Machen sich die Sprinter warm, wird es laut im Berliner Velodrom. Keine Frage, die Sprint-Wettbewerbe des Berliner Sechstagerennens kommen auch bei den Zuschauern, die eher wenig Radsport-Kenntnisse mitbringen und sich von Hause aus nur mäßig für das Radsport-Geschehen interessieren, sehr gut an. Um es mal mit frecher Schnauze zu sagen: Da bleibt manch einem Erstbesucher doch glatt die Spucke weg. „Das hätte ich nicht gedacht. Das rockt ja total!“, erklärte ein Besucher, der Samstagabend zum ersten Mal im Velodrom vorbeigeschaut hatte.
104. Berliner Sechstagerennen: Erik Balzer und Nate Koch können Lücke schließen
Die Champions Sprint Wettbewerbe sind neben den Stehern und den Endphasen der Kleinen und Großen Jagd ganz gewiss das Highlight der jeweiligen Veranstaltungstage. Die perfekte Mischung aus sportlicher Dramatik und Show. Kraftvolle Athleten, die im Affenzahn über das Holzoval brettern. Dazu die Lichtspiele, der jeweilige Song und das Jubeln der Zuschauer. Wenn beim Rundenrekordfahren eine neue Bestzeit gefahren wird, steht das Publikum. Tosender Applaus. Gleiches gilt, wenn bei den Sprintduellen wenige Zentimeter Vorsprung den Sieg bedeuten. Oder wenn beim Keirin-Wettbewerb schon mal gekabbelt und um die beste Ausgangsposition gerangelt wird. Ganz klar: Als ich persönlich vor einigen Jahren das erste Mal das Berliner Sechstagerennen besucht hatte, dachte ich auch: Hölle noch mal, das ist ja echt der Hammer. Gänsehaut und feuchte Augen.
In den vergangenen Jahren hatte sich das 6-Tage-Publikum beim Sprint vor allem auf ein Duell gefreut: Maximilian Levy gegen Robert Förstemann. Der Lokalmatador gegen den Sprinter mit den rekordverdächtigen Oberschenkeln. Jeder wird seinen Favoriten gehabt haben. Und das Schöne daran: Es war stets ein Duell auf absoluter Augenhöhe. Hundertstel Sekunden bzw. wenige Zentimeter entschieden über Platz eins und zwei. Und das Gute: Im Keirin-Wettbewerb waren auch die anderen vier Fahrer niemals chancenlos. Einige Male konnten Levy und Förstemann nach hinten verwiesen werden. Unter dem Strich ein Wettbewerb, auf den sich alle freuten und der auch als eine feste Konstante galt. Die Pärchen der 6-Tage-Fahrer wurden immer neu durchmischt. Die Sprinter gaben auch dem Radsport-Laien eine gewissen Halt. Levy und Förstemann - diese Namen kennt wirklich jeder auf den Rängen des Velodroms.
Um so größer die Enttäuschung bei den Veranstaltern und beim Publikum, als im Vorfeld des 104. Berliner Sechstagerennens die Nachricht hereinkam: Robert Förstemann sagt die Teilnahme an den diesjährigen Berliner Sixdays ab. Kurz vor Weihnachten hatte er einen Bandscheibenvorfall erlitten. Zwar ging es ihm Anfang Januar dieses Jahres wieder weitaus besser, doch bereits jetzt an Wettkämpfen teilzunehmen, sei zu risikoreich. Schließlich gibt es ein Ziel, das auf keinen Fall verpasst werden darf: Die Teilnahme bei den UCI-Bahn-Weltmeisterschaften 2015, die vom 18. bis 22. Februar im Vélodrome National im Pariser Vorort Saint-Quentin-en-Yvelines ausgetragen werden. Wenn der 1986 in Greiz geborene und in Gera trainierende Robert Förstemann in Frankreich an den Start gehen kann, sind die Chancen auf Medaillengewinne durchaus vorhanden. Seine Liste der Erfolge ist bereits lang. Im vergangenen Jahr wurde er gemeinsam mit René Enders und Maximilian Levy Vizeweltmeister im Teamsprint, 2013 holten die drei gemeinsam den Europameistertitel. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London gewann er gemeinsam mit Levy und Enders die Bronze-Medaille.
