UCI Straßen-WM in Ponferrada: Rückblick auf die Zeitfahrwettbewerbe

AM Updated 26 September 2014
UCI Straßen-WM in Ponferrada: Rückblick auf die Zeitfahrwettbewerbe

luluDer Ruhetag bei den diesjährigen Straßen-Radsport-Weltmeisterschaften in Ponferrada bietet zwar kaum Zeit durchzuschnaufen, aber trotzdem die ersten vier turbulenten Wettkampftage noch einmal Revue passieren zu lassen. Am ersten Wettkampftag standen die beiden Mannschaftszeitfahren der Frauen und Männer auf dem Programm. Bereits um 10:00 Uhr ging die erste der insgesamt 14 Damenformationen von der Startrampe. Während das Team Specialized Lululemon seiner Favoritenrolle mehr als gerecht wurde und am Ende mit 1:17,56 Minuten Vorsprung gewann, gab es auf den Plätzen dahinter ein paar faustdicke Überraschungen. Das als Mitfavorit gehandelte niederländische Rabo LIV Women Cycling Team musste alle Ambitionen auf einen Podiumsplatz begraben, da es nach der letzten Abfahrt ausgangs des vorletzten Kreisels zu einem sehr schweren Sturz kam, in den drei der letzten vier verbliebenen Fahrer verwickelt waren. 

Annemiek van Vleuten krachte mit voller Fahrt in die Absperrung, Pauline Ferrand Prevot und die dahinter fahrende Anna van der Breggen konnten nicht mehr ausweichen und kamen ebenfalls zu Fall. Prevot blieb weitestgehend unverletzt, van Vleuten und van der Breggen mussten ins Krankenhaus gebracht werden, wo bei van den Breggen ein Beckenbruch diagnostiziert wurde.

Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=NjSHt_xnzXs

ORICABereits zuvor hatte das Team Marianne Vos und Roxane Knetemann verloren, das bis dahin auf einen sicheren Silber-Podestplatz zusteuerte, landete am Ende auf dem 14. und letzten Rang mit 10:05 Minuten hinter den Siegerinnen. Auch das zweite niederländische sehr hoch gehandelte Boels Dolmans Team mit der Vorjahres-Weltmeisterin im Einzelwettbewerb Ellen van Dijk, kam nicht über Rang 5 mit 2:26,33 Minuten Rückstand auf das Siegerteam hinaus. Die Silbermedaille holte sich somit das Orica-AIS Team aus Australien mit 1:17,56 Minuten Rückstand vor dem italienischen Astana Bepink Womens Team mit 2:19,64 Minuten Rückstand.

Dennoch kommt der Sieg der US-Damenformation, in der auch die beiden deutschen Fahrerinnen Lisa Brennauer und Trixi Worrack zum Gesamterfolg beigetragen haben, nicht von ungefähr. Der permanenten innovativen Denkweise der Teamführung ist es letztendlich zu verdanken, dass dieser souveräne Sieg zustande kam. So war bereits bei der Thüringen Rundfahrt der Frauen zu sehen, dass die Fahrerinnen des Teams die einzigen waren, die direkt nach jedem Rennen einen Recovery Drink gereicht bekamen. 

WMIn den Teamcamps wird regelmäßig großen Wert auf Coretraining, Streching und die Zusammenarbeit mit Yogatrainern gelegt, die spezielle Übungen für das Zeitfahren entwickeln und anwenden. Neben der Auswahl des bestmöglichen  Setups arbeitet man auch an der optimalen Positionierung der Fahrerinnen auf dem Rad. Erstaunlich ist dabei vor allem, dass dieses Know-how in erster Linie aus Deutschland kommt und leider von den verantwortlichen Entscheidungsträgern hierzulande unzureichend wahrgenommen wird.

