erreicht. Ángel hatten wir bereits aus den Augen verloren, und wir vermuteten, dass er seine Tour abbrechen musste. Allerdings trafen wir hier und dort andere Pilger, die von ihm zu berichten wussten. Die Sache mit der Bohrmaschine hatte bereits die Runde gemacht.
Über Triacastela ging es nach Sarria. Und siehe an: Dort traf am späten Abend der völlig erschöpfte Ángel ein. Immer noch das schlichte Schuhwerk an den Füßen. Er hatte es in der Tat geschafft, den Rückstand aufzuholen.
„Cinco minutos! No mas, no menos!!!“ Fensterläden auf, und mir wurde am Fuß gezogen. Die strenge Frau der Herberge in Sarria weckte uns unsanft kurz vor acht und befahl uns, sofort aufzustehen, zu packen und zu gehen. Es war die einzige Herberge auf dem Weg, in der so konsequent darauf geachtet wurde, dass man sich um 8 Uhr auf den Weg machte. Lachend schnappte sich Ángel seine Tasche und machte sich auf den Weg. Wir dagegen kehrten erst einmal in der Innenstadt und versorgten und mit café con leche.

Portomarín war das Etappenziel. Ein Stadt, die aufgrund des Stausees im Jahre 1956 verlegt werden musste. Das alte Portomarín verschwand unter dem ansteigenden Wasser des Belesar-Stausees und wird nur bei sehr tiefen Pegelständen wieder sichtbar. Zuvor abgebaut und neu errichtet wurden nur zwei Kirchen, ein Brückenbogen und ein Palast.
In der recht modernen Pilgerherberge, die eine recht große Küche hatte, trafen wir wieder auf Ángel, der erstaunlicherweise völlig fit aussah. Seit León hatte er gewiss ein paar Kilo abgenommen, insgesamt wirkte er um einiges jünger und vitaler. Bei selbst gekochten Nudeln und reichlich Wein plauderten wir über die Etappen und die Begebenheiten der Tour. Wir vermuteten, dass er gigantische Blasen an den Füßen hatte. Doch von Schwielen und Blasen keine Spur. Kurzerhand zog er seine Schuhe aus und zum Vorschein kamen Füße, die gepflegt und gesund ausschauten wie Kinderfüße. Ein Wunder! Zum Einsatz kam am Abend noch seine Bohrmaschine. Fix spannte er einen Schleifstein ein und schärfte gekonnt mein Taschenmesser.
Nach Wein, Wein und nochmals Wein schlug er uns vor, in einer Bar einzukehren und etwas Trester zu trinken. Gesagt, getan. Zu später Stunde igelten wir uns völlig fertig in den Doppelstockbetten ein. Gegen sieben Uhr – während wir noch mit dickem Schädel in den Schlafsäcken steckten – winkte uns Ángel mit Sack und Pack fröhlich zu und meinte, er wolle jetzt recht bald Santiagio erreichen. Müde winkten wir zurück. Gesehen haben wir den Mann mit der Bohrmaschine nie wieder...

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Spanien

> zur privaten Webseite des Autors: www.saudade-fotos.net

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21 Jul 2011 16:44 #16772 von Anabel
Eine ungaubliche Geschichte!!!

Schöne Grüße aus dem grünem Spanien.

Anabel
Twitter: @BelTurgalicia
Facebook: anabel.cmturgalicia

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21 Jul 2011 19:13 #16773 von Sabrina
Der Jakokbusweg schreibt immer wieder tolle Geschichten. Es gab Achtzigjährige die die ganze Strecke gewandert sind und auch Pilger die barfuß die Strecke zurücklegten. Dieser Weg beflügelt die Menschen. Manche wurden sogar geheilt. LG Sabrina

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22 Jul 2011 01:11 #16775 von Peter
Nur ein ganz kleiner Nachtrag zu der sehr schönen Geschichte, die obendrein spannend und unterhaltsam erzählt wird: Der Einsiedler von Manjarin heißt Tommaso. Er sieht sich in der direkten Nachfolge der Tempelritter und hat in den neunziger Jahren dieses Refugio für hartgesottene Pilger geschaffen. Eine gewollte, naturverbundene Askese, hinter der also durchaus eine Philosophie steht.
Mehr dazu auf dieser website: www.jakobspilger.de.to

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