Um zurück zum Thema zu kommen, beim diesjährigen Sechstagerennen im Berlin Velodrom an der Landsberger Allee müssen Veranstalter und Zuschauer ohne das ewige Duell Levy - Förstemann auskommen. Kurzfristiger Ersatz musste her. Ein Sprinter, der die markante gelbe Kleidung mit der Nummer 2 tragen wird. Herbeigezaubert wurde der US-amerikanische Sprinter Nathan Koch, der in der Regel „Nate“ genannt wird und erst vor vier Jahren zum Radsport wechselte. Zuvor war Nate Koch als Zehnkämpfer in der Leichtathletik aktiv. Nate Koch ist allerdings in den USA kein Lückenfüller, vielmehr wurde er bereits nationaler Meister im Teamsprint. Bei den Panamerikanischen Meisterschaften holte er sich eine Bronzemedaille. Kein Wunder also, dass er für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro für das US-amerikanische Team als Anfahrer im Gespräch ist.
Es ist jedoch ziemlich sicher, dass in Berlin die wenigsten Zuschauer bereits von ihm gehört hatten. Jedoch bereits am ersten Abend schloss das Publikum den charismatischen Ami in die Herzen. Nate Koch fühlt sich in Berlin sichtlich pudelwohl und sucht die Nähe zu den Zuschauern. Und dass er auch sportlich was auf Tasche hat, bewies er bereits am Donnerstagabend. Im Keirin-Wettbewerb hatte er die Nase vorn, mit strahlendem Gesicht ließ er sich bei der anschließenden Siegerehrung feiern. So schade das notgedrungene Fernbleiben des überaus sympathischen Sprint-Stars Robert Förstemann auch ist, mit Nate Koch hatten die Veranstalter einen guten Griff gemacht.
Und es gibt noch eine erfreuliche Nachricht. „Erik Balzer, der neue Sprintkönig im Velodrom“ war am Samstag auf der offiziellen FB-Seite zu lesen. Kurz zuvor hatte der 1991 in Spremberg geborene Erik Balzer, der seit über zwei Jahren beim „Team Erdgas.2012“ trainiert, den Keirin-Wettbewerb des dritten Veranstaltungstages für sich entscheiden können. Und es war kein einmaliges Aufflackern. Erik Balzer, der vor dem Berliner Sechstagerennen beim UCI-Bahn-Weltcup im kolumbianischen Cali internationale Luft schnuppern konnte, bietet dem Platzhirsch Maximilian Levy mächtig Paroli. So konnte er beispielsweise am Freitagabend das direkte Sprintduell gegen Levy gewinnen.
Und auch die anderen drei Sprinter - Tobias Wächter, Pavel Kelemen (Tschechien) und Damian Zielinski (Polen) geben keine schlechte Figur ab. So überquerte am gestrigen Familiensonntag der polnische Sprinter Zielinski im Keirin-Wettbewerb als erster die Linie und durfte sich für einige Sekunden als Sieger fühlen. Allerdings wurde Maximilian Levy als Sieger erklärt, da Zielinski zum falschen Zeitpunkt innen überholt bzw. die Linie überquert hatte. Sei wie es sei: Für Spannung ist gesorgt und wir freuen uns auf die kommenden zwei verbleibenden Tage im Berliner Velodrom. Robert Förstemann wünschen wir indes gute Genesung und wir hoffen, dass wir ihn im Februar bei der Bahn-WM in Paris sehen werden!
Fotos: Arne Mill, Marco Bertram
> zur Fotostrecke: Sprint-Wettbewerbe beim Berliner Sechstagerennen
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