BMCIm Teamzeitfahren der Männer ging der Sieg ebenfalls recht überlegen, wenn im Gegensatz zu den Damen recht überraschend an das BMC Racing Team aus den USA, die zwar als sehr gute Zeitfahrmannschaft, aber nicht unbedingt als Favoriten gehandelt wurden. Platz 2 mit 31,84 Sekunden Rückstand belegte, wie schon im vergangenen Jahr, das australische Orica GreenEdge Team, dass sich auf dem Podium sichtlich enttäuscht zeigte und Rang zwei nicht als gewonnene Silbermedaille, sondern als verlorene Goldmedaille wertete. Platz drei mit 35,22 Sekunden Rückstand belegte das Team Omega Pharma Quick Step um Tony Martin. Knapp dahinter auf Rang vier mit 37,29 Sekunden Rückstand auf das Siegerteam, fuhr das britische SKY Team mit dem Olympiasieger von London: Bradley Wiggins. SKY hatte bereits sehr früh zwei Fahrer verloren und Wiggins erwies sich als überaus starke Lokomotive im britischen Team Time Trail Zug. Es zeichnete sich ab, was sich drei Tage später bestätigen sollte. Wiggins war in absoluter Bestform nach Ponferrada gereist, während Martin doch etwas müde und nicht auf dem Höhepunkt seines Könnens wirkte.

SiegerAm zweiten Tag mussten sich die Akteure auf eine sehr feuchte Angelegenheit einstellen, womit die Fahrerinnen des australischen Teams die geringsten Probleme hatten. Platz 1 für Macey Steward, Platz 3 für Anna Leeza Hull und Rang 4 für Alexandra Manly waren die überlegene Ausbeute im Einzelzeitfahren der Juniorinnen. Dass die deutsche Starterin Lisa Klein überhaupt schon wieder bei der WM an den Start gehen konnte, ist schon bewundernswert, denn sie hatte sich im abschließenden Punktefahren des Omniums bei der Junioren-Bahnweltmeisterschaft im südkoreanischen Gwangmyeong Mitte August einen dreifachen Bruch des Schlüsselbeins zugezogen. Somit kamen ihr die vorherrschenden Witterungsbedingungen gar nicht gelegen, zumal ihr Helmvisier, wie auch das ihrer Teamkollegin Franziska Banzer während des Rennens so sehr beschlug, dass ihre Sicht gleich Null war. Klein landete daher auch zwischendurch einmal im Straßengraben und beendete das Rennen auf einem guten 12. Gesamtrang mit 51,87 Sekunden Rückstand auf die Siegerin. Platz 23 mit 1:15,92 Minuten Rückstand auf die Siegerin belegte Franziska Banzer.

schachmannAuch der Nachmittag zeigte sich feucht und regnerisch. Es war also ein Tag perfekter für diejenigen, die den Kopf ausschalten und volles Risiko gehen konnten. Volles Risiko ging auch Maximilian Schachmann, dessen Laufbahn in Berlin beim Marzahner RC begann und der zur Zeit beim Giant Shimano Development Team unter Vertrag ist. Ein Sturz in der ersten Kurve, bei dem er sich den Fuß verletzte und die Strecke mit starken Schmerzen zurücklegte, verhinderte wohl einen Podestplatz des überaus stark fahrenden Berliners. Rang 5 mit 37,84 Sekunden Rückstand ist somit ein hervorragendes Ergebnis, zumal er trotz des Handicaps den zweiten deutschen Fahrer Nils Politt aus Köln vom Stötling Team um knapp 50 Sekunden distanzieren konnte. Politt der bei der DM der Altersklasse U23 in Baunatal noch den Titel vor Schachmann holen konnte und auch zuletzt beim Bundesliga Finale in Berlin mit einem Sieg überzeugte, fand im U23-Rennen von Ponferrada schwer in den Wettbewerb und ließ gerade auf dem ersten Teilabschnitt Zeit liegen.

MullenMit den Bedingungen die wenigsten Probleme schien der Ire Ryan Mullen zu haben. Er flog in perfekter Aeroposition in einem Schnitt von 49,474 Km/h über den Kurs und verbesserte die bis dahin vom Portugiesen Ferreira Rafael Reis gehaltene Bestmarke um 19,32 Sekunden. Reis hatte jedoch den Vorteil, fast die gesamte Strecke im trockenen absolvieren zu können, während Mullen im strömenden Dauerregen unterwegs war. Der Australier Campbell Flakemore als drittletzter Starter ebenfalls im Dauerregen unterwegs, bei allen Zwischenzeiten deutlich mit 20 Sekunden hinter dem Iren zurück, schaffte es auf der Ziellinie dennoch die Zeit von Mullen um 48 Hundertstel zu unterbieten. Dies war dann auch für den Schweizer Mitfavoriten Stefan Küng vom BMC Development Team eine unlösbare Aufgabe. Küng wurde Dritter mit 9,22 Sekunden Rückstand auf Flakemore.

KämnaInsgeheim galt der dritte Wettkampftag schon als sehr erfolgversprechend, doch man hielt sich von offizieller Seite sehr zurück, um den Druck auf die Athleten nicht zusätzlich zu erhöhen, was sich im Nachhinein als richtig erweisen sollte. Im Rennen der Junioren verbesserte der gebürtige Bremer Lennard Kämna, der die Sportschule in Cottbus besucht, gleich bei der ersten Zwischenzeit die Bestmarke um knapp 20 Sekunden. Auf den 29,5 Kilometern baute, der als letzter von der Rampe gestartete Kämna seinen Vorsprung bis zur Ziellinie auf 44,66 Sekunden aus.

Für den Junior wirkte es sich zudem im Vorfeld noch einmal positiv aus, dass bei einer WM immer Betreuer und Fahrer aus Profiteams vor Ort sind, und so halfen sie dem Youngster, der in diesem Jahr die Radbundesliga dominierte und bereits Europameister wurde, zu seinem WM Debüt mit Profimaterial in Form von Laufrädern und Reifen aus. Platz 2 belegte der US Amerikaner Adrien Costa und Dritter wurde der Australier Michael Storer mit 58,11 Sekunden Rückstand.

ReutterDer Gewinner der diesjährigen Niedersachsenrundfahrt und Bronzemedaillengewinner der DM – Berg Sven Reutter vom RWV Wendelsheim – belegte einen hervorragenden 7. Platz und Jan Tschernoster aus Werne komplettierte mit Rang 11 den starken Auftritt der jungen deutschen Fahrer, die ein ganz großes Stück Hoffnung für die Zukunft des deutschen Radsports verbreitet haben.

Mieke Kröger hatte sich bereits vor der Deutschen Meisterschaft in die Hände von Alexander Bauer aus Köln begeben, der mit ihr auf der Bahn in Büttgen eine Positionsoptimierung auf dem Zeitfahrrad vornahm. Das Ergebnis war der vierte Platz bei der DM im Zeitfahren der Frauen Elite und zwei Wochen später holte sie sich den Europameistertitel im schweizerischen Nyon welcher ihr die Fahrkarte zur WM in Ponferrada sicherte. Was die 21-jährige aber hier im WM Einzelzeitfahren der Frauen Elite ablieferte, kann man wohl ohne Abstriche als herausragend bezeichnen, denn sie fuhr sich im wahrsten Sinne des Wortes die Seele aus dem Leib und landete in einem überaus starken Fahrerfeld auf Rang 4 mit 38,29 Sekunden Rückstand auf die Siegerin.

KrögerDabei wurde ihr die Ehre zuteil eine gute halbe Stunde auf dem Stuhl der Zeitschnellsten Platz zunehmen. Erst als die Fünftletzte Starterin Anna Solovey aus der Ukraine das Ziel erreichte, musste sie einen Platz weiter rücken. Kurz darauf schob sich die US-Amerikanerin Evelyn Stevens noch zwischen Solovey und Kröger und eine Minute später flog die Geheimfavoritin mit neuer Bestzeit ins Ziel. Lisa Brennauer konnte in dieser Saison auf ein absolutes Traumjahr zurückblicken und nach dem DM-Doppelerfolg und dem WM-Titel im Mannschaftszeitfahren holte sie sich nun auch mit einer überragenden Leistung das Regenbogentrikot in ihrer Spezialdisziplin.

In diesem Erfolgsrausch ist der 10. Platz von Trixi Worrack leider etwas untergegangen. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Dissenerin sich in diesem Sommer einem knallhartes Mammutprogramm mit 19 Renntagen am Stück (Giro Rosa und Thüringenrundfahrt der Frauen), zusammen mit ihrer Teamkollegin Evelyn Stevens, unterzogen hatte. Dies wird ihr am kommenden Samstag im Straßenrennen sicherlich eher zugute kommen.

Tony MartinAm Mittwoch, dem vierten Wettkampftag zeigte sich endlich auch das Wetter wieder von seiner spanischen Seite. Den meisten Druck im Vorfeld machte sich der Titelverteidiger und dreifache Weltmeister Tony Martin selbst. Doch wenn man den Saisonverlauf und gerade den Aufgalopp, das Mannschaftszeitfahren am Sonntag zuvor etwas genauer betrachtet, hatte sich bereits das angedeutet, was letztendlich eingetreten ist. So kann man das Fazit schon einmal vorweg nehmen: Tony Martin hat bei der Straßen Radsport-WM in Ponferrada im Einzelzeitfahren der Männer Elite Silber gewonnen und nicht Gold verloren!

Die Tour de France wie auch die Vuelta a España waren in diesem Jahr gerade in der ersten Woche durch die Witterungsbedingungen extrem Substanzzehrend. Während die erste Woche bei der Tour durch den Regen und die Kälte auf den Klassiker Passagen viele Opfer forderte war der Vueltaauftakt durch extreme Hitze von 45 Grad Celsius und mehr geprägt, wovon sich der Zeitfahrspezialist Martin nicht vollständig erholen konnte. Bradley Wiggins hingegen, für die Tour von seinem Team nicht nominiert und statt der Vuelta die Tour of Britain bestritten, konnte sein Programm voll auf dieses Zeitfahren ausrichten und sich vor allem ohne jeden Druck, denn Martin galt als Favorit und Titelverteidiger, auf das - sein Unternehmen „WM Titel auf der Straße“ ungestört und präzise vorbereiten. Ab dem kommenden Jahr wird er dann endgültig zurück auf die Bahn wechseln, wo er seine unglaubliche Karriere begonnen hat.

Für Tony Martin sollte der 2. Platz keine Niederlage sein. Er ist in diesem Jahr noch einmal deutlich gewachsen und hat sich zu einem Rennfahrer entwickelt, der auch auf technisch anspruchsvollen Kursen egal ob im Straßenrennen oder im Einzelzeitfahren bestens klar kommt, was in den vergangenen Jahren nicht immer zu seinen Stärken zählte. Wenn man den derzeit kursierenden Gerüchten glauben darf, dass Wiggins im WM Zeitfahren von Ponferrada über eine knappe Stunde zwischen 470 und 480 Watt getreten haben soll (selbst wenn man nur von der reinen Tretzeit – ohne Rollzeiten - ausgeht), dann wird wohl auch dem Dümmsten klar, was der zweite Rang mit 26,23 Sekunden Rückstand wert ist.

DumoulinDie überragende Leistung des Tages ist wohl dem Niederländer Tom Dumoulin anzurechnen, der bei der ersten Zeitnahme mit der siebtbesten Zwischenzeit gestartet ist und sich dann über die 47,1 Kilometer lange Strecke auf Rang 3 vorarbeitete. Wobei man sagen muss, dass der Teamkollege von Nikias Arndt mit einer nahezu perfekten Position auf dem Rad unterwegs war. Der 22-jährige Nikias Arndt vom Giant Shimano Team konnte bei seinem WM Debüt einen soliden 22. Gesamtrang mit 2:48,60 Minuten Rückstand auf den Sieger vorweisen. Man darf nicht vergessen, dass er die gesamte Vuelta in den Beinen hat, wo er sehr hart für John Degenkolb arbeiten musste und diese immerhin auf Rang 102 beendet hat. Wenn er weiter an seinen guten Anlagen arbeitet, ist ihm in naher Zukunft durchaus auch ein Platz auf dem Podium zuzutrauen.

TeutenbergLars Teutenberg erreichte mit seinen 43 Jahren immerhin Rang 48 und konnte sich vor einigen guten Zeitfahrern wie Ramunas Navaduaskas und dem Dänen Lasse Norman Hansen platzieren. Im ersten Teilabschnitt lag Teutenberg sogar im ersten Drittel, musste aber dem Berg im letzten Streckenabschnitt dann doch Tribut zollen. 

Die offizielle Internetseite der UCI Straßen Weltmeisterschaft titelte „Martin fue humano“, „Brennauer arresa“ und über dem Foto von Lennard Kämna: „El nuevo Tony Martin“. Deutschland ist nach Halbzeit der Wettbewerbe in erster Linie durch die Damen und Nachwuchssportler stärkste Nation im Straßenradsport!

Fotos: Arne Mill

> Zu den turus-Fotostrecken: UCI Straßen-Weltmeisterschaften 2014

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